Streckbank, Peitschen, Brandmarkeisen, Daumenschrauben und andere Folterwerkzeuge dokumentieren den Strafvollzug im späten Mittelalter: die Ausstellung im Holstentor benennt Opfer der peinlichen Befragung.
Die alten Salzspeicher: hier drehte Friedrich Wilhelm Murnau im Sommer 1921 Szenen für „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922).
Max Schreck als Graf Orlok findet sein Domizil in der Stadt Wisborg in den zerfallenen Lagerhäusern, der Nosferatu bewohnt jenes „schöne, öde Haus“, den Hutters vis-à-vis.
Die Kirchenuhr im Lübecker Dom, 1628.
Das 17 Meter hohe Triumphkreuz des Bernt Notke. Es wurde von Albert II. Krummendiek, Bischof von Lübeck und Kanzler des Dänenkönigs Christian I., aus eigenen, wenn auch geliehenen Mitteln gestiftet und 1477 aufgerichtet. Krummendiek ist in der Triumphkreuzgruppe als Stifter und als Gegenfigur zu Maria Magdalena dargestellt. „… nebst einer Magdalena, unter welcher Gestalt, der Sage nach, seine Beischläferin dargestellt ist“, bemerkt um 1820 der Prediger Zietz. Krummendieks Finanzen blieben nach dieser Stiftung zerrüttet.
Schatten haben ein Eigenleben.
Maria und Maria Magdalena.
Ein freundlicher Bewohner des Doms.
Das Museum im St. Annen-Kloster.
Rathaus, Renaissance-Erker zur Breiten Straße.
Rathaus-Nordfassade am Marienkirchhof, auf dem der historische Weihnachtsmarkt stattfindet.
In der Marienkirche: die beim verheerenden Brand in der Nacht vom 28. zum 29. März 1942 heruntergestürzten Glocken am Boden des südlichen Turms.
Marienkirche
Tympanonfenster von Markus Lüpertz.
Marienkirche
St. Jakobi. Die Jakobikirche wurde 1334 als Kirche der Seefahrer und Fischer geweiht.
Das Beinhaus von Mělnik befindet sich in der Krypta unter dem Altar der Kirche St. Peter und Paul. Der Abstieg in diese Unterwelt führt durch einen separaten Seiteneingang. Man steigt eine schmale, alte Treppe hinab; unten, in einem versteckten Winkel, sitzt eine Frau undefinierbaren Alters, nennen wir sie Madame Lampernisse.
„Ich heiße Lampernisse, und ich erfreue mich an den Farben. Jetzt hat man mich in die Finsternis geschickt. Früher habe ich Schwarz aus Knochen und Schwarz aus Kohle verkauft, aber nie habe ich jemandem die Schwärze der Nacht geliefert. Ich bin Lampernisse. Ich bin so gütig, aber man hat mich im Dunkeln eingeschlossen, zusammen mit einem Wesen, das die Lampen löscht.“ – Jean Ray, Malpertuis
30 Kronen für Madame Lampernisse und man darf hinter den uralten, verstaubten Vorhang blicken.
Ein einziger Raum, nicht sehr groß. Man schätzt, daß er die Gebeine von etwa 15.000 Toten bewahrt.
Ursprünglich sollte die Krypta als letzte Ruhestätte der böhmischen Prinzessinnen und Königinnen dienen, die auf Schloß Mělnik residierten. Eine Pestepidemie im 16. Jahrhundert führte jedoch dazu, daß der kleine Friedhof, der die Kirche umgab, nicht mehr ausreichte, um die Toten zu bestatten, und die Krypta wurde zum Ossarium – Aufbewahrungsort für exhumierte Knochen und Schädel.
Als im Zuge einer Gubernialverordnung alle Ossarien aus hygienischen Gründen geschlossen und die Gebeine in der Erde bestattet werden sollten, beließ man es in Mělnik dabei, Eingang und Fenster des Beinhauses zuzumauern. So verblieb die Knochenkapelle bis 1913, als der Anthropologe Jindřich Matiegka sie öffnen ließ und zu untersuchen begann. Die Arrangements der Knochen und Schädel in ihrer jetzigen Form sind das Werk von Matiegka.
Das Herz aus Schädeln soll Liebe als christliche Tugend symbolisieren.
Einige der Schädel, die zur lateinischen Inschrift ECCE MORS (etwa: Seht den Tod) angeordnet wurden, haben ihren Platz verlassen.
Nicht nur die Höhe der Knochenwälle ist schwindelerregend,
auch ihre Tiefe. Der Tunnel im Frontwall, etwa fünf Meter tief, soll das leere Grab Christi und damit die Auferstehung symbolisieren.
„Dieses ist dein Weg“, wiederholt eine Stimme auf dem Tonband, das Madame Lampernisse angeschaltet hat.
Das Beinhaus von Mělnik ist kleiner als das berühmtere Ossarium von Sedlec bei Kutná Hora, und es gibt kaum Besucher. Mit etwas Glück kann man hier einen mind-blowing Nachmittag damit verbringen, sich auf den Boden der Krypta zu setzen und sich von Schädeln anstarren zu lassen, bis man ihre Gedanken kennt.
Zu den Exhumierten und den Pestopfern gesellten sich die Überreste Gefallener aus dem Dreißigjährigen Krieg und anderer Scharmützel.
Einige der Schädel zeigen die Spuren fataler Kampfwunden.
Der Jüdische Friedhof Altona (auch, auf den sephadischen Teil des Friedhofs bezogen, Portugiesenfriedhof an der Königstraße), wurde 1611 angelegt. Er gilt aufgrund seines Alters und der großen Zahl erhaltener Grabsteine (rund 7600 von 8474, die man bei der Schließung des Friedhofs 1869 gezählt hatte) als eines der bedeutendsten jüdischen Gräberfelder der Welt.
Hier wurden Mitglieder der jüdischen Gemeinden aus Altona und Hamburg beerdigt: Sepharden ursprünglich spanisch-portugiesischer Herkunft und Aschkenasim, mittel- und osteuropäische Juden.
1611 erwarben portugiesische Juden aus Hamburg ein Stück Land von Graf Ernst III. von Holstein-Schauenburg und Sterneberg auf dem Altonaer Heuberg als Friedhof. Die Hochdeutsche Israeliten-Gemeinde zu Altona erwarb kurz darauf in unmittelbarer Nachbarschaft ihrerseits ein Begräbnisgelände. Beide Friedhöfe bilden heute den Jüdischen Friedhof Altona.
Zwischen 1668 und 1806 wurde der aschkenasische Friedhofsteil mehrfach erweitert, so daß er mehr und mehr mit dem Portugiesenfriedhof zusammenwuchs.
Bei der Schließung des Friedhofs im Jahre 1869 befanden sich auf dem Portugiesenfriedhof 1806 Grabmale, auf dem aschkenasischen Friedhof im Altonaer Teil 6000 und im Hamburger Teil 668.
Nur eine Person wurde pro Grab beigesetzt. Die sephardischen Grabmale sind liegende Platten oder zeltförmig. Auf den aufrecht stehenden aschkenasischen Grabsteinen sind oft ikonische Zeichen abgebildet, z.B. segnende Hände oder eine Hand mit einer Schreibfeder. Die Grabmale sind aus Marmor, Kalkstein oder Sandstein. Etwa 200 wurden 1939 zerschlagen für einen Sportplatz auf dem Friedhofsgelände. Zu weiteren Zerstörungen kam es durch Erschütterungen und umherfliegende Trümmerteile bei der Operation Gomorrha, Erschütterungen durch die unterirdisch verlaufende S-Bahn, Vandalismus und Diebstahl.
1052 war Bratislava noch Preslawaspurch, umstritten ist, wem die Purch mit dieser Namenserwähnung zugeschrieben werden darf: Kandidaten sind Predslav, Sohn des Sventopluk, Fürst im Fürstentum Nitra des 9. Jahrhunderts, und ein slawischer Fürst namens Braslav. Nacht mit der „todten Schönen“, der Eisernen Jungfrau von Sacher-Masoch (in: „Heroine des Grauens – Elisabeth Bathory“). Schon kurz hinter Hamburg tritt der zweite Hunger die Tür ein, später informiert ein tschechischer Durchsager über die Existenz eines Spejsewagen. Tschechen sind wunderbar rücksichtsvolle Menschen. Als drei Schwedinnen im Zug zu singen beginnen, legt die tschechische Ticket-Controlleuse einen erstaunten Blick an den Tag und dann einen Finger an den Mund. Das Leise als natürliche Tugend. In Prag steigt eine junge Frau ein, die einen vermutlich gerade bei einem Prager Spezialisten operierten Hund zurück nach Bratislava bringt. Beiden gegenüber sitzt ein Mann, der, am Schicksal des Hundes interessiert, die Frau anspricht, die dann während der ganzen Unterhaltung unbeirrt nur flüstert, um den bedröselten Hund nicht aufzuregen. Wir kommen plangemäß an Zohor vorbei und denken plangemäß an Ray, während die rote Sonne draußen einen 30°-Abend anstimmt. Bratislava. Der Bahnhof ist viel kleiner. Wir schließen daraus, daß alles viel kleiner ist, und beschließen, nicht die Tram zu nehmen. Instinkt und der erste Slowake weisen den Weg durch die im Dunkel unwirkliche Stefanikova, überall abblätternder Putz, seltsame Figuren über fast parisischen Türen. Kein Problem, die Panenská zu finden. Vergänglichkeitsstraße. Die junge Dame im „Virgo Hotel Prihradny“ führt uns über einen Außenkorridor, der in der Dunkelheit an Lynch / Lost Highway erinnert, zur Tür mit dem býk (Taurus) – das Prihradny ordnet Zimmer nach Sternzeichen.
Der Kronleuchter im Taurus Room ist der Traum eines Absinth-Trinkers.
Night Walk durch die phantastische Altstadt. Es gibt zwei prominente Plätze in Bratislava, den Hlavné námestie (Hauptplatz) und den Hviezdoslavovo námestie, eigentlich eine lange, großzügige Promenade. Hviezdoslav war ein slowakischer Dichter. Man findet unter den Bäumen aber auch die Statue eines Schriftstellers, den man nicht unbedingt sofort mit Bratislava in Verbindung bringen würde: Hans Christian Andersen. Tatsächlich hat Andersen 1841 das damalige Pressburg besucht. Er war von der Stadt bezaubert, und man fragte ihn, ob er darüber schreiben würde. Die Antwort des Märchenpoeten war, das sei nicht nötig, schließlich sei die Stadt selbst ein Märchen. Bei Nacht wirkt die Altstadt mit ihren verwunschenen Gassen immer noch märchenhaft, geheimnisvoll und völlig aus der Zeit gefallen. Gleichzeitig sind die Lokalitäten bis unters Himmelsdach voll, aber das Nachtleben wirkt entspannt, unaufgeregt, miles away von hiesigem Gelärme, als würden all die Häuser, Paläste und Kirchen hier die aufgesaugte Erinnerung an die Tradition toleranten Miteinanders in dieser Stadt, die durch ihre Lage prädestiniert war zum Kreuzpunkt verschiedener Kulturen, wieder ausstrahlen. Auf dem Hauptplatz stehen ein alter Bus mit Projektor und eine Leinwand: Open Air-Kino, umsonst. Zwischen Trinitarierkirche und Donau: Oh Moon of Bratislava. Grille zirpt.
Kathedrale St. Martin
Kapitulská
Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert führten die ersten Schritte nach der Krönungszeremonie im Martinsdom die Habsburger Könige und Königinnen über die cobblestones der Kapitulská. Die meisten Häuser haben heute bröckelnde Fassaden, einige stehen leer. Angehörige von Klerus und Kollegien können hier gegenüber Spaziergängern die Überzahl bilden.
Dienstag, 28.08.2012
Früher Morgen in der Panenská.
Die Burg, eine Pestsäule aus dem Jahr 1723, und die (1717) dem heiligen Stephan von Ungarn geweihte Kapuzinerkirche. Die Kapuziner kamen 1676 in die Stadt.
In der Farska, rechts die Klarissenkirche im gotischen Stil. Die Klarissinnen waren seit 1297 in Bratislava und durften Anfang des 14. Jahrhunderts mit Unterstützung des Königs am Ort eines zerstörten Zisterzienserklosters eine Kirche und ein Kloster errichten.
Eine Legende behauptet, daß der gotische Turm von einem Ritter namens Christian aus Liebe zu einer Nonne mit Namen Matilda errichtet wurde; die ranghöchste Klarissin versprach Christian das Mädchen, hielt ihr Versprechen aber nicht.
Der angeschlossene Konvent war nach Auflösung des Ordens eine Oberschule, zu deren Schülern auch der junge Béla Bartók zählte, der seit 1893 in Bratislava Musik- und Kompositionsunterricht erhielt.
Die Kapitulská (früher Pfafengasse, Kirchgasse, Capitelgasse) am noch immer frühen Morgen.
Rudnayovo-Platz, beim Dom.
Bus 29 bringt in weniger als einer halben Stunde zu den Ruinen von Hrad Devin. Aufgrund ihrer Lage, in 212 Meter Höhe auf dem Felsmassiv über dem Zusammenlauf von Donau und March, war die Burg Devin zu allen Zeiten eine strategisch wichtige Befestigung; im Großmährischen Reich wird sie zur Fürstenburg. [Das als Großmährisches Reich bezeichnete Staatsgebilde entstand, als Mojmir I., Fürst von Mähren, 833 das Fürstentum Nitra eroberte].
Die Stätte war seit dem Neolithikum besiedelt und seit der Bronzezeit befestigt. Die Kelten siedelten hier, Germanen, in den ersten Jahrhunderten nach Christus errichteten die Römer hier eine der Grenzstationen des Limes Romanus. 1975 entdeckte man bei Ausgrabungen ein christliches Heiligtum aus dem 4. Jahrhundert, einer Zeit, in der es unter römischen Legionären bereits eine beträchtliche Zahl von Christen gab. 864 wird die Burg vermutlich zum ersten Mal schriftlich erwähnt, wenn die Fuldaer Annalen berichten, daß Ludwig der Deutsche 855 mit einem Heer die Festung des Großmährischen Fürsten Rastislav belagerte, die Burg Dowina. Nach Ende des Großmährischen Reiches wurde die Slowakei ein Teil des Königreichs Ungarn; Devin galt als das westliche Tor des Königreichs. Anfang des 13. Jahrhunderts begann Devin als frühmittelalterliche Burg jene Formen anzunehmen, deren Ruinen heute zu sehen sind. Ab dem 15. Jahrhundert regierten verschiedene ungarische Adelsgeschlechter auf der Burg, seit König Sigismund die Burg seinem Palatin Nicolaus Gara übergab. 1809 wurde die Festung durch Napoleonische Truppen gesprengt.
Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Burg zum wichtigen nationalen Symbol für die Slowaken, die in der Burg ihre Identität als eine der slawischen Nationen, die aus dem Großmährischen Reich hervorgingen, repräsentiert sehen.
Die Burg inspirierte romantische Poeten, Canaletto (der Mittlere) hat sie gemalt, und der schlanke Turm, der auf einem Felsen balanciert, heißt Jungfrauenturm.
Ein Ritter namens Nikolaus, so geht die Sage, hatte aus Kärnten eine Jungfrau namens Margarete entführt und nach Devin gebracht; das Mädchen wehrte sich nicht sehr, denn der junge Ritter gefiel ihr, und seine Burg auch. Bevor es zur Hochzeit kam, erschien Margaretes Onkel Raphael, der Abt von Isenburg, auf der Burg. Seine Knappen ergriffen die junge Frau, setzten sie auf ein Pferd und sprengten im Galopp nach Kärnten. Nikolaus holte sie jedoch ein und brachte seine Auserwählte nach einem Kampf zurück. Während der Hochzeitsvorbereitungen klirrten im Burghof erneut die Waffen: Raphael drang in die Burg ein, die Kärntner waren in der Übermacht und zwangen Nikolaus zum Rückzug in den kleinen Turm auf dem Felsvorsprung. Nikolaus fiel schließlich im ungleichen Kampf. Seine junge Braut sprang aus Trauer in die Donau, der Fluß verschlang die Jungfrau Margarete an ihrem Hochzeitstag.
Wir trinken das Wasser der Herren von Gara (Garai), gießen Wasser in einen Brunnen (es dauert fünf Sekunden, bis 55 Meter tief ein Platschen zu hören ist), und lernen, daß Kaiser Ferdinand I. 1527 die Burg an Stephan Bathory gibt, dessen Familie sie bis 1605 besitzen wird.
Auf dem Areal leben Eidechsen, Gottesanbeterinnen, Falken und Schlangen.
Es gibt auch eine kleine Ausstellung zur Burghistorie, neben Hellebarden, Schwertern und Kanonenkugeln auch eine Lafette (gun-carriage) schottischer Herkunft, die man, wie die freundliche Dame, die über die Exposition wacht, unserem Interesse beispringt, in der Donau gefunden hat.
Madame inspiziert das Waffenlager.
Plötzlich im Gebüsch: smiles like a reptile
Rowr
Wieder in der Stadt: Martinsdom. Die Kathedrale ist dem heiligen Martin von Tours geweiht, der um 316 im heutigen Ungarn geboren wurde. Nach der hagiographischen Überlieferung traf Martin, seit 334 als Soldat der Reiterei der Kaiserlichen Garde in Amiens stationiert, an einem kalten Wintertag am Stadttor auf einen unbekleideten Bettler; Martin teilte seinen Mantel mit dem Schwert und gab die eine Hälfte des Mantels dem Armen. Die Szene nochmal in Zeitlupe [Reiterstatue im Dom]:
In der Schatzkammer erfährt man von einer wunderlichen That, die sich zu Pressburg zugetragen; aus geschwornen Zeugknussen geht hervor, daß der Geist eines gewissen Hans Clement Zwespenbauer 1641 / 1642 der Jungfrau Regina erschien, so lange, bis er auf ihre Fürbitte aus dem Fegefeuer erlöst wurde, was ihr ein Engel zu wissen gab. Die geschrockene Regina ist leider nicht zu sehen, dafür ein eingebranntes Handzeichen, das der Geist als Nachweis seiner Existenz dankenswerterweise hinterließ. Vor allem beherbergt die Schatzkammer zahlreiche Objekte aus der langen Geschichte des Doms als Krönungstätte der Habsburger Regenten, die hier zu Königen und Königinnen von Ungarn gekrönt wurden, u.a. Rudolf II., Matthias und Maria Theresia. 1563 war der spätere Kaiser Maximilian II. der erste ungarische König, der im Martinsdom gekrönt wurde; die Kathedrale trat damit an die Stelle der königlichen Basilika in Székesfehérvár, das dem Osmanischen Reich in die Hände gefallen war.
Eine Gedächtnistafel in der Kathedrale erinnert an Beethoven, der im Herbst 1796 Bratislava zum ersten Mal besuchte und später hier seine Missa Solemnis vorstellte. Mozarts Witwe Constanze heiratete den Schriftsteller Georg Nikolaus Nissen im Juni 1809 im Dom zu Preßburg. Stanzerl sah damals allerdings noch einen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert barockisierten Innenraum. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurden die barocken Elemente weitgehend entfernt und das Gebäude in den ursprünglichen Zustand im gotischen Stil zurückversetzt.
Die schöne Apollonia
Nahe der Martinsstatue ist der Kirchenboden aufgelassen und man schaut hinab auf einen Schädel. Was daran erinnert, daß die Kathedrale ab dem späten 13. Jahrhundert an der Stelle einer früheren romanischen Kirche und über einem sehr alten Friedhof entstanden ist. Unterhalb der Kirche existieren Katakomben von unbekannter Länge. Teile der Krypta, in der die Särge hochrangiger Persönlichkeiten und kirchlicher Würdenträger eingemauert sind (die letzte Bestattung wurde 1895 vollzogen), kann man betreten. Es ist kalt hier.
Den ganzen Nachmittag durchstreifen wir die Gassen der Altstadt, begegnen all den kuriosen Statuen von Bratislava, dem Schönen Náci, der, ganz Stadtoriginal, beschwingt mit dem Zylinder winkt, oder dem aus einem Kanalschacht spähenden Gaffer. 32° in der Sonne um 17 Uhr.
Das Michaelertor (Michalská brána) mit seinem 51 Meter hohen Turm ist das letzte erhaltene von ehemals vier Toren der mittelalterlichen Stadtbefestigung, die im 18. Jahrhundert auf Anordnung Maria Theresias größtenteils abgerissen wurde. Der Weg der gekrönten Monarchen führte aus dem Martinsdom auch durch das Michaelertor, wo der neu gekrönte König vor dem Erzbischof einen Treueschwur ablegte. Die Geschichte des Michaelertors reicht bis ins späte 13. Jahrhundert zurück, seine barocke Form erhielt der Turm in der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Die Wächter der Franziskanerkirche.
Im Eingang der Franziskanerkirche sitzt ein Franziskanermönch, barfuß und hardcore auf dem kalten Boden, in Erwartung eines kleinen Obolus. Als wir die Kirche wieder verlassen, steht er lässig an der Tür wie der Bruder von Tomas Milian in irgendeinem Italowestern und betrachtet das Treiben vor dem gegenüberliegenden Mirbach-Palais. Dazwischen liegt Reparatus. Soll im 4. Jahrhundert gelebt haben und aus Nola bei Neapel stammen. Starb als Märtyrer 353 und kam 1769 aus Rom nach Bratislava.
Die Franziskanerkirche ist das älteste sakrale Gebäude in Bratislava. Sie wurde ab 1280 an das 1278 errichtete Franziskanerkloster angebaut, angeblich ließ der ungarische König Ladislaus IV. (der Kumane) sie zu Ehren seines Sieges über Przemysl Ottokar II. von Böhmen auf dem Marchfeld bauen. 1297 wurde sie in Anwesenheit des letzten Arpaden-Königs Andreas III. geweiht, als einschiffige Kirche im gotischen Stil. 1590 brachte ein Erdbeben das gotische Kreuzgewölbe zum Einsturz, Anfang des 16. Jahrhunderts wurde es durch ein neues Kufengewölbe ersetzt. Die Seitenwände des Kirchenschiffes und das Presbyterium blieben erhalten und sind heute die ältesten Teile der Kirche. Hauptaltar und Seitenaltäre stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die Rokoko-Kanzel ist von 1756.
1526 wurde der spätere Kaiser Ferdinand I. in der Franziskanerkirche zum König von Ungarn gewählt. Fortan wurden, als Bestandteil von Krönungszeremonien, Ungarische Adelige in der Franziskanerkirche zu Rittern des Goldenen Sporn geschlagen.
Eine Johannes dem Täufer geweihte gotische Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, die der Sainte-Chapelle in Paris nachempfunden ist: Where angels don’t fear to tread.
Abendmahl, dann der Burgberg. Ein Rest der alten Stadtbefestigung, der beim Martinsdom noch zu sehen ist:
Auf der anderen Seite der Straße: das Haus zum Guten Hirten (1760-1765).
Hinter dem schönen Rokokohaus beginnt der Aufstieg zur Burg.
Der Burgberg ist ein Ausläufer der Kleinen Karpaten, und die Burg, das Wahrzeichen Bratislavas, liegt auf einem Felsen 85 Meter über dem linken Ufer der Donau an einer alten Kreuzung europäischer Handelswege. Der Berg ist seit der Steinzeit besiedelt; wie auf Devin errichteten auch hier Kelten, Germanen und Römer Befestigungen. Gegen Ende der Völkerwanderung erreichten Slawen das Gebiet, und zur Zeit des Großmährischen Reiches im späten 9. Jahrhundert entstand eine wichtige Befestigung. 907 wird die Burg in den Salzburger Annalen erwähnt. Wie Devin wurde die Burg nach dem Fall des Großmährischen Reiches Teil des Königreichs Ungarn.
Im 11. und 12. Jahrhundert entstand hier ein vorromanischer mittelalterlicher Steinpalast. Seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts wurde die Burg zum Sitz der neu entstandenen Gespanschaft Pressburg. Im 13. Jahrhundert wurde eine romanische arpadische Burg errichtet, die bis 1427 Bestand hatte. Zu dieser Befestigungsanlage gehörte ein romanischer Wohnturm auf der Südwestseite; als einziger Bauteil der Anlage ist er bis heute erhalten geblieben.
Am Ende des 13. Jahrhunderts fiel die Burg zweimal: 1273 wurde sie von Truppen des böhmischen Königs Przemysl Ottokar und 1287 vom österreichischen Herzog Albrecht erobert. Ihren heutigen vierflügligen Grundriss bekam die Burg im 15. Jahrhundert, als Sigismund von Luxemburg einen gotischen Umbau anordnete. Nach der Schlacht bei Mohács im Jahr 1526, als die Türken die ungarische Armee schlugen und später die bisherige Hauptstadt Buda besetzten, wurde die Burg zum Sitz des Habsburgers Ferdinand I.
Während der Umbauarbeiten im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Burg mehrmals befestigt: 1552–1562 wurde die Burg im Renaissancestil umgebaut. Alle Flügel wurden im Bezug auf die Höhe vereinheitlicht und ein weiterer Turm errichtet. Seit 1608 beherbergte der Südwestturm die ungarischen Kronjuwelen; seither wird er auch als Kronturm bezeichnet. 1635 bewilligte der ungarische Landtag bauliche Veränderungen an der Burg. Palatin Graf Paul Pálffy beauftragte den Architekten Giovanni Alberti, die Aufsicht hatte der kaiserliche Hof-Baumeister Giovanni Battista Carlone. Die ganze Burganlage wurde um einen Stock erhöht und es wurden weitere zwei Türme erbaut, womit die Burg ihr heutiges viertürmiges Aussehen bekam.
Die letzten größten Umbauarbeiten erfolgten während der Regierungszeit von Maria Theresia. Diese barocke, heute als theresianisch bezeichnete Burg wurde 1755–1765 umgebaut; auf der Südseite wurde der sogenannte Ehrenhof erstellt. Auf der Westseite entstanden ein Geschäftshof und ein Pferdestall, auf der Ostseite wurde ein als Theresianum bezeichnetes Rokokopalais gebaut; es war Sitz des Statthalters.
Nachdem der Statthalter die Burg im Jahr 1780 verlassen hatte und die Kronjuwelen nach Wien verbracht worden waren, verlor die Burg während der Regierung von Joseph II. ihre Bedeutung. Bis 1802 stand die Burg im Eigentum der Kirche. Seit 1802 wurde die Burg als Kaserne benutzt.
Am 28. Mai 1811 brach ein verheerendes, drei Tage dauerndes Feuer aus, vermutlich durch Achtlosigkeit der Truppen verursacht. In den folgenden 150 Jahren erhoben sich nur die Burgruinen über der Stadt. Teile, die nicht dem Feuer zum Opfer gefallen waren, wurden weiterhin als Kasernen und Gefängnis benutzt. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden mehrere Vorschläge zum Wiederaufbau unterbreitet, aber nicht durchgeführt. Die Burg wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg von 1953 bis 1968 renoviert. Am 3. September 1992 unterzeichnete man im damaligen Rittersaal (heute Saal der Verfassung) die slowakische Verfassung, vier Monate vor der Unabhängigkeit der Slowakei. Von 1993 bis 1996 diente die Burg als Sitz des slowakischen Präsidenten, bevor der Sitz in das renovierte Palais Grassalkovich verlegt wurde.
Seit 2008 wurde die Burg erneut renoviert und erscheint seitdem in strahlendem Weiß.
Brilliant Trees, Louise Brooks, eine Band auf dem Rudnayovo-Platz spielt „Purple Rain“.
Freigelegt unter dem Putz einer Mauer des Svaty Jan, das, wie gesagt, einmal Pfarrhaus war: zum Mitsingen.
This Year’s Destination: Vyšehrad. Pure Morning, ein Haus in der Vyšehradska:
Balkon in der Slavojova
Der Vyšehrad entstand als befestigte Burgstätte im 10. Jahrhundert, als zweite Prager Burg der Przesmysliden, auf einem Hügel, der sich südlich der Innenstadt steil über dem rechten Moldau-Ufer erhebt. Der Legende nach war dieser geheimnisvolle Ort Sitz der ersten tschechischen Herrscher; die sagenhafte Fürstin Libussa (Libuše) soll vom Vyšehrad aus in einer Vision die Gründung Prags prophezeit haben. Man weiß jedoch mittlerweile, daß die Hochburg auf dem Vyšehrad etwas jünger ist als die Burg auf dem Hradschin. Wir erobern den Vyšehrad durch das Taborer Tor und lernen, daß Libuše die jüngste der drei Töchter des Krok war, dem Mythos nach ein weiser Richter.
In der Chronica Boemorum des Cosmas von Prag vom Beginn des 12. Jahrhunderts fordert die in der Christianslegende (992-994) noch namenlose, nun Libuše genannte, visionär begabte Regentin und Przesmysliden-Ahnin nach ihrer Hochzeit mit Przemysl das Volk auf, die Stadt zu gründen. Weil sie so schön ist: die Legende vom Ursprung Prags.
Libuše, eine Frau von großer Schönheit und Weisheit, die prophetische Gaben besaß, regierte mit ihrem Gemahl, Prinz Przemysl, vom Hügel Vyšehrad aus. Eines Tages stand sie an einer Klippe, schaute auf die Moldau, zeigte auf einen bewaldeten Hügel auf der anderen Seite des Flusses und rief aus: „Ich sehe eine große Stadt, deren Ruhm bis zu den Sternen reichen wird.“ Sie gab Anweisung, dort eine Burg zu bauen, wo ein Mann gerade dabei war, die Schwelle (Tschechisch práh) zu einem Haus zu legen. „Und weil selbst die Edlen vor einer Schwelle niederknien müssen, soll die Stadt den Namen Praha (Prag) tragen.“
Um 1070 verlegte Vratislav II. seine Residenz von der Prager Burg auf den Vyšehrad und gründete dort das Kollegiatkapitel St. Peter und Paul, das sich bald zu einem bedeutenden Bildungszentrum entwickelte. Neben der Kirche und den Stiftsgebäuden entstanden am Ende des 11. Jahrhunderts auch der steinerne romanische Wohnbau Vratislavs, der „Palas“, die St. Laurentius-Basilika und die St. Martins-Rotunde. Als nach rund 70 Jahren die Przemyslidenherrscher auf die Prager Burg zurückkehrten, verfiel die Burg auf dem Vyšehrad zunehmend. Unter Karl IV., römisch-deutscher König aus dem Geschlecht der Luxemburger, seit 1347 König von Böhmen, ab 1355 Kaiser, erlebte die Burg einen erneuten Aufschwung; die Burg war der letzte Sitz seiner Mutter, der Königin Elisabeth, eine Tochter des Königs Wenzel II. Przemysl; Karl betonte stets den Bezug auf den heiligen Wenzel und die Przemysliden.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtete man eine neue Befestigungsmauer mit Zinnen, Wehrgang, zwei neuen Toren und quaderförmigen, sieben Meter breiten Türmen, die einen Abstand von ca. 60 Metern zueinander hatten. Den Hauptzugang zum Vyšehrad bildete im Osten das „Spitze Tor“, den Zugang in die Stadt ermöglichte das Prager Tor (später Jerusalemer Tor). Innerhalb des Mauerrings ließ Karl einen neuen Königspalast errichten, St. Peter und Paul wurde zu einer dreischiffigen Kirche mit Seitenkapellen umgebaut. Karl IV. bestimmte den Vyšehrad zum Ausgangspunkt des Krönungszuges der böhmischen Könige, den Karl selbst als erster am 1.9.1347 unternahm.
Nach dem Tod des Kaisers am 29. November 1378 wurde sein Körper elf Tage lang im Auditorium der Prager Burg aufgebahrt. Vier Tage dauerten die anschließenden Begräbnis-Feierlichkeiten, bei denen Karls Leichnam unter Begleitung von 7.000 Teilnehmern von der Burg durch die Prager Alt- und Neustadt und dann über die Karlsbrücke auf den Vyšehrad überführt wurde. Dort wurde er eine Nacht lang in der St. Peter und Paul-Kirche aufgebahrt. Zwei weitere Tage wurden die sterblichen Überreste dem Publikum im Konvent des Hl. Jakob und in der Johanniter-Kirche der Jungfrau Maria zugänglich gemacht. Die abschließende Bestattungszeremonie im Veitsdom unter Anwesenheit des gesamten Hofes wurde vom Prager Erzbischof zelebriert.
Nach Karls Tod war der Vyšehrad vor allem eine Priesterstadt, über 100 Geistliche betreuten die Sakralräume. 1420 eroberten die Hussiten die Burg und zerstörten nahezu alle Bauten. Im 15. Jahrhundert entstand die „Freistadt auf dem Berge Vyšehrad“, die vor allem von Handwerkern bewohnt war. Mit der Gegenreformation fiel das Gelände 1620 an das Kapitel zurück. 1648 wurde die militärtechnisch veraltete Burganlage bei einem Angriff der Schweden schwer beschädigt.
Von 1654 bis 1680 wurde die Anlage zu einer Burgfestung ausgebaut; für die gewaltigen Schanzen aus Backsteinmauerwerk und die schweren Eckbasteien, die nach Heiligen benannt sind, wurde die Bevölkerung vertrieben, die alten Gebäude abgerissen. 1866 wurde Prag als Festung aufgehoben und zur offenen Stadt erklärt, der Abriß von Befestigungsanlagen wurde bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fortgesetzt, die Festung Vyšehrad wurde 1911 von der Militärverwaltung der Stadt übergeben.
Das Leopoldstor, 1678 erbaut.
Am Leopoldstor bleiben am Ende von Milos Formans „Amadeus“ die Begleiter stehen, während die Kutsche mit Wolferls Leiche durch den strömenden Regen dem Armengrab entgegenfährt. Hinter F. Murray Abraham (Salieri) ist hier ein Teil der Befestigungsanlagen von Vyšehrad zu sehen.
Die romanische St. Martins-Rotunde ist als einziges Baudenkmal des Vyšehrad in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten. Die Rotunde wurde wahrscheinlich noch im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts unter Vratislav II. als Pfarrkirche der Vorburg erbaut und ist die älteste Rotunde Prags. Nach Errichtung der Barockfestung diente die Rotunde als Pulvermagazin.
Türbeschlag am neogotischen Portal der Rotunde, im späten 19. Jahrhundert entstanden, als der Eingang auf der Westseite zugemauert wurde.
Das Marterl. Eine Pestsäule aus Sandstein, vor 1685 errichtet; das Mosaik entstand vermutlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Dann wird es klaustrophobisch.
Im Chotek-Tor (Ziegeltor) befindet sich der Zugang zu den Kasematten – ein System von Gängen im Festungswall, das militärtechnisch zum Sammeln der Truppen und ihrer unbemerkten Verlegung diente. Einer der Gänge der Vysehrad-Kasematten mündet in den Gorlice, einen unterirdischen Saal, der als Sammelplatz für die Soldaten sowie als Lebensmittel- und Munitionslager dienen sollte. Die Gänge sind mindestens 2 m hoch und 1,5 m breit – gefühlt eher schmaler.
Während der Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges intensivierte sich das Interesse an der Prager Fortifikation, zumal in Zeiten der direkten Bedrohung Prags (1632, 1639, 1648). Nach Kriegsende machte Graf Montecucoli 1648 den Vorschlag zur Befestigung Prags, den technischen Generalplan legte 1650 Graf de Conti vor, der auch die Arbeiten seit der Entscheidung Kaiser Ferdinands III. für den Baubeginn 1654 leitete. Bis zum Jahre 1680 erhielt die äußere Befestigung der Burg Vyšehrad ungefähr ihr heutiges Aussehen, der Bau der gesamten barocken Prager Festung wurde um 1720 beendet.
Die Verteidigung blieb unzureichend; im Österreichischen Erbfolgekrieg wurde Prag am 26. November 1741 von Karl Albrecht von Bayern, dem späteren Kaiser Karl VII., sowie verbündeten Truppen aus Frankreich und Sachsen eingenommen. Der französische General de Berdiquier gab 1742 seinen Soldaten den Befehl, die Aufschüttungen der Zitadelle Vyšehrad herzurichten, einen Ravelin (Basteivorsprung) zur Neustadt hin zu errichten und die Kasematten auszubauen.
1744, Böhmen und Mähren wurden inzwischen von den Österreichern behauptet, griff Friedrich II. von Preußen in Böhmen an, im September wurde Prag belagert und eingenommen. Die Kasematten und der gesamte Vyšehrad entgingen der völligen Zerstörung im November 1744: die Preußen brachten damals vor ihrem Rückzug 133 Fässer mit Schießpulver in die Kasematten, die der letzte Soldat mit Zündschnüren in die Luft jagen sollte; drei mutigen Männern gelang es, die Zündschnüre rechtzeitig zu beseitigen.
Tatsächlich befindet man sich in den Kasematten also gar nicht „unterirdisch“, sondern schleicht durch den Festungswall, mit einem Gefühl wie in Moria freilich, und irgendwann erreicht man den monumentalen Gorlice, einen 13 Meter hohen Saal, Bestandteil der XXXIII. Bastion der Barockwälle. Der Gorlice diente später als Luftschutzraum, auch als Kartoffel- und Gemüselager für Prag. Seit 1992 befinden sich unter dem Tonnengewölbe des Gorlice sechs der originalen Barockstatuen von der Karlsbrücke.
Mit „Ach, die gute Luft hier!“ setzt die Phase ein, in der man die Kasematten gar nicht mehr verlassen möchte.
Schon fängt man an, Giallo-Plakate zu entwerfen.
Wenzelsdenkmal ohne Wenzel
Right after this bricht jeder Widerstand gegen Smetanas „Moldau“ endgültig zusammen, als das Glockenspiel von St. Peter und Paul die ewige Melodie läutet, und ich verstehe, man liebt das oder ist hier falsch. Auf dem weitläufigen, ruhigen, geschichtsträchtigen Areal des Burgwalls trifft einen diese Melodie direkt ins slawische Herz.
St. Peter und Paul wurde in den 1070er Jahren unter Vratislav II. errichtet. Die Kirche diente vier Herzögen der Przemysliden als Grabkirche; Vratislav II. – er starb durch einen Sturz vom Pferd – wurde 1092 hier bestattet, bei dem romanischen Steinsarkophag aus der Zeit um 1100, der „Tumba des heiligen Longinus“, handelt es sich vermutlich ebenfalls um die Grablege eines Przemyslidenherzogs. Die Kirche wurde mehrfach vergrößert und nach einem Brand frühgotisch erneuert; Reste der romanischen Basilika haben sich im Südwesten der heutigen Kirche erhalten. Die Fassade mit den beiden 58 m hohen Türmen stammt aus den Jahren 1902-1903. In St. Peter und Paul gibt es ein gotisches Tafelbild der Jungfrau Maria aus der Zeit um 1360, die „Vysehrader Madonna“ oder „Regenmadonna“: mit ihr wurde in Dürrezeiten bei Prozessionen um Regen gebetet.
Im Portalbogen führen Teufel, Dämonen und Höllenhunde die armen Sünder zum Jüngsten Gericht; besonders lustvoll werden die entblößten Damen herangeschleppt. Eine der Figuren erinnert seltsam an das „Come To Daddy“-Video von Aphex Twin.
In der Kirche bewundern wir Funerary Equipment of Noble Person from the crypt of Przemyslids in the Basilica und die Art Nouveau-Wandgemälde im Mucha-Stil von Frantisek und Maria Urban, 1902/03. Dann wandern wir über den Friedhof, freundliche Menschen fragen, ob wir Smetana und Dvorak suchen. Der Friedhof von Vyšehrad, seit 1869 auf dem Gelände der Burg, ist letzte Ruhestätte vieler bedeutender Tschechen. Das Slavin-Monument dient als Mausoleum, letzte Ruhestätte u.a. von Alfons Mucha und Rafael Kubelik.
„Whenever possible, I like to return to the Golden City for composition and to walk in the hallowed footsteps of Beethoven, Mozart, Martinu, Dvorak and Janacek – all of whom composed some of their greatest works in Prague. I never liked to work from home (or hotel) whenever possible, unless there is no other option. In fact, I always try to locate a room or flat in or very near certain sacred areas. This particular session was in a flat kindly lent to me by Veronika Brtova for the duration of the proposed composition in the old seat of the first kings of Prague – Vyšehrad – a highly charged geodetic point where Dvorak’s grandiose tomb can be seen (characterised by a Templar cross denoting the composer’s affiliations to Templar Freemasonry). It also has other secret temples, to which I have personal access.“
Jaz Coleman von Killing Joke, in: Letters from Cythera, p. 416
Dvořak schickte seine erste Sinfonie zu einem Musikwettbewerb nach Leipzig und sah die Partitur nie wieder. Als man ihn später fragte, was er unternommen habe, sagte er: Nichts. Ich setzte mich hin und schrieb eine neue Sinfonie.
Das Bad der Libuše, Ruine eines Wachgebäudes aus dem 14. Jahrhundert. Der Legende nach hat Libuše von hier aus abgelegte Liebhaber im Fluß versenkt. Tatsächlich wurden hier Waren, die mit Schiffen ankamen, nach oben befördert.
Ein Soft-Eis beim mittelalterlichen Brunnen, Zeit für noch eine Legende.
Die Geschichte von Horymír und Šemík
„Als die tschechischen Lande von Prinz Krzesomysl regiert wurden, lebte in der Stadt Neumetely ein Bauer namens Horymír. Er hatte ein weißes Pferd von außerordentlicher Intelligenz mit dem Namen Šemík. Auf Grund der Besessenheit des Prinzen, unterirdische Schätze aufzuspüren, wurden die Menschen ermutigt, ihre Landwirtschaft ruhen zu lassen um in den Minen zu arbeiten. Horymír war unzufrieden mit Krzesomysl und dessen Herrschaft und warnte, dass die Vernachlässigung der Landwirtschaft zu einer Hungersnot führen würde. Sein Protest stieß bei den Bergarbeitern auf taube Ohren, und so steckten sie eines Tages sein Anwesen in Brand. Daraufhin brannten Horymír und seine Anhänger das Dorf der Bergarbeiter nieder. Horymír wurde angeklagt und zum Tode verurteilt. Als man ihn nach seinem letzten Wunsch befragte, bat er um einen letzten Ritt auf dem Schlosshof auf seinem geliebten Pferd Šemík. Sein Wunsch wurde ihm gewährt. Als Horymír auf sein weißes Pferd stieg, flüsterte er etwas in dessen Ohr. Šemík rannte zu den Wällen, sprang über sie und glitt die Klippen hinab. Als die Schaulustigen zu den Wällen kamen waren sie erstaunt, Horymír und Šemík auf der anderen Seite des Moldau in Richtung Neumetely galoppieren zu sehen.
Der wundersame Sprung hatte Šemík erschöpft. Das sterbende Pferd sprach mit einer menschlichen Stimme zu Horymír und bat ihn, ihm ein Grab zu errichten. Horymír tat, was sein Pferd wünschte. Das Grab ist seitdem verschwunden, aber man sagt, dass Šemík in dem Felsen von Vyšehrad schläft, bereit, herauszukommen, wann immer sein Hilfe von Neuem benötigt würde.“
(myczechrepublic.com)
Eingang zur St. Lorenz Basilika, inside: Fundamente des romanischen und vorromanischen Kirchenbaus, der ursprünglichen Pfarrkirche der Burg.
Das Spitze Tor (Špicka) bildete einst den Hauptzugang zum Vyšehrad. Heute sieht man noch Mauerreste des von 1348 bis 1350 errichteten Haupttores und ein 140 m langes Teilstück der gotischen Burgmauer. Im Špicka befindet sich ein Informationszentrum, und man kann u.a. Kopien keltischen Schmucks erwerben. Mit einem Bronzekreuz, das bei der archäologischen Untersuchung auf den Wällen bei Mikulcice gefunden wurde, dem rätselhaften Zentrum des Großmährischen Reiches im 9. Jahrhundert, verlassen wir Vyšehrad.
Und noch:
Altneu-Synagoge. Golem oben links.
Altstädter Ring, Teynkirche
Altstädter Ring
Das Sixthaus, Zeltnergasse (Celetná) 2, das fünfte Haus der Familie Kafka, in dem sie von August 1888 bis Mai 1889 wohnte.
Das Ständetheater. Uraufführung von Mozarts „Don Giovanni“ hier am 29.10.1787: „Meine Prager verstehen mich!“ Milos Forman drehte viele der „Amadeus“-Szenen tatsächlich im Ständetheater.
Masarykovo nábrz.
Donnerstag, 15.09.2011
In diesem Haus, Vysehradska 45, einen Katzensprung vom Svaty Jan entfernt, wohnte Božena Nemcová, die Autorin von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Wenn wir die Gedenktafel richtig verstehen, vollendete sie hier „Babicka“.
Kafka an Kafkas Geburtshaus
Der 65 m hohe Pulverturm, in dem bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Schwarzpulver gelagert wurde
Die Kirche Maria Schnee. Den Grundstein der Kirche, mit deren Bau 1347 begonnen wurde, legte Kaiser Karl IV. selbst, die Hussitenkriege unterbrachen den Bau einer Basilika, deren Länge sogar den Veitsdom übertreffen sollte. Anfang des 15. Jahrhunderts war die Kirche ein Zentrum des radikalen Flügels der Hussitenbewegung. Im 16. Jahrhundert verödete die Kirche, das ursprüngliche Gewölbe stürzte ein. Anfang des 17. Jahrhunderts übernahmen die Franziskaner die Kirche, ließen ein Netzgewölbe im Renaissancestil ausführen, der frühbarocke Hochalter ist der höchste Altar in Prag.
Bei seinem zweiten Aufenthalt in Prag, den noch unvollendeten „Don Giovanni“ im Gepäck, wohnte Mozart in diesem Haus am Kohlenmarkt, nicht weit vom Ständetheater entfernt, da hatte das Wolferl nicht weit zu trippeln.
St. Martin in der Mauer. 1419 reichten Hussiten in dieser Kirche erstmals den Abendmahlskelch auch den Laien („Freiheit für den Kelch“). Die Forderung nach dem Laienkelch wurde kurz nach dem Tod von Jan Hus zu einem Symbol der hussitischen Bewegung.
In einer Gasse bei St. Martin
Eine Kirchentür
Altstädter Ring
Kirche St. Heinrich und Kunigunde (Kostel sv. Jindricha a Kunhuty)
Jerusalem-Synagoge
Und auf der Parizska wandelten wir so über den Bürgersteig, zwei Japanerinnen machten große Augen, als sie uns sahen, wir drehten uns um, sie drehten sich um, und sie lachten und machten diese Bewegung mit erhobenem Arm, Daumen und Zeigefinger aneinander, einen imaginären Faden haltend, und riefen: „Bat, bat!“
Sie hatten uns in Cesky Krumlov mit Freddie gesehen.
Zum letzten Mal vorbei am Graphitbergwerk an der Chvalsinska, wir lösen 80 kr-Tickets für einen Student Agency-Bus nach Budejovice, eine halbe Stunde Fahrt, von dort aus im Zug nach Prag, „Paranoid“ aus irgendeinem Abteil, letztes Jahr war Ozzyho Osbourna zur selben Zeit wie wir in Prag, Ozzy sollte Zweitwohnsitz in Böhmen beantragen. Am Marylebone Workhouse aus „From Hell“ vorbei zum Hotel Svaty Jan in der Vysehradska, Miss Ulinakova hat Zimmer 24 reserviert, lovely view, Blick in den Garten und auf die Kirche St. Johannes von Nepomuk am Felsen. Und das Hotel ist traumhaft, es ist das ehemalige Pfarrhaus von St. Johannes, großzügig neobarock, „it will amaze you with it’s mystical calmness“, schreibt die staff auf der Svaty Jan-Website und übertreibt nicht. Badewanne, leise plätschert das Wasser aus dem Nebenzimmer, schade, schade, denkt die Schöne.
Tram und Metro, bis wir uns dem Hradschin von der anderen Seite nähern können, letztes Jahr stiegen wir über die Nerudova zur Burg hinauf, dieses Mal kommen wir durch den Königsgarten.
Das Belvedere, das Lustschloß der Königin Anna Jagiello. In der Galerie des Lustschlosses begegnet Paul Wegener als Student von Prag seinem eigenen Spiegelbild.
Veitsdom, goth
Das Ballhaus im Königsgarten, zwischen 1567 und 1569 erbaut.
St Veit
Bei magickyavalon in der Vlasska, bei Manufactura, über die Karlsbrücke.
Climb on every tower. Nächste Turmbesteigung: der im späten 14. Jahrhundert unter Peter Parler errichtete Altstädter Brückenturm, am östlichen Ende der Karlsbrücke. 10 Jahre lang, von 1621 bis 1631, hingen die Köpfe von hingerichteten Anführern des Aufstandes gegen die Habsburger in eisernen Körben am Turm. Erster Sonnenuntergang nach Vollmond, die goldene Stadt noch mehr vergoldend, fast hätte mich der Turmwärter auf der Aussichtsetage in luftiger Höhe ausgesperrt, aber ohne Trompete mach‘ ich’s nicht.
Scharen von Riesenspinnen vor den Fenstern, aber in diesem Turm könnte man wohnen. Nach etwa 3/4 der 136 Stufen: Decke im Ausstellungssaal.
Blick durch ein Turmfenster
Das Netzgewölbe des Tordurchgangs
Altstädter Brückenturm after dark
Salvatorkirche
View from Room 24. Kostel sv. Jana Nepomuckého na Skalce, St. Johannes von Nepomuk am Felsen, nach Plänen von Kilian Ignaz Dientzenhofer errichtete Hochbarockkirche.
Prag am Tag ist schon kaum auszuhalten, Prag bei Nacht ist magisch. Man sitzt auf der Bank vor dem Svaty Jan, blickt auf eine Kirche oder zwei im warmen gelben Licht, und will da plötzlich nie mehr weg. Von dieser Bank. Seltsam. Beschließe, im Ministerium für Spejbl & Hurvinek anzuheuern.
Die Wenzelskeller befinden sich unter dem 4. Schloßhof, sie entstanden Anfang des 14. Jahrhunderts als eine Art Hinter- und Unterland der Burg. In diesem mehrstöckigen Labyrinth wurde angeblich auch König Wenzel IV. festgehalten. Was vermutlich nicht stimmt: ein gefangener König wurde in den Wohnräumen der Burg bewacht. Als Ausstellungsräume für Gegenwartskunst sind die Wenzelskeller überaus effektiv. Der Künstler Miroslav Páral findet hier unten die „Czech-Krumlov Surreality“ ohnehin lediglich verdichtet. Andere finden hier unten ein unterirdisches Abberline-Whitechapel.
St Veit
Never a dull moment with Ting Tong – als wir in einem der in Tschechien häufig von Vietnamesen geführten Lebensmittelläden die Gebäcklage studieren, zupft einer der Verkäufer Birgit am Ärmel und deutet verschmitzt auf das Pumpernickel. Schwarzbrot für Schwarzgekleidete.
Wir haben vor, die Ausgrabungsstätte zu finden, jenen Ort, an dem 2007 die Skelette der drei im 18. Jahrhundert als Vampire Verdächtigten entdeckt wurden, die man offensichtlich daran hindern wollte, aus ihrem Grab zu steigen. Wir haben drei Anhaltspunkte: wir wissen, daß die Stelle an einer Moldaubiegung liegt, die sich damals außerhalb des Stadtgebiets befand; wir haben ein Bild von den Grabungsarbeiten, auf dem ein Geländer deutlich zu sehen ist,
und auf einer Website namens shroudeater.org (!) gab es die Andeutung, daß die Straße namens Plesivecka in die richtige Richtung führt.
Wir begeben uns also in Richtung Süden, den alten Stadtkern verlassend, und die Plesivecka stellt sich als Gasse heraus, in die sich am späten Nachmittag schon niemand mehr verirrt.
In der Plesivecka befand sich 1910 ein kleines Häuschen, in dem zwei Studenten der Prager Universität eine Dame entdeckten, die heute zum kostbarsten Besitz des Kunsthistorischen Museums in Wien zählt: die Krumauer Madonna, entstanden um 1400, Inbegriff der spätgotischen Madonnenfiguren vom Typus der Schönen Madonna oder auch des Weichen Stils, der im Umfeld des Prager Hofes gedieh.
Und wir entdecken im Abendlicht das Geländer, das den Platz der 3 Toten von Krumau anzeigt,
jenen Ort, durch den ein archäologischer und forensischer Beleg für die Vampirhysterie des 18. Jahrhunderts gelang.
Wer genau hinschaut, entdeckt im Gras noch Spuren der Grabung.
Rückweg durch die Plesivecka,
vorbei am Haus der Tausend Leichen, in dem wir, Rob Zombie möge uns verzeihen, Boleslav den Behämmerten vermuten,
vorbei an offensichtlich bearbeiteten Steinen von Werweißwann, die einfach so am Straßenrand liegen.
Bemalte Front des Hauses Na Louži Nr. 54, ein ursprünglich gotisches, mehrfach umgebautes Haus, die Renaissancemalerei-Verzierung stammt aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Ting Tong hat die dünnsten Plastiktüten, die er aus den Flügeln des Cellophanschmetterlings schneidet.
For Sale.
Montag, 12.09.2011
Egon Schiele, 12.6.1890 – 31.10.1918.
Schiele weilte oft und gern in Cesky Krumlov, dem Geburtsort seiner Mutter. Die Stadt inspirierte ihn zu einer Vielzahl von Zeichnungen und Bildern. Aber Schieles Bohème-Leben und die erotischen Motive seiner Kunst erregten Ärgernis; er mußte Krumau verlassen und zog nach Neulengbach, wo ihn 1912 der Schock seines Lebens traf – er wurde wegen „Gefährdung öffentlicher Sittlichkeit“ eingesperrt und angeklagt.
Am Morgen des 28. Oktober 1918 stirbt Schieles Frau Edith an der Spanischen Grippe, drei Tage später liegt Schiele auf dem Totenbett. Schieles Schwester überlieferte seine letzten Worte: „Der Krieg ist aus – und ich muß gehn.“
Zitate aus: Franz E. Wischin, Schiele und Krumlov, 2010.
„Trotz der Protektion durch den Kunstsammler Heinrich Benesch und den Kunstkritiker Arthur Roessler, die Egon Schiele Zugang zu Wiener Kunst- und Sammlerkreisen verschafft hatten, hatte Schiele immer wieder finanzielle Probleme und konnte sich nicht einmal die notwendigen Zeichen- und Malutensilien kaufen. Dazu kam noch die Rivalität und der Neid einiger Malerkollegen, von welchen ihm nur Anton Peschka und Erwin Osen als Freunde blieben. Von Wien enttäuscht beschloss er, im Mai 1910 nach Krumau zu fahren und dort ein ganz neues Malerleben zu beginnen.“
An Peschka schreibt er:
„In Wien ist Schatten, die Stadt ist schwarz, alles heißt Rezept. Ich will allein sein. Nach dem Böhmerwald möcht‘ ich.“
Im Mai 1910 bezieht Schiele Quartier in der Fleischgasse 133 (Masná ulice), Osen kam mit nach Krumau, Peschka folgt ihnen wenig später nach.
„Das extravagante Auftreten der drei Künstler aus der Großstadt erregte natürlich bei der Bevölkerung der Kleinstadt bald einiges Aufsehen. Die Jugend begegnete ihnen mit Interesse und Bewunderung. Die älteren Bürger hingegen fanden es unschicklich, wenn Schiele in weißer modischer Kleidung mit schwarzer Melone und Spazierstock mit seinen Malerkollegen Peschka und Osen am Ringplatz beim Korso zwischen den jungen Menschen einherstolzierte und sich in lauten Worten über die kleinbürgerliche Gesellschaft der Stadt ausließ oder im Café Fink, dem einzigen Café der Stadt, ungeniert seine Füße auf Sessel und Tische legte.“
„Drei Cousinen seiner Mutter Marie lebten in Krumau. Eine dieser Tanten Egons hatte eine Ziehtochter namens Ada, die im Tuchgeschäft am Krumauer Ringplatz arbeitete, wo sie einiges sehen und von den Kunden vieles über Egon hören konnte. Sie berichtete jeden Fauxpas Egons an seinen Onkel und Mitvormund Leopold Czihaczek nach Wien. Dieser war ein höherer Beamter im technischen Dienst der k.u.k. Eisenbahnen, konservativ, korrekt bis kleinkrämerisch und vollkommen verständnislos gegenüber der Berufswahl Egons. Egons Eskapaden machten ihn wütend. Drei Tage nach seiner Ankunft hatte dieser aus Krumau telegrafiert: ‚In Nöten, bitte um 40 Kronen, Egon, Krumau, Fleischgasse 133.‘ (…) Der briefliche Streit eskalierte weiter: Onkel Leopold beschwerte sich bei Mutter und Sohn Schiele über das ‚perfide Telegramm‘, dieser beantwortete das Schreiben und wurde vom Onkel mit noch mehr Zorn bedacht: ‚… für Dein bodenloses, freches, orthographisch und stilistisch miserables Schreiben – ohne Anrede und Datum, erhalten am Pfingstsonntag, wirst Du zur Verantwortung gezogen werden!’“
Es kommt zum Bruch mit dem Onkel und Vormund; Leopold Czihaczek schrieb später an seine Schwägerin Marie Schiele:
„Habe als Mitvormund alles getan, um Egon auf dem rechten Pfad zu erhalten; aber leider alles umsonst. Bodenlos freche lügnerische Briefe habe ich für meine Ermahnungen geerntet. Er führt in der letzten Zeit ein Lotterleben! An der Akademie hat er, wie ich hörte, einen ‚Wirbel‘ gemacht. Unter seinen Kollegen detto. Und glaubt auch seinen Vormund traktieren zu können. Aber da hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er wird schon sehen, ob die Bäume in den Himmel wachsen.“
In Krumau sucht Schiele immer wieder die Sicht auf Motive von erhöhten Punkten aus:
„Er suchte die Galerie auf dem Schlossturm oder die Anhöhen rings um die Stadt auf, um von dort mit Malstift oder Pinsel ihre Eigenart und ihr Wesen zu ergründen. Vom Plateau hinter der Mantelbrücke (Pláštovy Most) beim Schlosstheater bot sich ihm die Sicht hinunter zum Moldaubogen entlang der Breiten Gasse (Široka ulice) mit der alten Stadtmühle, die 1910 das Motiv für die erste seiner Ansichten der Toten Stadt bildete (…)
1910 galt Schieles Vorliebe in der Innenstadt den alten Mauern und den ineinander verschachtelten alten Häusern, die er für seine Bilder Häuser an der Moldau, Blick auf Häuser und Dächer von Krumau, Alte Stadt, Tote Stadt, Krumau bei Nacht, Blick über Dächer auf Häuserfassaden des Krumauer Ringplatzes oder Dämmernde Stadt als Motive wählte.“
Schieles Mutter Marie und seine Schwester Gerti kommen zu Besuch; Gerti lernt Peschka kennen, den sie 1914 heiratet.
Schiele, Peschka, Osen:
„Am liebsten suchten sie aber den Hofgarten oberhalb des Schlosses auf, wo der riesige Park in französischem Stil des 18. Jahrhunderts mit seinem Rokoko-Lustschloss Bellaria, den Wasserfontänen und dem Schwanenteich – von Schiele in seinen Notizen Parksee genannt – zu Spaziergängen einlud. Auf Spaziergängen kamen die drei auch den jungen Mädchen und Frauen der Stadt näher und Schiele versuchte mit mehr oder weniger Erfolg, sie zum Modellstehen zu überreden.“
„Es scheint, als habe sich Schiele damals in Krumau zeitweise recht wohl gefühlt und mit dem Gedanken gespielt, sich ganz in Krumau niederzulassen, was aber Peschka immer bezweifelte. Als Schiele und Peschka wieder einmal im Goldenen Engel saßen, nahm Schiele ein Stück Papier und schrieb:
„Ich bestätige, daß ich auf Jahre hinaus, vielleicht immer in Krumau wohnen will – dort, wo ich mich Selbstsehen will. Egon Schiele.“
Anton Peschka drehte das Blatt um und schrieb auf die Rückseite:
„Diese Bestätigung schrieb Schiele in Krumau nach einem Gespräch, in welchem ich bezweifelte, daß er dort bleiben will. 1910.“
„Wie wohl ist aber der Herbst in diesem Windwinterland!“ – Schiele im Oktober 1910 an Roessler.
Im Frühjahr 1911 wurde die 17jährige Wally Neuzil, ein ehemaliges Klimt-Modell, Schieles Lebensgefährtin. Der Gymnasiast Lidl, den Schiele bei seinem ersten Aufenthalt in Krumau kennengelernt hatte, schrieb an Schiele, daß er versucht habe, eine passende Wohnung mit Atelier in Krumau für Schiele aufzutreiben. Lidl fand schließlich eine Stadtwohnung im Parkán 111 und ein Gartenhäuschen an einem Steilhang mit Terrassen. Besitzer des Häuschens war Max Tschunko, ein Textilwarenhändler und Kunstliebhaber. Lidl traf unermüdlich Vorbereitungen, um die Wohnung im Parkán und das Gartenhaus bezugsfertig zu machen. Der 19jährige war ein glühender Bewunderer Schieles, verfaßte auch einen Essay über Schiele.
Schiele kommt im Mai 1911 nach Krumau. Durch Tschunkos Entgegenkommen darf er das Gartenhaus unentgeltlich nutzen, was seine finanziellen Schwierigkeiten aber kaum lindert. Trotzdem ist er optimistisch und – glücklich. In einem Brief an Peschka heißt es:
An Peschka. Die alten Häuser sind so durchwärmt von der Sienaluft, überall gibt es sonnenverbrannte Rouleaus, weiß, rot und dazu spielt zuzelig eine alte Drehorgel, – der große schwere Jahresrock des blinden Musikanten ist altgrünbraun, geschossen und abgeschunden. – Ich rufe Dich, um Dir all das Vergönnte zu zeigen; da lachen große und kleine Kinderaugen herein und sprechen laut von mir. Oben im Garten gibt es alle Grüns und menschenähnliche Blumen. Draußen in einer Farbenwiese sind farbige Gestalten zerschmolzen, braune buschige Bauern am braunen Weg und gelbe Mädchen in der Maiblumenwiese. Hörst Du? Im Blätterbaum sitzt ein inniger Vogel, er ist dumpffarbig, er rührt sich kaum und singt nicht, – tausend grüne Blätter spiegeln sich in seinen Augen – er weint.
„Allein Schieles Zusammenleben mit Wally sorgte schon für Entrüstung, ebenso dass sie ihm im Gartenhaus Modell stand. Dass er dafür auch Krumauer Mädchen gewinnen wollte und konnte, löste in der Kleinstadt natürlich zusätzlich Aufregung aus.“
Daß sich in dem Gartenhaus am Moldauufer der junge Maler aus Wien, den man schon aus dem Vorjahr kannte, mit seiner rothaarigen Freundin niedergelassen hat, spricht sich in der Kleinstadt schnell herum und lockt junge Besucher an. So schreibt Schiele bereits am 25. Mai an Arthur Roessler:
Ich heiße bei den Kindern der Herrgottsmaler, weil ich in diesem Malhemd im Garten gehe; ich zeichne an verschiedenen Kindern und alten Frauen, Ledergesichtern, Trotteln usw. es ist hier wirklich viel besser, am besten daß ich nichts über mich hören brauche.
Schieles Krumauer Sommer ist produktiv, die Freude des Krumauer Sommers „ … war aber nicht ungetrübt, das Moos, wie Schiele das Geld nannte, fehlte ständig, trotz aller Hilferufe an seine Freunde und Gönner in Wien. In Krumau selbst gab es kaum Interessenten und Käufer für seine Bilder und Zeichnungen, weil seine Darstellungsweise natürlich nicht der Kunstauffassung der Krumauer Bürger entsprach. Noch weniger konnte er hier seine Aktstudien und Aktbilder verkaufen. Trotz dieser Situation zeigte sich Schiele immer nobel, besuchte Gasthäuser oder das Café Fink, wo er mit Zechschulden in der Kreide stand. Im Café soll er mit den Worten: ‚Herr Ober, bringen Sie den Damen Stühle!‘ junge Mädchen zum Bleiben animiert haben, nicht immer mit Erfolg. Natürlich waren Schiele und seine Freundin Wally, mit der er ja offensichtlich unverheiratet zusammenlebte, mit ihrem großstädtischen Auftreten eine Attraktion und Anlass für jede Art von Tratsch und Gemunkel. Trotz der Äußerungen über Schiele und seine Lebensweise, die es in der Stadt sicher hinter vorgehaltener Hand gab, hatte sich Schiele bis Ende Juli in Briefen nie über eine feindliche Stimmung geäußert. Umso dramatischer erscheint sein Schreiben an Arthur Roessler am 31. Juli:
Sie wissen, wie gern ich in Krumau bin und jetzt wird es mir unmöglich gemacht: die Leute boykottieren uns einfach, weil wir rot sind. Freilich könnte ich mich dagegenstellen, aber die Zeit habe ich nicht dazu und wozu (sich) auf die Art ausgeben. Das Übrige kann ich Ihnen erst erzählen. Ich muss bis 6. August ausgezogen sein und will aber schon am 4. Fortfahren und zwar nach Neulengbach (…)
„Otto Kallir meint, dass Schiele der Aufenthalt in Krumau unerträglich geworden sei, weil seine freie Lebensweise und die Wahl seiner Modelle für Aktstudien bei der kleinbürgerlichen Bevölkerung Anstoß erregte. Ähnlich macht auch Rudolf Leopold den Umgang Schieles mit jungen Mädchen, die er für Aktstudien Modell stehen ließ, und seine Lebensgemeinschaft mit Wally dafür verantwortlich, dass ihm offene Feindseligkeit entgegenschlug und er aus Krumau fortgehen musste.“
„Die Aussagen über Schieles Lebensweise scheinen alle mehr oder weniger der Wahrheit zu entsprechen. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, dass die Bürger Krumaus auf die Barrikaden gestiegen wären und die Ausweisung Egon Schieles und seiner Lebensgefährtin verlangt hätten. Dass sich ihm einige enthusiastische Gymnasiasten als begeisterte Anhänger der Moderne angeschlossen hatten, schlug sich auch darin nieder, dass zwei der 25 Maturanten des Krumauer Gymnasiums im Jahr 1911 freischaffende Künstler werden wollten.“
„Roessler irrt sich aber auch, wenn er meint, Schieles politischer Radikalismus sei der Grund gewesen, warum man ihn aus der Stadt vertrieben habe. Von Schiele sind keine parteipolitischen oder radikal politischen Äußerungen bekannt. Der Vorwurf, ein ‚Roter‘ zu sein, beinhaltete in der Monarchie ja noch nicht die Gleichsetzung mit einem parteipolitischen Bekenntnis, sondern galt im Volksmund als Synonym für antiautoritär, fortschrittlich, freizügig und unkonventionell. Eigenschaften, die auch auf andere Stadtbewohner zutrafen, ohne dass man sie dafür behördlich verfolgen konnte. Eine Ausweisung, einen Stadtverweis oder eine ähnliche behördliche Zwangsmaßnahme hat es in Krumau gegen Schiele nicht gegeben, weil eine solche Maßnahme in der Monarchie weder strafrechtlich noch verwaltungsrechtlich vorgesehen war.“
„Tatsache ist, dass sich im Terrassengarten neben dem von Schiele bewohnten Gartenhaus ein Vorfall ereignete, der den Hausbesitzer Max Tschunko veranlasste, von Schiele und seiner Freundin binnen acht Tagen die Räumung zu verlangen. An einem schönen Tag Ende Juli hatte sich Schiele in seinem Terrassengarten niedergelassen, wobei ihm ein junges Mädchen aus Krumau, Liesl Woitsch, vor einem blühenden Rosenstrauch Modell stand. Den Terrassengarten oberhalb des Gartenhauses, der auch Max Tschunko gehörte, hatte die Familie des Postpferdehalters Pollak gepachtet. Paula Pollak, die Tochter der Familie Pollak, besuchte an diesem Tag den Garten und hatte, indem sie auf den unteren Terrassengarten hinunterblickte, den besten Ausblick auf die Szenerie. Empörend für Paula Pollak war nicht nur den Anblick eines nackten Mädchens in einem von drei Seiten einsehbaren Gelände, sondern auch die Tatsache, dass sie in dem jungen Mädchen die Tochter ihrer Nachbarn erkannte. Nun waren alle Voraussetzungen für einen Skandal erfüllt und Hausbesitzer Tschunko musste sich Vorwürfe aus der gesamten Nachbarschaft anhören. Diesem Druck war selbst dieser kunstverständige Mann nicht gewachsen, zumal ihm aus der Umgebung dringend nahegelegt wurde, Schiele und seine Freundin baldigst von seinem Grundstück zu entfernen. Nach diesem stadtbekannten Skandal konnte Schiele in der Folge auch kein Ersatzquartier in der Stadt mehr finden, daher wird die Klage verständlich, dass er und Wally boykottiert werden.
Der Hinauswurf durch Max Tschunko war für Schiele gleichbedeutend mit der Vertreibung aus Krumau überhaupt. Dass Schiele über den Vorfall in seinem Garten, den eigentlichen Grund seiner Vertreibung, in Briefen keine Worte verliert, hat wohl damit zu tun, dass für ihn die Arbeit mit nackten Modellen seit seiner Akademiezeit zu seinem selbstverständlichen Alltag als Künstler gehörte. Ähnlich zurückhaltend hat er sich auch später in der Neulengbacher Affäre nach seiner strafrechtlichen Verurteilung verhalten. (…) Dem Gericht in St. Pölten genügte für eine Verurteilung (…) allein schon die Tatsache, dass Schiele in seinem Wohnzimmer in Neulengbach ein aus Krumau mitgebrachtes Aquarell eines Mädchenaktes an der Wand hängen hatte. Die Strafbarkeit hatte das Gericht damals darin erblickt, dass Kinder, welche öfters aus Neugierde in seine Wohnung und sein Atelier gekommen waren, die Möglichkeit hatten, das Aktbild zu sehen.“
Egon Schiele verließ noch vor der von Max Tschunko eingeräumten Frist die Stadt Krumau. Einen Tag nach seiner Ankunft in Wien, wo er vorerst bei seiner Mutter Quartier bezog, schrieb er an Arthur Roessler:
Ich will nicht an Krummau denken, so lieb hatte ich die Stadt, aber die Leute wissen nicht, was sie tun.
Nach seinem Weggang ist Schiele noch mehrfach wieder zurückgekehrt, so im Mai und Juni 1913 und im November 1914:
„Da logierte er im Gasthaus zum Goldenen Engel am Ringplatz, dessen Pächter Hessina Schiele von früher gut kannte.“
1917, ein Jahr vor seinem Tod, war Schiele das letzte Mal in Krumau.
„Er hatte sich inzwischen von seiner Freundin Wally getrennt und unmittelbar vor seiner Einberufung zum Militär im Juni 1915 Edith Harms, die er schon längere Zeit verehrt hatte, geheiratet. (…) So nützte er auch im September 1917 einen Urlaub für einen Abstecher mit seiner Gattin nach Krumau. Ausgestattet mit Pinsel und Zeichenstift stieg er wieder die zahllosen Stufen des Krumauer Schlossturms hinauf, wo er 1910 und 1911 viele seiner Krumauer Stadtbilder ‚von oben herab‘ gezeichnet und gemalt hatte. Diesmal, als letzte Erinnerung, das Kleinformat Krumau 1917, ein Blick hinunter zum St. Jodokusgebäude und die Zeichnung Alte Giebelhäuser in Krumau, welches die Renaissancefassade des Bürgerhaus Latran 19 zeigt.“
Arthur Roessler 1911:
„Schieles Malereien enthalten nicht viel von der beliebten ‚fein säuberlichen‘ Ausführung, von der gepriesenen Naturwahrheit, keine moralische Tendenz, nichts gegenständlich Anmutendes. Weder das Bürgertum noch die Aristokratie finden ihr Herz durch Schieles Bildwerke bewegt, ihren Geist natürlich erst recht nicht, kaum die Sinne. Er steht außerhalb der Gesellschaft, ein ‚Einsamer‘.“
„Arthur Roessler hat dem Maler einmal in einem Gespräch vorgehalten, dass über all seinen wohl starkfarbigen, zum Teil aber dennoch dumpfdüsteren Städtebildern – die mehr oder minder unheimlich anmutenden, vom blutwarmen Leben entleerten Behältern gleichen – eine eigentümliche Schwermutsstimmung liege.“
Schieles Antwort, nach Roessler:
„Mit zuweilen oft übermütig heiterem Sinn ging ich auf die Suche nach Trauer und Verlassenheit, sterbenden Städten und rotsiechenden Landschaften.“
Schiele erklärt weiter, daß er den Herbst schöner finde als jede andere Jahreszeit:
„Wohl liebe ich auch den Frühling, dessen herber Zauber uns, von der Ahnung eines fremdartigen Glücks beseligt, durchbeben läßt, der nicht von dieser Welt zu sein scheint; noch mehr aber liebe ich den Herbst – und nicht nur als Jahreszeit, auch als Zustand der Menschen und Dinge, also auch der Städte (…) Die vegetative Melodie, von der im Herbst die Natur umsponnen erscheint, haucht auch aus alten Mauern und füllt das Herz mit Wehmut und mahnt uns daran, daß wir nur Pilger sind auf dieser Erde.“
Schiele über seine Methode, in Krumau von oben herab in die Tiefe zu schauen:
„Das hat sich in Krumau so aufgedrängt. Dort lernt man die Welt von oben herab zu betrachten (…).“
Otto Benesch, 1915: „Diese Städte sind so rein, so unberührt von den häßlichen Zufallswucherungen da, wie sie nur in der Vorstellung eines Ungewöhnlichen existieren (…) Weit muß man zurückgreifen, um jenes Dunkle, Unwirkliche und doch sehr Reale, Eindringliche der stummen, schlafenden Städte wiederzufinden (…)“
Vom Budweiser Tor in Krumau gibt es eine Farbkreidezeichnung Schieles von 1906, entstanden rund einen Monat vor Schieles Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie; die früheste bekannte Landschaftsdarstellung Schieles.
1908 entstand ein Ölbild vom Budweiser Tor. Das Budweiser Tor ist das einzige noch erhaltene Stadttor von Krumlov.
Der Ritterorden der Kreuzherren mit dem roten Stern erwarb einen Teil des Areals, auf dem 1350 ein vereintes Kloster von Minoriten und Klarissinnen mit einer gemeinsamen Kirche gegründet wurde. Auf einer Bleistiftzeichnung von 1913 dient Schiele die Klosteranlage als Motiv, und zwar so, wie sich ihm der Anblick vom Schloßturm herab bot. Tür der Klosterkirche:
Im Haus der Fürstlich Schwarzenbergschen Schloss-Apotheke links der Eingang zu einem „Shop with Minerals“, Madame erwirbt Böhmischen Granat.
Im Haus Latrán 37 lebte zwischen 1573 und 1588 der Schloßhauptmann mit dem phantastischen Namen Slatinsky von Slatinka, aber wer unter der Budweiser-Werbung hindurchgeht, folgt auch Egon Schieles Spuren; Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich dort das Café Fink, in dem Schiele sein „Herr Ober, bringen Sie den Damen Stühle!“ vernehmen ließ.
Hausfront Latrán 39: der „Rosenberger Reiter“. Die Rosenberger verwendeten dieses Motiv sehr oft, z.B. bei Siegeln, Buchzeichen, als repräsentatives Zeichen an Fassaden, schließlich auch als das Hauptmotiv ihrer Grabstein-Epitaphe.
Der von Quentin Tarantino produzierte Splatterfilm „Hostel“ von 2005, in dem auch Takashi Miike einen Cameo-Auftritt hat, wurde zum Teil in Cesky Krumlov gedreht; das im Film gezeigte Foltermuseum existiert hier tatsächlich, das Museum Tortury.
In den Ecken sitzen sinistre Mönche, ein Barbara Steele-lookalike-Mannequin wird als Hexe verbrannt, Audioeffekte inbegriffen, Folterinstrumente und Totenschädel galore.
Wir besuchen das Egon Schiele Art Centrum, Široká 71, in den Renaissance-Räumen einer ehemaligen Brauerei, phantastische Gewölbe, Balkendecken. Dokumentation zu Leben und Werk Schieles. Die Traueranzeige für Edith. Schieles Totenmaske – lange Wimpern. Seine schöne Handschrift in den Briefen. Möbel aus Schieles Nachlaß, zum Teil von ihm selbst entworfen. Das lackschwarze Bett. Die berühmten Schiele-Photos von Anton Trcka, die magischen Posen. Überhaupt all die wunderbaren Photographien, Schiele als Kind, als Jüngling, seine schönen Schwestern, Elvira, Melanie, Gertrude. Elvira, die älteste, starb im Alter von 10 Jahren; Gerti, von Schiele mehrfach porträtiert, gehörte zu den ersten Wiener Mannequins.
Es gibt einen Film zu sehen von 1994, Presenter ist Serge Sabarsky, der Expressionismus-Sammler, der auch bedeutend zum Aufbau des Schiele Art Centrum in Cesky Krumlov beitrug. Sabarsky erzählt in diesem Film, wie Schiele als psychopath, sex maniac or at least a pornograph rezipiert wurde. Spricht von the clarity of his message, the sincerity of his language.
Schieles Vater war station master des Bahnhofs von Tulln, Egon liebte alles, was mit railway zu tun hatte.
„You have to study the Academy in order to forget it.“
Die Bilder, die Schiele während seiner Inhaftierung in der Gefängniszelle von Neulengbach schuf, erschütternde Dokumente einer gemarterten Seele.
NICHT GESTRAFT SONDERN GEPEINIGT FÜHL ICH MICH
DIE EINE ORANGE WAR DAS EINZIGE LICHT
KUNST KANN NICHT MODERN SEIN KUNST IST UREWIG
DIE TÜR IN DAS OFFENE!
DEN KÜNSTLER HEMMEN IST EIN VERBRECHEN, ES HEISST KEIMENDES LEBEN MORDEN!
ICH WERDE FÜR DIE KUNST UND FÜR MEINE GELIEBTEN GERNE AUSHARREN!
… aber was -> hier an Verzweiflung, Angst, Schmerz, Müdigkeit und Halbwahnsinn in Schieles Gesicht eingegraben ist…
Ein anderes Selbstbildnis, das Schiele im Gefängnis von Neulengbach zeichnete, beschriftet mit:
ICH LIEBE GEGENSÄTZE.
Zwei Proletarierkinder und Zwei Gassenbuben von 1910: „An Modellen für seine Zeichnungen und Bilder von Kindern und Jugendlichen scheint es keinen Mangel gegeben zu haben, wie die Vielzahl solcher Darstellungen aus diesen beiden Jahren beweist: Gassenjunge, Proletariermädchen, Arbeiterjunge, Bauernjunge sind Beispiele aus einer großen Zahl posierender Kinder.“
Schieles Bilder von Krumau, Traumvorstellungen einer von jeder Kommunikation abgeschlossenen Stadt, Schiele selbst nennt sie zuweilen Inselstadt.
Einen Absatz höher: die Ausstellung „Heights of Fashion – A History of the Elevated Shoe“.
Wir lernen: „Throughout its history in Western fashion, the high heel has been used to enhance stature, status, and sex appeal.“
Indicator of wealth, status, privilege, Indikator auch für pursuit of private pleasures. Ende des 19. Jahrhunderts ist der hohe Absatz schließlich clear signifier of the female gender, und derart sexuell aufgeladen, daß junge Mädchen keine Absätze mehr tragen dürfen.
Madame tätigt ihren Großeinkauf bei Botanicus, dann Gulasch & Semmelknödel, the real gourmet shit of Bohemia, direkt gegenüber im Goldenen Engel, Zlaty Andel, also ebendort, wo Schiele für Peschka auf ein Blatt Papier schrieb: „Ich bestätige, daß ich auf Jahre hinaus, vielleicht immer in Krumau wohnen will – dort, wo ich mich Selbstsehen will.“ Allerdings, the weather is so fine, sitzen wir draußen, beobachtet von einer schlauen Maus, die sich im Mauerwerk bei den Tischen eingenistet hat. Sagte ich schon, daß auch Rilke von Krumau fasziniert war?
St. Veit. Die Nepomuk-Kapelle. Unter diesem roten Teppich befindet sich das Grab der „Vampirprinzessin“, Eleonore von Schwarzenberg.
In einem Antique Shop halte ich die ganze Zeit dieses kleine Blechdöschen mit alten Schreibfedern in der Hand, schließlich erläßt mir der Inhaber ein Siebtel, als ich erzähle, daß ich einen Roman mit diesen Dingern geschrieben habe.
Madame erwirbt schwarze Knöpfe, in einem anderen Antikladen alte Keksformen, Zeit für einen Trdlnik, der Dorfdepp pfeift.
Renaissanceportal des Hauses Siroka Nr. 77. Von 1588 bis 1592 lebte hier der Magister Michael Anton von Ebersbach, der als Alchemist am Hofe des Krumauer Herrschers Wilhelm von Rosenberg tätig war. 1592 wurde Ebersbach wegen finanzieller Betrügereien in das Schloßgefängnis geworfen, 1593 starb er im Kerker.
Auf der ganzen Reise sind Reiseleiter not amused, wenn wir Freddie irgendwo postieren oder Birgit ihn am Faden hält, weil sich das Interesse der Reisegruppe jedes Mal um 90° wendet. Im 3. Schloßhof nun, als Madame Freddie gerade am ausgestreckten Arm hält und ich auf den Knien den richtigen Winkel suche, um den Arm nicht im frame zu haben, bemerke ich hinter mir einen ganzen Pulk Japaner, die alle fasziniert und angeregt ihre Kameras auf die sehr blonde, sehr blasse, sehr schlanke Frau richten, die gerade im Schloßhof steht und eine Stoff-Fledermaus am Band in die Höhe hält. Sie lächeln sehr japanisch und nicken eifrig, photographieren und filmen die Szene. Wir grinsen also alle, und ich verständige mich ein bißchen mit ihnen, einer Dame zeige ich schließlich das Bild von Freddie, das ich gerade gemacht habe. Sie schaut sich das an, deutet dann aber auf Birgit und sagt:
„She pretty, SHE pretty!“ Tja, damn.
Vom Gardeplatz im Krumauer Schloß gelangt man über zwei Innenhöfe und über die Mantelbrücke auf das Plateau vor dem Schloßtheater. Von dort aus geht es weiter zu einem schmiedeeisernen Tor und über einen steilen Weg zum Schloßgarten. Kurz hinter diesem Tor liegt der Standort, von dem aus Schiele einen bevorzugten Blick auf die Häuser und Dächer von Krumau fand. Im Schloßgarten, den Schiele so liebte, steht das 1755 – 1757 im Rokokostil erbaute Lustschloß Bellaria, von leicht bröckelndem Charme.
Bellaria von der anderen Seite
Im Schloßgarten
Kaskadenfontäne mit Amphitrite
1910 schrieb Anton Peschka auf einer Karte an Gerti, die schöne Schwester Egon Schieles:
„Liebes Fräulein! Krumau bekommt jetzt ein Aeroplan! Sie werden bald in den Zeitungen lesen davon. Das Komitee besteht aus den Herren Tschunko, der alles konstruierte, Maler Tupy und meine Wenigkeit, welche alles zusammenschraubten, Egon, der die Flugversuche macht und Herren Hessina und Fink, welche sonstwie mithelfen. Samstag wird der erste Flugversuch stattfinden. Wir hoffen das Beste. Egon wird mit Luftpolstern an den Apparat angebunden. Es wird ihm gar nichts geschehen. Viele Grüße an Mama! Ihr Freund Ant. P.“
Das Flugprojekt scheiterte kläglich, der Apparat brach schon beim Transport auseinander.
Meist war es Schieles Freund Erwin Osen, der vor den allegorischen Statuen des Schloßparks pantomimisch posierte.
Zwar kann man mit einem weiteren Bio-Eis der Mönche von St. Peter wieder halbwegs zu sich kommen, so daß man ihnen auch noch Weihrauch abkaufen kann, aber wir verschwinden gleich wieder in Dunkelheit und einem weiteren What a place. Die Katakomben.
Die in die Felswand des Mönchsberges gemeißelten Gänge, Treppen und Höhlen, vermutlich etwa 1700 Jahre alt, werden seit dem 19. Jahrhundert als „Katakomben“ bezeichnet. Es heißt, sie dienten als frühchristliche Versammlungsorte; später als Eremitorium. 48 Stufen zur Gertraudenkapelle, die 1178 dem 8 Jahre zuvor ermordeten Thomas Becket geweiht wurde, Freskenreste zeigen sein Martyrium. In der Mitte des Raumes ein romanisch-gotischer Pfeiler, der im 17. Jahrhundert hier aufgestellt wurde, sechs Rundbogennischen an der Bergseite.
Erzbischof Konrad III., der die Gertraudenkapelle dem heiligen Thomas Becket geweiht hat, war mit dem Erzbischof von Canterbury persönlich befreundet.
Man steigt weiter die abgenutzte, halsbrecherische Treppe hinauf zur Maximuskapelle, dem höchstgelegenen Raum der Katakomben, 1172 geweiht. Die Maximushöhle war früher nur über einen schmalen Felssteig zugänglich. Es gibt ein Bogengrab hier, das Einsiedlermönchen später als steinerne Liegestatt diente. Die Inschrifttafel aus dem 16. Jhdt. berichtet die Legende des Maximus, der hier im Jahre 477 mit seinen Gefährten den Märtyrertod erlitten haben soll, dessen Gestalt aber nicht historisch belegt ist. Wer diese „Katakomben“ wirklich schuf, wann, warum – who knows.
Michael Haydn, Josephs Bruder und Freund Mozarts, schrieb während seiner 43 Jahre in Salzburg 360 sakrale und weltliche Kompositionen. Er ist in der Commungruft beim Aufgang zu den Katakomben bestattet. Anläßlich einer der Gruftleerungen, die in regelmäßigen Abständen stattfanden, beschaffte sich Michael Haydns Witwe den Schädel ihres verstorbenen Gemahls und stellte ihn neben ihrem Bett auf.
Sehr nah bei der Commungruft befindet Freddie: „Wir können hier anhalten. Das ist Fledermausland.“
Ein Restaurator, der auf einem Gerüst über dem Nannerl arbeitet, sieht zu, wie Freddie sich in Szene setzt, wir bemerken ihn erst, als er amüsiert schnaubt.
St. Peter ist eine ursprünglich romanische Kirche, deren Innenraum 1760 / 1766 komplett mit Stuck im Rokoko-Stil überzogen wurde. Mozarts 1782 / 1783 komponierte Große Messe in c-moll wurde hier, unter diesem Weiß und Hellgrün, zum ersten Mal aufgeführt.
Über die Holzmeister-Stiege den Mönchsberg hinauf, um die nächste Trakl-Tafel zu finden.
Der Mönchsberg gehörte zu Trakls Lieblingswegen. Als Trakl begonnen hatte, sich mit Chloroform und Rauschgiften zu betäuben, fanden Freunde den in Schlaf Gefallenen einmal halberfroren auf dem Kapuzinerberg.
Vom Mönchsberg aus sah er dies.
Wir überqueren noch einmal die Salzach und begeben uns zum Sebastiansfriedhof. Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau hat hier Ende des 16. Jahrhunderts, als Ersatz für den aufgelassenen Domfriedhof, einen bereits etwa hundert Jahre alten Gottesacker zu der quadratischen Anlage in der Art eines italienischen Campo Santo umgestalten lassen, die wir noch heute sehen.
Im Durchgang zwischen Sebastianskirche und Friedhof begegnet man zunächst Theophrastus Bombastus von Hohenheim, a.k.a. Paracelsus, a.k.a. möglicherweise die wahre Identität des Christian Rosenkreutz (ein anderer Kandidat ist Francis Bacon). Seine Gebeine sind hinter einem Bildnismedaillon beigesetzt, die alte Grabplatte – Paracelsus starb 1541, nicht nach einer Rauferei im Wirtshaus Zur rostigen Pechpfanne, sondern vermutlich schlicht an Quecksilbervergiftung – wurde 1752 in das Obelisk-Monument integriert.
„Hier ruht Philippus Theophrastus Paracelsus, ausgezeichnet als Doktor der Medizin, der jene grässlichen Krankheiten Aussatz, Zipperlein, Wassersucht durch seine wunderbare Kunst heilte, seine Habe und Gut unter die Armen verteilen ließ und im Jahre 1541, am 24. September, sein Leben mit dem Tod vertauschte.“
Stanzerl ehelichte ihren zweiten Mann, Georg Nikolaus von Nissen, im Dom von Bratislava. Leopold Mozarts Grab befindet sich vermutlich nicht neben Constanze, sondern in der „Kommune-Gruft“. Das Mädchen, das, like me, an einem 22. März geboren ist und im Alter von 16 Jahren starb, Jeanette Berchtold zu Sonnenburg, war die Tochter von Mozarts Schwester Nannerl.
Einer der Arkadengänge mit den Gruftnischen
In der Mitte der Friedhofsanlage ließ Wolf Dietrich sich mit der Gabrielskapelle ein sehr edles Mausoleum errichten. Wir können leider nur hineinspähen. Wolf Dietrich von Raitenau starb 1617 nach fünf Jahren Festungshaft an den Folgen eines epileptischen Anfalls.
Seit 1879 ist auch der Sebastiansfriedhof aufgelassen, ein Platz für ungestörten Geistertanz.
Etwas leicht Verstörendes und Beunruhigendes liegt in der verwunschenen Atmosphäre des Sebastiansfriedhofes. Man kann es nicht recht greifen.
In der Linzergasse traf sich um 1904 – 06 jeden Monat der erste literarische Zirkel, dem Trakl angehörte. Berger-Bräu, sieben Teilnehmer, Trakl, „… der fruchtbarste und sonderlichste“, erarbeitet sich den Ruf eines poète maudit. Aber Adolf Schmidt, ein Freund des Dichters aus der Gymnasial- und Praktikantenzeit, sagte über eine lyrische Skizze Trakls auch: „Er zeichnete darin die scheidenden Sonnenstrahlen, die sich durch ein Geranke von wildem Wein vor einer Glasveranda stehlen. Ich glaube heute noch das Spiel der Sonnenstrahlen zu sehen, die das gewürfelte Tischtuch und den Wein in den Gläsern vergoldeten.“
In der Linzergasse, nicht weit vom Sebastiansfriedhof, befand sich auch die Apotheke „Zum weißen Engel“. Hier trat Georg Trakl nach seinem Schulabgang im September 1905 als Praktikant ein. In dieser damals schon sehr alten und noch sehr stillen Apotheke versah Trakl, wie es heißt, seinen Dienst gewissenhaft. Aber der Keller der Apotheke bot ihm leichten Zugang zu Rauschgiften und Narkotika. Neben der heutigen Apotheke erinnert eine Gedichttafel mit „Im Dunkel“ an Trakls Zeit hier.
Nachdem seine Sympathie für die aufständischen Bauern Paracelsus 1525 in Teufels Küche gebracht hatte, floh er überstürzt aus Salzburg. Erst 1540 kehrte er zurück und verbrachte im Haus Platzl 3 sein letztes Lebensjahr.
Ein ganz schwacher Druck ihrer Hand. Ich sagte: Geh schlafen, Mama. Wenn du Papa siehst, dann geh. Das war das letzte, was ich ihr sagte im Leben. Ich ging in die Mitternachtsmesse. Seit 1000 Jahren nicht mehr in einer Messe. Was der Pastor sagte, ging an mir vorbei. Ich fragte mich, was redet der da. Ich starrte Jesus am Kreuz an und dachte: Jesus, nur du und ich. Du kennst dich aus mit Leiden. Ich bin da nur hingegangen, weil ich jemanden finden wollte, der meiner Mutter Frieden schenkt. Ich mußte weinen, als die Gemeinde „Stille Nacht, Heilige Nacht“ sang, weil ich so an meine Kindheit denken mußte. Meine Mutter Maria wurde in einem Ort namens Arnsdorf geboren. Einer der Komponisten von „Stille Nacht, Heilige Nacht“, Franz Xaver Gruber, unterrichtete in einem anderen Arnsdorf, in der Nähe von Salzburg. Gruber ehelichte ein Mädchen aus Arnsdorf mit Namen Maria. Das von Gruber vertonte Gedicht „Stille Nacht, Heilige Nacht“ stammte von Joseph Mohr. Er schrieb es 1816. An seinem Geburtshaus in der Salzburger Steingasse Nr. 9 ist eine Gedenktafel für Mohr zu sehen. Und hier sind wir, in der Steingasse, und ich sehe diese Tafel an und danke meiner Mutter dafür, daß ich am Leben bin. Again. Because life is such a fucking miracle.
Es gab zu Trakls Zeit zwei „Etablissements“ in Salzburg, in der Judengasse (wohin Trakl die Krapfen brachte) und in der Steingasse. Trakl, ein Dostojewskij-Verehrer, sympathisierte, so Basil, schon deshalb mit den „Dirnen“, weil sie zu den Erniedrigten und Beleidigten gehörten. Schulkameraden bestätigen jedenfalls, daß Trakl, welcher Impuls ihn auch treiben mochte, häufig im „Freudenhaus“ war. In der Steingasse gibt es noch immer das „Maison de Plaisir“. Dies ist der Weg dorthin.
Altrosa, steingrau, marmorblaß, kaisergelb, kupfergrün – der letzte Weg durch die „Nachtschmetterlingsfarben“ (Basil), Prunkstadt leiser Schwermut, Sebastian im Traum, Stefan Zweigs Schlößchen am Kapuzinerberg, Sternstunden der Menschheit, Morgenlied und Totentag, Wolf Dietrich träumt in der Mitte des Sebastiansfriedhofes, der Tod trägt die Knochen im Rückenkorb zum Beinhaus, Zauberwelt der Marionetten, Helmut Berger macht das Licht aus.
Sonnabend, 10.09.2011
Mit dem Zug „Die österreichischen Rechtsanwälte“ nach Linz, dann mit dem Zug nach Budejovice durch 30°, durch Orte mit „Gemischtwarenhandlung“, durch St. Gröpelsdorf an der Plups, durch den Böhmerwald, der Zug ist ein echter Zug, mit Fenstern, die sich öffnen lassen, Fahrtwind, die Berge winken, in seiner Eigenschaft als blonder Erzbischof auf Inschpecktion stellt der blonde Erzbischof fest: „Da hat der Herrgott uns ja wieder einen wunderschönen Tag zusammengeklebt!“ Am Grenzübergang Summerau wird der Erzbischof aufgehalten, weil er sich weigert, der hungernden Bevölkerung den letzten Müsliriegel zur Verfügung zu stellen. Es kommt zum Massenaufstand. Darüberhinaus provoziert Seine Eminenz die Bevölkerung mit Gaukelbildern und Phantasmagoreyen.
Auch bei einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h ist das Unverständlichste am Universum im Grunde, daß wir es verstehen können.
Abblätternder Putz am Bahnhof von Budejovice und den Rumpelzug nach Krumlov entdecken wir erst in letzter Minute am weltabgeschiedenen Ende eines Bahnsteigs.
Krumlov selbst hat dann (sozusagen) gar keinen Bahnsteig mehr, wo die wilden Gräser wachsen, folgen wir erstmal den anderen Aussteigenden, bis die anderen Aussteigenden uns folgen. Auf dem (sozusagen) Bahnhofsvorplatz suchen die internationalen Gäste, keiner des Tschechischen auch nur annähernd mächtig, nach Weg und Sinn, beobachtet von Einheimischen, die im (sozusagen) Wirtshaus gegenüber vom (sozusagen) Bahnhof vermutlich Wetten darauf abschließen, wer als erster auf den Trick kommt. Die ersten nehmen das einzige Taxi. Weiter hinten steht ein schläfriger Bus, aber auf dem Bus steht nichts, was ein Licht aufgehen ließe. Eine Japanerin wagt sich hinein, hält dem Busfahrer einen Reiseführer hin, der nickt stumm. Das probiere ich dann auch, und es stellt sich heraus, daß der Busfahrer einfach stoisch alle reinnickt. Er fährt also irgendwohin und hofft für uns alle das Beste.
Es stellt sich weiterhin heraus, daß wir in Serpentinen Richtung Zentrum hinabrollen, und da ich ungefähr weiß, welches die Straße namens Chvalšinská sein müßte, finden wir den rechtzeitigen Ausstieg, wandern noch eine hoffnungsvolle Meile, biegen dann wie vorgesehen links in den Wald ab, stehen schließlich vor der Pension Vodotrysk und werden, dem Himmel sei Dank, auch erwartet.
Die Pension Vodotrysk: ein fast 200 Jahre altes, von der Schwarzenberg-Dynastie errichtetes Haus, deep in the woods, wunderschön renoviert. Ein junges Paar kümmert sich um alles, very friendly and helpful people. Daß man hier beim Frühstück plötzlich neben allem anderen auch noch drei Krapfen gegessen hat, kommt vor. Es ist das Privileg der Erzbischöfe, anderen die Krapfen wegzuessen.
Erster Gang hinauf zur Schloßanlage, first view & the first view down.
„Das ist die krumme Au und da wäre eine Burg schöner, als auf dem Berge der Rosen, den Ihr so lange angeschaut habt. Die Moldau macht einen Ring, dann macht sie außerhalb desselben einen zweiten verkehrten und dann noch einen größeren, der wieder verkehrt ist und an ihm stehen gerade Felsen empor.“ (Adalbert Stifter, -> Witiko)
Stifter wurde in Horni Planá (Oberplan) geboren, nur einen Katzensprung von Cesky Krumlov entfernt. „Witiko“ spielt im Böhmen des 12. Jahrhunderts; die erste schriftliche Erwähnung der Burg von Krumlov, als Sitz des Witiko, stammt aus dem Jahr 1253. Die älteste Besiedlung des heutigen Stadtterritoriums ist für 6000-5000 v.Chr. bezeugt, frühmittelalterliche Besiedlung für das 8. Jahrhundert. Die Lage des Städtchens, sein altertümlicher Zauber sind einzigartig, und die „verkehrten“ Ringe der Moldau verlangsamen auch den Strom der Zeit. Überall in den verwinkelten Gassen spürt man die mächtigen Mauern der Burg, like townsfolk zur Zeit der Eleonore von Schwarzenberg, bis jeder Augenblick etwas findet, das wie eben gerade erbaut wirkt.
Und wo „eben gerade“ Jahrhunderte zurückliegt, will Geldwechsel am Samstagnachmittag gekonnt sein. Cesky Krumlov ist UNESCO-Weltkulturerbe, ein Zeitsprung als Architektur, aber wir kommen auch für zwei Namen: die schon erwähnte Fürstin Eleonore von Schwarzenberg und Egon Schiele.
Und wer zum ersten Mal durch die Gassen wandert und die Struktur dieser Stadt von altem Ruhm begreift, droht wegen poetischer Atmosphäre zu verhungern. Wir retten uns im letzten Moment in das Cafe Le Jezz, am Flußufer gegenüber der atemberaubenden Mantelbrücke. Bestellen Strudl und Palacinka. Und sitzen in einem Bild von Egon Schiele.
Und sehen den Kanufahrten durch die Wehrschleuse zu, kleine Mutproben, die mit Applaus vom Ufer aus bedacht werden, Mädchen an Bord mit entzückendem Gekreysch, boys keep swinging, eine Hochzeitsbarke aber bleibt an einem Felsen hängen, böses Omen. While we are here, ein kurzer geschichtlicher Überblick.
1302 stirbt der Krumauer Zweig der Witigonen aus (die Linie der Grünen Rose), ihren Besitz erhält das verwandte Geschlecht der Rosenberg (die Linie der Roten Rose), ein mächtiges Geschlecht, das sich in der Folge häufig mit den böhmischen Herrschern anlegte (Wenzel IV., König von Böhmen und römisch-deutscher König, wird zweimal auf der Krumauer Burg festgehalten, 1394 und 1402). Heinrich I. von Rosenberg verlegt seinen Sitz auf die Burg Krumau, unter seinem Sohn Peter I. entstehen im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts die Obere Burg sowie die Pfarre von St. Veit.
Wilhelm von Rosenberg, Herrscher von Krumau 1551-1592, von ausländischen Diplomaten als stellvertretender König in Böhmen bezeichnet, nimmt den Umbau der gotischen Burg zu einem repräsentativen Renaissance-Schloß vor. Auch die alten gotischen Stadthäuser bekommen neue Fassaden; zu dieser Zeit leben in Krumlov ca. 2000 Einwohner in 331 Häusern.
Nach Wilhelms Tod 1592 regiert dessen jüngerer Bruder Peter Wok von Rosenberg auf Krumau. 1601/02 muß er die Krumauer Herrschaft wegen Überschuldung – vermutlich aufgrund Erschöpfung der Silberminen – an den Kaiser und böhmischen König Rudolf II. von Habsburg verkaufen. Mit Peter Wok, letzter männlicher Nachfahre des berühmten Adelgeschlechts, endet die jahrhundertelange Herrschaft der Rosenberger in Südböhmen.
Zwischen 1601 und 1622 ist Krumlov Eigentum der böhmischen Herrscher. Rudolf II. überläßt Krumau seinem unehelichen Sohn Don Julius de Austria, der in den Jahren 1606-1609 auf der Krumauer Burg untergebracht ist. Den Aufenthalt des psychisch labilen Don Julius in der Burg begleiten stürmische Exzesse, die in dem brutalen Mord an Marketa Pichler, der Tochter eines Krumauer Baders, ihren schaurigen Höhepunkt finden.
Nach der Schlacht am Weißen Berg verleiht Kaiser Ferdinand II. von Habsburg die Herrschaft Krumau 1622 an seinen Hofkammerpräsidenten Johann Ulrich von Eggenberg für dessen Verdienste in der Katholischen Liga. Krumlov ist Sitz der Eggenberger bis 1719.
1664 wird Johann Christian von Eggenberg Herrscher des Krumauer Fürstentums, seine Gemahlin ist Marie Ernestine von Schwarzenberg (1649-1719). Unter Johann Christian und Marie Ernestine erlebt Krumlov eine kulturelle Blütezeit, wird Zentrum für Musik, Oper und Ballett, es entsteht das Theater im V. Schloßhof, und vor allem Marie Ernestine ist verantwortlich für die Erweiterung der Schloßbibliothek.
Nach beider Tod geht die Herrschaft 1719 an Marie Ernestines Neffen, Adam Franz von Schwarzenberg; dessen Gemahlin ist Eleonore. Zwischen 1741 und 1782 regiert Joseph Adam von Schwarzenberg, er läßt u.a. das Lustschloß Bellaria sowie 1748 den Maskensaal mit den Wandmalereien von Josef Lederer errichten und 1767 das barocke Schloßtheater in die heutige Gestalt umbauen.
Wir sitzen bei der St. Veits-Kirche, deren Bau um 1340 begonnen wurde, Weihe 1439:
Genaugenommen sitzen wir auf einer steinernen Bank in unmittelbarer Nähe der Kapelle des hl. Johannes Nepomuk, die 1726 an das linke Seitenschiff von St. Veit angebaut wurde – auf Veranlassung von Adam Franz von Schwarzenberg und Eleonore. Im Inneren dieser Kapelle befindet sich das Grab der Eleonore von Schwarzenberg. Blondierte Erzbischöfe und andere unvernünftige Naturen könnten hier ein jenseitig verhauchtes „Eleonore! Hörst du uns!“ geäußert haben, befinden sie sich doch am Ziel einer Pilgerschaft: hier liegt sie, die „Vampirprinzessin“.
Die rätselhafte Fürstin Eleonore von Schwarzenberg wird am 20. Juni 1682 geboren. Sie ist eine Tochter des Fürsten Ferdinand August von Lobkowitz und heiratet 1701 den Obersthofmarschall, Erbprinz und späteren Fürsten Adam Franz von Schwarzenberg. Mit ihrem Mann weiß sie ein reiches kulturelles Leben am Hof zu entfalten. Opulente Feste, Musik, Jagdgesellschaften. 1732, nach 31 Ehejahren, stirbt Eleonores Gemahl bei einer Hirschjagd durch einen Schuß. Die tödliche Kugel wurde von Kaiser Karl VI. persönlich abgefeuert. Ein Jagdunfall, so sagt man. Kein Jagdunfall, so munkelt man.
Eleonore lebt noch fast neun Jahre; sie stirbt am 5. Mai 1741 in der Schwarzenbergischen Residenz in Wien. Aber sie wird nicht, wie die anderen Familienangehörigen, in der Wiener Augustinerkirche bestattet. Ihre sterblichen Überreste werden nach Krumlov zurückgebracht, in der Nepomuk-Kapelle der Kirche St. Veit findet Eleonore ihre letzte Ruhe. Gewissermaßen.
Die Dokumentation über Eleonore, „Die Vampirprinzessin“, beginnt mit dem eigenartigen Fund, den man 2007 bei Straßenarbeiten in Krumau macht: drei Skelette, die nicht, wie bei christlichen Bestattungen üblich, in Ost-West-Achse ausgerichtet sind, sondern in Nord-Süd-Richtung liegen. Im Verlauf ihrer Grabung machen Prager Archäologen weitere merkwürdige Entdeckungen. Einer der hier begrabenen Personen hat man offenbar den Kopf abgetrennt, der Schädel liegt zwischen den Beinen, in der Mundhöhle ein Stein. Das Fehlen der ersten beiden Halswirbel deutet darauf hin, daß diese Person enthauptet wurde. Arme und Beine aller drei Personen hat man mit Steinen beschwert. Die drei Toten werden als männlich identifiziert, im 18. Jahrhundert ums Leben gekommen und an einer Moldaubiegung unter die Erde gebracht, die sich zur Zeit der Grablegung außerhalb des Stadtgebietes von Krumlov befand. Alles deutet darauf hin, daß diese drei Personen als „Vampire“ verdächtigt wurden und daran gehindert werden sollten, aus ihrem Grab zu steigen.
Vampirglaube und -hysterie waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa weit verbreitet. Mehr dazu HIER:
Die drei Toten von Krumlov dürften also Opfer einer klassischen Vampirbannung geworden sein: die Leichen verdächtiger Personen wurden ausgegraben, gepfählt, geköpft. Den Kopf legte man zwischen die Beine, um zu verhindern, daß der „Untote“ ihn mit den Händen erreichen und ihn sich wieder aufsetzen kann. Der zwischen Ober- und Unterkiefer geschobene Stein sollte das „Schmatzen“ im Grab verhindern, das als frühes Anzeichen für Vampirismus galt, die schweren Steine sollten den Untoten bewegungsunfähig machen.
Rainer Köppl, Medienwissenschaftler an der Universität Wien, vertritt in „Die Vampirprinzessin“ die Theorie, daß Eleonore von Schwarzenberg für eine Vampirin gehalten wurde. Köppl vermutet, daß Eleonore die Namensgeberin für Gottfried August Bürgers Ballade Lenore (auch: Leonore) gewesen sein könnte, und daß die Gestalt der Eleonore von Schwarzenberg damit indirekt auch eine Inspiration für Bram Stoker war, als er Dracula schrieb.
Stoker zitiert aus Lenore den Satz: Die Todten reiten schnell. Im Ersten Kapitel von Stokers Roman flüstert einer der Mitreisenden Jonathan Harkers in der Kutsche diesen Satz, als Dracula auftaucht, um Harker abzuholen. In der Erzählung Dracula’s Guest, die zwei Jahre nach Stokers Tod publiziert wurde – nach Aussage von Stokers Witwe Florence eine „unpublished episode from Dracula„, wahrscheinlicher eine verworfene erste Fassung des Anfangs -, findet Jonathan Harker den Satz „THE DEAD TRAVEL FAST“ als Inschrift auf der Gruft einer Vampirin, Countess Dolingen of Gratz – einer Adeligen aus der Steiermark also. Es scheint, als wollte Stoker seinen Roman ursprünglich in Mitteleuropa spielen lassen.
Lenore gilt als eines der frühesten literarischen Zeugnisse zum Thema Untote. Leonore lästert Gott, als ihr Bräutigam, der in den Krieg gezogen ist, nicht zurückkehrt; das Schlachtfeld befindet sich in Böhmen. Als Lenore eines Nachts einen Reiter erblickt, meint sie, ihren Geliebten zu sehen. Doch es ist der Geist des Bräutigams, im Grunde der Tod selbst, der sie auf einem wilden, unheimlichen Ritt, vorbei an Geistern und Gesindel, ins Totenreich bringt, das Hochzeitsbett ein Sarg.
Bei seiner Suche nach Indizien dafür, daß Eleonore von Schwarzenberg ein frühes role model für die Verbindung von Adel und Blutsaugertum gewesen sein könnte, stößt Köppl im gewaltigen Archiv von Schloß Krumau auf Details ihrer Lebensgeschichte, die eine Verbindung zu den Krumauer Skelettfunden nahelegen; offensichtlich gab die unheimliche Fürstin der Bevölkerung von Krumau Anlaß, der Vampirhysterie zu verfallen.
Eleonore war eine passionierte Jägerin; bei den regelmäßig veranstalteten Treibjagden wurde auf alles geschossen, was sich bewegte, nur nicht auf Wölfe. Eleonore ließ Wölfinnen fangen und in Zwingern auf dem Schloß unterbringen. Das nächtliche Geheul, das auch wild lebende Wölfe angelockt haben dürfte, muß die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt haben. Im europäischen Volksglauben hatten Wölfe einen denkbar schlechten Ruf, galten als unheimlich, Komplizen des Bösen, Gesandte der Vampire. Eleonore ließ die Wölfinnen melken; auf Empfehlung von Ärzten in der Grauzone zwischen Wissenschaft, Aberglauben und Magie trank sie über Jahre hinweg Wolfsmilch, um sich den sehnlichen Wunsch nach einem Sohn und männlichen Erben zu erfüllen. Alchemisten, Okkultisten und Mediziner, Kapazitäten und Quacksalber gingen bei Eleonore besonders in ihrer letzten Lebensphase ein und aus; daß Eleonore zunächst, mit über 40 Jahren, tatsächlich noch einen Sohn zur Welt bringt, Joseph Adam, verstärkt 1722 nur das düstere Image: wenn kein medizinisches Wunder, dann Hexerei.
Nach dem Unglück, bei dem 1732 Eleonores Mann während einer Jagd bei Prag von Karl VI. erschossen wird, zahlt der Kaiser einen Unterhalt von jährlich 5.000 Gulden an die Witwe, die nun, da ihr Sohn in die Obhut des Kaisers kommt, allein und zurückgezogen auf dem Schloß lebt. Mit dem Geld kommt sie kaum aus. Sie liebt Luxus, teure Weine, Schmuck; sie ist starke Raucherin, hofft auf medikamentöse Wirkung des Tabaks, und die größten Summen verschlingt der Posten Arzneimittel. Aufzeichnungen aus dem Schloßarchiv belegen, wie exzessiv Eleonore Medikamente aus Apotheken in Prag und Wien bestellt, während sich ihr körperlicher Zustand zusehends verschlechtert. Eleonore ordert auch andere, dubiose „Wunderheilmittel“ in Unmengen, und sie sucht Hilfe in Zauberritualen; auf Schloß Krumau gibt es noch eine „Zauberrolle“, ein Papierstreifen mit Zeichen und Sprüchen zur Abwehr von Geistern.
Nicht nur ihr Hang zu ungewöhnlichen Methoden und Okkultismus läßt Eleonore auf ihre Umgebung zunehmend unheimlich wirken. Sie leidet unter Schlaflosigkeit und dadurch bedingt am Tage unter starker Müdigkeit – Symptome, die nun, unter der Hand, mit der „Vampirkrankheit“ in Zusammenhang gebracht werden. Es gibt spiritistische Sitzungen auf dem Schloß, mit denen die bösen Kräfte fortgejagt werden sollen. Eleonore sammelt Gemälde, die auf Zauberei und Vampirismus Bezug zu nehmen scheinen.
Eleonore leidet an schlimmen Schmerzen. Hofbeamte versuchen, den Umfang ihrer kostspieligen Bestellungen einzuschränken, ihre Zurechnungsfähigkeit wird in Zweifel gezogen. Bereits vom Tode gezeichnet, reist Eleonore von Krumau nach Wien, aber auch dort kann ihr niemand mehr helfen. In den Archiven findet sich keine Diagnose ihrer Erkrankung; vielleicht ein Hinweis darauf, daß die Ärzte von etwas ausgingen, das sich wissenschaftlich nicht beschreiben ließ.
Eleonore stirbt am 5. Mai 1741 um 6:00 Uhr früh. Bereits neun Stunden nach ihrem Tod treten Ärzte zusammen, um den Leichnam zu untersuchen. Die Kosten der Obduktion, im Kassabuch festgehalten, entsprechen einem Gegenwert von 90.000 Euro, ein extrem hoher Betrag. Man findet den Leib der Fürstin „völlig ausgezehrt“, und man entdeckt eine Geschwulst, „welche die Größe eines mittleren Kinderkopfs hatte“, aber eine Todesursache fehlt im Obduktionsbericht.
„Adelige wurden damals nicht obduziert“, so der Gerichtsmediziner Christian Reiter. „Außerdem steht das Ärzte-Honorar für die Obduktion nicht in Relation zum Arbeitsaufwand. Entweder war das Honorar so hoch, weil hier eine große Gefahr für die Obduzierenden bestanden hat“, oder aber, „weil hier eine Art Schweigegeld geleistet wurde für diese Personen.“
Die Todesursache – Krebs – kann heute rekonstruiert werden. Im letzten Jahr ihrer Krankheit, als sie kaum noch Speisen zu sich nehmen konnte, kamen zahllose Experten aus dem ganzen Reich zu Eleonore, auch solche, die Erfahrung mit „Vampirismus“ hatten. In der Nacht brannte stets das Licht in Eleonores Schlafgemächern; Gerüchte von der Fürstin, die nur bei Nacht lebt, machten in Krumau die Runde. Eleonore verlangte häufig nach Dr. Franz von Gerstorff, Leibarzt von Kaiser Karl VI. und Leiter von Untersuchungskommissionen für Vampir-Erscheinungen. Von Gerstorff war von der Möglichkeit der Ansteckung durch Vampire überzeugt, und Eleonore bot genau das Erscheinungsbild, das man der Vampirkrankheit damals zuschrieb: ausgezehrt, blutleer, verwirrt. Man glaubte offenbar, und wahrscheinlich fürchtete dies auch Eleonore selbst, ein Vampirbiß sei ihr Schicksal gewesen.
Daß an Eleonore eine Obduktion vorgenommen und den Ärzten hoch vergütet wird, läßt also darauf schließen, daß die „Diagnose“ tatsächlich lautete, Eleonore sei ein Vampir-Opfer. Die Obduktion läßt sich als eine Art Vampir-Hinrichtung deuten, da das Entfernen des Herzens einer Pfählung gleichkommt: ein wissenschaftlicher Weg, um einen „Vampir“ unschädlich zu machen. Nach Eleonores Tod wird das Schloß abgeriegelt, in der von Angst geprägten Stimmung kontrollieren Nachtwächter das Gebäude rund um die Uhr. Große Angst muß auch Eleonore selbst ausgestanden haben – Angst, nach ihrem Tod zu einem Vampir zu werden? In jener Zeit wurden die Schwarzenbergs in der Familiengruft in der Wiener Augustinerkirche beigesetzt. Eleonore war im Endstadium ihrer Krankheit nach Wien gereist, wird jedoch in Krumau bestattet. Warum?
Eleonore wird, was ungewöhnlich ist, in den Totenbüchern der Augustinerkirchengruft erwähnt, obwohl sie nicht dort beigesetzt ist. Über eine halbe Seite widmet der damalige Archivar dem Tod Eleonores am 5. Mai und berichtet, daß sie auf eigenen Wunsch noch in der Nacht nach Böhmen zurückgebracht wurde. Diese Überführung des Leichnams von Wien nach Krumau ist in einem Testament verfügt, das wenige Tage vor Eleonores Tod verfaßt wurde. Darin heißt es:
„ZWEYTENS: solle mein Leichnam, ich mag in Wien, oder andernorts das Zeitliche verlassen, nach Krumau geführet, dort von armen Leuten in die St. Nepomuc Kapelle getragen, und allda ohne einzigen Gepränge beerdiget werden, und auf den Grabstein folgende Wörter stehen: Hier liegt die arme Sünderin Eleonora, Bittet für Sie…“
Ob das Testament auf Eleonores eigenem, freien Willen beruht, oder ob man ihren Leichnam noch in der Nacht nach Krumau brachte, weil man einen Vampir mitten in Wien fürchtete: die Tote ritt schnell.
Das Begräbnis war ein für den Hochadel sehr ungewöhnliches. Kein einziger Vertreter der Aristokratie oder Würdenträger des Klerus war anwesend, auch ihr Sohn blieb der Beisetzung fern, die am 10. Mai stattfand – seltsamerweise in der Nacht. Um acht Uhr abends setzte sich der Trauerzug der „armen Leute“ von Krumau vom Schloß zur St. Veits-Kirche in Bewegung.
In der Nepomuk-Kapelle ist Eleonores Grab heute unter einem roten Teppich verborgen. Auf der Grabplatte ein Totenkopf, darunter Eleonores Sterbedatum – kein Familienname, kein Adelstitel, kein Wappen.
Die Rückkehr der „Vampirprinzessin“ dürfte für die Bevölkerung ein Schock gewesen sein, der die Hysterie noch steigerte, vielleicht auch jene Maßnahmen gegen die drei als Vampire verdächtigten Personen auslöste, deren Skelette 2007 gefunden wurden.
Und auch Eleonores Grab kündet von der Angst, sie könne als Vampir umgehen: bei einer Geo-Radar-Untersuchung zeigt sich eine auffällige Unregelmäßigkeit oberhalb der Stelle, an der sich der Sarg befinden muß, die sich als gemauertes Gewölbe entpuppt, das mit großem Aufwand eigens in die Gruft eingebaut wurde, um den Zugang zu versperren: Eleonores Sarg wurde buchstäblich eingemauert. Über das gemauerte Gewölbe wurde eine Schicht Friedhofserde gelegt.
Und noch ein erstaunliches Indiz wird entdeckt. Auf einem lebensgroßen Gemälde ist Eleonore mit ihrem Sohn Joseph Adam zu sehen. Die Art der Darstellung ist für ein Frauenportrait jener Zeit durchaus ungewöhnlich; das Bild zeigt sie als bewaffnete Jägerin. Das größte Geheimnis des Bildes wird jedoch erst bei einer Röntgenuntersuchung des Bildes offenbar: das Stück Leinwand, auf das der Kopf der Fürstin gemalt wurde, besitzt eine völlig andere Struktur als die Leinwand des übrigen Gemäldes. Auf dem Röntgenbild sind die Nähte zu erkennen, mit denen das Stück Leinwand (wieder-)eingesetzt wurde. Es scheint, als wurde sogar Eleonores Bild aus rituellen Gründen „geköpft“.
Es gibt auch die Vermutung, daß die ungewöhnliche Haltung ihres rechten Arms darin begründet ist, daß Eleonore -> auf dem Bild ursprünglich einen Wolf „umarmte“ – dessen Ohren als Schatten auf dem Ärmel noch zu sehen seien.
Auf dem Svornosti-Platz am Abend kann man sich den Trauerzug, der sich „um acht Uhr abends“ in Bewegung setzte, lebhaft vorstellen. Die Pestsäule auf dem Svornosti-Platz, mit der Statue der Jungfrau Maria Immaculata an der Spitze, wurde von Marie Ernestine von Schwarzenberg gestiftet als Dank für das Ende der Pestepidemie 1682.
Evening falls auf einer der größten Burganlagen Europas.
Sonntag, 11.09.2011
Der Komplex der alten Stadtmühle in der Breiten Gasse übte auf Egon Schiele ebenso wie die gesamte Häuserlandschaft des dortigen Moldaubogens einen besonderen Reiz aus. Als Standort wählte er den Blick von der Höhe des Schloßplateaus. Von hier aus entstanden 1910 und 1911 Bilder, die den Titel Tote Stadt erhielten. Diese Version (Tote Stadt III) entstand im Mai 1911.
Der Blick auf diesen Moldaubogen heute, links also das Cafè, in dem wir Strudl und Palacinka in einem Schiele-Bild bestellten.
Japanese Whispers auf der Mantelbrücke
Der ausgedehnte Komplex der im Laufe von sechs Jahrhunderten erbauten Krumauer Burg ist um fünf Schloßhöfe herum konzentriert. Unter der Brücke beim Durchgang zum II. Schloßhof gibt es einen Bärengraben. Bären erscheinen als Wappenträger für das Wappen der Rosenberg, die rote Rose auf silbernem Grund, seit die Herren von Rosenberg Verwandtschaft mit dem italienischen Adelsgeschlecht der Orsini reklamierten. Erste Aufzeichnungen über die Bärenhaltung in Zwingern auf dem Schloß stammen aus der Zeit des Wilhelm von Rosenberg, den Bärengraben gibt es seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Derzeitige Bewohner des Bärengrabens sind Katerina, Teresa und Wok.
Leider bestätigt sich am Morgen auf der Schloßanlage, daß wir das Barocktheater nicht sehen können, weil das tschechische Fernsehen noch zwei Tage mit Dreharbeiten beschäftigt ist. Dieses barocke Schloßtheater im fünften Schloßhof ist eine der zwei weltweit erhaltenen Barockbühnen, deren alte Bühnenmaschinerie noch voll funktionsfähig ist (die andere ist das schwedische Königliche Theater in Drottningholm), Kulissen, Dekorationen, Requisiten, Kostüme, sogar die Textbücher, alles im Originalzustand. Wir erwerben Tickets für die 1. Besichtigungstour in Englisch und verweilen noch kurz im III. Schloßhof. Die Malereien an den Fassaden sind das Werk des Malers Gabriel de Blonde, entstanden um 1575.
Eine Maid ist unsere Tourhostess für eine Stunde, sie führt durch das ursprüngliche Schloßinterieur aus der Zeit der Renaissance und des Barock. Eintrittshalle, Treppe, St. Georgs-Kapelle, die Schloßkapelle mit den Reliquien eines Kalixtus. Zur Erhebung der Reliquien von Papst Kalixtus I., um 222 in Rom gestorben, kam es im 9. Jahrhundert, später erwarb Kaiser Karl IV., passionierter Reliquienjäger, einen Teil des Schädels, und schenkte ihn vermutlich den Rosenbergern. Die Reliquien dieses Kalixt befanden sich in der Kapelle bis zum Jahre 1614, dann verschwanden sie spurlos. Aber, wundersames Geschick: man produzierte einen anderen Kalixtus, einen Märtyrer aus Nordafrika, 1663 erwarb Johann Christian I. von Eggenberg Skelettüberreste und ein kleines Gefäß mit Kalixtusblut von Papst Alexander VII.
Durch den Rosenberg-Saal in die vier Rosenberg-Renaissancezimmer, das erste ist als Schlafraum eingerichtet, die Maid fordert uns mit ein paar Fragen heraus: warum das Bett so kurz ist? Weil man im Sitzen schlief, superstitiously. Im IV. Renaissance-Zimmer das Porträt der Perchta von Rosenberg, Tochter des Ulrich II. von Rosenberg, 1449 gegen ihren Willen mit Johann von Liechtenstein verheiratet. Aus Perchtas Briefen an ihren Bruder weiß man, wie sehr sie unter ihrem üblen Gemahl zu leiden hatte. Die Ehe war für Perchta die Hölle; nach Johanns Tod stand sie ihrem Bruder auf der Burg zur Seite, schlank und ernst durch die Säle und Burghöfe gleitend, wohl darum später berühmt als Burggeist, als die „Weiße Frau“
.The maiden erzählt uns auch die schaurige Geschichte von Don Julius de Austria en détail. Don Julius prügelte Diener und schaffte böhmische Mädchen nach Belieben auf die Burg. Auf besagte Marketa, Tochter eines Baders, ging er in einem ersten Anfall mit dem Schwert los und warf die Schwerverwundete aus dem Fenster. Sie fiel in einen Burgteich, konnte sich nach Hause retten. Als Don Julius ihrem Vater mit Hinrichtung drohte, kehrte Marketa schweren Herzens auf die Burg zurück; nicht lang, bis der Wahnsinnige in rasender Wut Marketas Ende besiegelte: „He cut her to pieces for three hours.“ Vier Tage lief der Edelmann-Ripper blutverschmiert durch die Stadt, den Bürgern wurde bei seinem Anblick übel, selbst Hunde wichen ihm aus, erst nach einem Monat wurde er von einem kaiserlichen Kommando festgenommen, stieß aber noch in der Zelle Verwünschungen aus: „Ihr Sacramentsnarren, laßt mich zufrieden.“
Wir sehen die Goldene Kutsche im Eggenbergischen Saal, die Johann Anton I. von Eggenberg auf diplomatischer Mission für seinen (zweiten) Einzug zur Papstaudienz 1638 in Rom anfertigen ließ. Das Wunderwerk ist mit 2 Kilo Blattgold überzogen.
Das Schwarzenberg-Wappen war ursprünglich nur blau und weiß; Albiceleste sozusagen. Das Wappen der Eleonore, wir finden es. Sehen dann ein Gemälde von Eleonore, das wir noch nicht kannten, auf dem sie wunderschön ist.
Wir sind jetzt in Eleonores Gemächern; sehen das bekannte Porträt im dining room, der untere Rand ihres Soldatenhutes und der unnatürlich tiefschwarz übermalte Kragen lassen ahnen, daß dort der Schnitt verlief, durch den Eleonore auf diesem Gemälde „geköpft“ wurde. Wir hören noch einmal die Geschichte des „Jagdunfalls“; unsere Führerin formuliert es so: manche sagen, es war Absicht, manche sagen, Karl VI. hatte schlechte Augen. Der Untersuchungsbericht im Original, right here.
Und dann Eleonores Bett, dieses Bett, an dem Legionen von Doktoren gestanden haben müssen.
Unsere Runde endet im Maskensaal, der mit den Malereien von Josef Lederer ausgeschmückt ist. Lederer hat hier 1748 alle Möglichkeiten der Illusionskunst der Rokokozeit ausgeschöpft. Wir sind umgeben von einer aristokratischen Gesellschaft bei ihrem Karnevalstreiben, dazwischen Gestalten der Commedia dell’arte, an der Tür wachen gemalte Schloßgardisten. Ein echter Bediensteter, der eines Tages im Maskentrubel sah, wie einer schönen Dame die Perlenkette vom Hals glitt, wurde von den gemalten Grenadieren, die aus der Mauer heraustraten, daran gehindert, die Kette an sich zu bringen – Cesky Krumlov ist voll von Sagen und Geschichten, bezaubernd und spooky.
Blick vom II. Schloßhof
Die Malereien am Kastell, dem ursprünglich ältesten Teil der Burg, stammen aus der Zeit des Renaissance-Umbaus.
Der befestigte Palast der Kleinen Burg (Hrádek) mit dem Turm wurde zwischen 1291 und 1309 errichtet. Als wir das im Kastell untergebrachte Burgmuseum betreten, sagt der Kustod, der die Tickets abreißt, in feinstem Schwejk-speak: „Zwei Stockwerke ist orriginall, ich auch orriginall, bitterschön.“
Saal der Herren von der Rose
Im Saal der Krumauer Herzöge ein Portrait der Marie Ernestine von Eggenberg, geborene von Schwarzenberg, eine leidenschaftliche Leserin und eine schöne Frau, die mit französischer und italienischer Literatur die Schloßbibliothek veredelte.
In der Schatzkammer der Sakralen Kunst das Reliquiar des Hl. Reparat(us).
Die dem Reparat zugeschriebenen Reliquien stammen, so eine erhaltene Bescheinigung aus dem Jahre 1769, aus den römischen St. Agnes-Katakomben. Die Gebeine werden auf das 2. – 5. Jhdt. datiert, 1772 wurde das Skelett mit großer Zeremonie nach Krumau überführt. Die Ausschmückung der Reliquien ist das fast schon befremdlich liebevolle Werk Krumauer Klarissinnen.
In der Rüstkammer alte Flinten mit Luntenschlössern, Waffen aus dem Morgenland, und eine Verbindung aus Pistole und Jagdmesser mit der Aufschrift „Vivat Maria Terezia“. Zu sehen gibt es auch Artefakte einer Münzpräge; die Rosenberger und die Eggenberger hatten das Recht, eigene Münzen zu prägen.
In einem schmalen Gewölbe sitzt man auf alten Kinostühlen, ein Kinematograph zeigt Filmaufnahmen aus den 1920er und 1930er Jahren, Blicke auf das Krumauer Schloß, die Schwarzenbergische Garde auf dem II. Schloßhof bei der Ablösung, Privataufnahmen der Schwarzenbergs, eine Ballettszene im Barocktheater, an der Wand alte Filmplakate, Pola Negri als Carmen sexy as usual und der Golem on the loose.
Wir erklimmen den Schloßturm, schauen hinab in den Hungerturm, skull and bones da unten, ein Japaner entdeckt Freddie im Gemäuer und photographiert ihn („Oh, so cute!“),
Fledermäusen steigt indes wenig zu Kopf, Starruhm schon gar nicht,
bei den Glocken wird der Aufstieg eng und kompliziert, endlich all the way up, two views from the tower – den Schiele oft bestieg, um die Stadtseele, wie er es nannte, zu ergründen.
Wieder unten: herzlicher Plausch mit dem Kustod, fast mit Umarmung voneinander geschieden, Gulaschsuppe und Erdbeertorte in einer Burgtaverne genossen, beim Heavy-Metal-Schmied vor der Mantelbrücke erwerbe ich einen Anhänger in Form einer schwarzen Schlange, die wiederum die Form der Moldaubögen von Cesky Krumlov zu imitieren scheint.
Die Mantelbrücke.
Die ehemalige Prälatur in Cesky Krumlov hat ein bewegtes Schicksal. Ursprünglich im gotischen Stil erbaut, 1611 von den Protestanten verwüstet, später von mehreren Bränden beschädigt, die zuweilen auch in der Brauerei ausbrachen, die zu der Prälatur gehörte. Nach einem der Brände entstanden Treppenloggia und Arkadenübergang im Rokokostil.
Vorbei am Blauen Haus („Helmut! Schon wach?“), vorbei am Haus, in dem Alexander von Humboldt von Oktober 1797 bis April 1798 „wohnte und arbeitete vor seiner Weltreise“, will sagen, er klettert bei Eis und Schnee auf die Berge der Umgebung, erprobt seine Instrumente und macht mit diesem Treiben auf die Einheimischen einen sehr wunderlichen Eindruck.
Vorbei an Friedrich und Nietzsche,
und in den Dom mit seiner Schar sehr konturierter Engel.
Zwei Wochen lang im Dom ausgestellt: Eine Pietà, die bei einem Kirchenbrand stark beschädigt und von dem Künstler Stefan W. Knor bearbeitet wurde.
Der Barockdom hatte zwei mittelalterliche Vorgänger: der unter dem heiligen Virgil errichtete, 774 geweihte Dom, der 1167 niederbrannte, und ein unter Erzbischof Konrad III. (1177-1183) errichteter, gewaltiger romanischer Neubau in Form einer fünfschiffigen Kreuzbasilika. Der Konradinische Dom hat im Laufe seiner Geschichte mehrfach gebrannt; als 1598 erneut ein Brand die Kirche beschädigte, ließ Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau den damals größten mittelalterlichen Sakralbau nördlich der Alpen dem Erdboden gleichmachen. Bischofsgräber wurden ausgehoben, Grabplatten zerschmettert, die romanisch-gotische Ausstattung in die Salzach geworfen. Es ging das Gerücht, daß Wolf Dietrich den Brand, der im Oratorium seiner Geliebten Salome Alt ausgebrochen war, selbst gelegt hatte. Die weichere Variante erscheint in Wolf Dietrichs überliefertem Ausspruch: „Brennet es, so lasset es brennen.“ 1612 wurde das Projekt durch Wolf Dietrichs Entmachtung und Gefangensetzung unterbrochen; Wolf Dietrichs Nachfolger Markus Sittikus engagierte als Baumeister den Italiener Santino Solari. Die Domweihe unter Erzbischof Paris Lodron 1628, mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, war ein achttägiges Fest.
Am 28. Januar 1756 um 11 Uhr vormittags wird Wolfgang Amadeus Mozart über dieses Taufbecken aus dem 14. Jhdt. gehalten, das noch aus dem Konradinischen Dom stammt. Löwen aus dem 12. Jhdt.
Nach dem Bombentreffer im 2. Weltkrieg wurden bei den Aufräumarbeiten Mauer- und Säulenreste der beiden Vorgängerdome gefunden. 1957 – 1959 wurde eine begehbare Unterkirche geschaffen. Seit 1619 – dem Todesjahr des Markus Sittikus, dem Bauherr des Doms – diente dieser Ort als Grabstätte der Salzburger Erzbischöfe, die Grüfte waren aber nur vom Boden des Doms aus zu öffnen.
Wir gehen also Paris Lodron & Co besuchen, aber man kann mit dem Bösen wirklich nirgendwo hingehen, ohne daß es durchsichtige Schatten wirft. Mit Eigenleben wie in Dreyers „Vampyr“.
Auch die Chorkrypta des 1598 abgebrochenen romanischen Doms, beim Bau des Barockdoms zugemauert und zugeschüttet, wurde Ende der 1950er Jahre freigelegt, war aber lange Zeit nicht vom Dom aus zugänglich. Seit 2009 ist sie wieder erreichbar. Der französische Künstler Christian Boltanski hat in der alten konradinischen Krypta unter dem Titel „Vanitas“ ein Schattenspiel inszeniert: Kerzen werfen die Schatten kleiner Metallfiguren als Danse Macabre an die Wand, ein Todesengel zieht als Lichtprojektion durch die Krypta, eine automatische Stimme liefert mit unaufhörlicher Zeitansage den „Countdown der Ewigkeit“.
In der Domkrypta findet Freddie es doch irritierend, daß Touristen aus Asien ihn aufmerksam studieren, weil sie ihn für einen Teil der „Vanitas“-Installation halten.
Aufstieg zu den Emporenräumen, in denen das Dommuseum untergebracht ist. Zu bewundern dort u.a. das 1,5 m hohe Rupertuskreuz, das der aus Irland stammende Virgil im 8. Jahrhundert vermutlich aus Südengland mitbrachte. Angeblich lag es für lange Zeit in einer Rumpelkiste auf dem Dachboden der Kirche von Bischofshofen. Phantastisch die emailgeschmückte Hostientaube aus Limoges, gefertigt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert. Limoges hatte sich im 12. Jahrhundert zu einem Zentrum für herausragende Emailkunst entwickelt, „Hostientauben“, eine Spezialität der Werkstätten von Limoges, hingen an Ketten über dem Altar.
Phantastisch auch die „Versuchung des hl. Antonius“ (um 1500/1510) eines Nachfolgers des Hieronymus Bosch, die Bosch fast überboscht.
Mittlerweile haben wir gelernt, die Erzbischöfe zu sondieren, Max Gandolf von Kuenburg ist Gandolf der Geschmacklose, nicht nur, weil er ein eifriger Hexenverbrenner war. Eine Reisegarnitur des eisernen Sparfuchses Colloredo erinnert daran, wie in Formans „Amadeus“ ebendieser Colloredo von Mozart sagt: „He’s an unprincipled, spoiled, conceited brat!“ Die Pretiosenmonstranz hat 1792 Diamanten, Vitus wird im Ölkessel gekocht, und auch dort oben, im Dommuseum, wo man den schwarzen Linien ganz nah ist, stellt man sich vor, wie das üppige Stuckdekor im gesamten Dom entstanden ist. Wie der Erzbischof nach oben schaute und sagte: „Man sieht es nicht so recht. Es ist nicht so recht plastisch.“ Und Bassarino sagte: „Plastisch? Doch, Hochwürden, dochdoch… durchaus.“ Und der Erzbischof sagte: „Man könnte… “ Ein schwerwiegendes, dramatisches „Man könnte“. Denn nun begann das Nachmalen von Konturen und Vertiefungen des Stuck-Ornaments mit schwarzer Farbe, das hundert Mann zwei Jahre oder zwei Mann hundert Jahre beschäftigt haben muß. Es ist das Werk des Italieners Giuseppe Bassarino und seiner Helfer.
Auf der West-Empore
Über die Empore vom Dommuseum zu einer Ausstellung von Grafikserien, Gemälden und Lithographien von Georg Pezolt, „Ein Traum von einer Stadt“. Pezolt verfügte über „ein reiches Wissen der Kunstgeschichte Salzburgs“ (Salzburger Zeitung, 1878) und wurde 1865 ehrenamtlicher Denkmalpfleger für Salzburg. Von dort aus zur Kunst- und Wunderkammer, die in Nachahmung der Kunst- und Exotikasammlungen des sternguckerischen, mystisch angehauchten Rudolf II. von Habsburg (Prag) entstanden ist, Naturalien und Kuriositäten, die von der unermeßlichen Phantasie des Weltenschöpfers künden sollten, aber auch „artificialia“ wie geschliffene Bergkristalle, wissenschaftliche Geräte und anderes Menschenwerk, das nicht minder zur Verbildlichung des Kosmos gehörte.
Auf dem Weg nach unten spricht eine Museumsangestellte Madame an: „Ich bewundere Ihre Tasche! Sind Sie selbst Designerin?“. Unten, im kleinen Dom-Shop, als wir ein paar Postkarten bezahlen, seufzt & haucht die ältere Dame an der Cassa: „Der Wolf Dietrich… “ Bei Salzburgs Damenwelt offenbar immer noch The Man, der Wolf Dietrich.
Auch auf dem Weg zum Café Fürst (gegr. 1884) kein vermummter Helmut Berger. Noch geben wir nicht auf. Sachertorte und Verlängerten. Trakl stand einmal, wie Spoerri und Basil berichten, während der Fastnachtszeit plötzlich aus dem Café Tomaselli auf, um den Huren in der Judengasse Krapfen zu bringen. Madame hält mich davon ab, aus dem Fürst aufzustehen und den Huren in der Judengasse Sachertorte zu bringen. „Da sind keine mehr.“ – „Aber das ist der Georgsweg, mein Gott.“
Das Salzburg Museum in der Neuen Residenz. Ein Fragment vom Beschlag des Rupertuskreuzes, dessen Fund im Estrich der Pfarrkirche Bischofshofen nahelegt, daß Virgil das Kreuz nicht für Salzburg, sondern für die Kirche der Maximilianszelle in Bischofshofen mitgebracht hat. Zwischen Viernageltypus der Romanik und Dreinageltypus der Gotik lernt man, was Bauarbeiter in Salzburg so finden: z.B. in der Judengasse No. 10, im Jahre 1978, mehr als 28.000 Münzen und Schmuck aus Edelmetall. Oder das Fragment der Scheibe einer astronomischen Uhr, römisch, 1. oder 2. Jh., in der Linzer Gasse. Wir hören Lieder des Mönchs von Salzburg (14. Jh.), bewundern den Helm vom Pass Lueg, 13. Jhdt. v.Chr., der als Vorbild für das Gauloises-Logo diente, Prager Groschen aus der Münzstätte Kutna Hora, ein Richtschwert mit Sinnspruch, und lauschen der Metaphysik des Salzburger Seins according to Helmut Qualtinger. Und erwerben dieses alte Würfelspiel, das eigentlich Eulenspiel hieß, das aber Mozartspiel heißt, weil es zu den Vergnügungen im Hause Mozart gehörte und weil man dabei zwangsläufig das Lachen aus „Amadeus“ hört.
Favourite Saints im Salzburg Museum: eine heilige Elisabeth, um 1510 / 1520
Eine heilige Barbara und eine heilige Katharina, um 1490, a touch of Gustave Moreau.
Favourite Angel:
Oder wenn er an der frierenden Hand der Mutter
Abends über Sankt Peters herbstlichen Friedhof ging
Ein zarter Leichnam stille im Dunkel der Kammer lag
Und jener die kalten Lider über ihn aufhob.
Georg Trakl, Sebastian im Traum
Ein riesiger schwarzer Käfer, der auf dem Weg sitzt und an einer Beere lutscht, empfängt uns auf dem Friedhof von St. Peter. Seit der Gründung der Abtei St. Peter um 700 war der Friedhof den Benediktinern des Klosters vorbehalten, aber schon zu Zeiten der Völkerwanderung gab es am Felsen des Mönchsberges eine Begräbnisstätte. Tote werden hier seit mehr als 1300 Jahren bestattet. Der älteste erhaltene Grabstein dieses Friedhofs stammt aus dem Jahr 1288. Bestattet sind hier der Dombaumeister Santino Solari, Michael Haydn und das Nannerl, Mozarts Schwester.
Die in die Felseneinsamkeit ringsum geschlagenen Gänge und Hallen der „Katakomben“ sind frühchristlich-spätantiken Ursprungs, ihre Entstehung geht auf das 3. und 4. Jahrhundert zurück.
In einem als pdf-Dokument im www auffindbaren, mit Schreibmaschine verfaßten Schriftstück des landesmuseum.at, das Auskunft gibt über die Schenkungen an das Salzburger Haus der Natur und die Liste der Spender im Jahre 1950, ist zu lesen:
„38.) Französische Aussenministerium – Ministère des Affaires Etrangères (Direction Générale des Relations Culturelles), Paris, stellt uns durch Vermittlung der Frau Marquise Peyrebere de Guilloutet, Délégue de l’action Artistique, eine ausgezeichnete 16 mm Tonfilmapparatur Marke „Débrie“ Type MB 15, zur Verfügung. Dieses ausserordentliche Entgegenkommen ist ein neuerlicher Beweis der internationalen Anerkennung unserer Bestrebungen. Leider steht in einem gewissen Gegensatz dazu die ungeheuere Schwierigkeit, die uns seitens der österreichischen Behörden wegen der Einfuhr dieser Apparatur bereitet wird.“
Rest in Peace, Madame la Marquise.
Freitag, 09.09.2011
Zum Bahnhof, die Fahrkarten nach Cesky Krumlov besorgt, auf dem Weg zurück wandern wir noch einmal durch Mirabell zur Evangelischen Christuskirche, vor der Gedichttafel ist Baustelle, Betreten Verboten, ich betrete trotzdem, frage einen Bauarbeiter, „Johfreylich“ sagt der. Im Pfarrhaus nebenan hatte Georg Trakl während seiner Schulzeit zweimal wöchentlich Religionsunterricht.
Dreifaltigkeitskirche am Makartplatz, Fischer von Erlachs perfektes Längsoval, elegante Engel an den Seitenaltären.
Vorhallengitter aus der Entstehungszeit der Kirche (1694 – 1702) mit dem Wappen von Fürsterzbischof Johann Ernst von Thun, der die Dreifaltigkeitskirche bauen ließ.
An der Kirchentür
Dann im Mozart-Wohnhaus, dem „Tanzmeisterhaus“ am Makartplatz, damals noch Hannibalplatz. Im „Tanzmeistersaal“, wo jetzt das bekannte Familienbild von della Croce hängt, hatte man früher junge Adelige in höfisches Zeremoniell, Tanz und Anstandsregeln eingewiesen. Eine geräumige 8-Zimmer-Wohnung, die beim Auszug aus der Getreidegasse im Herbst 1773 Leopold Mozarts Problem „Zum Exempel: wo wird dann meine Tochter schlaffen? Wo wird der Wolfgang sein Quartier aufschlagen? Wo werd ich für ihn einen besonderen Platz zum studieren und seiner Arbeit, deren er vielerley haben wird, finden? und wo bleib ich?“ löste.
Zwischen 1773 und 1780 schrieb Amadeus in diesem Haus über 150 Werke, bevor er Anfang 1781 nach Wien zog. Schikaneder war hier oft zu Gast, man traf sich mit Hofmusikern. Das Tanzmeister-Mitzerl, von dem Mozart schreibt, „mir beständig in ihrer reizenden negligée vor augen“ – war keine Geliebte: Mitzerl, Anna Maria Raab, die Vermieterin, war 46 Jahre älter als Mozart. Im Garten erfreute man sich des Kegelspiels und des Schießens auf lustig bemalte Scheiben, die Bölzlscheiben, von denen drei zu sehen sind. Wolfgang und Nannerl üben sich darin u.a. mit dem Gilowsky-Catterl, Katharina, einer Tochter des Hofchirurgen Wenzel Andreas Gilowsky von Urazowa. Katharina war eine besonders enge Freundin Nannerls.
Zu sehen ein Hammerflügel Mozarts, von dem es heißt: „Dieses Instrument wurde bei den zahlreichen Konzerten Mozarts in Wien verwendet“, die Untertasten schwarz, die Obertasten weiß. Auch der Originalbrief, aus dem Prager Bertramka bekannt: „Nach einer jeden Aria war alzeit ein erschrökliches getös mit glatschen und viva Maestro schreyen.“ Im Brief an den Lehrer und Geistlichen Bullinger kritzelt Wolfgang Amadeus sehr viel weniger, schreibt sehr akkurat. Eine Silhouette vom Nannerl – makes her very beautiful. Ein small cabinet aus dem Besitz Leopolds, der in diesem Haus 1787 verstirbt. Am Ende ein Film über die Mozarts, über ihre exzessiven Reisen; Wolferl hat ziemlich genau ein Drittel seines Lebens auf Reisen verbracht. „Man sagt gar, diese Mozärtische Familie wird in das China reisen.“ Über Theaterintrigen ärgert sich Leopold so, „dass man Pomeranzen scheißen möchte.“
„Als Wolfgang die Lage der Mutter begreift, ist es zu spät.“
„Ich möchte alles haben, was gut, ächt und schön ist!“ – W.A.M.
Im Cafe Classic direkt vor Mozarts Wohnhaus Rührei mit Schinken, Stiegl und… Kürbiscremesuppe. „Paßt alles?“ Und wie.
Madame erwirbt einen Posamenterieverschluß bei Jos. Mayer, Rathausplatz, gegründet 1924. Wie habe ich als Kind diese ganzen Schränke und Schubladen in alten Modewaren-Geschäften geliebt.
In der Judengasse
Georg Trakl kam am 3. Februar 1887 in Salzburg als viertes Kind der Eheleute Tobias und Maria Trakl zur Welt, im Wohnhaus der Familie am Waagplatz Nr. 2, dem „Schaffnerhaus“.
Gegenüber dem Schaffnerhaus, am Waagplatz Nr. 3, eröffnete Tobias Trakl 1893 eine große Eisenhandlung, nachdem er das Haus käuflich erworben hatte. Die Firma bestand bis 1913. Das Geschäft hatte seine Hauptfront am Mozartplatz; es sind jene Lokalitäten, in denen später das Café Glockenspiel untergebracht war, heute Café Demel. Um die Ecke, an der Schmalfront Waagplatz mit dem Hauseingang, lagen die Magazine.
Das Haus Waagplatz Nr. 3 heute. Die Trakls bewohnten das weitläufige erste Stockwerk, eine Flucht von mehr als zehn Zimmern samt Nebenräumen. Links noch ein Stück vom weißen Vorbau des heutigen Cafés zu sehen; im Stockwerk darüber also lebte Georg Trakl, seit er 6 Jahre alt war, während seiner Schul- und Jugendzeit.
Im Geburtshaus Trakls, Waagplatz Nr. 2 (bzw. Nr. 1a), wurde 1973 die Trakl-Gedenkstätte eingerichtet; sie befindet sich in den Räumen der ehemaligen Wohnung im 1. Stock.
Im Eingang: Trakl-Porträt von Jean-Pierre Chambas
Ein Film über Trakls Leben und Werk, etwa 40 Minuten. Erstes Wort: Verfall. Der stille obstinate Spott in seiner Miene. „Seine Augen standen ganz fern.“ Ein Mädchenbild von Grete, Schwester stürmischer Schwermut. „Er will halten, was nie bleibt.“ (Buschbeck). Der Tag, der ihm zu deutlich geworden. Trakl im Badeanzug in Venedig. „Ich bin immer traurig, wenn ich glücklich bin! Ist das nicht merkwürdig!“ Blutschuld und dunkle Gifte.
Wir sind sechs, dort oben, nach dem Film war für Minuten Stille. In diesen Minuten begriff ich, daß ich Trakl mittlerweile wohl noch mehr liebe als Rimbaud, und was das heißt, weiß nur ich, Äonen nach Rimbaud-Entdeckung. Gesamt-Trakl zwar im Gepäck, aber ich erwarb den Nachdruck der Kurt Wolff Verlag-Ausgabe von 1913. Had to. Am Ende standen nur noch Birgit und ich mit der netten Dame, die die Führung macht, auf dem Balkon, um den Trakl-Zeilen zu lauschen, die durch die im Innenhof angebrachten Lautsprecher kommen, und ich erkannte Otto Sander. „Das ist Otto Sander, oder?“ Sie ging, um einen Zettel zu holen, auf dem sie aufgeschrieben hatte, wer die Lesenden sind, las mir die Reihenfolge vor. Ich fragte sie, wie Maria – die älteste Schwester, die ich immer am schönsten fand – die Eröffnung dieser Gedenkstätte, bei der sie ja noch zugegen war, wohl empfunden haben mag, aber die Frau sagte, Maria sei ja doch schon sehr betagt gewesen. Es war alles so bewegend, daß ich vergaß, im Hof „Die schöne Stadt“ zu suchen.
Eine Woche, bevor Trakl in der Nacht des 2. November 1914 an Kokainvergiftung stirbt, besucht Ludwig von Ficker Trakl im Garnisonsspital von Krakau. „Wollen Sie hören, was ich im Feld geschrieben – es ist blutwenig.“
Basil: „Und er liest, auf dem Eisenbett liegend, während der Windischgrätz-Dragoner sich ungehalten und gelangweilt in seinem Bett der Wand zukehrt, dem Freund zwei erschütternde Gedichte vor: Klage und Grodek. […] Beklommen verabschiedet sich Ficker, denn er hatte herausbekommen, daß Trakl tödliche Gifte bei sich verborgen hielt. Ficker spricht ihm Trost zu; er werde sogleich von Wien aus seine Versetzung nach Innsbruck ins Werk setzen. Als er mit einem „Auf baldiges Wiedersehen“ von dem Freunde scheidet, liegt dieser regungslos, entgegnet kein Wort. „Sah mich nur an. Sah mir noch nach … Nie werde ich diesen Blick vergessen.“
Trakls unheimliches Selbstportrait. Basil: „In Esterles Atelier soll nun, nach einer Mitteilung Fickers, Trakl den Pinsel ergriffen und sich so gemalt haben, wie er sich einmal, nachts aus dem Schlaf aufschreckend, im Spiegel gesehen hatte.“
Möbel und Erinnerungsstücke aus dem Familienbesitz
„Einfriedungen um das grenzenlos Wortlose“ – Rilke über Trakls Dichtungen.
Aus dem Trakl-Nachlaß von Erhard Buschbeck, dem Jugendfreund Georgs
„All journeys have secret destinations of which the traveler is unaware.“ – Martin Buber.
Madames Plan für Helmut-Berger-Spotting in Salzburg: „Ich mag dünn sein, aber ich beherrsche die Kunst des Im-Wege-Stehens!“
Um 16:56 rollt der Zug in Salzburg ein, die Nachmittagssonne scheint warm, wir nehmen den Bus 5 und fahren die 10 Stationen bis zur Wäschergasse, Pension Katrin, Nonntaler Hauptstraße 49b, von Frau Terler freundlichst empfangen, südlich des Festungsberges, den wir fortan über Herrengasse, Kajetanerplatz und Schanzlgasse zu umrunden pflegen. Otto Basil bezeugt, daß Trakl gern durch „das Gewinkel des Nonnbergtales“ wanderte. Wo sich der Asphalt des Bürgersteigs am Kantstein krümmt wie eine alte Käsescheibe, sympathisch. Zimmer 8, am nächsten Morgen beim ersten Frühstück instinktiv im Wintergarten gelandet und den Tisch psychophysisch okkupiert für den Rest der Zeit.
Erster Blick auf die Festung Hohensalzburg von Süden aus. „Harry, das ist eine verdammt gute Festungsanlage!“ (Agent Cooper).
Wir wandern zurück zur Altstadt, wo Salzburg ehrwürdig und staubpastellig wirkt – und sehr viel leerer als gedacht. Wir begeben uns direkt zur Franziskanerkirche.
Der um 700 in Irland geborene heilige Virgil (Feirgil von Aghaboe), der ab 743 in Europa auf Mission geht, Bischof von Salzburg wird und Abt des Klosters St. Peter, ein bedeutender Gelehrter, den sie „Geometer“ nannten, läßt hier die erste, auf einer frühchristlichen Gebetsstätte errichtete Kirche restaurieren. Sie fällt 1167 den von Friedrich I. Barbarossa initiierten Brandschatzungen zum Opfer. Anfang des 13. Jhdts. wird sie neu aufgebaut, 1223 neu geweiht, beim Brand der Stadt 1267 weitestgehend zerstört.
Anfang des 15. Jahrhunderts wird zunächst unter Star-Baumeister Hans von Burghausen, später unter Stephan Krumenauer (Stephan von Krumau) ein Neubau vollendet, 1592 übergibt Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau die Kirche den Franziskanern. Später gilt der romanisch-gotische Stil der Kirche als „unschön“, Ende des 18. Jahrhunderts plant der letzte regierende Erzbischof Colloredo gar, die Kirche komplett abreißen lassen, um an ihrer Stelle ein Mausoleum für Erzbischöfe zu errichten, was dann netterweise doch an Colloredos Sparsamkeit scheitert. Sehr wirkungsvoll der Eindruck, in dieser Kirche einen Weg aus „dunkler Welt“ ins Licht zu beschreiten, vom spätromanischen Langhaus zum lichtdurchfluteten Hallenchor mit seinen hohen, schlanken Säulen, zu Hans von Burghausens Zeit eine hochmoderne, kühne Konstruktion. Das Langhaus aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist eines der ältesten Baudenkmäler der Stadt.
Zwei Spinnen baumeln von einer Grabplatte in der Franziskanerkirche.
Bei diesem geschmückten Schädel, der zuweilen aus roten Juwelen ins Innere der Franziskanerkirche blickt, scheint es sich um einen St. Eutyches zu handeln. Oder um einen, von dem gewollt wird, daß er es ist.
In die Westwand des Südschiffes eingemauert ist der aus rotem Untersberger Marmor gefertigte Grabstein des heiligen Virgil. Er stammt vom Hochgrab des Virgil im alten romanischen Dom, der beim Brand von 1598 so schwer beschädigt wurde, daß Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau ihn abreißen ließ. Zur Weihe des neuen, unter dem Baumeister Santino Solari errichteten Barockdoms 1628 wurden die Gebeine des Virgil dorthin überführt, der Grabstein verblieb in der Franziskanerkirche. „Im Jahre des Herrn 1315 am 26. September hat Erzbischof Wichard von Salzburg hier den Leib des hl. Virgil beigesetzt.“
Der Tod, gelenkig wie immer.
Sehr alter Löwe (um 1220) beim Aufgang zur Kanzel.
All things are quite silent. Der Dom kurz vor einer Kürbiscremesuppe.
Mittwoch, 07.09.2011
Helmut Berger bleibt noch verhältnismäßig unsichtbar. Wir beschließen, daß dies sein Haus ist. Was genaugenommen eher unwahrscheinlich ist, aber wir gehen täglich daran vorbei und irgendwohin muß man sein „Helmut, wink‘ mal“ schließlich richten.
Freddie ist ein Exemplar der Chiroptera IKEAensis, ein wenig übergewichtig und äußerst friedfertig. Bisher bestand sein Leben vor allem aus zwei Beschäftigungen: „Am alten Kerzenleuchter hängen“ und „Sich mal runterfallen lassen“. Ein ruhiges, auf Dauer jedoch etwas langweiliges Dasein. So beschloß Freddie eines Tages, sich an einen Trolley zu hängen und Europa zu entdecken.
Auch Freddie befindet, daß eine Fahrt mit der Festungsbahn für Luschen ist, aber der Aufstieg zur 120 m hohen Festung Hohensalzburg ist eine echte Herausforderung für Mensch und Fledermaus.
Blick auf den Keutschachbogen. Benannt nach Leonhard von Keutschach, zwischen 1495 und 1519 Erzbischof von Salzburg, ein mächtiger, kriegerischer und sehr eigensinniger Regent, der in seinem Wappen eine Rübe führte. Jawohl, eine Rübe. Unter Leonhard wurde die 1077 während des Investiturstreits errichtete Festung zu ihrer jetzigen Gestalt ausgebaut, abgesehen von einigen Sperrwerken und Bastionen, die Erzbischof Paris Lodron im 17. Jahrhundert noch bauen ließ.
Es mag an der Höhenluft liegen, aber am Eingang zur Roßpforte denkt man: wenn hier nicht gleich der Nosferatu erscheint und hereinbittet, dann weiß ich auch nicht.
Oh, there he is.
Denn dies ist der Weg durch die Höllenpforte.
Vom Atem der Geschichte angeweht, fühlt sich Freddie um ein paar Jahrhunderte zurückversetzt und imitiert eine Fledermaus aus dem Jahre 1502.
Burghof.
Immer denkst du das weiße Antlitz des Menschen
Ferne dem Getümmel der Zeit;
Über ein Träumendes neigt sich gerne grünes Gezweig
Detail des Denkmals für Erzbischof Leonhard von Keutschach an der Südwand der St. Georgskapelle, 1515, ein Löwe hält das Rübenwappen. Wie die Inschrift aufklärt, segnet Leonhard hier das Land Salzburg. Das Land, wohlzumerken, dessen Bewohner ihm eher an der Rübe vorbei gingen. Es gibt 53 Rüben auf der Festung. Warum der grummelige Leonhard eine Rübe im Wappen führte? Eine Legende behauptet, daß Leonhard in jungen Jahren einem eher unaufgeräumten Lebenswandel anheimfiel. Ein Onkel Leonhards, ein braver Landmann, hielt ihm die lästerlichen Ausschweifungen vor. Leonhard reagierte keck, worauf der Onkel ihm eine Rübe an den Kopf geworfen haben soll.
Leonhard, der eine Vorliebe für süßen Wein behielt, ließ auch den „Salzburger Stier“ bauen (den man beim Audioguide-Rundgang bewundern kann), ein mechanisches Orgelwerk, das von der Festung aus einen markerschütternden Dreiklang erzeugte, der die 5000 Salzburger Bürger früh aus den Betten warf. Als ob jeden Morgen der Minotaurus brüllt.
In der St. Georgskapelle
Eingang zur Pfisterei: Ertzbischoff Leonhart hat auch Kheller, Kuchen und Pfister lassen machen.
Eine breite Treppe aus roten Marmorstufen führt zu den drei Obergeschossen des Hohen Stocks, dem Hauptgebäude der Festung, lange Zeit Residenz des Fürsterzbischofs, mit den fürstlichen Prunkräumen und dem Festungsmuseum in den ehemaligen Wohnräumen des Erzbischofs. Faszinierend: im 1. Obergeschoss kann man durch eine freigelassene Öffnung im Fußboden verblüfft auf den Gipfel des Festungsbergs starren. Im Festungsmuseum sind einige Folterinstrumente ausgestellt, Schandmasken und eine Kette für Falschspieler.
1998 entdeckte man in der Wand eines Raums im 2. Obergeschoss eine aus sechs Bögen bestehende romanische Fensteranlage. Die Wand war einst die Außenseite eines alten Palastgebäudes. Die Bemalung der Arkadenfenster ist 800 Jahre alt.
In der Goldenen Stube
Mit Audioguide durch den Wehrgang und auf den Reckturm.
Strange to behold is the stone of this wall
Till a hundred generations of men pass away
Der Festungsgasse-Brunnen
Der Abstieg von der Festung erfordert einige Balanceakte, ein wirbelnder Fallwind wird hinter uns plötzlich zu einem Miniaturtornado, ein schwarzes Eichhörnchen kreuzt unseren Weg. Im Durchgang zum Stiftshof von St. Peter gibt es einen Klosterladen, die Mönche verkaufen erstklassiges Bio-Eis, das wir beim Marmorbrunnen im Hof der Erzabtei genießen.
Picknick bei der Pferdeschwemme am Mönchsberg, dann entern wir St. Blasius. Wir sitzen auf einer Kirchenbank, ich lese mit gedämpfter Stimme vor: „Die gotische Hallenkirche wurde um 1330 als Nachfolgebau einer schon im Jahre 1185 urkundlich erwähnten Kapelle des Admonter Hofes errichtet…“ etc. Außer uns befinden sich noch zwei ältere Damen in der Kirche, die auf einer Kirchenbank weiter vorn abwechselnd den Rosenkranz beten. Da ich weiter vorlese, werden sie immer lauter und emphatischer, bis sie den – mea culpa – wahrscheinlich erbittertsten und rabiatesten Rosenkranz erklingen lassen, den St. Blasius je gehört hat. Eine Art Call and Response and Call zwischen ihnen und mir.
Das Gewölbe von St. Blasius
Im Park von Schloß Hellbrunn ließ Trakl sich manchmal über Nacht einschließen, aber „Trakl liebte auch den Park von Mirabell mit dem Zwerglgarten und dem Labyrinth von dunkelüberlaubten Wegen und Gängen, in denen man sich verlieren konnte – Ein Faun mit toten Augen schaut / Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten. In dieser Lyrik ist noch alles gedankenmusikalisch, thematisch stimmungsgetränkt, diaphan. Der Verfall tritt dem Dichter an allen Ecken und Enden entgegen, die schöne Stadt zerbröckelt in seiner Phantasie zu amorphen, vergilbten Bildern. Aus den braun erhellten Kirchen / Schaun des Todes reine Bilder…“ (Otto Basil).
Trakl-Gedichttafel im Mirabell-Garten an der östlichen Gartenmauer. Trakls Schwester Hermine wohnte nach 1909 für einige Jahre im Schloß Mirabell.
Eine mißmutige Kreatur im Mirabell
Eine scheue Kreatur im Mirabell
Eine neugierige Kreatur im Mirabell
Freddie im Mirabell
Im Zwergerlgarten. Ursprünglich 28 Zwerge hatte Fürsterzbischof Franz Anton von Harrach, der sich auch Hofzwerge hielt, 1715 nach Kupferstichen von Callot anfertigen lassen. Ludwig I. von Bayern fand sie so entsetzlich, daß er nicht nur zum Riechfläschchen griff, sondern auch zu Maßnahmen. Die Zwerge wurden entfernt, bis heute wurde etwa die Hälfte der Figuren wieder aufgefunden und zurück an ihren Platz gebracht.
Wilhelm, sind das Phantome, wenn es uns wohl ist?
Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau hatte Mirabell 1606 für seine Geliebte, die schöne Kaufmannstochter Salome Alt errichten lassen, damals noch als Schloß Altenau, Wolf Dietrichs Nachfolger Markus Sittikus von Hohenems benannte es in „Mirabell“ um. Der Garten wurde um 1690 nach Entwürfen von Johann Bernhard Fischer von Erlach umgestaltet, um 1730 noch einmal wesentlich verändert. Wolf Dietrich hatte sich in Rom vergeblich um Dispens bemüht, um Salome zu ehelichen, aber in Salzburg spricht man noch heute von Wolf Dietrichs Frau.
Den Sonnenuntergang verbringen wir im Heckentheater aus dem 18. Jahrhundert, gestaffelte Laubhecken wie Theaterkulissen, als wir den Mirabellgarten verlassen, lockt diese Schöne an eine Hintertür des Marionettentheaters, das im alten Hotel Mirabell untergebracht ist, in dem 1928 James Joyce wohnte. Die Königin der Nacht.
„Auch ich war einmal so elegant wie Sie, in Schwarz und Weiß“, sagt ein ausnehmend höflicher älterer Herr, der um ein wenig Kleingeld bittet und sich mit „Habe die Ehre“ und „Alles Gute, Mädl, darf ich Mädl sagen?“ bedankt, wir sitzen auf dem abendlich leeren, dunklen, stillen Domplatz, Mozart kommt in einer Kalesche um die Ecke, Offenbarung und Untergang.