Eine Aufführung im SPIEGEL ONLINE-Forum „Literatur – was lohnt es noch, zu lesen?“ aus dem Juli 2009.
Auftretende Personen: Muffin Man, Aljoscha der Idiot / Christian Erdmann, Joseph Roth, kurzundknapp, KLMO, Albert Camus, André Breton, Alexander Grin, Jean Baudrillard, Blaise Pascal, Theodor Fontane, eine Katze, ein Kater, Arno Schmidt, chevy57, Charles Bukowski, Rainer Maria Rilke, Malte Laurids Brigge, Volker Paul, Camille Paglia, hans-werner degen, ray05, Gottfried Benn, Jean-Paul Sartre, Micheline Presle, Onkel Bruno, Onkel Johann, Vladimir Nabokov, Jens Peter Jacobsen, Niels Lyhne, Bob Dylan, Renaldo, Clara, Kant, Platon, Moby Dick, Nurejew, Weib.
Muffin Man [über Joseph Roth].
Ich „verteufle“ hier gar nichts. Allerdings hege ich gewisse Zweifel daran, daß die als Roman aufbereitete Genugtuung über den Untergang der Österreich-Ungarischen Monarchie heutigen Lesern wirklich eine gewinnbringende Lektüre darstellt…
Aljoscha der Idiot / Christian Erdmann.
Bei wem Genugtuung? Bei Joseph Roth?
Muffin Man.
Bei Joseph Roths heutigen Lesern!
Er selbst scheint den Niedergang jener „Gemächlichkeit“ mit all ihren Fallstricken der Etikette und der Standesunterschiede ja eher als Verlust empfunden zu haben. Nichtsdestotrotz wäre er doch auch in einer Gesellschaftsform, die ihm behagt hätte, kein Abstinenzler gewesen…
Christian Erdmann.
Die „Gemächlichkeit“ hat Roth wohl weniger vermißt, aber es gab in der Vielvölkermonarchie ein Klima der Toleranz, dem er nachtrauerte.
Trotzdem verstehe ich Deinen Satz oben nicht, warum sollten Roths heutige Leser „Genugtuung“ über den Untergang der Österreichisch-Ungarischen Monarchie empfinden?
Und warum sollte es nicht 27 andere Gründe dafür geben, daß die Lektüre Roths „gewinnbringend“ ist? Sagen wir zum Beispiel, ein Movens bei Roth ist das Mitgefühl für das Unterdrückte, vom Untergang Bedrohte, und das bezieht sich nicht auf „Untergang der Monarchie“, sondern, ich sagte es weiter oben schon, Roth richtet seine Sprache in ihrer poetischen Genauigkeit auf den eigenen Wert und die eigene Welt von Charakteren, Dingen, Begebenheiten, Stimmungen, Erfahrungen, als würde er ein Archiv des Versinkenden schaffen wollen, des an den Rand Gedrängten.
Am Rand der Wahrnehmung.
Jemand sagte mal, Roth konnte in Sprache übersetzen, was gewöhnlich nur in Musik auszudrücken ist.
„Rührung überfällt uns in der klaren Nachtluft, wenn die Sehnsucht aus den blauen Gründen zu uns kommt und am Fenster der Pfiff einer weitrollenden Lokomotive hängenbleibt, auf dem Bürgersteig gegenüber liebesdurstig eine Katze schleicht, in einem Kellerfenster verschwindet, hinter dem der Kater lauert. Groß und sternenreich ist der Himmel über uns, zu hoch, um gütig zu sein, zu schön, um nicht einen Gott zu erhalten. Die nahen Kleinigkeiten und die ferne Ewigkeit haben einen Zusammenhang, und wir wissen nicht, welchen. Vielleicht wüßten wir ihn, wenn die Liebe zu uns käme; sie ist mit den Sternen verwandt und mit dem Schleichen der Katze, mit dem Pfiff der Sehnsucht und mit der Größe des Himmels.“
(Joseph Roth, Der blinde Spiegel)
Gib mir EINE solche Passage gegen den Scheißzynismus, die abgeklärte Besserwisserei, die Mundvollnehmerei überall, und du weißt, daß die wahren Empiriker sich an der Seite einer schönen, schizophrenen Frau zu Tode soffen.
kurzundknapp.
Ich weiß auch nicht, was Muffin hat, Roth ist einer, den ich immer wieder lesen kann und will, weil sein Schreiben immer – ich wage das Wort – immer wahrhaftig war.
Dein letzter Satz sagt übrigens alles, sein Sterben war für ihn konsequent…
Christian Erdmann.
Wahrhaftigkeit, unaufdringliche Schönheit. Genaue Ansicht wird zu Zuversicht von ganz, ganz sanfter Ironie.
KLMO.
Es sind die unsichtbaren Schwingungen zwischen den Zeilen, die man nicht liest aber umso mehr verspürt!

KLMO [an Muffin Man].
Zunächst habe ich generell Respekt vor einer Leistung, wenn Sie wissen sollten, was es bedeutet, ein Buch zu schreiben.
Christian Erdmann.
Wiedergefunden: Camus, Tagebücher, Viertes Heft.
„Drei Jahre, um ein Buch zu schreiben, fünf Zeilen, um es lächerlich zu machen.“
Im folgenden Brief-Entwurf schreibt Camus, daß er scharfe Kritik hinnehmen könne; nicht aber voreingenommene.
KLMO.
Ich dachte schon, ich lebe auf dem falschen Planeten. Aljoscha, danke für Deine Zeilen!
Dass es dem Autor gelingt, diese zeitlose Thematik in seine Zeit und Umgebung so wirkungsvoll zu etablieren, das zeichnet Joseph Roth als schriftstellerisches Talent so aus.
Eine Bildsprache von unglaublicher Tiefe, eingebettet in die damalige Historie (Galizien) und Zeit. (Ein Narr, wer Historie nur als Historie sieht.)

Muffin Man.
Zitat von Aljoscha der Idiot:
Sagen wir zum Beispiel, ein Movens bei Roth ist das Mitgefühl für das Unterdrückte, vom Untergang Bedrohte, und das bezieht sich nicht auf „Untergang der Monarchie“ sondern […] das an den Rand Gedrängte.
Das ist ja sehr schön – und es findet auch ohne mein Zutun offensichtlich genügend Käufer. Vielleicht brauche ich ihn auch gerade deswegen gar nicht zu lesen und zu bewundern, weil das in baldige Vergessenheit zu geraten Bedrohte ohnehin mein eigenes Sujet ist (wenn naturgemäß auch im Kleineren als im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang)…
Jemand sagte mal, Roth konnte in Sprache übersetzen, was gewöhnlich nur in Musik auszudrücken ist.
Solcherlei Huldigung schreckt mich eher ab; ja, vielleicht könnte man sagen, daß meine Unzufriedenheit mit der Literatur einen neuen Ansatz bei den Konstruktionsprinzipien selbst fordert.
In jungen Jahren war ich leicht zu beeindrucken; da brauchte ein Schriftsteller bloß ein Thema zu streifen, das mich interessierte oder sozialer Utopie das Wort reden, und ich war begeistert. Aber die Welt ist nicht besser geworden, und die Zahl der Bücher, die ein Mensch in seinem Leben braucht, scheint eher wieder zu schrumpfen – man schaue sich postmoderne „Aufbewahrungssysteme“ in Möbelhäusern oder Privatwohnungen nur einmal an…
Offen gestanden, mir wäre ein illustriertes Lexikon, in dem nun wirklich ALLE Spardosen, die je im Laufe der Menschheitsgeschichte als Werbemittel bzw. in Serienfertigung produziert worden sind, abgedruckt wären, ein lehrreicheres Buch, als alle Sternenguckerei Joseph Roths…
Christian Erdmann.
Wie kommst Du nur darauf, daß es in der Passage um „Sternenguckerei“ geht? Es geht um „mein Herz, das in deinen unbezwingbaren Tiefen schlägt, in diesem blendenden Rosenschlund des mathematischen Wahnsinns, wo du geheimnisvoll über deiner Macht brütest“ (André Breton). Es geht um „Zeichen und Figuren, die ihr mit unbekannter Bedeutung hereingebrochen seid“ und denen das „Rätsel des Unerfüllbaren in mir“ (Alexander Grin) anvertraut wird. Es geht um „Verbindungen und Verführung: nichts ist isoliert, nichts geschieht zufällig – der Zusammenhang ist absolut. Das Problem bestünde eher darin, diesen totalen Zusammenhang der Ereignisse an bestimmten Punkten zu bremsen oder anzuhalten: den Taumel der Verführung und der Verkettung der Formen untereinander anhalten, das heißt diese magische Ordnung (andere werden sagen, diese magische Unordnung), die wir in Form von kettenartigen Sequenzen und (glücklichen oder unglücklichen) Koinzidenzen, in der Form des Schicksals und der unvermeidbaren Vereinigung, bei der sich die Ereignisse wie durch ein Wunder zusammenfügen, plötzlich wieder auftauchen sehen“ (Baudrillard). Es geht nicht um Gott, nicht um die Sterne. Es geht um die „unter dem Getrenntsein stöhnenden Dinge“ (Camus). Es geht darum, daß aller Irrtum von der Ausschließung herrührt (Pascal). Es geht um das vielleicht niemals zu Erreichende. Es geht um das, was Du als Mysterium ablehnst. Es geht um „Eine ganze Geschichte lag in diesen verschämten Strichelchen“ (Fontane). Und wir denken sie uns, immer, weil wir Empiristen des Impressionismus sind, und manche von uns schreiben sie. :)
Muffin Man.
Zitat von Aljoscha:
… der Zusammenhang ist absolut.
Absolut, so habe ich mal im Mathematikunterricht gelernt, bedeutet so viel wie „losgelöst“. DANN wär’s aber kein „Zusammenhang“ mehr…
Es geht um die „unter dem Getrenntsein stöhnenden Dinge“ (Camus).
Ohne „Getrenntsein“ wären die Dinge nicht – sie wären (wie in den der Erkenntnistheorie zuwiderstrebenden Welt-Lehren etwa des Taoismus) dann ja nur noch eins und damit weder Ding noch erkennbar noch von Bedeutung…
Bitte, es ist mir ja recht, daß Joseph Roths Werke gelesen werden; warum aber soll ich sie lesen? Seine Bücher gehören halt mehr zu der Epoche, in der unsere Großväter sie hätten lesen sollen…
Es geht um das vielleicht niemals zu Erreichende.
Richtig: Der Zug hat gepfiffen und ist schon abgefahren… auch die Katze, der des Erzählers Blick folgt, ist durchs Kellerfenster verschwunden (als würde ein rolliger Kater ausgerechnet im Kohlenkeller sein Rufen ertönen lassen!)
Tschuldigung, aber ich kann mit solcher „Metaphysikalisierung der Dinge“ (und der nächtlich geschäftigen Katzen) nichts anfangen. Einen „Bedeutungszusammenhang“ zwischen dem Nachthimmel und dem, was auf der Erde halt geschieht, würde ich nicht konstruieren wollen.
Zitat von kurzundknapp:
Ich weiß auch nicht, was Muffin hat.
Der Muffin hat Realitätssinn.
KLMO.
Als ob mir ein Tontechniker versuchte zu erklären, dass Musik nichts ist als Schallwellen, der Rest reine Gefühlsduselei…
Aljoscha – tief durchatmen und entspannen!
Christian Erdmann.
Zitat von Muffin Man:
Absolut, so habe ich mal im Mathematikunterricht gelernt, bedeutet so viel wie „losgelöst“. DANN wär’s aber kein „Zusammenhang“ mehr…
Losgelöst von Bedingungen. Absolut als un-bedingt. Baudrillard erklärt, der Zusammenhang ist ein schlechthinniger, uneingeschränkter, was man bezweifeln kann, aber ein falsches Wort verwendet er mitnichten.
Ohne „Getrenntsein“ wären die Dinge nicht –
Behauptet Camus das Gegenteil?
Bitte, es ist mir ja recht, daß Joseph Roths Werke gelesen werden; warum aber soll ich sie lesen? Seine Bücher gehören halt mehr zu der Epoche, in der unsere Großväter sie hätten lesen sollen…
Es hat Dich auch niemand mit vorgehaltener Pistole gezwungen, sie zu lesen. Bei Deinen Äußerungen zu Joseph Roth denke ich freilich, es ist besser, wenn Ihr Euch NICHT als Autor und Leser begegnet. :) Du findest Roth großväterlich, ich finde die Haltung, Roth großväterlich zu finden, etwas großväterlich.
Richtig: Der Zug hat gepfiffen und ist schon abgefahren… auch die Katze, der des Erzählers Blick folgt, ist durchs Kellerfenster verschwunden (als würde ein rolliger Kater ausgerechnet im Kohlenkeller sein Rufen ertönen lassen!)
Schreibt Roth irgendwo was davon, daß der Kater im Kohlenkeller sein Rufen ertönen läßt? He doesn’t, does he? …krrrk… krrrk… Aljoscha 1 erbittet Funkkontakt… Muffin, was ist denn los bei Dir? :)
Tschuldigung, aber ich kann mit solcher „Metaphysikalisierung der Dinge“ … nichts anfangen. Einen „Bedeutungszusammenhang“ zwischen dem Nachthimmel und dem, was auf der Erde halt geschieht, würde ich nicht konstruieren wollen.
Wir stellen ständig Zusammenhänge her und wir laden ständig mit Bedeutung auf. Wir assoziieren, daß es nur so kracht. Wir drehen, Arno Schmidt erhörend, ständig Seiten zu Zylindern, so daß die rechte und die linke Spalte ineinander übergehen. If you know what I mean. Blue Moon hilft, muß aber nicht.
Realismus ist auch nur ein Stil. Stil, sagte mal wer, ist Wirklichkeit gesehen durch ein Temperament. Wobei „Temperament“ gar nicht das Entscheidende ist; das Entscheidende, weil nicht zu umgehen, ist das „gesehen durch“. Und ich, um Dein unnötig mokantes „In jungen Jahren war ich leicht beeindruckbar“ aufzugreifen, werde immer ehrfürchtiger vor dem „gesehen durch“. Denn was ein Autor GENAU DAMIT macht, ist viel wichtiger als Zeit und Ort seines Schreibens.

chevy57.
Sehen Sie, mir geht es genau andersherum. Da ich schon vor längerer Zeit erkannte, dass die hier in Endlosschleife hervorgekramten deutschen Klassiker für mein persönliches Leben und Streben mehr oder weniger bedeutungslos sind, wandte ich mich der Gegenwartsliteratur zu.
Und die findet, da waren wir uns im mittlerweile leider geschlossenen Fred zur U.S.-amerikanischen Szene einigermaßen einig, im anglophonen Sprachraum statt.
So unterschiedlich sind halt die Geschmäcker im Bereich der Kunst und das ist m.E. auch gut so. Und wer jetzt wieder versucht, da irgendeine Form von Wertung hineinzuschwurbeln, auf den werfe ICH den ersten Stein. Versprochen! ;)
Christian Erdmann.
Wieso gehst Du nicht von einem entschiedenen Sowohl-Als-Auch aus? Meinen Viertelmeter Hammett und Chandler verteidige ich genauso wie meinen Viertelmeter Malet, wenn ich nachts schlafe, bechern Pynchon und Bulgakow um die Wette. Hier ging es kürzlich um Bukowski, ich habe den noch vorm Abi bei einer Lesung gesehen, Markthalle Hamburg, packevoll, und after the ordeal, Fragen an Mr Bukowski, hielt so ein Profilneurotiker aus dem Publikum ein Vorträglein, das in der Frage kulminierte: „Mr Bukowski, are you a frozen man?“ Was soll man da sagen. Weitere Fragen? Der fing wieder an: bla bla bla, und: Mr Bukowski, are you a frozen man? Murmel murmel, Unmut im Publikum. Der ließ sich nicht abbringen. Mr Bukowski, are you a frozen man? Zwei Dinge gelernt: keine Lesungen, und nie blöde Fragen stellen.
Was ich sagen wollte: es nervt, wenn geglaubt wird, wenn man das eine lobt, könne man mit dem anderen nichts anfangen, ist manchmal Tendenz dieser Threads hier, auch in der Musik-Abteilung.
Wie für Musik gilt bei mir auch für Literatur: völlig pimpe, von wann was ist und woher es kommt. Etwas interessant zu finden, weil es Gegenwartsliteratur ist, oder etwas abzulehnen, weil es ältere Literatur ist, wäre borniert, idiotisch, krank. Rilke ist weder altmodisch noch modern: im „Malte Laurids Brigge“ ist er moderner als das modern Moderne, das schnell modern kann. Wer gut ist, bleibt immer Zeitgenosse. Also immer Gegenwart. So seh ich das.
Muffin sagt, er sei „Realist“. Und was wäre das, „die“ Realität? Das zu erhellen, kann für mich jemand, der 1880 schrieb, genauso leisten, wie jemand, der 2009 schreibt.
Ich weiß auch nicht, wer hier ständig deutsche Klassiker hervorkramt? Meine letzten Empfehlungen hier waren Anna Achmatova, Nick Cave, Alexander Grin.

Muffin Man.
Zitat von Aljoscha:
Schreibt Roth irgendwo was davon, daß der Kater im Kohlenkeller sein Rufen ertönen läßt?
Er schreibt: Daß auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Katze schleicht, in einem Kellerfenster verschwindet, hinter dem der Kater lauert. Würde die Katze auf dem Weg zu einem Kater sein, würde sie eher eine Zaunlücke oder die nachtschwarze Toreinfahrt an den Mülltonnen vorbei zum Innenhof gewählt haben. Der Kater „lauert“ nicht und schon gar nicht „hinter dem Kellerfenster“. Ich bestehe darauf! ;-)
Christian Erdmann.
Die Katze ist nicht „auf dem Weg“ zum Kater. Sie wird vom Kater überrascht! :)
Muffin Man.
Übrigens: Selbstverständlich überlasse ich’s jedem Leser selbst, Joseph Roth (oder wen auch sonst) zu lesen oder dies zu unterlassen. Wie mir Frau Fuchs letztes Jahr bescheinigte, schreibe ich doch unablässlich im Ton der Herablassung…
Christian Erdmann.
Dz. Dabei schreibst Du doch nur im Ton eines Seminarleiters, den es einen Teufel schert, ob er selbst den Gegenstand des Seminars gelesen hat. :)
„Ich finde Niemanden, der so häufig recht hätte, wie ich!“ – Arno Schmidt. :)
Muffin Man.
Im Ernst? DANKE! Also in der Erwachsenenbildung würde ich ja furchtbar gern mein Geld verdienen! Meinst Du, ich habe ernstzunehmende Chancen?
Volker Paul.
Hm, ich würde den Kurs dann wohl abwählen :)
Da wäre mir zu wenig Herz und Seele drin …
Muffin Man.
Zitat von Aljoscha der Idiot:
Die Katze ist nicht „auf dem Weg“ zum Kater. Sie wird vom Kater überrascht! :)
Da habe ich nun soooo viele Katzen und Kater kennengelernt, aber wirklich nicht eines dieser guten Tiere, das unbedarft in einen Hinterhalt oder Überraschungsangriff hineingeraten wäre…
Christian Erdmann.
Katzen können sich sogar SELBST überraschen! :) Camille Paglia:
„Katzen sind umherstreifende Räuber, unheimliche Geschöpfe der Nacht. Quälerei und Spiel sind für sie eins. Sie leben von der Angst und für die Angst, trainieren ihre eigene Schreckhaftigkeit und erschrecken Menschen durch plötzliches Losstürzen oder Hervorbrechen. Katzen hausen im Okkulten, das heißt im ‚Verborgenen‘. Katzen, die von den vierundzwanzig Stunden eines Tages bis zu zwanzig verschlafen können, evozieren und bewohnen die nächtliche Welt der Urzeit. Die Katze ist telepathisch – oder hält sich jedenfalls dafür. Viele Menschen bringt ihr kalt starrender Blick aus der Fassung. Verglichen mit Hunden, die sich sklavisch mühen zu gefallen, sind Katzen Autokraten des nacktesten Egoismus; gleichermaßen amoralisch und unmoralisch, verstoßen sie bewußt gegen Regeln. Ihr ‚böser‘ Blick bei solchen Gelegenheiten ist keine menschliche Einbildung: Die Katze ist möglicherweise das einzige Tier, das perverse Situationen genießt oder als solche wahrnimmt.
Die Katze schätzt Unsichtbarkeit; wie sie sich für unsichtbar hält, während sie über einen Rasen schleicht, wirkt geradezu komisch. Aber sie hat auch ein Faible dafür, zu sehen und gesehen zu werden; sie beschaut sich das Drama des Lebens, amüsiert und voller Herablassung.
Katzen sitzen Modell. Sie haben einen Sinn für die Zurschaustellung von Masken – und werden sichtlich unruhig, wenn die Realität ihre würdevolle Haltung untergräbt. Katzen haben heimliche Gedanken, ein gespaltenes Bewußtsein. Kein anderes Tier ist der Ambivalenz fähig, jener zwiespältigen, widersprüchlichen Gefühlsbewegung, die eine Katze zeigt, wenn sie, ohne ihr Schnurren zu unterbrechen, einem warnend die Zähne in den Arm gräbt. Das innere Drama, das sich in einer faul daliegenden Katze abspielt, wird durch ihre Ohren signalisiert, die sich einem entfernten Rascheln zuwenden, während sie ihren Blick in täuschender Hingabe in unsere Augen senkt. Manchmal tut die Katze so, als wäre ihr eigener Schwanz ihr fremd, und unternimmt schizophrene Angriffe auf ihn. Der zuckende, schlagende Schwanz ist das chthonische Barometer in der apollinischen Welt der Katze; die Schlange im Paradies, die voller Boshaftigkeit umherfährt und faucht. Der ambivalente Doppelcharakter der Katze findet dramatischen Ausdruck in unvermittelten Stimmungsumschwüngen, im jähen Umschlag von Apathie zu Manie, durch die sie uns in unsere Schranken weist: ‚Bis hierher und nicht weiter. Ich bin undurchschaubar.‘
Die Katzenverehrung der Ägypter war also weder unsinnig noch kindisch…“
Etc.
Muffin Man.
Guuuut! DAS hol‘ ich mir! DAS ist doch mal nutzbringende Literatur! (Und Camille Paglia hat zudem eine interessante Veröffentlichung über Hitchcocks „The Birds“ ‚rausgebracht!)

hans-werner degen.
Zitat von Aljoscha:
Zwei Dinge gelernt: keine Lesungen, und nie blöden Fragen stellen.
Es gibt keine blöden Fragen, nur Menschen, die zu blöd sind, Fragen zu beantworten!
Christian Erdmann.
Und ob es die gibt. Aber es gibt zuviele spannende Fragen, um sich mit den blöden aufzuhalten.
hans-werner degen.
Und die Frage nach dem Frozen Man finde ich eigentlich sehr interessant.
Und das Verweigern der Antwort zeigt eine gewisse Feigheit vor sich selbst! Denn gerade Bukowski ist in Werk und Person ein Frozen Man…
ray05.
Vortreffliche Analyse. Seine Kälte bezog Bukowski womöglich direkt aus dem überdimensionalen Eisschrank, in dem er im Sommer schlief und der ihn ansonsten laufend mit saukaltem Budweiser versorgte. Womöglich schubste er noch Eiswürfel oben rein. Empörend eigentlich für jeden aufrechten Menschen, wie z. B. diesen ahnungslosen Mercedesfahrer auf dem Parkplatz der Pferderennbahn.
Christian Erdmann.
Zitat von hans-werner degen:
... Bukowski ist in Werk und Person ein Frozen Man…
Ignoranz und Penetranz, born twins. Erst später lernte ich, daß mindestens einer dieser Typen in jedem, aber jedem geisteswissenschaftlichen Seminar sitzt.
Ich habe mit Anfang 20 all meine Bukowski-Bücher verkauft, aber wenn Sie ein solcher Kenner des Bukowski-Oeuvres sind, dann sollten Sie sich daran erinnern, daß das „Frozen Man Syndrome“ eine Beschreibung war, die von ihm selbst stammte. Was mal Punkt 1 ist, warum genau diese Frage, genau so gestellt, eine blöde Frage ist. Ich weiß also auch gar nicht, was Ihre Rede von der Feigheit soll, die bei einem, der sich in seinen Schriften derart bloßgelegt hat wie Bukowski, an sich schon merkwürdig ist. Ich habe auch nicht gesagt, daß er auf die Frage nicht geantwortet hätte. Ich schrieb: „Was soll man da sagen?“ Es war eben einfach eine blöde Frage.
hans-werner degen.
Tut mir leid… mein Bruder setzte sich damals für ihn ein, traf ihn wohl auch einmal und wir diskutierten lange über ihn und sein Werk…. für mich ist viel Attitude drin; wohl auch was vom Dandyismus vergangener Zeiten und wohl auch das l’ennui des Baudelaire. Selbstinszenation; Trauer um sich selbst…. zu große Worte für ein zu kleines Leben.
KLMO.
Trauer kann man gelten lassen, das euphorische Leben hat eher Rummelplatz- bzw. Verdrängungscharakter.
ray05.
Was reden Sie da bloß in Ihren Eigenheimen? Mindestens drei Vaterunser für diesen Satz, Degen. Da kommt noch was auf Sie zu.
KLMO, Sie verorten Bukowski auf dem Rummelplatz der Zerstreuung? Der Mann schrieb nur, WAS IST.
„Der große Dichter aber ist ein großer Realist, sehr nahe allen Wirklichkeiten – er belädt sich mit Wirklichkeiten, er ist irdisch, eine Zikade, nach der Sage aus der Erde geboren, das athenische Insekt,“ sagte Benn. Und dem werden Sie ja wohl glauben, oder?
hans-werner degen.
Ich komme mir ganz klein vor… anlässlich dieser Diskussionen hier.
Aber ich begreif‘ mich ja auch nur als Connaisseur der alten Schule und lese und träume vor französischen Kaminen.
Allein mit einem Buch im Sessel vor knisterndem Feuer, ein Glas edlen Kognack und ne gute Zigarre…. wäre, a la Auburtin mein Traum.
Christian Erdmann.
Zitat von ray05:
„Der große Dichter aber ist ein großer Realist, sehr nahe allen Wirklichkeiten – er belädt sich mit Wirklichkeiten, er ist irdisch, eine Zikade, nach der Sage aus der Erde geboren, das athenische Insekt,“ sagte Benn.
Aha. Irgendwann komme ich dahin, den älteren Herrn zu verstehen, der uns vor Äonen zuraunzte: „Sartre?! Würd ich gar nicht lesen! Kennse Gottfried Benn?“ Weil, nämlich,
Zitat von sinta:
Ich lese gerade mal wieder ‚Das Spiel ist aus‘ von Sartre. Wird hier wohl aber kein Wohlgefallen auslösen.
doch, schon. Obwohl ich den Film mit Micheline Presle zuerst kannte, das Buch ist ja Drehbuch, mit Sein und Nichts erschlugen wir uns erst später. Wirklichkeit-EN als „Realismus“, Dear Capricorns.
ray05.
Ja. Point?
Christian Erdmann.
Was, „Point“?
ray05.
Benn vs Sartre?
Christian Erdmann.
Niemals! Wie ich schon sagte: Sowohl-als-Auch, bis ich mit den Regalen nach unten in den 1. Stock durchbreche.
Point Neuf:
„Der Muffin hat Realitätssinn“. Und „braucht“ deshalb Joseph Roth nicht zu lesen, u.a. wegen dessen „Metaphysikalisierung“ der Dinge. Eine Einteilung, die mit einem lediglich behaupteten „Realismus“ arbeitet, wo er doch nur keinen Sinn für die Roth-Realität hat. Was ja perfectly alright ist. Nur, ich konnte schon als Junge mit Onkel Bruno nicht viel anfangen, der immer sagte: „Wollen doch mal ehrlich sein, es ist doch so: …“
Eigentlich war es NIE so, wie er dann behauptete. :)
KLMO.
Aber der Onkel Bruno WOLLTE ehrlich sein… Aljoscha, es reicht schon, Gutes gewollt zu haben!
Dem Onkel Bruno wird wahrscheinlich die Hölle erspart bleiben. (Die Verteidigung: Irren ist menschlich!)
Dagegen wird es wahrscheinlich sehr ernst, wer den Realitätssinn allein für sich in Anspruch nimmt. (Der muss vielleicht nochmal zurück zur Mutter Erde – also alles noch einmal ganz von vorne angefangen…)
hans-werner degen.
Ich mach mir durch Germanistik nicht meine Lektüre kaputt!
Christian Erdmann.
Kommen Sie, das ist oll. Ich habe früher auch geantwortet, daß ich nicht Literaturwissenschaft studiert habe, weil ich die Literatur zu sehr liebe. Aber das ist jetzt langsam oll. Jeder von uns hier ist Connaisseur, jeder von uns ist zigmal Mitgerissener, jeder von uns hat zig Welten auf Schwarzweiß, in die er eingetaucht ist bis zur völligen Selbstvergessenheit, oder auch mit dem brennenden Wunsch sogar, eine dieser Gestalten der jeweiligen Geschichte zu sein, in dieser Welt zu leben, alles geschenkt, Sie müssen sich nicht zum Monopolisten der Leselust stilisieren. Aber wir sitzen hier nunmal nicht mit Konjäckchen im Ledersessel. Unsere Aufgabe hier ist vielmehr, uns abzurackern, bis einer mit irgendwas ankommt, das Muffin beeindruckt. :)
ray05
Saugeil. :D

ray05.
Mein Onkel Bruno hieß Johann … :)
„Wahrheit“ – sei es historische oder sonstwie von irgendjemandem beglaubigte – wird immer erfunden zu dem Zweck, dass der Leser, Sie & ich, was lerne; oder was glaube. Auch Saint-Éxupéry meisselt „Wahrheitsbrocken“ aus dem Seienden, verschweigt Zusammenhänge hier und deutet andere da – eben so, wie es seiner ureigenen, subjektiven Intention entspricht, die auch nichts anderes will als die erotische Vereinigung mit der Objektwelt.
Und ich glaube, es war Nabokov, der schrieb, „Wahrheit“ sei wohl das einzige Wort, das unter allen Umständen immer nur in Anführungszeichen stehen kann. Auf alle Fälle schrieb er, dass es nie auf das Thema ankommt, sondern darauf, wie man es behandelt. :)
Christian Erdmann.
Nabokov sagte ja auch: Literatur wurde nicht an dem Tag geboren, an dem ein kleiner Junge aus dem Neandertal „Wolf! Wolf!“ rufend nach Hause kam, ein großer grauer Wolf hinter ihm, sondern an dem Tag, als ein kleiner Junge aus dem Neandertal „Wolf! Wolf!“ rufend nach Hause kam, kein großer grauer Wolf hinter ihm. Die Frage ist nur, was glaubte der Junge? Ließ ihn seine Imagination den Wolf „sehen“, oder hatte er schon eine Intention? :)
Wollte nur noch einmal darauf hinweisen, daß ich unter dem ursprünglich hier verwendeten Wort „Wahrhaftigkeit“ etwas völlig anderes verstehe als „Wahrheit“, „historische Wahrheit“ gar. Man darf zum Beispiel nicht vergessen, daß dem einen völlig natürlich ist, wo der andere Künstlichkeit sieht. Den „impressionistischen Stil von höchster Exaktheit und tiefer Introspektive“, den
in „Niels Lyhne“ anschlägt, einen Roman, den ich hier wahrscheinlich jetzt zum dritten Mal empfehle, wird mancher nur als Manierismus, als ornamentales Herumgeranke sehen können, aber er ist, perfectly simple, Ausdruck der Wahrhaftigkeit Jacobsens. Auch würde ich sagen: Wahrhaftigkeit eines Künstlers kann jeden Stilschwenk umschließen, wenn sie Ausdruck einer echten Suche und Suche nach etwas Echtem ist (was nicht identisch ist mit „objektiver Wahrheit“). Auch hat sie sicher zu tun mit Treue und Ehrfurcht dem eigenen Auftrag gegenüber, Treue auch zu den Mitteln, die eigene „Sicht“ auf Realität auszudrücken, noch wo andere todsicher von „realitätsfern“ sprechen werden, von „versponnen“, „verschroben“; in jedem Fall gibt es eine Richtung der „Wahrhaftigkeit“ nach innen. Aber nicht nur; wenn – ursprünglich – kurzundknapp die „Wahrhaftigkeit“ Joseph Roths anspricht, meint er – vermute ich – damit auch etwas wie: das im hohen Grade spürbare „Einstehen“ Roths dafür, daß das, was Roth uns sagt, „wahr“ sei. Aber was bedeutet dieses „wahr“ genau?
Dylan in „Renaldo & Clara“: „Truth is on many levels“. Und irgendwo wird in dem Film auch über Dylans „truthfulness“ sinniert. Wie wäre also die Beziehung zwischen truth und truthfulness?

Muffin Man.
Müssen Sie eine komplette Jahresproduktion einer Konditorei essen, um beurteilen zu können, ob Ihnen EIN STÜCK KÄSEKUCHEN dieser Konditorei schmeckt?
Christian Erdmann.
Kommst Du auf einem Viertaktmotor reitend bis Quakenbrück?
Bei dem von Dir zerlegten Roth-Abschnitt hat Deine Hyperrationalität irgendwann den Wald vor Bäumen nicht mehr gesehen. Kein Wort über Sprache oder Komposition, über Rhythmus oder poetische Prägnanz der Passage; Du hast sie zerlegt wie einen Motor, aber Du hast sie auch an diversen Stellen falsch wieder zusammengeschraubt: ebenso wie bei Camus und Baudrillard.
„Die unter dem Getrenntsein stöhnenden Dinge“ (Camus) konterst Du mit:
„Ohne ‚Getrenntsein‘ wären die Dinge nicht – sie wären (wie in den der Erkenntnistheorie zuwiderstrebenden Welt-Lehren etwa des Taoismus) dann ja nur noch eins und damit weder Ding noch erkennbar noch von Bedeutung…“
Abgesehen von der Frage, welcher Erkenntnistheorie der Taoismus zuwiderstrebt? – was willst Du sagen? Daß die Dinge froh sein sollen, getrennt zu sein, da sie sonst nicht stöhnen könnten? Sagst Du Dir bei so einer Passage tatsächlich, also bei mir knarrt höchstens das Bücherregal? Fragst Du Dich nicht, welche Dinge gemeint sein könnten? Oder fragst Du Dich wirklich nicht, ob das nicht ein ziemlich ergreifendes Bild für das Getrenntsein von Menschen sein könnte, sechs Worte zudem, die wie ein LAKONISCHER SCHMERZENSSCHREI klingen, falls man sich das vorstellen kann, und das kann man sich eigentlich nicht vorstellen, umso gewaltiger das Bild? Versuchst Du Dir NICHT vorzustellen, unter welchen Umständen ein Mensch darauf kommen kann, diese sechs Worte aneinanderzureihen? Just a hint: es ist ein Tagebucheintrag, der sich als Notiz für „Die Pest“ erwiesen hat.
Diese sechs Worte sind EIN Ausdruck für das, was zustandekommen kann, wenn der Mensch fühlt, daß er aus seiner gewohnten Bahn geworfen wird, wenn er sein kleines Ich fühlt in einem unvorstellbaren Kosmos von Möglichkeiten, wenn er eine Vorstellung von etwas erringt, das man früher Schicksal nannte, von etwas, das sich als äußeres Muster in ständiger Interaktion befindet mit dem, was er als seine Freiheit empfindet; sie sind Ausdruck einer veränderten Wahrnehmung der „Realität“, weil etwas „mit unbekannter Bedeutung eingebrochen“ (Grin) ist, das im Grunde nur sagen will, daß jede einzelne Situation praktisch unauslotbar ist in ihren Verästelungen, zu Herkunft, Bedeutung, Konsequenz; nicht viel anderes scheint mir Roth zu sagen, auch er spricht diese Interaktion an, diesen Zusammenhang. Rilke: „Immerfort um das eigne Sein rein eingetauschter Weltraum. Gegengewicht, in dem ich mich rhythmisch ereigne.“
Aber sich hinauswagen, um auszuloten, bedeutet auch, daß man Wahrnehmungen in eine Sprache kleidet, die ebenso Wagnis sein muß. Das ist Prinzip auch der Zen-Meister, die ihren Schülern ein Kōan aufgeben. Ratio ist da nur Lieferant der Basiswerkzeuge, Weiteres erscheint ihr sinnlos, paradox. Du nennst es „Metaphysikalisierung“, ich nenne es Überwindung einer traurigen Vorstellung von „Realismus“.
ray05.
Jens Peter Jacobsen – Besten Dank, passt wohl gerade wunderbar in meine alljährliche Rilkesaison. :)
Zitat von Aljoscha der Idiot:
[…] das im hohen Grade spürbare „Einstehen“ Roths dafür, daß das, was Roth uns sagt, „wahr“ sei. Aber was bedeutet dieses „wahr“ genau?
Uff, diffizile Dinge frage ich für gewöhnlich immer meine Frau … :)
Aber gut: Meinem begrenzten Verständnis nach liegt unsere ureigene Wahrhaftigkeit [vor uns selbst] in unserem „Entwurf“ sowie dem Modus unseres Tuns für ein Gelingen besiegelt. Auch im Weitermachen gegen alle Anfechtungen. Ich will nicht mit Kant und der Pflicht kommen, aber es geht sicherlich in diese Richtung. Selbst wenn ich mich selbst nur unzureichend kenne, muss ich meine Verantwortungen und Aufgaben und Fähigkeiten kennen, muss wissen, von welcher Startrampe aus ein Gelingen möglich ist. Und dann MUSS ich es machen, sonst reißt wieder irgendwas im Kosmos :); wir sprachen ja schon beiläufig vom Eros. Ich muss mir ganz banal morgens in den Spiegel schauen können. So denn geschehen nenne ich mein Produkt, mein Werk „wahr“. Es verweist auf mich, ist ohne mich nicht denkbar, aber für sich lebensfähig und – hoffentlich – von Dauer. :)
Christian Erdmann.
Platon, Arete? Der einen Sache Feuerschutz geben unter allen Umständen, remember; same direction.
Muffin Man.
Lieber Aljoscha, unsere Herangehensweise an bestimmte Bücher mag grundlegend unterschiedlich sein, und besagter Abschnitt aus einem Werk Joseph Roths war mir doch lediglich präsentiert worden, um „Appetit“ auf mehr anzuregen. Ich behaupte nicht, daß meine „Dekonstruktion“ seiner Bestandteile die geeignete Methode sei, sich Roths Werk zu nähern. Aber sie ist im Rahmen dieser Diskussion als Gegenposition zur blinden Bewunderung Roths, wie sie derzeit im Feuilleton zum guten Ton gehört, berechtigt. Ebenso berechtigt bin ich als Leser, derzeit NICHT Joseph Roth zu lesen und ebensowenig Alexander Grin…
Christian Erdmann.
Die Feuilletons, die Feuilletons, die interessieren mich nicht. Der Unterton von „in blinder Bewunderung den Feuilletons folgen“ sieht einfach wieder nur wie ein sehr schaler Versuch aus, anderen Kompetenz abzusprechen, lieber Muffin. Ich habe mir das erste Bändchen mit Erzählungen von Joseph Roth gekauft, nachdem ich eine Verfilmung von „April“ gesehen hatte. Da wußte ich noch nicht mal, daß es Feuilletons gibt.
Und, falsch lesen ist noch nicht Dekonstruktion. Mein Eindruck der letzten Tage jedenfalls: erst schiebst Du Autoren Dinge unter, die sie nicht geschrieben haben, dann legst Du das, WAS sie geschrieben haben, und das, was sie NICHT geschrieben haben, zusammen unter das vermeintlich realistische Mikroskop Deiner „Dekonstruktion“, und Du erklärst, Dir reiche ein solches Segment, um Dir ein Urteil über den Autor per se zu bilden. 135 Kapitel Moby Dick:
>…Entlang dieses erzählerischen Fadens, der knapp die Hälfte des Romans ausmacht, reiht Melville zahlreiche philosophische, wissenschaftliche, kunstgeschichtliche und mythologische Exkurse, zu denen noch viele subjektive, mal lyrische, mal auch ironische Betrachtungen des Autors kommen….<
Was wäre Dir nur entgangen, wenn man Dir irgendwann aus Versehen gerade die „falschen“ 6 Zeilen vorgelegt hätte! :)
Na, verstehe schon: man glaubt, die Meisterschaft eines Autors auch in der Facette erkennen zu können. Ich will gar nicht bestreiten, daß man relativ schnell Spreu von Weizen trennen kann, nur sollte das nicht in Impertinenz ausarten, abgesehen davon schwöre ich Dir, es gibt Goethe-Passagen, über denen Thomas Mann eingeschlafen ist. :)
Ich sage nicht wie KLMO, daß es darum ginge, „zwischen“ den Zeilen zu lesen, denn es ist alles in den Zeilen, aber ich verstehe schon, was er meint. Auch, daß Du mich zwingst zu wiederholen, daß Dich noch keiner hier mit vorgehaltener Pistole zu Roth erpreßt hat, finde ich befremdlich. Natürlich bist Du zu Ablehnung berechtigt, nur wäre Ablehnung aus den richtigen Gründen charmanter. :)
Zitat von ray05:
Jens Peter Jacobsen – Besten Dank, passt wohl gerade wunderbar in meine alljährliche Rilkesaison. :)
Das will ich meinen!
„… das war zu einer Zeit, da ich schon ‚Niels Lyhne‘ gelesen hatte und alles, was von Jacobsen besteht. Ich weiß nicht zu sagen, woran ich diese Bücher erkannte; aber ich war entschlossen, mit ihnen zu leben, und nun, da Sie fragen, habe ich die Antwort leicht: Jacobsens schöne und unerschöpfliche Bücher sind es, die bestimmend auf mich gewirkt haben.“ / Rilke.
„Alljährliche Rilkesaison“, mein Gott, Du verstehst zu leben! :)
Uff, diffizile Dinge frage ich für gewöhnlich immer meine Frau … :)
Muß auch so sein. Obwohl, ich kriege von IHR sogar ständig Antworten, ohne gefragt zu haben! :) Der mit „Frag Weib dreimal, dann tu‘ Gegenteil“ war übrigens Nurejew.
