Bratislava / Brno / Burg Pernštejn / Prag – 2012

Sonntag, 02.09.2012
At night: die Kleinseite hoch zum Hradschin.


„Schön das Nachhausewandern gegen Mitternacht über die alte Schloßstiege zur Stadt hinunter.“
(Franz Kafka)



Montag, 03.09.2012
Übrigens befindet sich in dieser Kirche – Maria vom Siege – das Prager Jesulein, das seit 1628 bei den Unbeschuhten Karmeliten weilt, ein Geschenk der Adeligen Polyxena von Lobkowicz.

Unter dämonischem Gelächter

lassen wir das Jesulein links liegen und bewegen uns auf der Kleinseite (Malá Strana) erneut in Richtung Hradschin. In den Innenräumen des Erzbischöflichen Palais am Schloßplatz drehte Milos Forman für „Amadeus“ die Szenen der ersten Begegnung Salieris (F. Murray Abraham) mit Mozart (Tom Hulce).

Gegenüber das Palais Schwarzenberg

und, nicht weit davon entfernt, dieses Haus – in „Amadeus“ Mozarts Wohnhaus.



Das Prager Loreto liegt ca. 1 km westlich von der Burg, nicht weit entfernt vom Kloster Strahov. Das Heiligtum entstand nach dem Sieg der Katholiken über die Protestanten (Schlacht am Weißen Berg, 1620) zwischen 1626 und 1631, um die Rekatholisierung zu stärken; der Loreto-Kult, Ausdruck der Marienverehrung, war in ganz Europa verbreitet und drang im 17. Jahrhundert auch nach Böhmen vor.
Als Casa Santa (oder Santa Casa) gilt jenes Haus, in dem der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria verkündet haben soll, daß sie durch den Heiligen Geist empfangen werde – ursprünglich also das Haus, in dem Maria in Nazareth lebte. Schon früh ein Ort der Christenverehrung und Ziel wiederholter Angriffe der Sarrazenen, wurde das Haus offensichtlich im Jahre 1291 in Sicherheit gebracht: Pilger ließen die drei Wände des Hauses, das sich an einen Felsen anlehnte, abtragen und in Einzelteilen über Dalmatien nach Italien verschiffen. 1294 erreichte das Haus Loreto (bei Ancona). Vermutlich steht der Name der Familie Angeli, die maßgeblich für die Überführung verantwortlich war, in Verbindung mit dem Entstehen der Legende, nach der eine Schar von Engeln das Haus aus dem Heiligen Land zur Lorbeerplantage von Loreto trug.
Mit dem wachsendem Ruhm Loretos seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden „abgeleitete“ Wallfahrtsorte; für diese war die Form der Casa Santa von Loreto verbindlich, ebenso die architektonische Gestaltung der Marmor-Ummantelung des Hauses im Renaissancestil (in Loreto ein Werk Bramantes), die das Haus wie ein Reliquienschrein schützt.
Das ikonographische Programm der Relief-Ummantelung ist konsequent von der italienischen Vorlage abgeleitet und wurde auf Kosten von Elisabeth Apolonia Gräfin Kolowrat angefertigt.



Das fensterlose Häuschen, die eigentliche Casa Santa, ist also eine Nachbildung der Casa Santa von Loreto, das „wahre Abbild“ (vera effigiens) des italienischen Musters. Die Begine Katharina von Lobkowicz, Begründerin des Baus, engagierte 1626 als Architekten den italienischen Baumeister Giovanni Batista Orsi, der die Casa Santa 1631 vollendete.
Hinter der Gitterwand befindet sich das Gnadenbild der Jungfrau Maria von Loreto, welches, aus Lindenholz gefertigt, das heute nicht mehr existierende Original aus Zedernholz kopiert. Die Statue steht in einem Rahmen aus getriebenen Silber von 1671 mit dem Wappen der Stifterin, Elisabeth Apollonia Gräfin Kolowrat, geb. Tilly.

Die Freskofragmente auf dem Ziegelmauerwerk entstanden erst 1795.


In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts griff die bedeutende Architektenfamilie der Dientzenhofer in die bauliche Entwicklung des Loreto ein. Christoph Dientzenhofer (d.Ä.) begann den Umbau der Loreto-Kirche und entwarf die Westfassade des ganzen Komplexes, die nach seinem Tod (1722) sein Sohn Kilian Ignaz fertigstellte. Christophs unehelicher Sohn J.G. Aichbauer beendete 1735 den von Maria Margarete Gräfin Waldstein finanzierten Umbau der Kirche.

Böhmischer Hochbarock mit Zange.


Der Kreuzgang der Wallfahrtsstätte

führt von Kapelle zu Kapelle, zwischen den Kapellen Heiligenbildnisse hinter Glas, so der von Pfeilen durchbohrte Sebastian:

Gigereuses Detail am Brunnen mit der Figurengruppe der Himmelfahrt Mariens. Sichtbar auch in einer Szene von „Der Student von Prag“ mit Paul Wegener, 1913.

Im ersten Stock des Kreuzganges befinden sich die Räume der Neuen Schatzkammer, in der ein Teil des lauretanischen Schatzes gezeigt wird, und wir können auch noch die season exhibition bewundern: ARS MORIENDI.
Im Zentrum dieser Ausstellung die faszinierende Entdeckung in einem lang verschlossenen Raum der Krypta unter der Loreto-Kirche – Wandmalereien von exzeptioneller Qualität, datiert auf das Jahr 1664. In Auftrag gegeben von der damaligen Patronin von Loreto, Gräfin Elisabeth Apollonia von Kolowrat, ausgeführt vielleicht von einem Maler des Kapuzinerordens. Die Motive – Tod und Auferstehung, Vergänglichkeit der menschlichen Existenz, Allegorien der Zeit – haben Vorbilder in flämischen und holländischen Werken. So basiert die Szene der Erweckung des Lazarus auf der berühmten Radierung von Rembrandt; das Fresko von Loreto ist allerdings deshalb besonders bemerkenswert, weil es noch zu Lebzeiten Rembrandts entstand. Aus verständlichen Gründen ist die Krypta selbst der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die ARS MORIENDI-Ausstellung zeigt allerdings ein dreidimensionales Modell der Krypta, dies sind zwei der Fresken.


Wir sehen einen Film über die Öffnung der Krypta und die Entdeckung der Fresken, bewundern barocke Mortuarien und stoßen schließlich auf den aus Brno geliehenen Sargdeckel, unter dem der dort mumifizierte Pandur für gewöhnlich liegt.


An der Decke der Schatzkammer sind unzählige Gläser befestigt, die im Luftzug leise aneinanderklimpern für ein sehr anderweltliches Geräusch. Das kostbarste Stück der Sammlung ist die 1696 – 1699 in den Wiener Hofwerkstätten gefertigte Diamantenmonstranz. Dieses Kleinod zieren 6222 Diamanten aus dem Vermächtnis der Ludmilla Eva Franziska Gräfin Kolowrat. Die „Prager Sonne“ ist ca. 90 cm hoch und wiegt 12 kg.

No way out,

der nette kustod, der schon in den Regionen der Ars Moriendi unser Diderot’sches Sichfürallesinteressieren mit wohlwollendem Lächeln begleitete, will uns nicht gehen lassen, schickt uns noch einmal in den Kreuzgang und weist explizit auf die Kapelle mit der kuriosen Statue der Heiligen Kümmernis (Wilgefortis, Starosta). Die hatten wir schon gesehen, aber wir schauen uns die bärtige Dame gern noch einmal an. In der ältesten Eck-Kapelle des Kreuzganges, der Kapelle der Schmerzensreichen Muttergottes, findet sich die Statue an einem Seitenaltar. Wilgefortis, der Legende nach die schöne, aber christliche Tochter eines heidnischen Königs von Portugal, weigerte sich, den ihr zugedachten Mann zu heiraten, einen heidnischen Prinzen, und zum Schutz ihrer Jungfräulichkeit betete sie um ein sichtbares Zeichen von Männlichkeit, das sie entstellen sollte, und das sie in Form eines prächtigen Bartes auch erhielt; der wütende Vater ließ seine Tochter darauf ans Kreuz nageln, damit sie ihrem himmlischen Bräutigam gleiche.
Vorab fand man widersprüchliche Informationen darüber, ob das Loreto on Mondays besuchbar sei, Mgr. Petr Basta hatte „Sehr geehrte Christian“ in einer email diesbezüglich beruhigt. Ich frage den kustod, ob er zufällig Petr heiße und erkläre ihm die Frage. Aber er heißt Karel und berichtet, Mgr. Petr Basta sei der Chefkurator des Komplexes. How nice. Wir plaudern noch ein Weilchen, und Karel verabschiedet uns mit „Very pleased to meet you“ in den frühen Nachmittag.
Loreto – Westfassade


Albin! A lion has wandered into my frame!

Das Loreto ist eine Oase der Ruhe, und im pittoresken Viertel namens Nový svět, ganz in der Nähe des Loreto-Heiligtums, ist es ebenfalls überraschend still. Der Distrikt heißt „Neue Welt“, weil er außerhalb des Hradschin lag, und wird Mitte des 14. Jahrhunderts zum ersten Mal erwähnt. Das heutige Aussehen der Häuser / Häuschen stammt vornehmlich aus dem 18. Jahrhundert. Die Neue Welt hat immer Künstler angezogen, in den 1960er Jahren befand sich hier auch das kreative Hauptquartier von „Pan Tau“-Regisseur Jindrich Polák.
In Haus No. 1 soll um 1600 der dänische Astronom Tycho Brahe gelebt haben, den Kaiser Rudolf II. (der „Sterngucker“) nach Prag berufen hatte.




Abstieg aus der Neuen Welt

Saská

Besuch bei Botanicus
Tyn 3

Nach dem Abendmahl

begeben wir uns auf den letzten Abendspaziergang, vorbei am Svaty Jan, in dem wir letztes Jahr wohnten, und, unter erototheologischem Gespräch, zur Apolinárska. Dort, in einem von Touristen nur selten besuchten Areal, steht das Maternity Hospital Apolinář – das Marylebone Work-House aus dem Film „From Hell“.

2010 machten wir das Marylebone Work-House zum ersten Mal ausfindig. Die verwitterte Kiste, an der Johnny Depp und Heather Graham in der Filmszene vorbeigehen, stand noch immer vor der Mauer.

Im Antikshop reicht es noch für Jupiter-Zündholzbriefchen, im Jewish Quarter bei Nacht der Drehbuchentwurf für „Der Ghoul von Olsany“.
Dienstag, 04.09.2012

Beim Ständetheater


„Das ist keine Stadt. Das ist der zerklüftete Boden eines Zeitozeans, bedeckt mit dem Steingeröll verglühter Träume und Leidenschaften, zwischen denen wir – wie in einer Taucherglocke – spazieren gehen.“

Das „Franz Kafka Museum“ am Moldau-Ufer der Kleinseite beherbergt die 1999 in Barcelona eröffnete Ausstellung „The City of K. – Franz Kafka & Prague“.
Die Schönheit der Majuskeln, fast schon Kalligraphie (Brief an den Vater). Kafkas Faszination am Fall Hilsner. Bilder und verfremdete Filmaufnahmen des alten Prag. Der Horror auf dem Weg zur Schule. RAVACHOL! „This was the word that the Kafka family cook applied to young Franz to describe his awkward behaviour.“ – RAVACHOL! „became a terrible magical spell“. Tagebucheinträge in den Schubladen von Büroschränken, unheimliche Musik und Klangeffekte überall. Krähengeschrei. Sisyphos was a bachelor. Erstausgaben. Ein Hungerkünstler, Berlin, Die Schmiede, 1924. Der Vater, Hermann Kafka, im Alter, das Gesicht schmal geworden – wie hätte Franz Kafka mit 78 ausgesehen? Das traurige Foto vom Sanatorium Kierling, lonely, lonely. Kafka starb dort am 3. Juni 1924. Erstausgabe der Verwandlung, Kurt Wolff Verlag, 1915. Schubladen mit den Namen der Romangestalten aus dem Prozeß. Bakelit-Telefon, am anderen Ende Karl Roßmann. Audiovisuelle Installation zu „Das Schloß“. „Deep down I am Chinese, and I am going home.“ Erstausgabe „Das Schloß“. Erstausgabe „Der Prozeß“. The moment when the punishment starts to become the darkest part of the penal process. The punitive celebration dies away, transformed into just another administrative act. Besuchen Sie dieses Museum.
St. Thomas verwendet eine gute Weihrauchmischung. Dientzenhofer was here.

St. Thomas: 1285 stiftete König Wenzel II. zum Gedenken an seinen Vater Przemysl Otakar II. eine Kirche, zunächst für Augustiner-Eremiten. In zwei Bauabschnitten entstand dann eine dreischiffige gotische Basilika, deren langgestreckter Chor 1316 geweiht wurde. Fertiggestellt wurde die Kirche erst nach dem Tod des Kaisers Karl IV. im Jahr 1379. Unter Rudolf II. wurde die Thomas-Kirche zur Hofkirche erhoben und 1727–1731 von Kilian Ignaz Dientzenhofer barock umgestaltet.

Entree-Glas der Salvatorkirche spiegelt Altstädter Brückenturm

Last thing: ein Sparta Prag-Shirt erworben bei einer bezaubernden alten Dame im Fanshop, den die Siebziger vergaßen.

Kommentarsektion Antirationalistischer Block:
