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Musik

Ultra-Dylan / Grandpa’s Apfelkuchen ins Gesicht

Bob Dylan, The Night We Called It A Day Video Screenshot.

SPIEGEL ONLINE Forum

05.01.2007

Kritischer Leser:

Dylan ist vermutlich ein Sonderfall. Auch biographisch. Als der Typ sich noch nicht als erweckter Christ verstand (…)

Christian Erdmann:

Geschätztester, ich muß es wiederholen: auf „Time Out Of Mind“, 1997, „Love And Theft“, 2001, und „Modern Times“, itzt, findest Du nicht die Spur von reborn-Christ-Genuschel, sondern einen älteren Mann in Hochform, den alten Mann und das Mehrgehtnicht. „Time Out Of Mind“ war Dylans Rückkehr als Ultra-Dylan, nach Jahren, in denen er seinen Weg und seine Stimme verloren hatte, dann zurück mit der Stimme von, öhm, Gott selbst, und mit Songs, die ewig weitergehen könnten, jeder einzelne, und mit Musikern, die mit allen Wassern gewaschen sind, ultracool, knochentrocken, die spielen anstrengungslos alles an die Wand.

Auf „Oh Mercy“ deutete sich das an, ging aber wieder verloren zwischendurch – das Echo der Gitarren, die leicht unheimliche Atmosphäre, die dabei entsteht, das Südstaaten-Element, das ganze New Orleans & Mississippi & Louisiana swampland voodoo-Zeug. Auf „Time Out Of Mind“ war es wieder da. „Love And Theft“ war musikalisch vielfältiger, alle möglichen Stilrichtungen mit viel Spaß aus dem Ärmel geschüttelt, jede Note, jeder Schlag sitzt. „Lonesome Day Blues“. Hölle. Das älteste Schema der Welt, und diese Musiker spielen es, als wäre es entweder soeben erfunden, oder als würden sie es in der Tat schon 100 Jahre spielen. Und Dylans Stimme obendrauf, auf all diesen Songs, knattert Zeile für Zeile, als müßte er schnell noch seine eigene „Ilias“ und seine eigene „Odyssee“ abliefern. Ich wäre mit dem Nobelpreis für Literatur an Dylan einverstanden. Jedenfalls kann niemand sonst halsbrecherische Zeilen wie diese

She’s looking into my eyes, she’s holding my hand
She’s looking into my eyes, she’s holding my hand
She says, „You can’t repeat the past.“ I say, „You can’t? What do you mean, you can’t? Of course you can.“ 

in einem ziemlich rasanten Song unterbringen („Summer Days“).

Und in einem Song wie „High Water“ findet sich zwischen all den apokalyptischen Untergangsbildern immer ein seltsamer absurder Humor, der mich an Buster-Keaton-Filme denken läßt. The book of life in jeder Zeile, und dann manchmal Zeilen, die sind wie, nun, wenn Kinder ins Buch des Lebens was Lustiges kritzeln und die Tintenkleckse machen.

Wie er im Song „Things Have Changed“ bei der Zeile „The next sixty seconds could be like an eternity“ diese kleine Lücke nach eterni- läßt und das -ty so müde nachschiebt, als hätte er die Ewigkeit gerade hinter sich.

„We recorded ‚Man In The Long Black Coat‘ and a peculiar change crept over the appearance of things. I had a feeling about it and so did he. The chord progression, the dominant chords and key changes give it the hypnotic effect right away – signal what the lyrics are about to do. The dread intro gives you the impression of a chronic rush. The production sounds deserted, like the intervals of the city have disappeared. It’s cut out from the abyss of blackness – visions of a maddened brain, a feeling of unreality – the heavy price of gold upon someone’s head. Nothing standing, even corruption is corrupt. Something menacing and terrible. The song came nearer and nearer – crowding itself into the smallest possible place. We didn’t even rehearse the song, we began working it out with visual cues. The lyrics try to tell you about someone whose body doesn’t belong to him. Someone who loved life but cannot live, and it rankles his soul that others should be able to live. Any other instrument on the track would have destroyed the magnetism. After we had completed a few takes of the song, Danny looked over to me as if to say, This is it. It was.“

Bob Dylan Ticket Konzert Hamburg 2002.

31.03.2011

Angemessen überirdisch war er dann bei der „Love & Theft“-Tour, 2002, als Charlie Sexton einer der beiden Gitarristen war, die Band einfach in Killerstimmung und Dylan genau so, wie man es in kühnsten Träumen erhofft. Theophanie, wie sie sein soll. Und am Ende ging er kurz vor uns, dem Publikum, in die Knie. Angeblich hatte er so eine Geste auf der Tour vorher noch nie gemacht. In mir ist so eine Stimme, die sagt, keep it like that. :)

Das ALLER-erste, was ich mal von ihm sah, war der Hut. In einem schwedischen Kino. Als Scorseses Kamera in „The Last Waltz“ runterschwebt für Dylan, „Forever Young / Baby Let Me Follow You Down“. Mit seinem Blick zu Robbie Robertson nach den ersten Zeilen hatte er mich. Ewiglich.


Gespräch zwischen Mister ray05 und mir im SPIEGEL ONLINE Forum. „Together Through Life“ von Bob Dylan war soeben erschienen. Mai 2009.

Christian Erdmann [Aljoscha der Idiot]:

Mit „Modern Times“ wurde ich auch nicht wirklich warm, aber warum dem Mann nach den beiden atemberaubenden Vorgängern – sowas wie „Time Out Of Mind“ und „Love & Theft“ muß gemeint gewesen sein, als es mal hieß, da wäre was aus dem Kopf von Zeus entsprungen – nicht auch einen kommerziellen Mega-Abräumer gönnen. „Together Through Life“ macht stellenweise einfach Gänsehaut, noch banaler kann ich es nicht sagen. Der einzige Nachteil, den „It’s All Good“ hat: daß es nicht noch eine Stunde so weitergeht, als Fahrt durch eine amerikanische Nacht, die, like life, den Rückweg vom Lost Highway sucht, währenddessen aber im panoramischen Überblick nicht auf die wunderbaren, Dylan-typischen bösartigen Streiche verzichten kann. Man sitzt mit idiotischem Grinsen auf dem Rücksitz, thinking: das ist so phantastisch, daß es fast lachhaft ist. Der Rolling Stone schrieb: „Dylan has never sounded as ravaged, pissed off and lusty.“

ray05:

Der Opener ist ganz offensichtlich Howlin‘ Wolfs „Who’s Been Talking“, manches erinnert an Tom Waits nachmittags um 5, viel an Dylan selber, logisch, der Rest macht eine ganz schmale Spur zu deutlich, dass es sich im rocking chair wunderbar plaudern lässt – aber geschenkt das alles. 

Den Rückweg vom Lost Highway hat der Meister schon mit „Time Out Of Mind“ generalstabsmässig vorbereitet, wobei zu jenem Zeitpunkt noch nicht hundertprozentig klar war, ob er letztlich nicht doch als störrisch-renitenter dirty old man der Zirkusmanegen enden könnte. Diese Ungewissheit hielt die Spannung aufrecht…

Christian Erdmann:

Oui oui. Ich meinte allerdings den Rückweg vom Lost Highway aus der „Together Through Life“-Perspektive selbst. :)

ray05:

Aber nun: Mit dieser neuen Platte hören wir Dylan den ganzen verdammten Verkehr seines Eingebundenseins einfach nochmal regeln, nun allerdings endgültig nicht mehr als Betroffener einer Welt der Heimsuchung und des zu Bannenden oder Einzuverleibenden oder Auszudrückenden, der Zeichen und Schatten an der Wand eben, sondern mit dem Here-I-Am-Sitting-So-What-Keep-a-Laugh-On-Your-Face-Gestus des glücklichen Heimkehrers, des Familienzusammenführers, der sich mit einem vernehmlichen HEY-YO in den Schaukelstuhl fallen lässt.

Christian Erdmann:

Nicht mehr betroffen, nicht mehr heimgesucht? Du meinst, die Löcher, die sich da ins Herz bohren, sind Autopilot-Abläufe und Dylan geht es ingesamt mehr um den sonic effect? Not sure about that. Man fragt sich immer noch, wieviele Zeilen aus, etwa, „Forgetful Heart“ immer noch an Sara gerichtet sein könnten: We loved with all the love that life can give, When you were there, you were the answer to my prayers.

Unherausfindbar, denn: was Dylan seit „Time Out Of Mind“ (wieder) gnadenlos gut beherrscht: er findet für einen Song einen Refrain wie

I feel a change comin‘ on
And the fourth part of the day’s already gone

Und um diesen Refrain baut er Strophen, die er im Prinzip endlos weiterbauen könnte, in denen er abwechselnd phantastische, vitriolische Wortspiele betreibt, Surrealismus mit präzisen Zustandsbeschreibungen durcheinanderwirbelt, UND einen Blick ins Innerste gewährt. Nur weiß man, und das ist Dylans Genie, nie genau, was was ist.

In den Liner Notes zum „Biograph“-Box Set sagt er ja zu „You’re A Big Girl Now“:

„Well I read that this was supposed to be about my wife. I wish somebody would ask me first before they go ahead and print stuff like that. I mean it couldn’t be about anybody else but my wife, right? … I don’t write confessional songs. Emotion’s got nothing to do with it. It only seems so, like it seems that Laurence Olivier is Hamlet.“

Großartig, oder? Natürlich schreibt Dylan kaum anderes als confessional songs, nur eben keine, die obvious sind. Was Dylan sich von Kerouac abgeguckt hat: das eigene Leben zum Mythos zu machen. Dylan hat nur eine ganz andere Methode dafür. In der japanischen Ästhetik gilt das waka-Gedicht als semantische Artikulierung, die aus einer nicht-zeitlichen Ausdehnung der assoziativen Verkettung von Worten oder einem Netzwerk von Bildern und Ideen besteht. Genauso funktioniert z.B. „Tangled Up In Blue“, genauso funktionieren seine Songs wieder seit „Time Out Of Mind“. Den schöpferischen Grund dieser vielstimmigen Fülle von Bedeutungen, Bildern, Ideen nennen die Japaner kokoro – die schöpferische Subjektivität. Äußerste Subjektivität. Im waka findet Selbstausdruck durch Naturbeschreibung statt. Dylan beschreibt sich, mit äußerster Subjektivität, in diesem Sturzbach von Bildern, auch wenn sie scheinbar gar nichts mit ihm zu tun haben, weil er seit „Time Out Of Mind“ sein kokoro wiedergefunden hat. :)

ray05:

Verbindendes Element und Zentrum der Autorität ist ausschliesslich Dylans Stimme, Grandpa’s raspelnde Einwürfe mit der gewohnten alten Flinte auf dem Schoß, Kinder und Enkel zu Füssen, gibt’s noch Apfelkuchen – ja, so what, isso. Denke trotzdem, da kommt noch was auf uns zu, später, die Flinte schiesst noch mal … aber jetzt: das lag eine Spur zuviel einfach alles auf der Hand …

Christian Erdmann:

Weiß nicht, ob einer, der „My Wife’s Home Town“ aufnimmt, mit HEY-YO im Schaukelstuhl schaukelt. :) Für mich hat diese Platte (again) mit Unterwegssein zu tun, was treibt und aufrecht hält, ist nach wie vor „This Dream Of You“, und wer die beißende Ironie des „It’s All Good“ nicht sieht, kriegt halt Grandpa’s Apfelkuchen ins Gesicht: Talk about me Babe / if you must / throw on the dirt / pile on the dust / I’d do the same thing / if I could / you know what they say / it’s all good. Chuckle chuckle at 2:45. Warum kann er nicht? Business down the road.

Dylans Mythos als Mystery Man ist verewigt, jetzt arbeitet er an etwas anderem: an der Rettung besagter amerikanischer Nacht, an der Rettung jenes Kosmos, durch den all diese Songs hallen, seine eigenen, die, die er in seinen Radiosendungen gespielt hat, er rettet diese Welt mit all diesen Charakteren, die ihm wahrer erscheinen als die zeitgenössischen mit ihrem Jahrmarkt der Zwergen-Eitelkeiten, und damit hat er ja nicht mal unrecht. Da gibt es den Jack White-Favoriten, das Sweetheart, ebenso noch wie die Frau, die über stuff more potent than a gypsy curse verfügt, und da gibt es vor allem den Dylan-Charakter selbst, der all das über Zeit und Raum hinweg zusammenhält. „Beyond Here Lies Nothin'“ könnte von Robert Mitchum in „Out Of The Past“ stammen, nur eben, daß The Past / Lost Highway immer wieder einholt: schon der nicht-zeitlichen Ausdehnung von Dylans Kunst wegen. :)

Jemand sagte, die Platte ist voll von Lyrics, die Dylan im Schlaf schreiben könnte. Aber sie ist auch wieder voll von

Well, now what’s the use in dreaming
You got better things to do
Dreams never did work for me, anyway
Even when they did come true

Einhalt gebietenden Wendungen, die den Autopilot widerlegen. Die Musik? Jemand sagte: soul fire + sexy apocalyptic carnival. Ich schließe mich an.

ray05:

Eigentlich ist es banal: Der Rezipient schließt von der Größe des Loches in seinem Herzen auf das Kaliber der Waffe des Künstlers. Ich halte Dylan für ein außerordentliches Geschütz, die Auswirkungen von „Time Out Of Mind“ kannst Du in meiner Herzgegend auch nach mehr als zehn Jahren noch buchstäblich abtasten. Vielleicht bin ich gerade deshalb wenig geneigt, dieser aktuellen Platte die Brust vorbehaltlos hinzuhalten – nur weil sie eben aktuell ist, vielleicht, oder weil sie von Dylan ist, vielleicht, sie könnte von Miles Davis im Grabe eingespielt worden sein, das änderte nichts -, sondern konstatiere mit der Erfahrung des Mannes, dem eine derartige Unbedingtheit der Kunstrezeption HEUTE kaum gut zu Gesicht stünde, erstmal die Perfektionierung von Methode.

Für mein Empfinden kann Dylan heute all jene Vorzüge, die Du mit Recht GENIAL nennst, die er sich von Gertrude Stein, Burroughs, Kerouac oder sonstwem ANEIGNETE und für seine Zwecke dienstbar machte, methodisch, ohne selbst mehr als notwendig INVOLVIERT zu sein, herstellen. Ich möchte sogar soweit gehen, die GENIALITÄT Dylans genau an dieser Fähigkeit zur endgültigen Etablierung einer DYLANMASCHINE festzumachen. Das klingt nun böse, und bringt mich freilich in heftigsten Konflikt mit heiligen Weltinnenräumen, die ich selbst im Widerspruch natürlich respektiere – trotzdem mag ich im Moment in Dylans Fall „schöpferische Subjektivität. ÄUSSERSTE Subjektivität“ – wie Du sagst – lediglich als METHODISCHEN Kern auffassen, den zu sehen, freizulegen und anzuwenden Dylan durchaus sitzend im Schaukelstuhl mit Apfelkuchen gelingen dürfte. Wir sind uns sicher einig, dass Dylan zurzeit eine Art Historisierung, Wiedererzählung all jener Mythen, Lieben, Figuren und Schlagschatten versucht; genau das meinte ich mit meinem Bild des Heimkehrers, die Kinder und Enkel zu Füßen. HEY-YO. Aber ich denke, Dylan wird uns bald nochmal richtig dicke Löcher verpassen …. :) 

Vermutlich würden uns mit der Zeit noch eine ganze Reihe weiterer Referenzsongs anderer Amerikaner einfallen, die Dylan im Sinne einer bewahrend-zeitbremsenden Kanonisierung benutzt, verkontextualisiert, eingliedert, in die Risse des Raumzeitkontinuums fugt; und mit der Zeit fallen uns auch die unterirdischen Gänge auf, die jeden Song des neuen Albums mit irgendeinem anderen des Dylanuniversums „vitriolisch“ verbinden.

Dankenswerterweise wurde auf „Tangled Up In Blue“ hingewiesen, die Platte „Blood On the Tracks“ ist jener Angelpunkt des Dylanwerkes, der einerseits die Motivation der Kehre „Slow Train Coming“ vorausdeutet, zum anderen den Schlüssel zur Enträtselung der von Dylan selbst gespielten Aussenseiterfigur in „Pat Garrett & Billy the Kid“ – die er schlichtweg selbst ist – liefert.

Und dann: Die Zeit des Dylankosmos läuft seit „Blood/Tracks“ rückwärts und sukzessive verlangsamt, mit „Time Out Of Mind“ als komplett statischem Fluchtpunkt. Seitdem ist es nicht mehr dasselbe dylaneske Unterwegssein als kathartischem Auferlegtsein incl. einzig möglichem Weg nach draussen – der Mystery Man, der keine Alibis verkauft -, es sind nicht mehr dieselben rätselhaften Wendungen mit quietschenden Reifen, es ist all das und vermutlich noch viel mehr, allerdings wohlarrangiert als Déjavu in einem Sittengemälde namens „Dylans Americana.“

Klar, die Musik ist sexy und sonstwas, eben bilderbuchhaft amerikanisch; apokalyptisch? Nö. Karneval? Zydeco-Neworleans ist dabei, sure.

Christian Erdmann:

Point taken. „Time Out Of Mind“, Pièce de résistance der Dylan-Neuzeit, der Referenzpunkt, der die Essenz definiert, für mich zufällig am Ende eines (schreibe das Wort errötend) Schicksalskreises, funktionierte bei mir damals so, als wäre ich der Charakter in „Tangled Up In Blue“ und er die rothaarige Frau:

Then she opened up a book of poems / And handed it to me / Written by an Italian poet / From the thirteenth century / And every one of them words rang true / And glowed like burnin‘ coal / Pourin‘ off of every page.

Hinzu kam, daß kurz zuvor mein Vater gestorben war. Kurz, nachdem „Modern Times“ bei mir anlangte, starb meine Mutter. Zuletzt kamen Dylan-Platten in schmerzlichen Phasen, wo die schwingende Sichel auch Tod eines alten Selbst forderte. Die neue Platte hat in dieser Hinsicht frei. „I’m motherless, fatherless“ („Shake Shake Mama“).


Und die Platte dazwischen, auf der er sang „I wish my mother was still alive“ (in „Lonesome Day Blues“) – ? Das ist es ja eben: „Blood On The Tracks“ ist kanonisiert als die ultimative „separation“-Platte. Aber sie ist vielleicht viel mehr „methodisch“ (in Deinem Sinne) als gedacht. 2001 sagte Dylan nämlich genau über „Love & Theft“:

„I’ve never recorded an album with more autobiographical songs. This is the way I really feel about things. It’s not me dragging around a bottle of absinthe and coming up with Baudelairian poems. It’s me using everything I know to be true.“

Und weiter hieß es:

Asked about the Lonesome Day Blues line, he declines to discuss her death last year, except to say, „Even to talk about my mother just breaks me up.“

Insofern wäre ich nach wie vor vorsichtig mit der Beantwortung der Frage, where Dylan does what. Point taken auch zu „Dylans Americana“, ist schon richtig und alles sehr schön formuliert von Dir, aber er steckt einfach von Anfang an zu tief in all dem drin und will da auch nicht raus. Es geht nicht um Folk, Blues, irgendein Genre. Was Dylan an den „oldtimers“, wie er in den „Chronicles“ schreibt, immer bewundert hat, ist ihre „chilling precision“. Und die zu erreichen, ist keine kleine Sache, frag Flaubert. Und nach der strebt auch Dylan nach wie vor, seit „Time Out Of Mind“ vielleicht wie nie zuvor; „using everything“, um auszudrücken, „how he feels about things“. Richtig mag aber sein, daß die dichterische Präzision schon längst nicht mehr nur rein gegenwärtigen Erfahrungen gilt.

ray05:

So, tonight’s the night: No Direction Home – Bob Dylan von Martin Scorsese [2005]. Doppel-DVD. 204 Minuten Spielzeit. Nie gesehen bislang, mal schauen, wie weit ich heute damit komme …

„Martin Scorsese schaffte tatsächlich ein kleines Meisterwerk. Auswahl, Schnitt, Rhythmus und Distanzgefühl waren seine wichtigsten Werkzeuge. Und so wurde der Film eben nicht nur eine Hommage an Bob Dylan, sondern auch ein phantastisches Stück bildhafter Kulturgeschichte. Und wenn nach diesem Film noch jemand der Meinung ist, Dylan könne nicht singen, sei kein Poet und kein originaler Musiker, dann muss es sich um einen Kunstbanausen handeln,“ meint Herr Fuchs auf amazon. :)

Christian Erdmann:

Sehr guter Film. Wirklich großartig, was der Rezensent da „bildhafte Kulturgeschichte“ nennt, sprich, die Art, wie Scorsese Zeitdokumente einspielt. Das erste, was mir gerade einfällt, weil es mir als erstes die Haare aufstellte: Odetta, so nach einer Viertelstunde etwa, kurz nachdem Dylan erzählt, was für eine Haltung ihm Folk vermittelte gegenüber Institutionen und Ideologien.


Der erste Film, den ich je auf Video aufnahm, war übrigens Dylans „Renaldo & Clara“. :)

ray05:

Mann-o-mann, Tuschkin; das ist genau DIE Stelle, bei der ich gestern abend nicht mehr weiterschauen konnte, den Film stoppen musste. Es sind Allen Ginsbergs bewegte Pausen, die so erschüttern, diese Zeitlöcher; sein Überwältigtsein von der erlebten Wahrheit, dass mit Dylan DIE – nicht irgendeine – „Botschaft an die nächste Generation weitergegeben wurde“. 

Zehn Minuten zuvor meinte Dylan: „Ich musste die Songs so schreiben; in einer Sprache, die ich niemals zuvor gehört hatte.“ Dann sagte einer: „Die Songs hatten eindeutig mit unserem Leben heute zu tun, aber gleichzeitig schienen sie 200 Jahre alt zu sein.“

Kämpfen musste ich dann schon, als Mavis Staples von der schwarzen Gospelgruppe Staple Singers sagte: „Wie konnte es sein, dass ein 20jähriger Weisser sang: Durch wieviele Straßen muss ein Mann gehen, bis er Mann genannt werden kann … Das ist es doch, was mein VATER erlebte; ER war es doch, den man nie als Mann bezeichnete. Dylans Lieder waren inspirierend wie beim Gospel, was er schrieb, war wahr.“


Anhang:

IsArenas:

Hallo Aljoscha! Und er macht einen poltischen Anspruch in seinen Texten geltend, den er irgendwann vor bald 30 Jahren schon in Frage stellte (…)

Christian Erdmann:

Hallo, die Reduktion auf „politischen Anspruch“, „Protestsänger“, „Revolution“ etc stellte er selbst doch schon viel früher in Frage. 

– Wie viele von den Leuten, die sich wie Sie im gleichen musikalischen Bereich abplagen, sind Protestsänger? Leute, die den Song dazu benutzen, um gegen die Gesellschaft zu protestieren, in der wir leben. Sind es viele?
– Yeah, Sie können sagen, 136. 
– Sie meinen exakt 136?
– Naja, gut, es mögen 132 sein.
– Können Sie mir einige davon nennen?
– Protest? Oh… Sie wollen nur Sänger?
– Yeah, geben sie mir ihre Namen. Wer sind Sie?
– Na ja, hm… ich werde mal anfangen…
– Wie ist es mit Barry McGuire? Ist er einer?
– Nein, nein…
– Was ist er?
– Er, er ist so ne Art von Mittelwestler und … (unverständlich) … bestätigt jedem, daß McGuire ein Protestsänger war, daß er wirklich ein Protestsänger zu sein hatte…
– Was bedeutet Ihrer Meinung nach das Wort „Protest“?
– Für mich? Es bedeutet… singen, wenn ich nicht singen will.
– Was?
– Es bedeutet, gegen deinen Willen singen zu müssen.
– Sie singen gegen Ihren Willen zu singen?
– Nein, nein.
– Singen Sie Protestsongs?
– Nein.

– Bevorzugen Sie Songs mit einer unterschwelligen oder einer direkten Botschaft?
– Mit was?
– Eine unterschwellige oder direkte Botschaft?
– Oh, ich mag solche Songs wirklich überhaupt nicht. Botschaft? Wie meinen Sie das? Welcher Song hat eine Botschaft?
– Naja, „Eve Of Destruction“ und solche Songs.
– Die ziehe ich welchen vor?
– Ich weiß nicht, Ihre Songs scheinen eine unterschwellige Botschaft zu haben.
– Unterschwellige Botschaft!?
– Na ja, sie klingen danach!
– Wo haben Sie das gehört?
– In einem Filmmagazin.
– O mein Gott! (Lacht) O mein Gott! Na ja. Wir wollen’s lassen. Wir wollen diese Dinge hier nicht diskutieren.

– Haben Sie den Begriff „Folk-Rock“ erfunden?
– Sicher. Ich saß an einem Tag so rum und sagte: „Folk-Rock.“

– Nehmen Sie an den neuen Sachen teil? Sexuelle Freiheit und auch…
– Ich nehme an keiner Sache teil! (Lacht) Überhaupt nicht! Ich wette, Sie können nicht eine Sache nennen, an der ich teilhabe! Hauen Sie ab, ich warne Sie! (Lacht)
(1965)

Bzw. auch sein Satz zu „Auf welcher Seite stehst du“ – : „Ich meine, auf welcher Seite kann man denn stehen?“

6 Antworten auf „Ultra-Dylan / Grandpa’s Apfelkuchen ins Gesicht“

Thank you! Und einfach nur phantastisch, was es seitdem noch an Ultra-Dylan gab, „Tempest“, aber dann vor allem „Murder Most Foul“ und das ganze „Rough And Rowdy Ways“-Album, jetzt freue ich mich wie ein Schneekönig auf sein Buch, „The Philosophy of Modern Song“. Fürchte, ich brauche auch noch seinen Whiskey. „Heaven’s Door“. :)

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„The Philosophy of Modern Song“ liegt schon vor mir auf’m Tisch, gerade angekommen. Hoffentlich sind die Songs, die er beschreibt, irgendwo auffindbar…das wäre dann Heaven’s Door without the Whiskey 😆

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You lucky girl. :) Meins ist unterwegs. Auf Spotify gibt es die Playlist der Songs angeblich „several times over“. Alle Auszüge, die ich las, rechtfertigen den Nobelpreis und alle weiteren existierenden Literaturpreise für diesen Mann rückwirkend und in Zukunft, er treibt Oscar Wildes Forderung, daß Kunstkritik selbst Kunst zu sein habe, bis zum Äußersten, er nimmt das Genie anderer als Ausgangspunkt, um sein eigenes Genie auf Patrouille gehen zu lassen, was könnte schöner sein, in dem anderen Dylan-Artikel („Dem eigenen inneren Verfolger immer einen Schritt voraus sein“) sagte ich damals, 2009, über die Chronicles: Wunderbar auch, wie Dylan über die schreiben kann, die er bewundert. Das wird ein Fest. December will be magic again. :)

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Danke für den Spotify Hinweis, das wird auch Paul freuen! Wir freuen uns auch auf’s Eintauchen in dieses Buch, haben beide schon rein geschnuppert. Magic December and Heaven’s Door, so good to look forward to in these times. Die Chronicles hab ich damals verliehen und nie wieder bekommen, was ok ist, denn dieser Freund scheint sie auch wert zu schätzen 😀. Du machst Lust, sie wieder zu lesen, also werde ich sie nochmal kaufen! Danke für all das und mehr ❤️

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