Hommage an alte Männer. „Into The Wild“, Regie Sean Penn, die Geschichte des Christopher McCandless, dessen Leichnam in Alaska von Elchjägern in einem ausrangierten Bus des Fairbanks City Transit System gefunden wurde, wahrscheinlich fast drei Wochen nach seinem Tod. Es geht da wohl nicht nur um einen, der keinen Platz für sich in der materialistisch orientierten Gesellschaft sah, sondern auch um einen, für den menschliche Nähe zu schwierig war, und der erst ganz am Ende mit letzter Kraft noch in sein Tagebuch schreibt: HAPPINESS ONLY REAL WHEN SHARED.
Auch wenn dieser Charakter ambivalente Gefühle auslöst, der Film bewegt tief. Das Erlebnis des Films für mich aber ist Hal Holbrook in der Rolle des alten Mannes, dem McCandless auf seiner Odyssee zuletzt noch begegnet – im Film ist es der letzte menschliche Kontakt für Chris. Eine Szene ist besonders ergreifend – wer den Film kennt: die Szene im Auto. Ich hatte nicht gewußt, daß Holbrook für diese Rolle als bester Nebendarsteller für den Oscar 2008 nominiert war; bis mir jemand den Film lieh, hatte ich überhaupt nichts von „Into The Wild“ mitbekommen. Um so schöner, dann zu finden, daß diese Szene den großartigen Javier Bardem ebenfalls in Stücke gerissen hat:
„In ‚Into the Wild,‘ that scene in the truck where Hal Holbrook is asking to adopt the young man, that is one of the best performances I’ve ever seen. It broke me into pieces. In life, as you grow and become comfortable in your own skin and create who you are, you can escape from what you are. Then the whole disguise falls apart and you are just a human being. With a mature actor, you see a face totally naked, someone who is just speaking and being in front of the camera, and that is so powerful. That explains why performing is an art, when somebody shows us the sculpture of the human soul. It hits you and makes you wonder what you are.“

Absolut außergewöhnlich, großartig und erschütternd: Richard Farnsworth in „The Straight Story“ von David Lynch. Seit 1937 war dieser Haudegen als Stuntman und Schauspieler in Filmen unterwegs. Dazu Bonanza, High Chaparral, Big Valley, keine Serie, durch die er nicht mal durchgeritten ist. Und dann macht Lynch mit ihm diese Geschichte des Alvin Straight, der auf seinem John Deere Riding Lawn Mower mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 8 km/h fast 400 km zwischen Iowa und Wisconsin fährt, um seinen Bruder Lyle zu sehen, mit dem er seit 10 Jahren wegen eines törichten Streits keinen Kontakt mehr hat, als er von dessen Schlaganfall hört.
„Alles, was uns so wütend gemacht hat, das spielt alles keine Rolle mehr“, sagt er irgendwann auf seinem Weg, und genau das sieht man die ganze Zeit auf Farnsworths Gesicht, in seinem Blick, mit dem er die ganze Zeit von allem Abschied nimmt, in diesem Lächeln, das nur alte Männer lächeln können, die alles hinter sich haben. Well, fast alles.
Lynch hat den Film chronologisch gedreht. Die letzten Szenen, als Alvin tatsächlich bei Lyle ankommt – Harry Dean Stanton, unvergleichlich, wie sein Blick auf Alvins Gefährt fällt, „Did you ride that thing all the way out here to see me?“ – „I did, Lyle.“, diese letzten Aufnahmen von Farnsworth zerreißen einem vollends das Herz. Kurz nach den Dreharbeiten hat er sich erschossen, 80jährig, Krebs, Schmerzen zu groß.
Holbrook, Farnsworth, was man auf den Gesichtern dieser beiden alten Männer in diesen beiden Filmen sehen kann, das ist wie Johnny Cash im „Hurt“-Video – if you get my drift.
SPIEGEL ONLINE Forum
„Lieblingsfilme – was ist ‚großes Kino‘?“
23.03.2010

„And when you became Denise, I told all your colleagues, those clown comics, to fix their hearts or die.“ – Gordon Cole in „Twin Peaks – The Return“. David Lynch war so vieles, vor allem aber war er der größte Humanist. Fix your heart or die.
Und weil es immer noch eine letzte wichtige Sache zu tun gibt, ist keine Zeit mehr für Bullshit.
„What do you need that grabber for, Alvin?“
„Grabbin‘.“
4 replies on “Hommage an alte Männer”
❤️
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Dies schrieb ich Dir einmal, als ich sah, wie sehr Du den Film liebst. Vielleicht darf ich es hier noch einmal schreiben.
„The Straight Story“ – es war das erste, was ich wieder bewußt wahrnehmen konnte. Als die Stille in der Wohnung meiner Mutter zu still geworden war, an diesem ersten Weihnachtstag. Darum ist das nicht nur ein Film für mich. It was a lifeline. Richard Farnsworth in diesem Film hat in meinem Leben so eine Damiel- und Cassiel-Bedeutung. Als hätten dort, wo meine Mutter angekommen war, Wesen beschlossen: der Junge soll aus seinem Abgrund zurückkommen und diesen Film sehen. Klick.
And this I wrote last night for a dear friend in Paris, I hope she forgives me for writing it here.
It was the hardest time of my life for several reasons, and after I had done all that had to be done on that day, I turned the TV on. So run down I couldn’t even move anymore. And on came „The Straight Story“. And it made perfect sense, to see it for the first time there and then. It was like a hand reaching out, David Lynch’s hand. You know how even the cheesiest moments of „Twin Peaks“ are not cheesy at all because what you see and hear touches you so deep that categories like „cheesy“ just crumble and fall apart? Like that. „The Straight Story is so perfect. It’s about life, life itself, with all the sadness and the beauty.
Du schaust hoch zu den Sternen und du weißt, alles ist gut. God bless you, David Lynch.
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Was Du mir schriebst ist seitdem eng mit diesem Film verwoben. Hab’s nie vergessen.
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Hui. Das muss so ähnlich wie der herrliche Film „Nebraska“ sein. Der ist auch so reich an intimen tiefgründigen Vater-Sohn-Gesprächen. Zwei, die sich erst „auf den letzten Metern“ richtig kennenlernen. Hat mich ganz ähnlich „gekriegt“.
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