Freitag, 31.08.2012
Wie man zur Burg Pernštejn kommt: Man nimmt einen Zug von Brno nach Tišnov, steigt dort um in einen Zug nach Nedvedice, schaukelt durch wilde Gebirgslandschaft, ruft „Hüte festhalten, Ladies!“, Mylady ruft „Ich halte nicht am Borgo-Pass!“, es riecht verdammt stark nach Knoblauchwurst, man erinnert sich an die Fledermaus von gestern abend mitten in Brno, groß wie die von Willem Dafoe ausgelutschte in „Shadow of the Vampire“, steht dann recht unvermittelt auf dem Bahnhof dieses Fleckens unterhalb der Burg und hat noch zwei Kilometer zu gehen. Aufwärts. Aufregend, die Burg in der Ferne zu sehen.
Man kommt nur mit Führung in die Burg. Es gibt vier verschiedene Besichtigungsrouten, für drei davon muß man vorab eine Reservierung tätigen. Und wenn man „Nosferatu – Phantom der Nacht“ von Werner Herzog – mit Klaus Kinski, Bruno Ganz, Isabelle Adjani – für einen der besten und schönsten Filme aller Zeiten hält, ist es von höchster Wichtigkeit, herauszufinden, welche der Besichtigungsrouten an möglichst viele der Punkte führt, die Herzog zwischen dem 1. Mai und dem 6. Juli 1978 für seine Kamera auswählte. Alle Szenen auf der Burg in „Transsylvanien“, auf der Nosferatu / Graf Dracula (Klaus Kinski) Jonathan Harker (Bruno Ganz) empfängt, wurden auf Burg Pernštejn gedreht – insgesamt etwa 25 Minuten des Films.
Mein „Mám otázku“ („Ich habe eine Frage“) war bei der wunderbaren Radka Loukotova aus dem Ticket Office gelandet. Sie bedauerte zunächst, daß die Tour, die ich favorisiert hatte, nur auf Tschechisch angeboten wird. Ich antwortete, das sei kein Problem, erwähnte „Nosferatu“ und unseren Wunsch, auf der Burg so viele Schauplätze des Films wie nur irgend möglich sehen zu können. Mlle. Loukotova kannte den Film nicht, setzte aber Hebel in Bewegung, „trying to figure out where it was taken“, und teilte wenig später mit, ein Kollege habe bestätigt: „it was taken in the Entrance Hall, Tyrolean Courtyard, Reception Hall“. Ich schickte ihr einige Screenshots aus dem Film, unter anderem mit dem Gang, den Bruno Ganz im oberen Stock unternimmt, bis er an die dritte Tür kommt: jener Raum, in dem Harker untergebracht ist, an Lucy schreibt, und bei Nacht dem Nosferatu schließlich zum Opfer fällt. Die charmante Antwort: „Dear Mr. Erdmann, you are welcome, there’s nothing to thank for. :) Thank you for that pictures, they helped a lot. It is – as I thought – Entrance Hall and Reception Hall and they both are in number I. But because of that corridor it would be better to join number III… But I have to tell you that the room in the corridor isn’t included. You will see just the closed doors – is it enough? :) Well, it seems it’s really complicated at our castle, but I believe you will like it here :)“
Besichtigungsrunde III also. Im Ticket Office kommt es zur herzlichen Begrüßung mit Mlle. Loukotova („You must see that movie!“). Wir waren für 14:00 gebucht, dürfen aber noch in die 13:00-Tour rutschen. Daß man nur mit Begleitung in die Burg darf, hat sicher auch den Vorteil, daß man sich nicht verirren kann, unabsichtlich oder absichtlich. Gewissermaßen ist es in der Tat „really complicated at our castle“: der Palas ist labyrinthisch.
Im Burghof hinter dem IV. Tor schauen wir uns die Kapelle an und warten auf den Beginn der Führung. Überwältigt von dem Gefühl, wirklich hier zu sein.


Der erste Teil der Szenen, die Herzog auf Burg Pernštejn dreht: Harkers Ankunft.
Man betritt den Palas über dieselbe Treppe, auf der Bruno Ganz zur Begegnung mit Klaus Kinski emporsteigt.



Die Treppe ist überdacht, ein diagonaler Korridor gleichsam, und sie ist so lang, daß man sich fragt, ob bzw. wie Herzogs Kamera auf den Trittstufen stand. Klaus Kinski dagegen steht im Freien.
Es ist leider nicht erlaubt, im Palas zu fotografieren. Auf dem folgenden Bild ist aber zu sehen, wo die Szene spielt. Links, erkennbar an den runden Fenstern, der Aufgang mit der Treppe, die Bruno Ganz hochsteigt. Klaus Kinski wartet hinter der Tür, von der ein kleines Stück zu sehen ist. Besichtigungsrunde III verweilt auf diesem Plateau, und während 25 Menschen der jungen tschechischen Dame zuhören, die uns durch die Burg führen wird, stehen wir da, wo Kinski stand, und flüstern mit Augen groß wie Untertassen. „Ich bin Graf Dracula und heiße Sie in meinem Schloß willkommen“: right here. In der Mitte die Mauer, von der Kinski den Kerzenleuchter nimmt; rechts, unter dem Wappen, der Eingang, durch den Dracula und Harker ins Burginnere gelangen.





Wir kommen in die Entrance Hall: die im 16. Jahrhundert entstandene Eingangshalle mit dem phantastischen Diamantengewölbe. Die erste Szene, die hier spielt, ist das Nachtmahl, mit dem Graf Dracula seinen Gast bewirtet.
Der Erker mit dem Tisch befindet sich auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite der Halle. Teile des Diamantengewölbes der Entrance Hall sind im establishing shot sichtbar.

Die Ausstattung unternahm Herzogs Team, Herzog erwähnt im Audiokommentar des Films „völlig leere Eingangsräume“. Teilweise benutzte man für die Szenen Mobiliar und Gegenstände, die andernorts auf der Burg zu finden waren; die Uhr dagegen wurde von einem handwerklich begabten Mathematiker namens Cornelius Siegel eigens für den Film angefertigt. – Jörg Schmidt-Reitwein, der Kameramann, von Herzog zurecht gerühmt als Magier der Beleuchtung, ist Sohn eines Malers.



„Hören Sie? Hören Sie! Die Kinder der Nacht, wie sie Musik machen!“




Harker schneidet sich mit dem Brotmesser in den Finger, das Blut reizt den Vampir, der vorgibt, nur die Wunde aussaugen zu wollen, „Bitte lassen Sie mich… das ist das älteste Heilmittel der Welt…“, Harker weicht vor dem enragierten, plötzlich gefährlichen Vampir zurück, Nosferatu / Kinski drängt ihn durch die Halle, an einem der Treppenaufgänge vorbei, Harker fällt in einen der Stühle vor dem Kamin. Der Vampir läßt schwer atmend ab: „Wir sollten noch zusammen aufbleiben… es ist noch lange bis zum Sonnenaufgang.“ Harker schlummert vor dem Kamin ein.


Der Kamin existiert nicht. Im Audiokommentar sagt Herzog: „Dieser Kamin ist gebaut“, wir dachten, daß Herzog an einen vorhandenen Kamin diesen bizarren Vorsatz anbringen ließ, tatsächlich befindet sich aber in der Halle kein Kamin.

Nach dieser alptraumhaften Nacht erwacht Harker in der Halle; der Vampir ist verschwunden. Harker findet einen reich gedeckten Tisch vor und beginnt dann, die Burg zu erforschen, dieses Gemäuer, „das so irregulär und so seltsam ist und so viele merkwürdige Türen hat, da habe ich gesagt, das muß ohne Schnitt gehen, wir dürfen hier nicht schneiden, wir müssen sozusagen dem Mann jetzt folgen. Und wir müssen das Gefühl haben, es gibt keinen Ausgang.“ (Herzog)
(Bei der Silhouette, die man am Ende dieses Filmausschnittes sieht, handelt es sich um die Ruine von -> Burg Strečno in der Slowakei, nicht um Pernštejn)
Hinter Bruno Ganz eine rätselhafte Tür, die auch später für ihn verschlossen bleibt, und von der wir auch während der Führung nicht erfahren, wohin sie führt.

Blick in Richtung Eingang:

Harkers Blick fällt auf eine der beiden Treppen, die sich an den Längsseiten der Halle befinden – sofern man bei diesem unübersichtlichen Grundriß von „Längsseiten“ sprechen kann.

Die Handkamera folgt ihm durch die Halle, und schwenkt dann, seinem Blick folgend, zum Diamantengewölbe hoch.


Harker takes the stairs. Auf der anderen Seite der Halle führt eine fast identische Treppe hinauf. Falls der Nosferatu-Liebhaber darob in der Halle die Orientierung verliert: ein kleines Fenster gibt es nur bei dem einen Treppenaufgang.


Auch einige Szenen des Films „Bathory“ von Juraj Jakubisko wurden auf Burg Pernštejn gedreht. Hier führt Erika, eine Dienerin Elisabeths, Caravaggio (the same) die Treppe hinauf; auch Jakubisko läßt zum Diamantengewölbe schwenken.
Herzogs Kamera steht hier in der Reception Hall, einem Saal, der die Eintrittshalle im ersten Stock gleichsam wiederholt. An einem Punkt der Führung stehen wir genau da, wo die Kamera steht, um dann wie Bruno Ganz den Gang zu erforschen. Dieser Gang führt rund um den Palast und war ursprünglich ein Wehrgang auf der Burgmauer.


Harker geht an zwei Fenstern vorbei, schaut in zwei Räume, deren Türen offenstehen, und kommt dann zur dritten Tür; in diesem Raum findet er seine Packtaschen.
Man findet Inschriften an mehreren Stellen der schmalen Gänge; im Ausschnitt Herzog – Nosferatu – III erkennt man eine davon bei Minute 2:55. Vermutlich haben Soldaten, die sich bei der Nachtwache langweilten, im 16. Jahrhundert die Wände mit Rötelstift bekritzelt. Manche der Inschriften sind Zitate, etwa aus der Bibel, man findet auch eine der ersten Übersetzungen Ovids ins Tschechische, anderes ist originäres Gedankengut der Soldaten. Vielleicht hat sich auch eine unglückliche Prinzessin verewigt, oder die in den Burggängen umherirrende Weiße Frau: natürlich hat Pernštejn sein Gespenst, der Geist einer Kammerzofe, die es vorzog, sich im Spiegel zu bewundern, statt fromm zu beten. Darum gibt es hier auch einen Spiegel, von dem es heißt, daß jeder, der hineinblickt, binnen eines Jahres seine Schönheit verlieren wird.
Harkers Zimmer:

Blick auf die Burg von außen. Harker befindet sich in dem Eckzimmer mit den hell umrahmten Fenstern. Links der Turm der Vier Jahreszeiten.


Die folgende Szene: Harker erwacht aus der Nacht, in der er von Graf Dracula heimgesucht wurde, eilt hinunter, und wir können die Entrance Hall noch einmal en detail erkunden. Zuletzt läuft er, wie schon in einer Szene zuvor, in den kleinen Burghof: dies ist der „Tyrolean Courtyard“.
Unfaßbar, als wir den Hof betreten, gerate ich an derselben Stelle in das Löchlein zwischen den Steinen wie Bruno Ganz. Während die Führung im Tiroler Hof erneut anhält, besetze ich die Stelle, an der Bruno Ganz für immer leicht ins Straucheln kommt (1:20), und muß fast weinen. Niemand bessert diese Stelle jemals aus, das ist ein Befehl.
Auch diese Szene aus „Bathory“ wurde im „Tyrolean Courtyard“ gedreht:
Schaut man im Tiroler Hof nach oben, sieht man nur ein winziges Stück Himmel. Durch das bizarr zusammengewachsene Gebilde der Gebäude blieb über dem alten Burghof nur noch ein Lichtschacht in der Mitte des Palas.
Die Ursprünge der Burg liegen im 13. Jahrhundert, 1285 wird Burg Pernštejn erstmalig erwähnt. „Pernštejn“ ist eine altböhmische Abwandlung von Bärenstein. Die ersten Herren der Burg trugen den Namen von Medlov, später übernahm der auf der Burg lebende Familienzweig den Namen Pernštejn. Im Laufe des 14. Jahrhunderts verlor die Familie an Bedeutung, auf der Burg wußte sich Vilém I. von Pernštejn jedoch zu behaupten. Er hielt eine kleine Truppe auf der Burg, die man manchmal nur schwer von einer Diebesbande unterscheiden konnte, und es gelang ihm, Vorteile aus der Unterstützung verfeindeter Parteien zu ziehen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde damit begonnen, die Burg zu befestigen; Viléms Sohn Jan I. ließ die Wehrhaftigkeit der Burg erhöhen, seine Herrschaftszeit und die Regentschaft seiner Söhne Vratislav I. und Vilém II. (in der zweiten Hälfte des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts) bedeuten die Aera der größten Bautätigkeit auf der Burg.
Im 16. Jahrhundert wurden Burgen als Familienwohnsitz weitgehend von komfortablen Schlössern abgelöst. Unter Vilém II., der seine Familie zur reichsten im Böhmischen Königreich und in der Markgrafschaft Mähren gemacht hatte, begann sich auch Pernštejn in das Denkmal einer Adelsfamilie zu verwandeln. Die letzte Bautätigkeit von Bedeutung erlebt Pernštejn in der Mitte des 16. Jahrhunderts unter Jan II., von dem der Satz stammt: „Wenn es nichts mehr zu bauen gibt, laßt etwas abtragen und baut es neu auf.“ 1596 aber zwingt der unaufhaltsame Vermögensverlust die Familie zum Verkauf der Burg; einige Jahrzehnte später stirbt die Familie, als wäre ihr Fortbestand nur auf der Burg möglich gewesen, vollkommen aus.

Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges ging die Burg in den Besitz der Grafen von Lichtenstein-Kastelcorn über, kaisertreu und trotz Belagerung durch die Schweden (1645) auf der Seite der Sieger, 1655 wurde Pernštejn zur mährischen Landesfestung ernannt, während viele andere Burgen als mögliche Nester des Widerstandes gegen die Habsburger zerstört wurden.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts übernahm die Familie der Stockhammer die Burg, unter deren Herrschaft die Wände und das Deckengewölbe des Rittersaals mit Stuckverzierungen versehen wurden. Seit 1760 keine Festung mehr, kam die Burg gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den Besitz von F. I. Schroeffel von Mansberg; dessen Nichte ehelichte 1828 Vilém Mitrovsky. So gelangte Pernštejn in den Besitz der letzten Adelsfamilie, die, obgleich nicht ständig auf der Burg wohnhaft, bedeutende Spuren hinterließ: Viléms Sohn Vladimir I. ließ die vernachlässigte Burg mit großem Aufwand sanieren.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde mit Büchern aus dem Familienbesitz der Mitrovsky im großen Saal des Renaissancegebäudes eine Bibliothek gegründet, eine naturgeschichtliche Sammlung kam hinzu.
In dieser Bibliothek drehte Herzog die Szene aus „Nosferatu“, in der Graf Dracula den Kaufvertrag für das Haus in Wismar umgehend abschließen will, als er ein Bildnis von Harkers Frau Lucy – Isabelle Adjani – sieht. Es ist die wunderbare „Ich lege keinen Wert mehr auf Sonnenschein und blitzende Fontänen“-Szene: „Die Papiere, den Vertrag, ich unterschreibe sofort!“ – „Eigentlich haben wir noch keinen Preis festgesetzt…“ – „Das ist doch ganz unwichtig!“ Unsterblich.



Wir dürfen die Bibliothek von einer Treppe aus sehen. Und in der naturgeschichtlichen Sammlung haben wir unter der Vielzahl ausgestopfter Vögel den einen entdeckt, von dem Herzog oder ein Requisiteur bei den Dreharbeiten sagte: den stellen wir Kinski auf den Tisch. Es gibt dort zwei ausgestopfte Adler; den für den Film ausgeliehenen Adler erkennt man daran, daß er etwas in den Fängen hat, das einmal ein kleines Füchslein war.
Der ausgestopfte Wolf, der am Anfang dieser Szene zu sehen ist, steht noch an derselben Stelle.
„Zeit, das ist ein Abgrund, tausend Nächte tief…“
Als wir in einem der oberen Stockwerke, man hat längst die Orientierung verloren, einen Treppenabsatz erreichen, flattert hinter einer Glasscheibe, die einen Gang abtrennt, aus unerfindlichen Gründen eine kleine Fledermaus, wie ein Nachkomme der kleinen Gesellen, die bei Bruno Ganz am Fenster hängen. Den Enthusiasmus, mit dem wir dem zur Unzeit aufgeregten Flattermäuschen begegnen, quittiert unsere Führerin mit abgeklärtem Lächeln.
Nach der Führung durch den Palas genießen wir eine köstliche heiße Schokolade in der Gaststube, der alten Burgschenke aus dem 16. Jahrhundert, dann erkunden wir noch einmal das weitläufige Burgareal, jeden Zentimeter, der von außen zugänglich ist.
Blick auf das IV. Tor mit den Wappen des Grafen Vilém Mitrovsky und seiner Gemahlin Josefina Schroeffel von Mansberg.

Blick in die andere Richtung: das III. Tor, rechts die alten Kutschenhäuser, links der sogenannte Schroeffel-Garten.

Im Schroeffel-Garten

Zuletzt identifizieren wir noch den Schauplatz der Szene, in der Harker von der seltsamen Kutsche in die Burg gebracht wird; die Kutsche fährt durch das Tor des sogenannten Barbakan, der die Verteidigung mit Feuerwaffen ermöglichte.






Anhang: Kommentarsektion Antirationalistischer Block
Oktober 2012
Monika Cate:
WOW!! Danke, wunderschöner abendlicher Ausflug für mich. Als ich sah, daß Teil 3 Eurer Reise dran war, hab ich mir erstmal eine köstliche heiße Schokolade gemacht und als ich von Eurer las, nahm ich gerade einen Schluck :) Werde den Film nun mit wieder neuen Augen sehen, nehme ich mir gleich fürs Wochenende vor. DANKE!
Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
In der Schenke hört man noch das Gejohl und Geklirr der Soldaten, die da vor Jahrhunderten ihren Sold verzechten, und genießt diese köstliche heiße Schokolade folglich etwas verschämt. Danke also für Deine Solidarität. :)
ray05:
Die Sachwalter des Burgtourismus wissen nichts von „Nosferatu“? Da treibt’s mir gleich den Pflock ins Herz, wenn das höre. Erinnert an Prag: dort sind auch alle mit plötzlicher Taubheit geschlagen, wenn der Name Kafka fällt. :)
Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
Seufz, ja. Um meine Zähren zu trocknen, sagte ich mir: keiner von uns kennt alles. Ich zum Beispiel kannte bis vor kurzem „Inception“ nicht. Ich kenne „Inception“ auch jetzt noch nicht so richtig, weil mir der autistische Krach von Hans Zimmer, gegen den die Schauspieler phasenweise anschreien müssen, so auf den Senkel ging.
Daß man keine heilige Zusammengehörigkeit von „Nosferatu“ und Pernstejn zelebriert, hat sicher viele Gründe, und für viele Dinge ist vielleicht auch erst jetzt langsam Zeit. Im Sozialismus dürfte die Burg tatsächlich nichts als ein leerer Spuk gewesen sein.
Kafka: Prag, Hotel, Nacht, an der Rezeption saß dieser studentisch aussehende Mensch mit Buch. Ging nochmal runter zu ihm, weil ich dachte, den könnte ich nach dem Kafka-Museum fragen. Also nicht dem in Kafkas Geburtshaus, sondern dem anderen, von dem man nie was liest. „What was the name?“ Über seinem Nerd-Pizzateller googelte er dann erstmal nach Kafka. Ich meine, der hat ja auch einiges hinter sich da, der Kafka. Verfemung aus politischen Motiven, Vereinnahmung aus politischen Motiven, Vermarktung. Verstehe schon, wenn es Zeit braucht, Kafka einfach so entdecken zu wollen als weltbesten Literaten aus Prag. Something else aber: die schmerzliche Einsicht, daß man tatsächlich einen Schritt vor den anderen setzen kann, ohne Herzog, Kinski, Kafka, Rilke und Rimbaud, Cave und Cale, 89% dessen, was unsereins so liebt, auch nur zu kennen. Ist aber so. Diese Einsicht macht aus unsereins den Nerd. Ich hab nur irgendwann beschlossen, unverdrossen ins Wasser schreiben. :)
ray05:
Ins Wasser schreiben: da denk ich an Flaschenpost. Ist eh alles Flaschenpost durch Zeit und Raum. Jedes gut verkorkte Zettelchen trägt die geheime Überschrift „Message to our folks“. :) Ich werd der Isar ne richtig altmodische Flaschenpost mit auf die Reise geben. Meinste, die können Englisch in Bulgarien?
Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
Ne Menge alter Verstecke von Schwarzmeerpiraten da unten. Was hast Du vor, eine Piratenbraut aus dem 17. Jahrhundert nach Marienbad einladen? :)
„Alles ist Flaschenpost durch Zeit und Raum“, voilà. Take them down the only road you’ve ever been down. You know the one that takes you to the places where all the veins meet.
Anonym:
…unverdrossen ins Wasser schreiben:
Ja, tun Sie das weiter!
Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
„Here lies one whose name was writ in water“. But I’m a lucky man.