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Kunsthalle

Von verschwindender Kunst

02/2018

Von verschwindender Kunst. Artikel von Christian Erdmann. Bild: Hylas and the Nymphs, von John William Waterhouse.

5 Antworten auf „Von verschwindender Kunst“

Ein gutes Beispiel dafür, was geschieht, wenn Idiosynkrasien zu Kriterien der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung werden. Es ist eine Katastrophe.

Eine Anekdote aus Zeiten, als das noch weniger der Fall war, aber sich mir die Tendenz bereits ankündigte:

Ich habe vor Jahren (1993) eine Ausstellung im Goetheinstitut von Athen gemacht. Thema „Menschenbilder“, sowohl weibliche als auch männliche, zT Akte oder Halbakte. Der Ausstellungsbereich ist das weitläufige Foyer, in dem die Besucher und Mitarbeiter des GI Pause machen. Ich saß während der Ausstellungszeit oft dort, neugierig auf die Reaktionen auf meine Bilder. Zwei sind mir besonders in Erinnerung, beide von Deutschen:

Eine Frau, die ich wegen ihrer Fotografie schätze, setzt sich an meinen Tisch und beginnt, heftig über die Zumutung zu schimpfen, bei solchen Bildern ihren Kaffee trinken zu müssen. Ich kenne die Frau, sie mich aber nicht. Ich kläre sie auf, dass ich die Malerin dieser „abscheulichen“ Bilder bin. Sie ist beschämt und entschuldigt sich. Ich: keine Ursache, solange sie ihre Meinung der Künstlerin mitteilt und sich nicht an ihr unbekannte Tische setzt, um Gift zu verspritzen. Die Frau ist Lesbierin und findet offenbar die Abbildung halbnackter Männer unerträglich. Ich frage sie, welche Art von Kunst sie denn wünschenswert fände. Sie: zum Beispiel ein japanisches Pinselbild mit Enten.

Später kommt ein ehemaliger Kollege vorbei. Er vermeidet mich, seit sich unsere Wege im beruflichen Streit getrennt haben. Heute aber beugt er sich, ohne groß stehen zu bleiben, im Vorbeigehen zu mir herunter und murmelt: „Das ist die beste Ausstellung, die hier im GI gezeigt wurde“. Er ist homosexuell.

Ich denke, es ist klar, warum ich das erzähle: um zu zeigen, wie die eigene sexuelle Orientierung, die natürlich tiefere seelische Gründe hat, Zustimmung und Ablehnung von Kunst beeinflusst. Das ist ja auch in Ordnung. Nur: wenn sie zum staatlich anerkannten Kriterium wird, wird Kultur gecancelt.

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Danke Dir für Deinen Erfahrungsbericht! Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt, das, was Du die Idiosynkrasien nennst, die jeweils eigene sexuelle Orientierung als Einfluß auf die Bewertung von (erotischer) Kunst. Mit komplexen Verzweigungen, denn natürlich wird Kunst auch nicht selten gerade dann angegriffen, wenn sie den Rezipienten auf das „dunkle Andere“ und Verdrängte in ihm stößt.
Daneben findet aber als grundsätzliche Tendenz sowas statt wie eine Ent-erotisierung des öffentlichen Raums. Da fällt mir dieser Artikel ein.

https://www.welt.de/reise/staedtereisen/article170365407/Wie-verklemmt-die-Deutschen-ploetzlich-sind.html

Und: Kunst wird tatsächlich immer öfter und in einem Ausmaß, das ich extrem bedrohlich finde, von scheinbar völlig Kunstfremden beurteilt, wobei „kunstfremd“ beides bedeuten kann, entweder hat man wirklich keine Ahnung, oder aber man mißversteht bewußt. Mit welcher Aggression mittlerweile Macht- und Entscheidungsträger sowie Journalisten, die in der Lage sind, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, von der Kunst eine political correctness einfordern, die ohnehin äußerst diskutabel ist, gehört zu den vielen Dingen, die ich noch vor ein paar Jahren niemals für möglich gehalten hätte. Die „Cancel Culture“ hat ihren Ursprung in Kreisen, die sich linksliberal wähnen, tatsächlich steht sie so weit rechts, daß… – „Wir aber wenden uns einen Augenblick ab, um unseren Ekel zu überwinden.“ (Nietzsche)

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Danke, ja, das sehe ich genauso. Dass Kunst von Kunstfremden be- und verurteilt wird, ist natürlich nicht neu, war immer und immer der Fall, und der Nationalsozialismus mit seiner „entarteten Kunst“ und der Stalinismus mit seiner Sozialistischen-Realismus-Kunst waren nur eine Zuspitzung. Was vielleicht neu ist, ist das Schleichende, Schleimige und auch untergründig Sexuelle (Verdrängung) der neuen Tabuisierungen.

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„Eine Persönlichkeit“, hätte Hans Castorp gemurmelt, und wir liegen im Staub vor Verehrung. Wunderbar auch stets, sie in Talkshows zu sehen, wo sie en passant Zizek zitiert in entgeisterte Gesichter, und die lächelnde Souveränität, mit der sich ihre Intelligenz äußert, ist im Verbund mit ihrer Schönheit im sichselbsttotgequatschthabenden Brei der Nixwisserei, die sich bei solchen Anlässen zur Schau stellt, natürlich dazu angetan, Aggression zu wecken. Apropos Kleingeist: Frau Stokowski erklärte mal, sie würde die Kommentare unter ihren Artikeln nicht lesen. So muß man das wohl handhaben, wenn man on the wrong track ist und trotzdem das Gaspedal mit Bleifuß runterzudrücken gewillt ist.

https://christian-erdmann.com/2022/09/30/lisa-eckhart-2-oder-3-dinge-die-ich-von-ihr-weiss/

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