schlafschule69:
„On the Road“ ist ein fabelhafter Roman oder Erlebnisbericht, das hat aber nicht mehr mit „Black Spring“ zu tun als z.B. Ovid. Da gehts um Autofahren und Amphetaminkonsum und Sex … bei Miller geht es um existenzielle Nöte und Überleben in einer Umgebung, die man nicht wirklich versteht, und Sex.
Christian Erdmann:
Aber wenn man den ganzen Kerouac nimmt, geht es bei ihm um existenzielle Nöte (Liebe / Frauen zähle ich bei ihm dazu) und Überleben in einer Umgebung, die man nicht wirklich versteht, und Zen. :) Seine sehr persönliche Art von Zen. Die eine Schrift, die er sorgfältig überarbeitet hat, ist die „Schrift der Goldenen Ewigkeit“.
Billy Corgan von den Smashing Pumpkins sagte mal: „I’m a Pisces, and Pisces have this weird inability to be completely spontaneous. We’re too conscious of our actions. I’ve always been way too sensible for my own good.“
Wie dem auch astrologisch sei, zufällig ist Kerouac auch Sternzeichen Fische, und für Kerouac trifft dies ganz gewiß zu – diese „seltsame Unfähigkeit, vollkommen spontan zu sein“, dieses „sich seiner selbst ständig allzusehr bewußt sein“. Roter Faden seines Lebens, wie er es beschreibt. Er ist der Beobachter. Auf seltsame Weise zugleich immer mittendrin und immer am Rand. Der Song „Some Weird Sin“ auf dem „Lust For Life“-Album von Iggy Pop könnte geradezu von Kerouac handeln:
I never got my license to live
They won’t give it up
So I stand on the world’s edge
I’m trying to break in
Oh I know it’s not for me
And the sight of it all
Makes me sad and ill
That’s when I want
Some weird sin
Things get too straight
I can’t bear it
I feel stuck, stuck on a pin
I’m trying to break in
Oh I know it’s not for me
And the sight of it all
Makes me sad and ill
Etc
Einerseits bei Kerouac seine Fähigkeit zum – real häufig stummen – Mitleiden mit allem, was ist, andererseits: „I stay under glass“ – erneut Iggy Pop, „The Passenger“, ebenfalls auf „Lust For Life“ – „I am the passenger / And I ride and I ride / I ride through the city’s backsides / I see the stars come out of the sky / Yeah the bright and hollow sky“ – ständiges Unterwegssein, und ständiges Gefühl des Verlorenseins dabei, ebenfalls sehr Kerouac’sch. Der Bezug zu „Lust For Life“ (und dieser Lust verleiht Kerouac zugleich ja auch Ausdruck) ist gar nicht so weit hergeholt: immerhin ist mit der ersten Zeile des Gassenhauers „Lust For Life“, „Here comes Johnny Yen again“, eine Figur von William S. Burroughs angesprochen.
Die im Leben also immer etwas unter Glas bleibende Spontaneität schleudert Kerouac dann Hals über Kopf in sein Schreiben. Wie häufig dann bei Kerouac in der Rückschau das Bedauern – das Bedauern darüber, nicht ins Zentrum der Situation gelangt zu sein, aufgrund der von Corgan an sich selbst festgestellten Eigenheiten -, und trotzdem, zugleich, die Liebe zu allem, was geschah, geschieht, geschehen wird, das große: „Was kommt als Nächstes?“ als Mantra.
Gut – Kerouac war einer meiner Männer so zwischen 18 und 21 Jahren, aber fond affections werde ich immer hegen.
[SPIEGEL ONLINE Forum 08.04.2008]
Im März 2013 wird im Londoner Victoria & Albert Museum die Ausstellung David Bowie Is eröffnet, kurz darauf erscheint eine Liste mit Büchern, die Bowie unter den Tausenden, die er im Laufe seines Lebens gelesen hat, ausgewählt hat als jene 100, die für ihn besonders prägend und bedeutend waren. „On The Road“ von Jack Kerouac ist eines dieser 100 Bücher. „On The Road“ zelebriert das Unterwegssein als Daseinsgrund, als intensive Gegenwärtigkeit und ständigen Aufbruch zu neuen Perspektiven zugleich; Bowie würde immer viel zu sehr in Bewegung sein, um Bewegungen anzugehören. Auch war Bowie fasziniert von Kerouacs spontaner Prosa, die „das literarische Äquivalent zum improvisatorischen Elan des Bebops“ war: „Seine Liebe zur Unmittelbarkeit hat Bowie von Kerouac“ (John O’Connell, Bowies Bücher, Köln 2020, 158 ff.). Und für Bowie war Kunst immer auch spirituelle Suche; auch dafür war Kerouac ein Vorbild. Die Bekanntschaft mit Kerouac verdankte David Bowie seinem älteren Halbbruder Terry. Der Journalist Al Aronowitz: „The night before Bowie’s Carnegie Hall debut in New York, I’m sitting with him over a room service dinner in his Plaza Hotel suite while he amazes me with the story of how, when he was a teenager, reading On The Road had been his turning point. It opened up all possibilities for him.“
Bob Dylan sagt über „On The Road“: „It changed my life like it changed everyone else’s.“
Miscellaneous:
Traumtagebuch
Schnee ist da, Kinder, die durch die graue Luft schlittern – ich lauf heim durch die dunkle Moody, die dunkle Gershom, rede darüber, bis zu meinem dunklen Haus in der Sarah – alles und jedes hat diese Dunkelheit der Dinge, vergraben in dem verwesenden Boden – ICH bin es – ich sehe jetzt meinen Baum aus meiner Hand wachsen, durch die Knochen sehe ich den November scheinen, ich warte auf kommende Frühlinge und auf Blüten für meine Finsternis, ich bin der Frankenstein meines eigenen 6 Fuß Grabes, lebt wohl, ihr kleinen goldenen Kinder dieser fröhlichen verrückten Welt.
Zuvor, oder später, versuchte ich, ein paar gelbe Notizblöcke vom Schreibtisch der Western Union zu stehlen, im Marble Subway Korridor, war mir aber nicht darüber klar, wieviele, bis ich mich schließlich entschloß, alle zu stehlen, doch da fingen die hübschen Sekretärinnen an, von Zimmer zu Zimmer zu gehen, obwohl sie mir in Wirklichkeit gar keine Aufmerksamkeit schenkten
Mit meinen Malstiften zeichne ich eine bewundernswert schöne Szene einiger Gebäude am späten Nachmittag, vielleicht Kirchen oder Läden, aber weil ich reichlich Rosa und ein tiefes Tintenblau verwende und dick mit der Hand auftrag habe ich eine Farbe voll von Ehrfurcht und dem Geheimnis der späten Sonne auf altem Stein geschaffen, die wunderschön ist, etwas, das menschliche Augen nie zuvor gesehen haben, ein Kunstwerk, eines Da Vinci, sogar eines Rembrandts würdig – ich bin nur leicht erstaunt, zu erkennen, daß ich ein derart großer Künstler bin (…)
Eines Tages werde ich wiedergeboren werden in dieser großen Stadt in einem anderen Weltsystem, in der Vergangenheit oder der Zukunft, wo ein einziger 3 Meilen hoher Berg sich gegen den blauen Himmel abhebt – Mit all meinem Gefühl in mir, alles was ich brauche ist die Weisheit des Landes
Die Verblendung des Duluoz
… denn niemand kann mir weismachen, Herr Gott noch mal, daß dieser sozusagen massive homerische Krieg zwischen den Griechen und Trojanern lediglich auf wirtschaftliche Dinge zurückzuführen sei, daß es dabei nur um Handel und Gewerbe ging; was war denn mit dem Gewerbe in Helenas Keuschheitsgürtel?
Ich saß draußen auf der Veranda und lehnte mich weit zurück, mit den Füßen auf dem Geländer, und schaute zum erstenmal in meinem Leben hinauf zu den Sternen. Eine klare Augustnacht, die Sterne, die Milchstraße, der ganze Zauber klar. Ich starrte und starrte, bis sie zurückstarrten. Wo zum Teufel war ich, und was sollte das alles?
In meinen Träumen kommt es manchmal vor, daß ich vollgepackt bin, und andere Leute rennen neben mir her, auch auf dem Weg zum Bahnhof. Ich bitte sie darum, meinen Mantel oder meinen Schirm zu halten, aber sie lehnen immer höflich ab. Und daher gehe ich durchs Leben und muß mehr tragen, als ich tragen kann. Und niemand stört sich daran.
Denn obwohl ich ein loyaler Mensch bin, ist mir nichts geblieben, gegen oder für das ich loyal sein könnte.
… so sitzt er [Burroughs] langbeinig auf seinem Stuhl und betrachtet den leeren Bürgersteig, „wo es nichts zu betrachten gibt“, womit ich sagen will, daß der verdammte Planet, von dem er kommt, allen Lebens bar gewesen sein muß. („Ich bin Agent und komme von einem anderen Planeten“, sagte er.)
Und deshalb, meine liebenswürdigen Dummköpfe, wie traurig, wie wahr, wie notwendig, daß vielleicht ein ganzer Tag wie ein durchnäßter Lumpen sein muß, trostlos, qual-voll, wie der letzte Tag der Welt (der er einmal sein wird), und alle „Fenster werden verdunkelt sein und die Töchter der Musik niedergeworfen“ (…)
Tristessa
(Bull Gaines) „Wenn du Opium hast, brauchst du nichts mehr. Das ganze gute O geht dir in die Adern und du hast ein Gefühl, als ob du Hallelujah singst!“ Und er lacht. „Bring mir Grace Kelly auf diesen Stuhl, Morphium auf den da, und ich nehme das Morphium.“
„Ava Gardner auch?“
„Ava Gvavna und alle Briezen in allen Ländern der Erde.“
Unerträglich, wenn sie mich wegstieße und No, no, no sagte, wie in den französischen Filmen, wo die enttäuschten schnurrbärtigen Helden von der kleinen Blondine – der Frau des Bremsers – an einem Zaun im Rauch um Mitternacht auf dem französischen Rangierbahnhof abgewiesen werden.
Ich sehe Tristessas Bein und entschließe mich, den Ausgang des Schicksals zu vermeiden und jenseits der Himmel zu ruhen.
(„I look at Tristessa’s leg and decide to avoid the issue of fate and rest beyond heaven.“)
Passing Through (Desolation Angels)
„Habe ich alles gesagt?“ fragte Lord Richard Buckley, bevor er seinen Geist aufgab.
„Was geht mich die Universität an, laß mich weiterschlafen!“ Ich träumte gerade von einem geheimnisvollen großen Berg, auf dem sich die ganze Welt befand, alles andere konnte mir gestohlen bleiben.
Denn der einzige Grund für das Leben oder eine Geschichte ist doch: „Was passiert als nächstes?“
… oder wie die alten Fotografien, die man auf den Bodenspeichern von verlassenen Connecticut-Farmhäusern findet und die ein 1860er Kind in einer Wiege zeigen, und es ist bereits tot (…)
Und warum? Weil wir gefallene Engel sind, die im Himmel sagten: „Der Himmel ist herrlich, nur müßte es ihn auch geben„, und deshalb gleich fielen?
[Burroughs, Tanger] … kraftvoll ausschreitend wie ein meschuggener deutscher Philologe in der Emigration (…)
… und während ich dann auf seinem Bett saß und las, geschah es oft, daß er sich beim Runtertippen seiner Geschichte plötzlich vor Lachen darüber krümmte und manchmal sogar auf dem Boden wälzte. Ein seltsam komprimiertes Lachen, das von ganz tief innen kam, während er tippte. Damit aber kein Truman Capote denkt, er sei nur eine Schreibmaschine, zückte er zuweilen seinen Füller und begann auf Schreibmaschinenbogen zu kritzeln, die er, sobald sie voll waren, über die Schulter warf wie Doktor Mabuse, bis der ganze Boden mit den seltsamen etruskisch-unentzifferbaren Zeichen seiner Handschrift bestreut war. Mittlerweile waren, wie schon gesagt, seine Haare total zerzaust, aber da ich mich um sonst nichts weiter kümmerte, schaute er ein paarmal beim Schreiben hoch und sagte mit offenen blauen Augen zu mir: „Weißt du, daß du der einzige Mensch in der Welt bist, der im Zimmer sitzen kann, während ich schreibe, ohne daß ich überhaupt merke, daß du da bist?“ Ein großes Kompliment übrigens.
Nichts kann fader sein als „coolness“ (…), posierte, ja in Wirklichkeit starre Lässigkeit, unter der sich eine persönliche Unfähigkeit verbirgt, etwas Gewaltiges oder Interessantes aufzunehmen (…)
Aber ich sage dir, nichts ist schrecklicher als die leeren Morgengrauenstraßen einer amerikanischen Stadt, es sei denn den Krokodilen im Nil zum Fraß vorgeworfen zu werden, bloß damit Katzenpriester lächeln können.
Ist die Wirklichkeit der unwirkliche Teil der Unwirklichkeit?
Maggie Cassidy
… Kinder, die sich aneinanderklammern für das, was sie für einen reifen, selbstbewußten Kuß halten (…)
An ihrem Hals versteckte ich mich wie eine verirrte Schneegans aus Australien, suchte den Duft ihrer Brüste …
Schon kann ich sehen, wie sich im Stirnrunzeln hübscher Mädchen Stendhalsche Intrigen formen (…)
Ich umschlang ihre nachgiebige, sehnsuchtsvolle Taille, ihr Beckenknochen drückte gegen meinen, ich biß die Zähne zusammen in der Erinnerung an die Zukunft –
… meine heißen Augen spürten die sanften, kühlen Fingerspitzen, die Freude, das Streicheln und das Kaum-Berühren, die weibliche süße verlorene verträumte in sich versunkene vorausdenkende tieferdige aprilhafte Liebkosung (…)
Ich war bereits in den rotziegeligen Hotels inmitten des New York von 1939 gewesen und hatte meinen ersten Sex mit einem rothaarigen älteren Mädchen erlebt, einer professionellen Hure – ich war herumgelaufen und hatte damit angegeben wie all die anderen Irren der Schule, hatte schluckend im Bett gewartet, sie kam den Flur mit scharfem Absatzgeklapper herunter, ich wartete mit klopfendem Herzen, die Tür öffnete sich, diese vollkommen gebaute Hollywood-Schönheit schwebte herein mit dem Reichtum ihrer schweren Brüste (…)
Lonesome Traveller
… & sowieso nichts anderes zu tun habe als mit langem Gesicht das wirkliche Amerika mit meinem unwirklichen Herzen zu durchstreifen …
Was sind schon 5 Dollar für einen Märtyrer?
… während ich den Paris Soir las und dazu die Musik im Radio mit Neuigkeiten aus meinem ersehnten Paris – so saß ich da mit unerklärlichen bohrenden Erinnerungen, so als sei ich schon einmal auf der Welt gewesen und hätte schon einmal in dieser Stadt gelebt, unter Brüdern (…)
Im Britischen Museum fand ich im Rivista Araldica IV, S. 240, meine Familie: „Lebris de Keroack. Kanada, ursprünglich aus der Bretagne. Blau auf einem goldenen Streifen mit drei silbernen Nägeln. Motto: Lieben, arbeiten und leiden.“
Ich hätte es wissen können.
The Dharma Bums
„Denk nur mal an den Haiku, der vielleicht der größte von allen ist. Er geht so: ‚Der Sperling hüpft die Veranda entlang. Seine Füße sind naß.‘ Von Shiki. Du siehst die nassen Fußspuren wie eine Vision vor deinem geistigen Auge, und doch siehst du in diesen paar Worten auch den ganzen Regen, der an dem Tag gefallen ist, und beinahe riechst du die nassen Tannennadeln.“
Der Wald ist schuld daran, wenn dir so zumute ist. Er sieht immer vertraut aus wie etwas längst Verlorenes, wie das Gesicht eines vor langer Zeit gestorbenen Verwandten, wie ein alter Traum, wie der Fetzen eines vergessenen Liedes, der über das Wasser treibt, und vor allem wie die goldenen Ewigkeiten einer vergangenen Kindheit und vergangener Mannesjahre, und wie alles Leben und alles Sterben und aller Herzenskummer seit Millionen von Jahren (…)
Was ist ein Regenbogen, Herr?
Ein Reif für die Demütigen.
Om Mani Padme Hum
Gepriesen sei der Donnerschlag in der finsteren Leere
The Subterraneans
(Mardou Fox) (…) denn sie war es, die später sagte: „Männer sind so verrückt, sie wollen das Wesentliche, die Frau ist das Wesentliche, sie halten es direkt in Händen, doch sie laufen weg und errichten große abstrakte Gebäude.“
Die Regennacht deckt alles zu, küßt überall Männer Frauen und Städte in plätschernd trauriger Poesie, mit lieblichen Reihen aus trompetenblasenden Engeln hoch oben, und sie spielen die letzten orientalisch-geheimnisvollen Pazifik-gewaltigen paradiesischen Lieder, ein Ende der irdischen Angst.
kicks joy darkness. Jack Kerouac Tribute Album, 1997.
4 Antworten auf „Jack Kerouac, The Passenger“
Die Beats hatten zumindest einen Traum in sich getragen und ein Abenteuer gewagt und etwas für die damalige Zeit Neues und Rebellisches gefunden, das ihnen Kraft, Energie und Stoff gab, etwas zu schaffen, das man noch heute mehr oder weniger ein elementares Dokument vom Rausch der Bewegung nennen kann.
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The truth. Die Bedeutung des getting there, auch wenn noch nicht feststeht, wo there liegt. Weil es aber niemals in dem liegt, was das Establishment als Mainstream etabliert hat, moralisch, kulturell, gesellschaftlich, konnte einer wie Bowie [1973] die Beats als „the truest form of any form of revolutionary Left“ bezeichnen, „excuse me but that’s where it was at.“ Aber Kerouac und Ginsberg stehen nicht nur für das rebellische Wagnis, auch für das Erleben, wie bei der im Rausch der Bewegung gesteigerten Aufmerksamkeit, auch für das Leiden, eine Art ekstatischer Zärtlichkeit für die Welt entsteht.
Und das ist vielleicht das, was man nie verlieren darf, bei allen Enttäuschungen, Bruchlandungen und Miseren, die unendliche Zärtlichkeit dem Leben gegenüber.
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„‚We gotta go and never stop going ‚till we get there.‘ ‚Where we going, man?‘ ‚I don’t know but we gotta go.'“
– Jack Kerouac
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❤️
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