Impressionen von der Ausstellung
Rendezvous der Träume –
Surrealismus und deutsche Romantik
Kunsthalle Hamburg
07.08.2025

Die Handschrift von Salvador Dali.
Erklärung zum Regentaxi
Generalkommissariat für die öffentliche Vorstellungskraft
Das „Regentaxi“ für die snobistische und surrealistische Dame enthält ‚pflanzliche Dunkelheit‘, eine Regen-Installation im Innenraum, 200 lebendige Weinbergschnecken, 12 liliputanische Frösche, jeder von ihnen trägt eine sehr feine goldene Agrippa-Krone auf dem Kopf – Der Fahrer trägt einen Helm gefertigt aus einem Haifischgebiss. Die Dame wird vorzugsweise mit einem schäbigen Netz bedeckt sein, auf dem das Stigma von Millets Angelus und diesen sensationellen Pflückerinnen aufgedruckt sein wird.
Alles Gute für das ganze Jahr 1938
Salvador Dali

Jane Graverol, Le Sacre du Printemps, 1960.
Jane Graverol wurde am 18. Dezember 1905 in Ixelles, Belgien, geboren. Sie studierte an der Académie Royale des Beaux-Arts in Brüssel, einer ihrer Lehrer war Jean Delville. Seit den späten 1930er Jahren wandte sie sich dem Surrealismus zu; „her compositions mainly centred on strong and determined female figures. Blending fairytale with the grotesque, and often depicting the erotic female body, Graverol described her paintings as ‚waking, conscious dreams‘.“
1940 bat sie René Magritte, sich ihre Gemälde anzusehen. Er war von ihren Werken so beeindruckt, dass er seine Galeristen davon überzeugte, sie auszustellen.

Giorgio De Chirico, Portrait prémonitoire de Guillaume Apollinaire, 1914.
Giorgio De Chirico kam im Juli 1911 nach Paris und fand dort schnell die Bewunderung des Dichters Guillaume Apollinaire, der das Werk des Malers in mehreren Artikeln verteidigte. De Chirico war überaus dankbar für die Unterstützung durch Apollinaire und würdigte ihn mit diesem Porträt. Eine „vorahnende“ Zielscheibe im Profil des Dichters bezeichnet genau die Stelle, an der Apollinaire einige Jahre später während des Krieges von einem Granatsplitter getroffen wird.

Johann Heinrich Füssli, Queen Mab, 1814.
Romeo. I dream’d a dream to-night.
Mercutio. And so did I.
Romeo. Well, what was yours?
Mercutio. That dreamers often lie.
Romeo. In bed asleep, while they do dream things true.
Mercutio. O, then, I see Queen Mab hath been with you.
She is the fairies‘ midwife, and she comes
In shape no bigger than an agate-stone
On the fore-finger of an alderman,
Drawn with a team of little atomies
Athwart men’s noses as they lie asleep;
Her wagon-spokes made of long spinners‘ legs,
The cover, of the wings of grasshoppers,
The traces, of the smallest spider’s web,
The collars, of the moonshine’s watery beams,
Her whip of cricket’s bone, the lash of film,
Her wagoner a small grey-coated gnat,
Not half so big as a round little worm
Prick’d from the lazy finger of a maid;
Her chariot is an empty hazel-nut
Made by the joiner squirrel or old grub,
Time out of mind the fairies‘ coachmakers.
And in this state she gallops night by night
Through lovers‘ brains, and then they dream of love;
O’er courtiers‘ knees, that dream on court’sies straight,
O’er lawyers‘ fingers, who straight dream on fees,
O’er ladies ‚ lips, who straight on kisses dream,
Which oft the angry Mab with blisters plagues,
Because their breaths with sweetmeats tainted are:
Sometime she gallops o’er a courtier’s nose,
And then dreams he of smelling out a suit;
And sometime comes she with a tithe-pig’s tail
Tickling a parson’s nose as a‘ lies asleep,
Then dreams he of another benefice:
Sometime she driveth o’er a soldier’s neck,
And then dreams he of cutting foreign throats,
Of breaches, ambuscadoes, Spanish blades,
Of healths five fathom deep; and then anon
Drums in his ear, at which he starts and wakes,
And being thus frighted swears a prayer or two
And sleeps again. This is that very Mab
That plats the manes of horses in the night,
And bakes the elf-locks in foul sluttish hairs,
Which, once untangled, much misfortune bodes:
This is the hag, when maids lie on their backs,
That presses them and learns them first to bear,
Making them women of good carriage:
This is she—
Romeo. Peace, peace, Mercutio, peace!
Thou talk’st of nothing.

Ein René Magritte-Auge.

Es gehört zu „Le double secret“, 1927.
„ln so far as possible, I make a point of making only paintings that give rise to mystery with the precision and enchantment necessary to the life of ideas.“ (Magritte)

Salvador Dali, Double énigme, 1936

Max Ernst sitzt auf Dostojewskis Schoß und streichelt seinen Bart. Wer würde das nicht.
Max Ernst, Das Rendezvous der Freunde (Au rendez-vous des amis), 1922

Max Ernst, Le jardin de la France, 1962

2019 konnte ich Rembrandts „Landschaft mit dem barmherzigen Samariter“ in Krakau sehen. Das Gemälde schien so magisch von innen heraus zu glühen, dass man sich fragte, welches okkulte Wissen ein Maler wie Rembrandt 1638 besaß und in sein Werk übertrug.
Jeder weiß es – Kunst läßt sich nicht reproduzieren, weder auf Papier noch digital. Man muß direkt vor dem Gemälde stehen, um seine Tiefe, seine Macht wirklich zu spüren, um beides zu erleben – die Präsenz des Künstlers in diesem Werk und das absolute Eigenleben des Gemäldes. Und manche Bilder haben dieses Leuchten, das man nicht erklären kann. So ist es auch mit „Der Goldfisch“ von Paul Klee (1925). In den mysteriösen Tiefen der Unterwasserwelt wirkt sein goldener Glanz übernatürlich, leuchtend und strahlend wie etwas Göttliches.
Oder wie eine Idee.
David Lynch: „Ideas are like fish. If you want to catch little fish, you can stay in the shallow water. But if you want to catch the big fish, you’ve got to go deeper. Down deep, the fish are more powerful and more pure. They’re huge and abstract. And they’re very beautiful.“
„Ideas are so beautiful and they’re so abstract. And they do exist someplace. I don’t know if there’s a name for it. And I think they exist, like fish. And I believe that if you sit quietly, like you’re fishing, you will catch ideas. The real, you know, beautiful, big ones swim kinda deep down there so you have to be very quiet, and you know, wait for them to come along.“

André Masson, Portait of the Poet Kleist, 1939.
Obwohl er im Ersten Weltkrieg schwer verwundet und traumatisiert wurde, verlor Masson nie seine Faszination für deutsche Kultur und Schriftsteller wie Nietzsche, Goethe oder Heinrich von Kleist.

Victor Brauner, The Philosopher’s Stone, 1940
Brauner wurde in Rumänien geboren. Aus Angst vor dem Aufstieg des Faschismus in Rumänien kam er 1930 nach Paris. Er lernte Yves Tanguy kennen und schloss sich der surrealistischen Gruppe an. Er fühlte sich zu esoterischen Ideen hingezogen, und seine Bibliothek verriet ein profundes Interesse an Magie und Alchemie.

Hätte ich ein Bild mitnehmen können, wäre es dieses gewesen. Valentine Hugo, Rêve du 21 décembre 1929.
Ihr Mädchenname war Valentine Gross. Mit einer Zeitmaschine wäre eine meiner ersten Stationen der Abend des 29. Mai 1913, das Théâtre du Champs-Élysées in Paris, die Premiere des Balletts „Le Sacre du Printemps“. Die Musik von Igor Strawinsky und die Choreographie von Vaslav Nijinsky verursachten einen der berühmtesten und berüchtigtsten Skandale der Kunstgeschichte. [Ich habe ausführlich darüber geschrieben: Le Sacre du Printemps].
Valentine Gross liebte Diaghilews Ballet Russes und hatte während der Proben zu „Sacre“ Skizzen angefertigt, die im Foyer des Theaters gezeigt wurden. Über diese Nacht schrieb sie:
„Nichts von all dem, was je über die Schlacht des Sacre du Printemps geschrieben wurde, vermittelt einen schwachen Eindruck von dem tatsächlichen Geschehen. Das Theater schien von einem Erdbeben heimgesucht zu werden. Es schien zu erzittern. Leute schrien Beleidigungen, buhten und pfiffen, übertönten die Musik. Es setzte Schläge und sogar Boxhiebe. Worte reichen nicht, um eine solche Szene zu beschreiben.
Ich weiß nicht, wie es möglich war, daß dieses Ballett, das die Zuschauer von 1913 so schwierig fanden, in einem solchen Aufruhr zu Ende getanzt wurde. Ich stand zwischen den beiden mittleren Logen, fühlte mich im Auge des Hurrikans ganz wohl und klatschte mit meinen Freunden. Ich bewunderte den titanischen Kampf, der stattgefunden haben mußte, um diese unhörbaren Musiker und diese betäubten Tänzer nach den Gesetzen ihres nicht sichtbaren Choreographen zusammenzuhalten. Das Ballett war atemberaubend schön.“
Ich bin schon so lange von diesem Ballett fasziniert, von Strawinskys Musik, ich muß nur die ersten Töne von „Sacre“ hören and it still gives me a chill. Valentines Bericht begleitet mich fast ebenso lang, und es machte mich glücklich, eines ihrer Werke in dieser Ausstellung zu finden. Ihr Traum vom 21. Dezember 1929 ist verstörend und faszinierend, ein wunderschöner Alptraum, das Bild, von dem man mich wegzerren mußte.

Alle Fotos Christian Erdmann