

10.05.2006
Aljoscha der Idiot / Christian Erdmann:
Nicht der beste Buñuel-Film, aber einer meiner liebsten: „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“, über, nun ja, Archibaldo de la Cruz und dessen beständigen Versuch, zum Frauenkiller zu werden, der aber beständig scheitert, weil irgendwelche Fügungen ihm im letzten Moment die Arbeit abnehmen. Am Ende muß dann eine lebensgroße Puppe im Feuer schmelzen, aus mehreren Gründen eine unvergeßliche Szene. Die wunderschöne Darstellerin der Lavinia – das Vorbild der Puppe – beging einige Tage nach Abschluß der Dreharbeiten Selbstmord.

07.02.2007
Nachtschwester Ingeborg:
Immer wieder stelle ich fest, dass der interessanteste Europäische Film seit einigen Jahren aus Spanien kommt. Erinnern möchte ich auch an einen der wirklich großen Regisseure der Filmgeschichte: Luis Buñuel – der Mann hat über 40 Filme gedreht, von denen die allermeisten absolut phantastisch sind, große Filmkunst eben.
Christian Erdmann:
Spanien: einer meiner Favoriten ist Julio Médem, „Die Liebenden des Polarkreises“. Beantwortet die Frage „Können zwei Menschen füreinander bestimmt sein?“ überaus intelligent mit einem dezidierten „Ja, aber“. Buñuel wurde hier ja schon mehrfach gewürdigt (kann man natürlich nicht oft genug tun), Allmacht des Verlangens und Ohnmacht des Verlangens, beides Buñuel-Spezialitäten. Und richtig, 40+, da war immer das Gefühl, daß es noch viel zu entdecken gibt (aus seiner mexikanischen Phase), aber jetzt wird es langsam Zeit. Man lebt nicht ewig.
Nachtschwester Ingeborg:
Letzte Woche lief auf 3sat „Die Last mit der Lust“ von Manuel Gómez Pereira, mit Victoria Abril und Javier Bardem, fesselnde Geschichte, tolle Schauspieler, Erotikthriller. „Tesis“ von Alejandro Amenábar, der Snuff-Video Thriller schlechthin. Luis Buñuel ist eine Galaxie für sich. Kaum ein Filmemacher hat eine eigene Welt erschaffen so wie es Buñuel gelang. Der Regisseur der Moderne.
Christian Erdmann:
Zu den ersten Filmen, die ich mal auf Video aufgenommen habe, gehörten „Tanz der Vampire“ und „Das Gespenst der Freiheit“. Jeden, der zu mir kam, habe ich dann erstmal gezwungen, „Das Gespenst der Freiheit“ anzusehen. Ich weiß gar nicht, warum dessen Erzählweise so ungewöhnlich sein soll – genau so geht das Leben. Dramaturgie quittiert den Dienst am Linearen, Episoden entstehen aus Abzweigungen, nichts ist schockierender als Ansichtskarten, Mademoiselle Rosenblum beendet das soziale Ritual, und durchs Zimmer tappt in der Nacht ein Strauß, was soll sein.
Hab immer das Gefühl, hinter der perversen Komik sagt Buñuel todernst: Koinzidenz und das essentielle Mysterium aller Dinge kannst du umarmen oder nicht.
13.03.2008
David M.:
„Die Elixiere des Teufels“ von Hoffmann fand ich schon sehr gut!
Christian Erdmann:
Dann kennen Sie bestimmt auch „The Monk“ von M.G. Lewis? Wenn nicht, auch unbedingt lesen! „Die Elixiere des Teufels“ wurde ja mal verfilmt mit Dieter Laser, hab aber keine Erinnerung daran, zu lange her. Meine Lieblingsfilmmönche sind natürlich die rauchenden, trinkenden und kartenspielenden aus Buñuels „Das Gespenst der Freiheit“, die dann bei den flagellantischen Exerzitien von Mademoiselle Rosenblum und ihrem Begleiter hochmoralisch entrüstet aus allen Wolken fallen: „Er will Schläge? Die kann er haben!“
06.07.2009
Christian Erdmann:
The Devil made it all, Schnaps, Dialektik, me do it, und ich weiß auch, wo er herkam. Liebste Buñuel-Szenen („Wollen nicht wenigstens die Mönche bleiben?“) machen wir dann morgen.



15.02.2010
Christian Erdmann:
Buñuels Filme sind alle großartig, aber „Belle de Jour“ ist mein liebster… dann vielleicht „Tristana“, „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“, „Das Gespenst der Freiheit“, „Viridiana“… eine Schweizer Zeitung schrieb 1962 nach „Viridiana“, Buñuel gehöre in eine Zwangsjacke gesteckt. Feuer und Schwefel kommen immer so anstrengungslos aus Buñuels Unbewußtem, aber es gab auch handfeste Inspirationen: lustigerweise wurde Buñuel dafür der Blasphemie geziehen, daß er in „Viridiana“ ein Messer in Form eines Kruzifix zeigte. Buñuel meinte, die Dinger gebe es überall in Albacete, und überhaupt hätte seine Schwester mal eine Nonne gesehen, die mit so einem Kruzifixmesser ihre Äpfel schälte. Surrealisten und Nonnen, immer ein inniges Verhältnis, da konnte man kaum mal Zigarettenpause machen.

[SPIEGEL ONLINE Forum „Lieblingsfilme – Was ist ‚großes Kino‘?“]

„Un Chien Andalou“ mit einem neuen Score von „The Flushing Remonstrance“, live eingespielt am 26. März 2017 im LetLove Inn, Astoria, Queens, NYC.
Die faszinierende Person, die wir auf der Straße sehen (5:30 – 7:50) und die als „Hermaphrodit“ bezeichnet wird, ist Fano Messan (1902 – 1998). Fano Messan (auch Maesens) war eine Künstlerin, die sich der Bildhauerei widmete, von Man Ray fotografiert und von Kees van Dongen gemalt.




Aus „The Questionnaire“, The Guardian Weekend, 21 November 1992, Frage an Siouxsie Sioux:
With which historical figure do you most identify ?
Siouxsie: Luis Buñuel, for his humour and conviction. I like the story of him taking rocks to the preview of Un Chien Andalou, to pelt the critics when they showed disapproval. To his surprise they applauded.
„Mystery is the essential element of every work of art.“
„People always want an explanation for everything. It’s the logical result of centuries of bourgeois education. And when they can’t explain something, they end up by turning to God. But what good does that to them? They then have to explain God. As for myself, I simply cannot change the way I am. I have not been blessed with the faith. I’m afraid that a life that includes ambiguities and contradictions interests me. Mystery is beautiful.
The idea that I might be eternal fills me with horror. For example, if my best friend, who died a long time ago, appeared before me and touched my ear with his fingers and immediately set fire to it, even then I wouldn’t believe that he had just come from Hell. Nor would I have any greater belief in God, or in the Immaculate Conception of the Virgin; nor would I think that the Virgin could help me pass my exams. I would simply say to myself, ‚Luis, look, this is just another mystery that you can’t understand.'“ – Luis Buñuel


In einem Interview zu „Belle de Jour“ erzählt Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, wie der Schauspieler Paco Rabal, „der viele Frauen in ganz Madrid kannte“, für Informationen aus erster Hand sorgte. Er nahm Carrière in Bordelle mit, „wo wir mit den Frauen sprechen konnten – nur sprechen – und vor allem mit der Madame, der Lady.“ Und man fand bestätigt, ja, es gäbe durchaus gut situierte Frauen, die in solchen Etablissements arbeiten. Buñuel und Carrière merkten bei der Arbeit am Drehbuch „bereits am allerersten Tag“, daß es nötig war, der Protagonistin Séverine eine weitere Dimension zu verliehen: sie sollte Tagträume haben, Visionen, Fantasien, die von ihr Besitz ergreifen.
„Und so überlegten wir direkt, was Séverines Tagträume sein könnten. Wir trauten uns nicht, uns etwas auszudenken, weil wir Männer waren. Also fragten wir die Frauen um uns herum (…), um ihre sexuellen Fantasien zu erfahren. Zwei Männer wie wir hatten nicht das Recht, einer Frau Fantasien anzudichten. Und so haben wir uns für verschiedene Fantasien entschieden. Alle Fantasien im Film entstammen der Vorstellungskraft von Frauen.“










12.06.2011 @ray05
Bin im übrigen davon überzeugt, der obere Rand der schwarzen Strümpfe, der sich in Buñuels Filmen so häufig sichtbar von der milchweißen Haut abhebt, bedeutet nicht einfach Obsession oder Fetisch, das hat bei ihm apotropäischen Charakter, so wie in Vampirfilmen dem Bösen das Kreuz entgegengehalten wird, so wird dieser Anblick all den „bösen“ Mächten entgegengehalten, die bestreiten wollen, daß es Eros ist, der die Realität ständig überfließen läßt in Poesie. :)