SPIEGEL ONLINE Forum „Lieblingsfilme – was ist ‚großes Kino‘?“
08/2009
Aljoscha der Idiot / Christian Erdmann:
Ansonsten, heute nacht: „Die Nacht des Leguan“. Richard Burton auf der „phantastischen“ Ebene, am Ende der Welt, zwischen Ava Gardner, Deborah Kerr und Sue Lyon.
ray05:
Ava Gardner ist eine für Herzogs obszönen Dschungel. „Diva“ ist ein zu schwacher Begriff für die Frau, ich kann da gar nicht hinkucken. :)
Christian Erdmann:
Da kennen wir keine Gnade, ray. Keine.


Bei den Dreharbeiten für „The Night of the Iguana“ muß es gebritzelt haben bis Texas. Elizabeth Taylor war anwesend, um Burton vor Ava zu beschützen, die wiederum mal mit dem ebenfalls vor Ort wachenden Peter Viertel zusammen war, der mittlerweile aber mit Deborah Kerr verheiratet war.
Man wäre ja geneigt zu sagen, Burton war nie besser, aber da ist noch „Becket“.
07/2010
Cugel:
Ebenfalls mit Ava Gardner und ganz großes Kino: Die Nacht des Leguan. Mit dabei ein wie immer genialer Richard Burton als strauchelnder Priester sowie eine allerliebste Deborah Kerr.
Christian Erdmann:
Ja, Sie sagen es, gehört unabdingbar in mindestens eine schwüle Sommernacht pro Jahr. Wenn ich so müde wäre wie jetzt, würde ich wahrscheinlich einfach nur nicken, wenn jemand behauptet: gleich alle drei, Burton, Gardner, Kerr, auf den Achttausendern ihrer ohnehin überragenden Kunst. Und wer „allerliebste Deborah Kerr“ schreibt, darf meinetwegen sowieso behaupten, die Welt sei eine Cugel.
Cugel:
Anmerken möchte ich noch, dass in dem Film eine meiner Lieblingssterbeszenen stattfindet. Hoch über der Brandung auf einer umwucherten Terrasse sitzend, nach vollbrachtem Leben in den wolkenumhangenen Vollmond schauend endlich den Stock wegwerfen und vielleicht noch ein schwaches „also gut, ich bin soweit“ denken… das wär’s doch. Wird aber schwierig.
Christian Erdmann:
Vorher der älteste praktizierende Poet der Welt werden, bitte.
Nonnos letztes Gedicht, das alle zum Schweigen bringt, die letzten Wolken, die am letzten Mond für ihn vorbeiziehen, Deborah Kerr, die irgendwas, irgendwen bittet: Oh God, please can’t we stop now… ja.
Hannah ist ja wie Laura in „Die Glasmenagerie“ und Blanche (Streetcar) einer dieser Rose-Charaktere. Rose, Tennessee W’s Schwester, zu der er ein so obsessives Verhältnis hatte, schön, ätherisch, schlank, blond, verstört, als schizophren diagnostiziert, Lobotomie. Can’t we stop now… nach der Nacht des Leguan läßt er sie gehen, das Schicksal von Rose, für das er sich immer schuldig fühlte, akzeptierend, er läßt etwas gehen, das schon lange vergangen ist. Nachdem sie, in Gestalt von Hannah, ihn, in Gestalt von Shannon, vielleicht verstehen ließ, wie man mit seinen Blauen Teufeln leben kann.
Kommentarsektion Antirationalistischer Block
22.05.2020
Moves:
Meine Güte, 2010, das muss ein anderes Universum gewesen sein. Da fanden Szenen noch statt :-))) … unsichere Gehversuche im SPON-Forum. Ein Haifischbecken, wo sich Aljoschas und rays05 tummelten. Aber immerhin glitzerten sie schön, wenn die Sonne durch die Wellen brach und die schönsten Hockneys auf den Grund malte.
Wegen Deborah Kerr und Ava Gardner muss man dem Polytheismus verfallen. Ein Göttinnenhain, gegen den Asgard und der Olymp nur graue Vorzimmer sind, darin Zeus und Odin sich einen Schreibtisch teilen und eifersüchtig über ihren Zugang zu den Göttlichen streiten.
In „From Here To Eternity“, poetischer geht es nicht, da liegt Deborah Kerr mit Burt Lancaster nachts am Strand auf Hawaii in einer einsamen Bucht, und man merkt, wie das Meer es bitter bereut, seinerzeit Aphrodite schaumgeboren zu haben und nun versucht, Deborah Kerr auf ebensolche Weise wieder zurückzuholen. Vermutlich wurde die ganze Aktion nur deshalb abgeblasen, weil Mr Lancaster infolge der erotischen Verschlingung ja auch mitgekommen wäre, als Beifang sozusagen, oder Wermutstropfen?
Anyway… Meeresbrandung im Mondlicht auch in der Nacht des Leguan, wie ein roter Faden. Brandeten die Fluten auch in Quo Vadis? Wobei ich bei diesen alten Filmen immer verdrängen muss, dass der Mondschein kein Mondschein ist sondern die Sonne und nur die Blende soweit zugedreht wurde, dass es wie Nacht aussieht…
Ach Ava, Du hast Cpt. Towers einfach ziehen lassen in „On the Beach“, selber schuld der Typ, wenn er lieber mit seinen Kumpels in seiner Blechbüchse in See sticht anstatt die letzten Tage mit ihr zu verbringen. Nicht eine Silbe der Überredung hat sie an ihn verschwendet, der arme Tropf. Immerhin schaut sie ihm von den Cliffs herab nach, während die Kamera so tief sinkt, dass die auslaufende „Sawfish“, sein U-Boot, perfekt vom Windschutzscheibenrahmen ihres schnittigen kleinen Cabrios eingerahmt wird.
„You never take me alive, said he“
24.05.2020
Christian Erdmann:
„Wegen Deborah Kerr und Ava Gardner muss man dem Polytheismus verfallen.“ – Ganz entschieden. Trägerinnen heiliger Macht. Schließlich ist Antirat ja auch ein Tempelbezirk, dem Untergang geweiht, ein Reich erotisierter Wehmut. :)
„… und man merkt, wie das Meer es bitter bereut, seinerzeit Aphrodite schaumgeboren zu haben und nun versucht, Deborah Kerr auf ebensolche Weise wieder zurückzuholen.“ Ein so schöner Satz, daß darunter LA NASCITA DE VENERE von Respighi zu hören ist.
„From Here To Eternity“ – die Schauspielerleistungen sind alle phantastisch (Donna Reed als Lorene!), aber Deborah Kerr in diesem Film, da steht mir der Verstand still. Tatsächlich ist alles, was an ihrer poetischer-geht-es-nicht-Szene mit Burt Lancaster am Strand mythisch wurde, kein Mythos. Könnte hier

stundenlang zusehen.
So very beautiful: Deborah Kerr am Set.

„Brandeten die Fluten auch in Quo Vadis?“ – Fluten roter Haare. Von Deborah Kerr besitze ich tatsächlich ein Autogramm, hier in einer Überblendung mit Lygia.
Sie ließ mir diese Widmung großzügigerweise zukommen, nachdem ich ihr einen komplett konfusen, für sie wahrscheinlich äußerst rätselhaften Brief geschrieben hatte, der von ihren roten Haaren handelte und daß sie mich an ein früheres Leben erinnern, und davon, daß ich nach „Quo Vadis“ geträumt hatte, in der Arena zu stehen mit ihr und den anderen, kurz bevor die Löwen losgelassen werden, und wir singen „All The Young Dudes“ von David Bowie. Der Audiokommentar der „Quo Vadis“-DVD spricht von Deborah Kerrs „tremendous gracefulness“, sie war a trained ballerina, aber gemeint ist natürlich auch eine Form von Anmut des Charakters. Schrieb hier über Robert Mitchum:
„Neben all seinen anderen Vorzügen hatte Mitchum noch einen überaus bedeutenden Charakzerzug: er schätzte Deborah Kerr mehr als alle anderen Partnerinnen. Er meinte mal, sie könne ihre Szenen in der Schweiz spielen und er in Maryland, das Ergebnis wäre trotzdem perfekt. ‚Heaven Knows, Mr. Allison‘ ist auch noch so ein schwacher Punkt von mir, Mitchum als Corporal Allison, der auf einer Insel strandet, auf der sich erstmal wenig befindet außer Schwester Angela, Deborah Kerr als Nonne. Und die konnte ja Nonnen wie keine andere.“ Vgl. Black Narcissus. Das hier -> ist nicht von mir, obwohl es von mir sein könnte.
Good Lord, „On The Beach“ hast Du mir schon vor vielen Monden als einen Deiner Lieblingsfilme beschrieben, und ich habe ihn immer noch nicht gesehen. Das ändert sich jetzt, I promise. Vor nicht allzu langer Zeit sah ich diese Doku über Ava Gardner, über ihre Zeit in Spanien als, well, Göttin der Ausschweifung, und als klassisches Steinbock-Mädchen voller Selbstzweifel.
Ein komplett anderes Universum. :) Daß die Lieblingssterbeszene stattfindet, fand ich gerade schön. Ich glaube aber nicht, daß Ray und ich die Haie im Haifischbecken waren. Wenn doch, konnte man uns immerhin erkennen. :) Nicht nur uns, es gab ja noch identifizierbare Individualität. Ein abermals relaunchtes Kryptoforum existiert ja noch, aber ob man da schreibt oder nicht, es ist ein Tropfen im Ozean. :)
02.06.2020
An die Mondlichter
Dear Moves,
„On The Beach“. Gregory Peck, Ava Gardner, Anthony Perkins, alle schon immer voller Zuneigung, Bewunderung, Respekt gesehen, aber durch ihr Wirken in diesem Film werden sie immer very special sein. Du hast mir die Szene einmal geschildert, Dwight Lionel Towers und Moira Davidson in dem Zimmer dieser Herberge, in der betrunkene Australier „Waltzing Matilda“ gröhlen, bis der Gesang plötzlich andächtig wird für die Zeile „You’ll never take me alive, said he“.
„In diesem Satz ist alles zusammengefasst. Moira und Towers haben keine Zeit. Sie wird ihn und er wird sie niemals lebend bekommen, behalten. Sie schauen sich an. Diese Erkenntnis, obschon längst vorher latent vorhanden, lässt sich plötzlich nicht mehr unterdrücken. In ihren Blicken ist alles versammelt: Bestürzung, Trauer, Verlangen, und Liebe! Sie fallen sich in die Arme und küssen sich endlich.
Als alter Romantikjunkie kann ich diese Szene noch immer nicht anschauen ohne feuchte Augen zu bekommen.“
So hast Du es damals perfekt beschrieben. Was man aber eigentlich nicht beschreiben kann, ist Ava Gardners Blick, kurz vor dem Kuss. Bestürzung, Trauer, Verlangen, Liebe. Aber noch etwas anderes, etwas fast Überirdisches. It’s otherworldly.

Vieles an diesem Film wird unvergeßlich sein. Wie Ava Gardner sagt: „I wanted to walk down the Rue de Rivoli. And I wanted to buy gloves.“ Das mysteriöse Morse Code Signal aus San Diego, das bittere Lächeln, als das Rätsel gelöst ist, und wir erinnern uns, wie die Besatzung am Funkgerät irgendwann die Worte „Water“ und „connect“ dechiffriert hatte. Ava Gardner, als sie das Segelboot zum Kentern bringt, ihr Schrei, Gregory Peck, der sie, die Hand an exponierter Wohlgeformtheit, ins Boot hochschieben darf, ihr hinreißendes Lachen, Fred Astaire mit dem Fernglas die Szene beobachtend: „It’s like looking at a French movie.“
Die fürchterliche, todtraurige Verlegenheit nach „Sharon is the most terrible liar that – „
Die verlassene Golden Gate Bridge, das U-Boot, das unter der Brücke in die Bucht gleitet, das menschenleere San Francisco durchs Periskop. Swain, der an Land schwimmt. Gregory Pecks Stimme aus dem U-Boot-Lautsprecher beim letzten unheimlichen Dialog zwischen Towers und Swain in seinem kleinen Boot: „We won’t be coming back.“ – „I know.“ Das Periskop so unwirklich nah. Then gone. Gone forever.
Fred Astaire und sein Ferrari. Wie Ava Gardner über ihn sagt, voller Zärtlichkeit: „He doesn’t make the slightest bit of sense.“ Das Plakat THERE IS STILL TIME .. BROTHER. Das letzte Glas Sherry für Lieutenant Hosgood und ihren Vorgesetzten, Admiral Bridie, der sie fragt: „A girl like you – why no young men?“ – „They never asked me. I guess maybe it was the uniform.“ – „To a blind, blind world.“
Wie Gregory Peck schließlich erklärt, daß er mit der Crew in See stechen wird, zurück in die USA, für die allerletzten Tage und Stunden, und es doch nicht erklären kann. Moiras Verzweiflung, aber keine Vorwürfe, keine Szene, nicht eine Silbe der Überredung, nur: „It’s been nice, Dwight Lionel. It’s been everything.“
Just love, kindness, tenderness. IT’S BEEN EVERYTHING.
Und wie schließlich Peter zu Mary sagt: „And I want you to know that I could never have been happy with anyone in the world but you.“ Wie auch Mary aus ihrer Totentrance erwacht schließlich sagen kann: „We have been happy and fortunate“, während dieser letzten Zärtlichkeit auf Erden. All das, und doch wird nichts so unvergeßlich sein wie Ava Gardners Blick.
Mit 7 oder 8 sah ich einen japanischen Film, bei dem ich mir am Ende die Augen aus dem Kopf heulte. Ich werde nie mehr heraufbeschwören können, welcher Film das war, aber wie unendlich traurig er war, werde ich nie vergessen. Sätze wie „Still haunts me to this day all these years later“ finden sich zu „On The Beach“ auf YT in Hülle und Fülle. Habe ich die USS 623 Sawfish umkehren lassen? Sure.
Danke dafür, daß Du mir diesen Film ans Herz gelegt hast. Took me a while but now I got it.
Kommentarsektion Antirationalistischer Block
03.06.2020
Moves:
20 Jahre, vermutlich noch länger (mein Zeitgefühl unterschlägt meistens mindestens 10 Jahre, wenn nicht die Hälfte) warte ich darauf, bei jemandem eine ähnliche Begeisterung für diesen Film zu wecken… nein, zu finden! wie ich sie selbst hege, seit ich ihn zum ersten Male sah. Welch Labsal, finally!
Normalerweise blicke ich in gelangweilte bis verständnislose Gesichter, wenn ich die Handlung grob umreisse: ein Katastrophenfilm, um Himmels Willen. Aber niemand soll sagen können, er habe von nichts gewusst, es sei ihm nicht ausführlich genug erklärt worden, wenn Armageddon anbricht und das große Sortieren losgeht. Also mache ich weiter und erzähle von meinen Lieblingsszenen, von dramatischen Abschieden, von leisen Abschieden, von einsamen Abschieden und von traurigen Abschieden, bei denen auch noch das Licht ausgeht.
„Hast Du On the Beach gesehen, und hat er Dich umgehauen?“ wird eine ohrenbetäubende Donnerstimme rufen, und ein großes Gestammel und Wehklagen wird anheben unter den Banausen.
Einer meiner besten Freundinnen erzählte ich begeistert von der Hotel-Szene, rezitierte Waltzing Matilda, schilderte Blicke und Gesten und zeigte ihr schließlich den Ausschnitt auf YT. Aber sie mag nicht, wenn Frauen Männer „auf diese Art anschmachten und anhimmeln“. Eine verlorene Seele. I did my very best!
In Erinnerung geblieben ist mir auch die Szene, als sich Dwight Lionel von Julian verabschiedet. Er besucht ihn in seiner Garage und teilt ihm mit, dass er am nächsten Morgen auslaufen wird. Beim Hinausgehen hält er kurz inne, ein letzter Gruß, Julian schaut nicht auf, „also dann“ (mein Gehirn liefert mir nur die Synchro, und auch die nur ungefähr). Es ist wohl die vollkommene Endgültigkeit dieses Abschieds, die mich so fasziniert, obwohl ich sie mir für mich selbst nicht wünsche. Ein einfaches „also dann“ muss und wird genügen für die Ewigkeit, soviel ist sicher, als hätte man die Worte einen Tag früher abgedreht als den Rest der Welt.
Ganz anders dann auf dem Kai. „IT’S BEEN EVERYTHING“, und man merkt, man fühlt, wie die Ewigkeit hier aufschreit vor Wut unter diesem Schlag, unter diesen Worten. Damit hat sie nicht gerechnet. Sie hat doch noch nicht einmal richtig begonnen, aber schon war etwas ALLES. Heul doch, Ewigkeit!
Ich haderte lange mit dem prosaischen Titel „On The Beach“, fand sogar das deutsche „Das letzte Ufer“ besser und passender und liebäugelte lange mit „From Here To Eternity“ als Alternativtitel, der war aber leider schon vergeben, eine Poesie-Bazooka, viel zu schade für Burts, Montys, Franks und Ernests Testosteronfestspiele. Nur wenn ich mir vorstelle, Deborah lässt sich nicht auf Hawaii, sondern auf einem Strand einer Insel in der Ägäis von Meeresbrandung umspülen, mit einem marmornen griechischen Tempel auf hohen Klippen im Hintergrund, die Säulen weiß im Mondlicht schimmernd und noch lange nicht jahrtausendschwer, ja, dann geht’s.
To a blind, blind world.
05.06.2020
Christian Erdmann:
Es gibt ein Ava Gardner-Museum in Smithfield, North Carolina, das auch einen Official Ava Gardner Blog betreibt. Fand da einen Auszug aus „Ava: My Story“, ein Buch, das ich dringend auftreiben muß, sie schreibt zu „On The Beach“: „Though I’d read the book, Stanley’s script made me weep. You couldn’t say it was marvellous – that was somehow the wrong word. It was compelling, tragic, moving, chilling… It was a fictional scenario, but my God, everyone in the cast and crew knew it could happen. And that added a dimension of reality to the unreal world of filmmaking that none of us had experienced before.“
Im Museum gibt es eine „On The Beach“ lobby card, auf die Gregory Peck geschrieben hat: „A gloomy film, but Ava at her best.“ – „The two were lifelong friends.“ – Tatsächlich war „On The Beach“ „one of Ava’s favorite projects, and in Ava: My Story she summarizes her feelings on the film: ‚I was proud of being part of this film, proud of what it said.'“ ♥
Ava Gardner: All I wanna know is… if everybody was so smart – why didn’t they know what would happen!
Gregory Peck: They did.
Deborah Kerr über die iconic beach scene: „It wasn’t about seduction – it was about two people finding one honest moment in a world built on lies.“
