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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: David Bowie – Heroes

Today's Best Song Ever: David Bowie - Heroes. Text: Christian Erdmann. Bild: Otto Mueller, Liebespaar zwischen Gartenmauern.

„And we kissed as though nothing could fall“ ist eine der schönsten Zeilen, die man schreiben kann. Und wenn jemand behauptet, „Heroes“ sei „the greatest song ever written and recorded“, widerspreche ich sowieso nicht.

Im Berliner Brücke-Museum hatte Bowie das Gemälde Liebespaar zwischen Gartenmauern von Otto Mueller bewundert. Die Liebenden im leidenschaftlichen Kuss zwischen hohen Mauern, von Mueller 1916 gemalt, versetzt Bowie an die Berliner Mauer, die er im Juli und August 1977 im Hansa Tonstudio 2 durchs Fenster sieht. Von dem Platz, auf dem Produzent Tony Visconti sitzt, blickt man direkt auf einen Wachturm der DDR-Grenztruppen, die, so erzählt Iggy Pop (der hier mit Bowie „Lust For Life“ aufgenommen hatte), gelegentlich ins Studio herunterwinken. Die Legende besagt, daß Bowie durch dieses Fenster ein anderes Liebespaar sieht: Visconti und Antonia Maass, Backgroundsängerin für „Beauty And The Beast“, die sich in der Nähe der Mauer treffen. Visconti und Bowie haben das später bestätigt, Antonia Maass (oder Maaß), von der auch die Lyrics der deutschen Version („Helden“) stammen, meint indes, ihre Affäre mit Visconti hätte noch gar nicht begonnen, als „Heroes“ entstand.

Wie dem auch sei, die Lyrics zu „Heroes“ schreibt Bowie erst, als die Musik schon fertig ist.

Bei den Rehearsals mit Brian Eno überarbeitet Bowie einen Song aus den „Lust For Life“-Sessions, und da das Stück schon in der Rohform eine mitreißende, hymnische Kraft hat, steht „Heroes“ als Titel  früh im Raum. Carlos Alomar, Drummer Dennis Davis, Bassist George Murray sowie Bowie am Motorik-Piano spielen den backing track dann in nur wenigen Stunden ein. Alomars Gitarre verewigt sich in der wiederkehrenden three-part-figure, zum ersten Mal bei „Though nothing will drive them away“. Brian Eno spielt am Synthesizer dunkle Fanfaren, Bowie am ARP verwehte Strings, am Chamberlin fügt er mittels „Brass“-Knopf dem Song noch eine Art Stax-Riff im Mix-Untergrund hinzu. Was durch den Track zieht wie zischelnde Signale aus dem Äther, ist ebenfalls Enos Synthesizer, „its oscillators reduced to a low frequency rate (Visconti estimated five cycles per second) and using a noise filter: the result, Visconti said, was the ’shuddering, chattering effect'“ (1).

Eno: „We did second takes, but they weren’t nearly as good.“

Alles an „Heroes“ ist außergewöhnlich, nicht zuletzt Robert Fripps iconic performance, seine celestial sounds den ganzen Song hindurch. Fripp findet in New York ein Lufthansa-Ticket Erster Klasse nach Berlin im Briefkasten und trifft kurz darauf in den Hansa Studios ein. Auf Coverversionen wird Fripps Part in der Regel mittels E-Bow reproduziert. Fripp selbst erzielt dieses Ostinato dagegen mit sorgfältig kontrolliertem Feedback.

Mit Klebeband markiert er auf dem Studiofußboden die Stellen, von denen aus er in verschiedenen Entfernungen zum Verstärker ein feedback für bestimmte Noten bekommt; während er spielt, bewegt er sich zwischen diesen Markierungen hin und her, sein Gitarrensignal wird zusätzlich durch Enos EMS-Synthesizer geleitet. Auf diese Weise spielt Fripp drei Takes und erzeugt einen Klang, den man mit keinem Pedal der Welt erreicht. Visconti legt diese drei Spuren dann noch übereinander, jeweils die Spur nach vorne mischend, die den heavenly drone perfektioniert.

Den Percussion-Sound, den man ab 2:55 hört, erreicht Visconti, indem er mit einem Drumstick auf eine leere Tape-Dose schlägt. Und als letzter dramaturgischer Geniestreich setzt bei 3:55 noch ein Tamburin ein und verkündet, ab jetzt gibt es kein Halten mehr.

Für Bowies Vocal-Take installiert Visconti drei Mikrofone im Raum: das erste 20 Zentimeter von Bowie entfernt, das zweite in 6 Metern Entfernung und das dritte am anderen Ende des Raumes in 15 Metern Entfernung.

Mikrofone 2 und 3 haben electronic gates. Als Bowie die ersten Strophen des Songs noch verhalten singt, aktivieren sich diese Mikrofone nicht, wir hören nur, wie Bowie in das Mikrofon direkt vor ihm singt. Wenn er lauter zu singen beginnt, öffnet sich Mikrofon 2, und wir hören mehr vom Sound des Raums. Als Bowie immer entfesselter singt, aktiviert sich Mikrofon 3, und wir hören Bowies Stimme mit dem Hall des ganzen Raums. Das bedeutet, Bowie mußte sich am Ende die Seele aus dem Leib singen, damit die Mikrofone 2 und 3 anbleiben.

Reverb kommt also direkt bei der Aufnahme aufs Band: ein organischer Ambient-Effekt, der die Emotion der Performance einfängt. Das, was Visconti die „sonic personality“ nennt, entsteht nicht in endlosen Mix-Sessions, sondern kommt im Aufnahmestudio direkt aufs Band. Mit Pro Tools kann man ganz wunderbare Sachen anstellen, wenn vier Genies wie Bowie, Eno, Visconti und Fripp gerade nicht anwesend sind.

Und die Leidenschaft, mit der Bowie singt, erreicht schließlich eine solche Intensität, daß man am Ende weinen möchte vor Euphorie.

Die Begegnung eines Paares zwischen Mauern, der Kuss im Schatten dieser Mauern als Bild für eine Liebe, deren Bedingungslosigkeit alles übersteht, sogar die eigene Schwäche und Nachlässigkeit („And you, you can be mean / And I, I’ll drink all the time“). Überall sind Mauern, überall sind Feinde, überall sind Bedrohungen, überall ist Mißverstehen und Hass, aber Liebende werden die Überlegenen sein, „Heroes“ist ein Wunschgesang gegen den Wahnsinn, der alles zubetoniert, gegen das Realitätsprinzip, die verzweifelt-phantastische Hysterie, mit der Bowie die letzten Strophen singt, entspricht dem Lachen und Zittern der Frau in Rimbauds Gedicht „Royauté“:

Königtum

An einem schönen Morgen, bei einem äußerst sanften Volk, riefen ein Mann und eine Frau, herrlich anzusehen, auf dem Marktplatz: „Meine Freunde, ich will, daß sie Königin wird!“ „Ich will Königin sein!“ Sie lachte und zitterte. Er sprach zu den Freunden von Offenbarung, überstandener Prüfung. Sie fielen einander wie ohnmächtig in die Arme.

Und wirklich, sie waren König und Königin für einen ganzen Vormittag, da purpurne Behänge die Häuser überzogen, und für einen ganzen Nachmittag, da sie ihre Schritte lenkten in Richtung der Palmengärten. (2)

We can be us. Wir können sie schlagen, alle, die im Weg stehen, müssen verschwinden.

Because we’re lovers, and that is that.

(1) Pushing Ahead Of The Dame Blog

(2) Übersetzung CE, Original:

Royauté

Un beau matin, chez un peuple fort doux, un homme et une femme superbes criaient sur la place publique : „Mes amis, je veux qu’elle soit reine!“ „Je veux être reine!“ Elle riait et tremblait. Il parlait aux amis de révélation, d’épreuve terminée. Ils se pâmaient l’un contre l’autre.

En effet, ils furent rois toute une matinée, où les tentures carminées se relevèrent sur les maisons, et tout l’après-midi, où ils s’avancèrent du côté des jardins de palmes.

Arthur Rimbaud, Sämtliche Dichtungen, Heidelberg 1982, 200.

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12 Antworten auf „Today’s Best Song Ever: David Bowie – Heroes“

Um die Geschichte des Songs „Heroes“ wusste ich bislang nicht, also, ich habe mich ehrlich gesagt auch nie wirklich damit auseinandergesetzt. Für mich stand „Heroes“ immer ganz stark mit dem Kinofilm „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ in Verbindung, der mich damals als Teenie doch sehr getouched hat (Bowie steuerte ja einige Lieder dazu bei und war zu dieser Zeit sowieso mein Hero). Na ja, auf alle Fälle, danke dafür, dass du dich da so hineingekniet hast bzw. das tust du ja ohnehin immer, ich spüre förmlich die Leidenschaft, die deinen Beiträgen innewohnt, da steckt sehr viel Herzblut drinnen. Bemerkenswert! ;)

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„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ habe ich in meiner Zivildienstzeit gelesen, in zwei Nächten, und ich weiß noch, daß mich dieses Bild von Christianes Freundin Babsi tagelang nicht mehr losließ. Den Film habe ich dann tatsächlich erst vor einigen Jahren gesehen, nach Bowies Tod. Wie dieses Mädchen nur noch ein bleicher Schatten wird, ihre downward spiral, das ist alles schwer mitanzusehen und dabei unendlich beeindruckend und berührend. An dem Film darf man eigentlich gar nichts kritisieren, man darf den nur hinnehmen, so direkt und ehrlich und machtvoll ist er. Natja Brunckhorst ist phänomenal, zum Niederknien und herzzerfetzend. Und dann Bowies Auftritt für „Station To Station“ – surreal. Für Tarantino angeblich der beste Musikmoment der Filmgeschichte.

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Natja Brunckhorst, ja, so blutjung sie auch war, sie brillierte in der Rolle der Christiane F.
„Station to Station“ …. *wah* … das Intro ist ja schon soooo, also, das erzeugt eine immense Stimmung … das fährt dermaßen ein, da kann ich gar nicht an mir halten,
da ist gleich wieder „alles“ da, was mir seinerzeit, also in meiner Jugend wichtig war. Eine sehr intense Zeit war das!

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Schon wie Bowie praktisch auf die Bühne GLEITET, unfassbar. Edel, Natja Brunckhorst und ein kleines Team sind damals nach New York, wo Bowie für „The Elephant Man“ probte. Die Bühne war in einem ehemaligen Theater aufgebaut, und dann wurde, nur ein paar Blocks entfernt von dem Theater, John Lennon erschossen. Bowie, der mit Lennon ja befreundet war, sagte den Auftritt ab. Es gab nur diese eine Möglichkeit an diesem einen Tag, und Eichinger hat es irgendwie vermocht, Bowie doch noch zu dem Auftritt zu bewegen. Aber, wie Natja B sagt, „Er war an dem Tag wirklich vollkommen fertig. Wie wir alle.“
Der Song selbst – gehört neben die größten Werke der Kunstgeschichte. „Das fährt dermaßen ein“ ist die einzig mögliche Beschreibung.
„… *wah* … das Intro ist ja schon soooo“ verweist auf eine nicht weniger intense Gegenwart. Gruß, Sherlock. :)

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Ja, das war schon „hardcore“, das mit Lennon. Selbst mir damals jungem Mädl ging das durch und durch, geschweige denn jenen, die hautnah dabei waren und zudem auch noch befreundet.
Doch ich denke mir oft (generell gesehen), das Leben gibt uns immer nur das, was wir auch aushalten können. Der Mensch kann viel aushalten (so wir versuchen bei klarem Verstand zu bleiben … uns nicht sinnlos betäuben).
Herzlichen Gruß von der Zarten ;)

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Ja, vermutlich ist das so, und dann setzt sich ja auch immer Ungeahntes frei im Aushalten. Plötzlich kann man auf Rasierklingen tanzen, weil man es muß, und weiß kaum, woher die Energie kommt. Wir haben immer mehr in uns als wir wähnten. Und immer wenn man denkt, man hat schon alles ausgehalten… you know. Und ich wünschte, es würde nie enden. Bevor ich auf gravierende Weise außer Betrieb gerate, möchte noch Millionen Dinge aushalten. Alle Zufügung ist Hinzufügung. Bin da wie Peter O’Toole als Henry II. am Ende von „The Lion In Winter“, als er Eleanor / Katharine Hepburn zuruft: „You know? I hope we never die!“ Die sehr großartige Lisa Eckhart meinte mal, sie denke sich in unangenehmen Momenten: hoffentlich habe ich noch viele von diesen unangenehmen Momenten, weil, irgendwann ist es vorbei. Das Leben ist zu großartig, um je vorbei zu sein.

Zart, aber sehr ausdauernd, nein? Sah ich Dich nicht Achttausender besteigen? Also, aus der Perspektive eines Flachländers? :)

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WOW, jaaaaa, bin hin und weg, echt jetzt, du hast da meine Gedanken wunderbar aufgefangen, Christian, und sie meinem Gefühl nach sehr verständlich verwortet, überaus herzlichen Dank dafür.

Genaugenommen nur gefühlte Achttausender *lach*, denn über ein paar Dreitausender kam ich derweil noch nicht hinaus, wobei, die sind leichter zu überwinden, als aus einem tiefen schwarzen Loch zu krabbeln. Aber auch das habe ich unversehrt überstanden (also, ich kann da ja nur von mir sprechen), von den wenigen Blessuren mal abgesehen.

Ein wunderbares Wochenende Dir, zartgewebt ;)

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