Aus gegebenem Anlaß,
Berliner Zeitung:
Warum können die Deutschen keinen Glamour?
[„Glamour“ leitet sich tatsächlich von „grammar“ ab. Im Mittelalter war „grammar“ den Gelehrten vorbehalten, so erhält „grammar“ auch die Bedeutung okkultes Wissen, assoziiert wurde eine Nähe zum „Magischen“; in Schottland klang gramarye wie „glamer“, die Bedeutung erweiterte sich zu „Macht der Bezauberung“, zu „Schönheit, die magisch wirkt“.]
SPIEGEL ONLINE Forum
24.05.2007
Dr h.c. Caesar:
Karl-Heinz Böhm ist vielen Deutschen auch eher als „Kaiser“ in Erinnerung als jemand, der in Äthiopien viel Gutes tut…
Christian Erdmann:
Mir ist er vor allem in Erinnerung als ein in die Tiefen eines perversen Voyeurismus geworfener Mädchenmörder in Michael Powells Geniestreich „Peeping Tom“, einem Filmklassiker.
Über den Herr Böhm aber niemals in einer deutschen Fernsehsendung der Gegenwart befragt werden würde. Von wem auch?
Und das erklärt wohl auch, warum die Frage hier lautete, ob Romy Schneider der „letzte wahre Star des deutschen Films“ war. Das Zeug dazu hätten einige. Aber das Umfeld gibt es nicht (mehr).
Ich blicke immer neidvoll nach Frankreich, wo soeben, beispielsweise, charmante ältere Fernsehmoderatoren, mit wem soll man die überhaupt vergleichen hier, in eleganten Anzügen vor einer Kulisse begeisterter Jungfranzosen, die vermutlich alle noch nicht geboren waren, als die Band sich zum ersten Mal auflöste, die drei bösen Stooges zu Gast hatten, Iggy Pop und die Asheton-Brüder. Das ist da selbstverständlich. Das meine ich mit „Umfeld“, exemplarisch die Gottschalk-Couch, wo man immer das Gefühl hat, daß ausländische Stars, die darauf sitzen, sich fragen, wie zum Teufel sie hier reingeraten sind.
Romy Schneider hat diese Diskrepanz Frankreich – Deutschland noch in ihr eigenes „Starsein“ integriert. Mir persönlich war sie als Schauspielerin schon sympathischer als jetzt, wo, wenn ich ihre Filme sehe, mir ihr „Ich bin auf so rätselhaft unwiderstehliche Weise intensiv, daß wir jetzt gemeinsam aufs Drama zusteuern“-Flair ein wenig gegen den Strich geht, aber sie war schon eine große Schauspielerin, nichts zu wollen.
Helmut Berger sagt ja: „Es gibt keine Charlotte Rampling mehr.“ Das ist richtig, aber falsch. Es gibt, abgesehen davon, daß es Charlotte Rampling noch gibt, auch, etwa, Monica Bellucci. Aber ich habe kürzlich ein paar Folgen von Margret Dünsers „V.I.P.-Schaukel“ gesehen – echte Exzentrik scheint schon in den späten Siebzigern auf der Strecke geblieben zu sein.
In Deutschland wird das Startum heutzutage in der Regel auf denkbar oberflächlichste Weise gehandhabt. Zur Aura eines „Stars“ gehört ja auch ein gewisses Mysterium, es besteht vielleicht in einer schwer zu fassenden Mischung aus Glamour und Tiefe, und dieser Aspekt mag am Startum global verflachen. Omnipräsenz nutzt das Enigmatische eh ab. Aber in Deutschland fehlt einfach das Ambiente, es fehlt zu weiten Teilen (vgl. dagegen Iggy Pop in französischen TV-Studios) schlicht die Art von Kenntnisnahme, die sich als Respekt/Verehrung bei gleichzeitig selbstverständlichem Umgang mit dem „Star“ äußert, es fehlt vielfach die Anerkennung der Leistung (wiederum: in Frankreich erhob der Kulturminister Iggy Pop zum „Officier des arts et des lettres“) überhaupt.
Es gibt viele Moritaten (Marlene Dietrich würde mitsingen), viele Fragen (was hätte in anderen Ländern aus Schauspielerinnen wie Nadja Tiller werden können), Analogien aus anderen Bereichen, die erklären, warum es schwer ist, in Deutschland ein „Star“ zu sein. Es gibt eine deutsche Sehnsucht nach Harmlosigkeit, ein Phänomen, das Verona Feldbusch ebenso erklärt wie Heidi Klum, das sich zuletzt auch darin äußerte, Roger Cicero zum Song Contest zu schicken, und in dem das wirklich Herausfordernde noch allemal als zu gefährlich empfunden wird.
30.08.2007
Christian Erdmann:
Diesseits von „Promidichte“ (huah) fehlt ein gewisser Alltagsglamour, gewiß. Lippenstift bedeutet schon „Aufbrezeln“. An hellichten Tagen an der Seite einer Frau, die eine gewisse Extravaganz in Stil und Kleidung, vielleicht sogar, Göttin bewahre, einen dezidiert erotischen Faktor darin nicht für den Untergang der Emanzipationsbewegung hält, durch die Straßen gehen: Sie verbringen die Hälfte des Weges damit, den Entnervtheitsfaktor dieser Dame („Hab ich Lepra oder was?“) zu beschwichtigen. Aus den Tiefen von Passantinnenaugen dröhnt dumpf ein Echo, das an „Die deutsche Frau schminkt sich nicht“ gemahnt; wohlerzogene Hanseatinnenkinder erblicken zum ersten Mal mit großen Augen die böse Fee aus „Schneewittchen“, und haben Sie das Pech, am von jungen Müttern mit ihren Kinderwagen totalokkupierten Café in Eppendorf vorbeizukommen, entbrennt ein solcher Kampf der Kulturen, daß Sie noch so viele der vorsorglich mitgeschleppten Äpfel ins Getümmel werfen und „Kallisti, Kallisti!“ rufen können, es hört Sie keiner mehr.
Hinter einer gewissen „Schnörkellosigkeit“ verbirgt sich hier oft einfach eine gewisse Schlumpigkeit. Alles ist irgendwie gediegen, alle waschen ihre Haare in Salzwasser. Daß Jil Sander als „Queen of Less“ gilt, spricht Bände, aber auch, daß sie es nötig hat, bei der Beschreibung ihres Tuns in ein orientierungslos wirkendes und fassungslos machendes Denglisch-Kauderwelsch auszubrechen… das paßt schon irgendwie. Die Überzeugung, daß in alldem Hitler und Homophobie begründet liegen, halte ich allerdings für slightly overdressed.
09.12.2007
Christian Erdmann:
… siehe den heutigen Artikel zur gestrigen „Wetten dass“-Sendung. Man wundert sich, daß überhaupt noch internationale Stars zum „Gnadenlos-Generalisten“ Gottschalk kommen, dessen „Talk-Versuche eine zu durchleidende Qual“ sind. In französischen Musikshows unterhält man sich mit Iggy und den Stooges, und zwar kenntnisreich und mit Interesse; da unterhalten sich auch mal Bowie und Moby miteinander, Brian Molko von Placebo singt dann noch einen Bowie-Song (und zwar exzellent). Zu „Wetten dass“, schon die letzte Bastion in dieser Hinsicht, wird eingeladen, Internationalität und Event vorgetäuscht, im Grunde rauscht das aber schon am Unverständnis des Moderatoren vorbei, von dem man immer mehr den Eindruck hat, es interessiert ihn nicht nur nicht, er weiß auch im Grunde gar nicht mehr, wovon er da redet. Deutsche Talkshows, zu Kinski-Zeiten, waren voll von Gästen, die Glamour aus „dem Ausland“ mitbrachten; sehen Sie sich die Gästelisten heute an. Sehen Sie sich überhaupt Gästelisten an. Wer zum „Promi-Dinner“ erscheinen muß, weiß im Grunde, daß er als „Promi“ ausgedient hat, aber es ist symptomatisch für die Pseudo-Event-„Kultur“. Bei den Franzosen anspruchsvoller Austausch, hierzulande grassiert pompös aufgeblasenes Nixverstehertum.
Ecki Stieg:
Gainsbourgs Kommentar zu seiner Ausladung aus der Gottschalk-Sendung wg. des Textes von „Love On The Beat“: „Die französischen Kids wissen, dass Liebe dreckig sein muss. In Deutschland ist man noch nicht so weit.“
Christian Erdmann:
Erinnert mich an irgendeine Sendung, in der man eine hübsche Dame in Dessous und Nylonstrümpfen durch eine Pariser Metrostation stöckeln ließ und dann mit „Wie finden Sie das“-Mikrofon umherzog; eine Art Spätpunk winkte ab: „Sehe ich zuhause jeden Tag.“ Wahrheit oder nur eine gute Antwort, jedenfalls, von den Dessous mal extrapoliert, repräsentativ für die Mischung aus gewagt und diskret im französischen Selbstverständnis, eine gewisse Selbstverständlichkeit im Diskurs, der viel mehr Wagnisse beinhaltet als hierzulande möglich wäre, wo jede Abweichung zu einem „Fall“ aufgeblasen wird und am Ende alles auf einer völlig uninteressanten Metaebene landet.
Und „dirty“ geht schon gar nicht in einem Land, das es sexy findet, wenn Heidi Klum sich Haribos zwischen die Zehen steckt.
10.12.2007
Christian Erdmann:
In Frankreich gibt es den souveränen Umgang mit dem Außergewöhnlichen, keine Scheu vor Komplexität, der „Skandal“ ist Teil des Diskurses, um noch mal bei Bowie zu bleiben, der wundert sich wahrscheinlich seit 20 Jahren, daß er hier im deutschen Fernsehen nie auf seine Zeit in Berlin angesprochen wird, und man stelle sich das vor: Gottschalk würde auf dem Sofa mal ein Gespräch quasifranzösisch einleiten mit „Herr Bowie, Sie kamen damals ja nach Berlin, um ihrer Kokainsucht den Garaus zu machen, und Sie sind dann ja viel mit dem Fahrrad zu Ausstellungen von Expressionismus-Künstlern gefahren…“ MEIN GOTT! ER HAT KOKAIN GESAGT! Oder wäre es – MEIN GOTT! ER HAT EXPRESSIONISMUS GESAGT! – ? Man ist gar nicht mal sicher.
Kennen Sie vielleicht „Pola X“ von Leos Carax? Ein großartiger, gnadenlos ignorierter Abgrund als Film, von dem quasi keiner außerhalb Frankreichs eine Ahnung hat, was das alles soll (Melville? Wieso Melville? Welcher Melville überhaupt?) bzw. daß er existiert. Catherine Deneuve spielt mit (und sie tut das großartig), der Sohn Depardieus spielt sich die Seele aus dem Leib, und die Musik stammt vom legendären Scott Walker. Wer hat die Phantasie, sich eine solche Konstellation in Deutschland überhaupt vorzustellen?
06.03.2015
Christian Erdmann:
Schade, Herr Kuzmany, daß Sie Ihren doch recht guten Artikel mit Ihrem letzten Satz so sabotieren. „Der Mann hätte gewinnen können.“ Eben das ganz bestimmt nicht. Andreas Kümmert wäre so ungefähr Achtzehnter geworden, und dann hätten wir uns wieder gefragt, warum sich alle gegen uns verschworen haben. Die typisch deutsche Selbsttäuschung und der typisch deutsche Anspruch, es so unbedingt *ganz anders* machen zu wollen. Daß das deutsche Publikum für Kümmert votierte, beweist nur aufs Neue, daß wir den Eurovision Song Contest einfach nicht kapieren, daß wir auch nichts von Pop verstehen. Da wird mit so einem „Was sind wir Deutschen verrückt“-Habitus für Kümmert angerufen, mit der Idee, daß es Resteuropa irgendwie sexy finden soll, wenn wir einen Typen hinschicken, der übergewichtig, ungestylt, sagen wir ruhig ungepflegt und völlig uncharismatisch daherkommt.
Vor einem Jahr hat einer Ihrer Kollegen zum ESC-Contest treffend formuliert: „genau der weinerliche, wurstige, saft- und kraftlose Befindlichkeits-Schmonz, der ohnehin schon alle Kanäle verstopft“. Dieser Gestus: ich bin eigentlich nur der supernette Typ von nebenan und nur ganz zufällig auf dieser Bühne, und darum ist meine Diktion auch so schluffig, aber hör dir trotzdem mal meinen Pseudobedeutungsvoll-Song an, den ich dir ganz lässig-gefühlig vortrage, vielleicht mit meiner Schlumpfmütze auf dem Kopf? – So dermaßen angestrengt unangestrengt, bloß kein Glamour, und hach so authentisch. Grandioser Selbstbetrug.
Beim ESC gewinnt ein Gesamtpaket, und da hätte die verquaste Vorstellung von „irgendwie anders“ in Gestalt von Herrn Kümmert keine Chance gehabt. Seine Stimme ist nun auch nicht soooo überwältigend, daß es Europa vom Stuhl gehauen hätte, machen Sie sich da mal nichts vor.
15.05.2016
Christian Erdmann:
Verdient hat Jamie-Lee ihren letzten Platz allemal. Um Graham Norton zu zitieren: „There isn’t a single thing about this woman that doesn’t annoy me. Here’s Jamie-Lee, making Bjork seem great.“
Ein Mädchen mit Kuscheltieren und Gemüse auf dem Kopf, ohne jede Ausstrahlung, das vor allem beweist, daß Deutschland endgültig auf Kindergartenniveau angekommen ist. Sorry, aber das war wirklich kein professionelles Level. Extrem albern, zu glauben, das sei irgendwie „speziell“.
Die falsche deutsche Selbsteinschätzung wird geradezu grotesk repräsentiert durch Barbara Schöneberger mit ihrer Großraumdiscoanheizer-Stimme. Wie Aale-Dieter nach der Hormontherapie, vor 17 Leuten beim After-Show-Event auf der Reeperbahn mit großen Augen sich darüber wundernd, warum Jamie-Lee so schlecht abgeschnitten hat. Jessas, weil langweiliger Song und albernes Outfit unterm Strich halt Rohrkrepierer bedeuten.
14.05.2017
Christian Erdmann:
„Welcher Bewohner des Planeten Erde würde am Sonntagmorgen mit Lena nicht gerne eine Kissenschlacht machen?“
Sehr schön beschrieben, wie Lenas Appeal die Bewohner Europas einfing, und darum geht es schließlich im Pop: die Menschen einzufangen. Problem nur: nicht wenige Bewohner Deutschlands würden die Kissenschlacht mit Lena mittlerweile ablehnen, da sie ja doch wohl kurz vor dem selbstverschuldeten Hungertod steht. Das Bashen dünner Menschen gehört ja mittlerweile in Deutschland zum Inventar der PC, und genau diese political correctness – wenn Sie mir noch folgen mögen? :) – tötet nun auch das letzte bißchen Verständnis für Pop hierzulande.
Viel gibt es da ja nicht. Man kann nicht ernsthaft erwarten, daß ein Land, in dem Helene Fischer *das Ding* ist, in dem die Bendzkos und Oerdings im Schlafanzug am Küchentisch sitzen, daß dieses Land in puncto Pop auf internationaler Ebene irgendwas reißt.
Daß die Bendzkos, Oerdings etc für irgendeine „Authentizität“ stehen sollen, glaubt ja nur der, dem Pop verdächtig ist, und das muß für den Deutschen dann wohl festgestellt werden. :) Richard Hamilton bemerkte schon Ende der 50er: Pop ist, unter anderem, witty, sexy, gimmicky, glamorous. Im Pop ist es nicht nötig, „authentisch“ zu sein; Pop muß eine mit raffinierten, eleganten Mitteln hergestellte Kunst sein.
Der deutsche Song war, mitsamt Interpretin und deren Ausstrahlung bzw. Ausstaffierung, in keinster Weise mit raffinierten, eleganten Mitteln hergestellte Kunst. Es war schlicht langweilig, nichtssagend, nicht glamourös genug, um als Pop zu funktionieren, nicht authentisch genug, um im Pop-Kontext subversiv zu wirken. Wir erwarten immer, für völlig lieb- und verständnislos Zusammengeschustertes belohnt zu werden.