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Salzburg / Cesky Krumlov / Prag – 2011 [4]

Die Wenzelskeller befinden sich unter dem 4. Schloßhof, sie entstanden Anfang des 14. Jahrhunderts als eine Art Hinter- und Unterland der Burg. In diesem mehrstöckigen Labyrinth wurde angeblich auch König Wenzel IV. festgehalten. Was vermutlich nicht stimmt: ein gefangener König wurde in den Wohnräumen der Burg bewacht. Als Ausstellungsräume für Gegenwartskunst sind die Wenzelskeller überaus effektiv. Der Künstler Miroslav Páral findet hier unten die „Czech-Krumlov Surreality“ ohnehin lediglich verdichtet. Andere finden hier unten ein unterirdisches Abberline-Whitechapel.

Cesky Krumlov. Krumau. Wenzelskeller.
Wenceslas Cellars. Foto von Christian Erdmann. Cesky Krumlov, Wenzelskeller.

St Veit

Cesky Krumlov. Krumau. St. Veit.

Never a dull moment with Ting Tong – als wir in einem der in Tschechien häufig von Vietnamesen geführten Lebensmittelläden die Gebäcklage studieren, zupft einer der Verkäufer Birgit am Ärmel und deutet verschmitzt auf das Pumpernickel. Schwarzbrot für Schwarzgekleidete.

Cesky Krumlov. Krumau. Doku "Die Vampirprinzessin".
Cesky Krumlov. Krumau. Doku "Die Vampirprinzessin".

Wir haben vor, die Ausgrabungsstätte zu finden, jenen Ort, an dem 2007 die Skelette der drei im 18. Jahrhundert als Vampire Verdächtigten entdeckt wurden, die man offensichtlich daran hindern wollte, aus ihrem Grab zu steigen. Wir haben drei Anhaltspunkte: wir wissen, daß die Stelle an einer Moldaubiegung liegt, die sich damals außerhalb des Stadtgebiets befand; wir haben ein Bild von den Grabungsarbeiten, auf dem ein Geländer deutlich zu sehen ist,

Cesky Krumlov. Krumau. Doku "Die Vampirprinzessin".

und auf einer Website namens shroudeater.org (!) gab es die Andeutung, daß die Straße namens Plesivecka in die richtige Richtung führt.

Wir begeben uns also in Richtung Süden, den alten Stadtkern verlassend, und die Plesivecka stellt sich als Gasse heraus, in die sich am späten Nachmittag schon niemand mehr verirrt.

Cesky Krumlov. Krumau. Plesivecka.

In der Plesivecka befand sich 1910 ein kleines Häuschen, in dem zwei Studenten der Prager Universität eine Dame entdeckten, die heute zum kostbarsten Besitz des Kunsthistorischen Museums in Wien zählt: die Krumauer Madonna, entstanden um 1400, Inbegriff der spätgotischen Madonnenfiguren vom Typus der Schönen Madonna oder auch des Weichen Stils, der im Umfeld des Prager Hofes gedieh.

Und wir entdecken im Abendlicht das Geländer, das den Platz der 3 Toten von Krumau anzeigt,

Cesky Krumlov. Krumau.

jenen Ort, durch den ein archäologischer und forensischer Beleg für die Vampirhysterie des 18. Jahrhunderts gelang.

Wer genau hinschaut, entdeckt im Gras noch Spuren der Grabung.

Cesky Krumlov. Krumau.

Rückweg durch die Plesivecka,

Cesky Krumlov. Krumau. Plesivecka.

vorbei am Haus der Tausend Leichen, in dem wir, Rob Zombie möge uns verzeihen, Boleslav den Behämmerten vermuten,

Cesky Krumlov. Krumau. Plesivecka.

vorbei an offensichtlich bearbeiteten Steinen von Werweißwann, die einfach so am Straßenrand liegen.

Cesky Krumlov. Krumau. Plesivecka.

Bemalte Front des Hauses Na Louži Nr. 54, ein ursprünglich gotisches, mehrfach umgebautes Haus, die Renaissancemalerei-Verzierung stammt aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Cesky Krumlov. Krumau. Haus Na Louzi 54 mit Renaissancemalerei.

Ting Tong hat die dünnsten Plastiktüten, die er aus den Flügeln des Cellophanschmetterlings schneidet.

For Sale.

Cesky Krumlov. Krumau.

Montag, 12.09.2011

Egon Schiele. Selbstporträt, Self Portrait.

Egon Schiele, 12.6.1890 – 31.10.1918.

Schiele weilte oft und gern in Cesky Krumlov, dem Geburtsort seiner Mutter. Die Stadt inspirierte ihn zu einer Vielzahl von Zeichnungen und Bildern. Aber Schieles Bohème-Leben und die erotischen Motive seiner Kunst erregten Ärgernis; er mußte Krumau verlassen und zog nach Neulengbach, wo ihn 1912 der Schock seines Lebens traf – er wurde wegen „Gefährdung öffentlicher Sittlichkeit“ eingesperrt und angeklagt.

Am Morgen des 28. Oktober 1918 stirbt Schieles Frau Edith an der Spanischen Grippe, drei Tage später liegt Schiele auf dem Totenbett. Schieles Schwester überlieferte seine letzten Worte: „Der Krieg ist aus – und ich muß gehn.“

Zitate aus: Franz E. Wischin, Schiele und Krumlov, 2010.

„Trotz der Protektion durch den Kunstsammler Heinrich Benesch und den Kunstkritiker Arthur Roessler, die Egon Schiele Zugang zu Wiener Kunst- und Sammlerkreisen verschafft hatten, hatte Schiele immer wieder finanzielle Probleme und konnte sich nicht einmal die notwendigen Zeichen- und Malutensilien kaufen. Dazu kam noch die Rivalität und der Neid einiger Malerkollegen, von welchen ihm nur Anton Peschka und Erwin Osen als Freunde blieben. Von Wien enttäuscht beschloss er, im Mai 1910 nach Krumau zu fahren und dort ein ganz neues Malerleben zu beginnen.“

An Peschka schreibt er:

„In Wien ist Schatten, die Stadt ist schwarz, alles heißt Rezept. Ich will allein sein. Nach dem Böhmerwald möcht‘ ich.“

Im Mai 1910 bezieht Schiele Quartier in der Fleischgasse 133 (Masná ulice), Osen kam mit nach Krumau, Peschka folgt ihnen wenig später nach.

„Das extravagante Auftreten der drei Künstler aus der Großstadt erregte natürlich bei der Bevölkerung der Kleinstadt bald einiges Aufsehen. Die Jugend begegnete ihnen mit Interesse und Bewunderung. Die älteren Bürger hingegen fanden es unschicklich, wenn Schiele in weißer modischer Kleidung mit schwarzer Melone und Spazierstock mit seinen Malerkollegen Peschka und Osen am Ringplatz beim Korso zwischen den jungen Menschen einherstolzierte und sich in lauten Worten über die kleinbürgerliche Gesellschaft der Stadt ausließ oder im Café Fink, dem einzigen Café der Stadt, ungeniert seine Füße auf Sessel und Tische legte.“

„Drei Cousinen seiner Mutter Marie lebten in Krumau. Eine dieser Tanten Egons hatte eine Ziehtochter namens Ada, die im Tuchgeschäft am Krumauer Ringplatz arbeitete, wo sie einiges sehen und von den Kunden vieles über Egon hören konnte. Sie berichtete jeden Fauxpas Egons an seinen Onkel und Mitvormund Leopold Czihaczek nach Wien. Dieser war ein höherer Beamter im technischen Dienst der k.u.k. Eisenbahnen, konservativ, korrekt bis kleinkrämerisch und vollkommen verständnislos gegenüber der Berufswahl Egons. Egons Eskapaden machten ihn wütend. Drei Tage nach seiner Ankunft hatte dieser aus Krumau telegrafiert: ‚In Nöten, bitte um 40 Kronen, Egon, Krumau, Fleischgasse 133.‘ (…) Der briefliche Streit eskalierte weiter: Onkel Leopold beschwerte sich bei Mutter und Sohn Schiele über das ‚perfide Telegramm‘, dieser beantwortete das Schreiben und wurde vom Onkel mit noch mehr Zorn bedacht:
‚… für Dein bodenloses, freches, orthographisch und stilistisch miserables Schreiben – ohne Anrede und Datum, erhalten am Pfingstsonntag, wirst Du zur Verantwortung gezogen werden!’“

Es kommt zum Bruch mit dem Onkel und Vormund; Leopold Czihaczek schrieb später an seine Schwägerin Marie Schiele:

„Habe als Mitvormund alles getan, um Egon auf dem rechten Pfad zu erhalten; aber leider alles umsonst. Bodenlos freche lügnerische Briefe habe ich für meine Ermahnungen geerntet. Er führt in der letzten Zeit ein Lotterleben! An der Akademie hat er, wie ich hörte, einen ‚Wirbel‘ gemacht. Unter seinen Kollegen detto. Und glaubt auch seinen Vormund traktieren zu können. Aber da hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er wird schon sehen, ob die Bäume in den Himmel wachsen.“

In Krumau sucht Schiele immer wieder die Sicht auf Motive von erhöhten Punkten aus:

„Er suchte die Galerie auf dem Schlossturm oder die Anhöhen rings um die Stadt auf, um von dort mit Malstift oder Pinsel ihre Eigenart und ihr Wesen zu ergründen. Vom Plateau hinter der Mantelbrücke (Pláštovy Most) beim Schlosstheater bot sich ihm die Sicht hinunter zum Moldaubogen entlang der Breiten Gasse (Široka ulice) mit der alten Stadtmühle, die 1910 das Motiv für die erste seiner Ansichten der Toten Stadt bildete (…)

1910 galt Schieles Vorliebe in der Innenstadt den alten Mauern und den ineinander verschachtelten alten Häusern, die er für seine Bilder Häuser an der Moldau, Blick auf Häuser und Dächer von Krumau, Alte Stadt, Tote Stadt, Krumau bei Nacht, Blick über Dächer auf Häuserfassaden des Krumauer Ringplatzes oder Dämmernde Stadt als Motive wählte.“

Schieles Mutter Marie und seine Schwester Gerti kommen zu Besuch; Gerti lernt Peschka kennen, den sie 1914 heiratet.

Schiele, Peschka, Osen:

„Am liebsten suchten sie aber den Hofgarten oberhalb des Schlosses auf, wo der riesige Park in französischem Stil des 18. Jahrhunderts mit seinem Rokoko-Lustschloss Bellaria, den Wasserfontänen und dem Schwanenteich – von Schiele in seinen Notizen Parksee genannt – zu Spaziergängen einlud.
Auf Spaziergängen kamen die drei auch den jungen Mädchen und Frauen der Stadt näher und Schiele versuchte mit mehr oder weniger Erfolg, sie zum Modellstehen zu überreden.“

„Es scheint, als habe sich Schiele damals in Krumau zeitweise recht wohl gefühlt und mit dem Gedanken gespielt, sich ganz in Krumau niederzulassen, was aber Peschka immer bezweifelte. Als Schiele und Peschka wieder einmal im Goldenen Engel saßen, nahm Schiele ein Stück Papier und schrieb:

„Ich bestätige, daß ich auf Jahre hinaus, vielleicht immer in Krumau wohnen will – dort, wo ich mich Selbstsehen will. Egon Schiele.“

Anton Peschka drehte das Blatt um und schrieb auf die Rückseite:

„Diese Bestätigung schrieb Schiele in Krumau nach einem Gespräch, in welchem ich bezweifelte, daß er dort bleiben will. 1910.“

„Wie wohl ist aber der Herbst in diesem Windwinterland!“ – Schiele im Oktober 1910 an Roessler.

Im Frühjahr 1911 wurde die 17jährige Wally Neuzil, ein ehemaliges Klimt-Modell, Schieles Lebensgefährtin. Der Gymnasiast Lidl, den Schiele bei seinem ersten Aufenthalt in Krumau kennengelernt hatte, schrieb an Schiele, daß er versucht habe, eine passende Wohnung mit Atelier in Krumau für Schiele aufzutreiben. Lidl fand schließlich eine Stadtwohnung im Parkán 111 und ein Gartenhäuschen an einem Steilhang mit Terrassen. Besitzer des Häuschens war Max Tschunko, ein Textilwarenhändler und Kunstliebhaber. Lidl traf unermüdlich Vorbereitungen, um die Wohnung im Parkán und das Gartenhaus bezugsfertig zu machen. Der 19jährige war ein glühender Bewunderer Schieles, verfaßte auch einen Essay über Schiele.

Schiele kommt im Mai 1911 nach Krumau. Durch Tschunkos Entgegenkommen darf er das Gartenhaus unentgeltlich nutzen, was seine finanziellen Schwierigkeiten aber kaum lindert. Trotzdem ist er optimistisch und – glücklich. In einem Brief an Peschka heißt es:

An Peschka.
Die alten Häuser sind so durchwärmt von der Sienaluft, überall gibt es sonnenverbrannte Rouleaus, weiß, rot und dazu spielt zuzelig eine alte Drehorgel, – der große schwere Jahresrock des blinden Musikanten ist altgrünbraun, geschossen und abgeschunden. – Ich rufe Dich, um Dir all das Vergönnte zu zeigen; da lachen große und kleine Kinderaugen herein und sprechen laut von mir. Oben im Garten gibt es alle Grüns und menschenähnliche Blumen. Draußen in einer Farbenwiese sind farbige Gestalten zerschmolzen, braune buschige Bauern am braunen Weg und gelbe Mädchen in der Maiblumenwiese. Hörst Du? Im Blätterbaum sitzt ein inniger Vogel, er ist dumpffarbig, er rührt sich kaum und singt nicht, – tausend grüne Blätter spiegeln sich in seinen Augen – er weint.

„Allein Schieles Zusammenleben mit Wally sorgte schon für Entrüstung, ebenso dass sie ihm im Gartenhaus Modell stand. Dass er dafür auch Krumauer Mädchen gewinnen wollte und konnte, löste in der Kleinstadt natürlich zusätzlich Aufregung aus.“

Daß sich in dem Gartenhaus am Moldauufer der junge Maler aus Wien, den man schon aus dem Vorjahr kannte, mit seiner rothaarigen Freundin niedergelassen hat, spricht sich in der Kleinstadt schnell herum und lockt junge Besucher an. So schreibt Schiele bereits am 25. Mai an Arthur Roessler:

Ich heiße bei den Kindern der Herrgottsmaler, weil ich in diesem Malhemd im Garten gehe; ich zeichne an verschiedenen Kindern und alten Frauen, Ledergesichtern, Trotteln usw. es ist hier wirklich viel besser, am besten daß ich nichts über mich hören brauche.

Schieles Krumauer Sommer ist produktiv, die Freude des Krumauer Sommers
„ … war aber nicht ungetrübt, das Moos, wie Schiele das Geld nannte, fehlte ständig, trotz aller Hilferufe an seine Freunde und Gönner in Wien. In Krumau selbst gab es kaum Interessenten und Käufer für seine Bilder und Zeichnungen, weil seine Darstellungsweise natürlich nicht der Kunstauffassung der Krumauer Bürger entsprach. Noch weniger konnte er hier seine Aktstudien und Aktbilder verkaufen. Trotz dieser Situation zeigte sich Schiele immer nobel, besuchte Gasthäuser oder das Café Fink, wo er mit Zechschulden in der Kreide stand. Im Café soll er mit den Worten: ‚Herr Ober, bringen Sie den Damen Stühle!‘ junge Mädchen zum Bleiben animiert haben, nicht immer mit Erfolg. Natürlich waren Schiele und seine Freundin Wally, mit der er ja offensichtlich unverheiratet zusammenlebte, mit ihrem großstädtischen Auftreten eine Attraktion und Anlass für jede Art von Tratsch und Gemunkel. Trotz der Äußerungen über Schiele und seine Lebensweise, die es in der Stadt sicher hinter vorgehaltener Hand gab, hatte sich Schiele bis Ende Juli in Briefen nie über eine feindliche Stimmung geäußert.
Umso dramatischer erscheint sein Schreiben an Arthur Roessler am 31. Juli:

Sie wissen, wie gern ich in Krumau bin und jetzt wird es mir unmöglich gemacht: die Leute boykottieren uns einfach, weil wir rot sind. Freilich könnte ich mich dagegenstellen, aber die Zeit habe ich nicht dazu und wozu (sich) auf die Art ausgeben. Das Übrige kann ich Ihnen erst erzählen. Ich muss bis 6. August ausgezogen sein und will aber schon am 4. Fortfahren und zwar nach Neulengbach (…)

„Otto Kallir meint, dass Schiele der Aufenthalt in Krumau unerträglich geworden sei, weil seine freie Lebensweise und die Wahl seiner Modelle für Aktstudien bei der kleinbürgerlichen Bevölkerung Anstoß erregte. Ähnlich macht auch Rudolf Leopold den Umgang Schieles mit jungen Mädchen, die er für Aktstudien Modell stehen ließ, und seine Lebensgemeinschaft mit Wally dafür verantwortlich, dass ihm offene Feindseligkeit entgegenschlug und er aus Krumau fortgehen musste.“

„Die Aussagen über Schieles Lebensweise scheinen alle mehr oder weniger der Wahrheit zu entsprechen. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, dass die Bürger Krumaus auf die Barrikaden gestiegen wären und die Ausweisung Egon Schieles und seiner Lebensgefährtin verlangt hätten. Dass sich ihm einige enthusiastische Gymnasiasten als begeisterte Anhänger der Moderne angeschlossen hatten, schlug sich auch darin nieder, dass zwei der 25 Maturanten des Krumauer Gymnasiums im Jahr 1911 freischaffende Künstler werden wollten.“

„Roessler irrt sich aber auch, wenn er meint, Schieles politischer Radikalismus sei der Grund gewesen, warum man ihn aus der Stadt vertrieben habe. Von Schiele sind keine parteipolitischen oder radikal politischen Äußerungen bekannt. Der Vorwurf, ein ‚Roter‘ zu sein, beinhaltete in der Monarchie ja noch nicht die Gleichsetzung mit einem parteipolitischen Bekenntnis, sondern galt im Volksmund als Synonym für antiautoritär, fortschrittlich, freizügig und unkonventionell. Eigenschaften, die auch auf andere Stadtbewohner zutrafen, ohne dass man sie dafür behördlich verfolgen konnte. Eine Ausweisung, einen Stadtverweis oder eine ähnliche behördliche Zwangsmaßnahme hat es in Krumau gegen Schiele nicht gegeben, weil eine solche Maßnahme in der Monarchie weder strafrechtlich noch verwaltungsrechtlich vorgesehen war.“

„Tatsache ist, dass sich im Terrassengarten neben dem von Schiele bewohnten Gartenhaus ein Vorfall ereignete, der den Hausbesitzer Max Tschunko veranlasste, von Schiele und seiner Freundin binnen acht Tagen die Räumung zu verlangen.
An einem schönen Tag Ende Juli hatte sich Schiele in seinem Terrassengarten niedergelassen, wobei ihm ein junges Mädchen aus Krumau, Liesl Woitsch, vor einem blühenden Rosenstrauch Modell stand. Den Terrassengarten oberhalb des Gartenhauses, der auch Max Tschunko gehörte, hatte die Familie des Postpferdehalters Pollak gepachtet. Paula Pollak, die Tochter der Familie Pollak, besuchte an diesem Tag den Garten und hatte, indem sie auf den unteren Terrassengarten hinunterblickte, den besten Ausblick auf die Szenerie. Empörend für Paula Pollak war nicht nur den Anblick eines nackten Mädchens in einem von drei Seiten einsehbaren Gelände, sondern auch die Tatsache, dass sie in dem jungen Mädchen die Tochter ihrer Nachbarn erkannte. Nun waren alle Voraussetzungen für einen Skandal erfüllt und Hausbesitzer Tschunko musste sich Vorwürfe aus der gesamten Nachbarschaft anhören. Diesem Druck war selbst dieser kunstverständige Mann nicht gewachsen, zumal ihm aus der Umgebung dringend nahegelegt wurde, Schiele und seine Freundin baldigst von seinem Grundstück zu entfernen. Nach diesem stadtbekannten Skandal konnte Schiele in der Folge auch kein Ersatzquartier in der Stadt mehr finden, daher wird die Klage verständlich, dass er und Wally boykottiert werden.

Der Hinauswurf durch Max Tschunko war für Schiele gleichbedeutend mit der Vertreibung aus Krumau überhaupt. Dass Schiele über den Vorfall in seinem Garten, den eigentlichen Grund seiner Vertreibung, in Briefen keine Worte verliert, hat wohl damit zu tun, dass für ihn die Arbeit mit nackten Modellen seit seiner Akademiezeit zu seinem selbstverständlichen Alltag als Künstler gehörte. Ähnlich zurückhaltend hat er sich auch später in der Neulengbacher Affäre nach seiner strafrechtlichen Verurteilung verhalten. (…) Dem Gericht in St. Pölten genügte für eine Verurteilung (…) allein schon die Tatsache, dass Schiele in seinem Wohnzimmer in Neulengbach ein aus Krumau mitgebrachtes Aquarell eines Mädchenaktes an der Wand hängen hatte. Die Strafbarkeit hatte das Gericht damals darin erblickt, dass Kinder, welche öfters aus Neugierde in seine Wohnung und sein Atelier gekommen waren, die Möglichkeit hatten, das Aktbild zu sehen.“

Egon Schiele verließ noch vor der von Max Tschunko eingeräumten Frist die Stadt Krumau. Einen Tag nach seiner Ankunft in Wien, wo er vorerst bei seiner Mutter Quartier bezog, schrieb er an Arthur Roessler:

Ich will nicht an Krummau denken, so lieb hatte ich die Stadt, aber die Leute wissen nicht, was sie tun.

Nach seinem Weggang ist Schiele noch mehrfach wieder zurückgekehrt, so im Mai und Juni 1913 und im November 1914:

„Da logierte er im Gasthaus zum Goldenen Engel am Ringplatz, dessen Pächter Hessina Schiele von früher gut kannte.“

1917, ein Jahr vor seinem Tod, war Schiele das letzte Mal in Krumau.

„Er hatte sich inzwischen von seiner Freundin Wally getrennt und unmittelbar vor seiner Einberufung zum Militär im Juni 1915 Edith Harms, die er schon längere Zeit verehrt hatte, geheiratet. (…) So nützte er auch im September 1917 einen Urlaub für einen Abstecher mit seiner Gattin nach Krumau. Ausgestattet mit Pinsel und Zeichenstift stieg er wieder die zahllosen Stufen des Krumauer Schlossturms hinauf, wo er 1910 und 1911 viele seiner Krumauer Stadtbilder ‚von oben herab‘ gezeichnet und gemalt hatte. Diesmal, als letzte Erinnerung, das Kleinformat Krumau 1917, ein Blick hinunter zum St. Jodokusgebäude und die Zeichnung Alte Giebelhäuser in Krumau, welches die Renaissancefassade des Bürgerhaus Latran 19 zeigt.“

Arthur Roessler 1911:

„Schieles Malereien enthalten nicht viel von der beliebten ‚fein säuberlichen‘ Ausführung, von der gepriesenen Naturwahrheit, keine moralische Tendenz, nichts gegenständlich Anmutendes. Weder das Bürgertum noch die Aristokratie finden ihr Herz durch Schieles Bildwerke bewegt, ihren Geist natürlich erst recht nicht, kaum die Sinne. Er steht außerhalb der Gesellschaft, ein ‚Einsamer‘.“

„Arthur Roessler hat dem Maler einmal in einem Gespräch vorgehalten, dass über all seinen wohl starkfarbigen, zum Teil aber dennoch dumpfdüsteren Städtebildern – die mehr oder minder unheimlich anmutenden, vom blutwarmen Leben entleerten Behältern gleichen – eine eigentümliche Schwermutsstimmung liege.“

Schieles Antwort, nach Roessler:

„Mit zuweilen oft übermütig heiterem Sinn ging ich auf die Suche nach Trauer und Verlassenheit, sterbenden Städten und rotsiechenden Landschaften.“

Schiele erklärt weiter, daß er den Herbst schöner finde als jede andere Jahreszeit:

„Wohl liebe ich auch den Frühling, dessen herber Zauber uns, von der Ahnung eines fremdartigen Glücks beseligt, durchbeben läßt, der nicht von dieser Welt zu sein scheint; noch mehr aber liebe ich den Herbst – und nicht nur als Jahreszeit, auch als Zustand der Menschen und Dinge, also auch der Städte (…) Die vegetative Melodie, von der im Herbst die Natur umsponnen erscheint, haucht auch aus alten Mauern und füllt das Herz mit Wehmut und mahnt uns daran, daß wir nur Pilger sind auf dieser Erde.“

Schiele über seine Methode, in Krumau von oben herab in die Tiefe zu schauen:

„Das hat sich in Krumau so aufgedrängt. Dort lernt man die Welt von oben herab zu betrachten (…).“

Otto Benesch, 1915: „Diese Städte sind so rein, so unberührt von den häßlichen Zufallswucherungen da, wie sie nur in der Vorstellung eines Ungewöhnlichen existieren (…) Weit muß man zurückgreifen, um jenes Dunkle, Unwirkliche und doch sehr Reale, Eindringliche der stummen, schlafenden Städte wiederzufinden (…)“

Vom Budweiser Tor in Krumau gibt es eine Farbkreidezeichnung Schieles von 1906, entstanden rund einen Monat vor Schieles Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie; die früheste bekannte Landschaftsdarstellung Schieles.

1908 entstand ein Ölbild vom Budweiser Tor. Das Budweiser Tor ist das einzige noch erhaltene Stadttor von Krumlov.

Cesky Krumlov. Krumau. Budweiser Tor.

Der Ritterorden der Kreuzherren mit dem roten Stern erwarb einen Teil des Areals, auf dem 1350 ein vereintes Kloster von Minoriten und Klarissinnen mit einer gemeinsamen Kirche gegründet wurde. Auf einer Bleistiftzeichnung von 1913 dient Schiele die Klosteranlage als Motiv, und zwar so, wie sich ihm der Anblick vom Schloßturm herab bot. Tür der Klosterkirche:

Cesky Krumlov. Krumau. Tür der Klosterkirche.
Cesky Krumlov. Krumau. Tür der Klosterkirche.

Im Haus der Fürstlich Schwarzenbergschen Schloss-Apotheke links der Eingang zu einem „Shop with Minerals“, Madame erwirbt Böhmischen Granat.

Cesky Krumlov. Krumau. Fürstlich-Schwarzenbergsche Schloss-Apotheke.

Im Haus Latrán 37 lebte zwischen 1573 und 1588 der Schloßhauptmann mit dem phantastischen Namen Slatinsky von Slatinka, aber wer unter der Budweiser-Werbung hindurchgeht, folgt auch Egon Schieles Spuren; Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich dort das Café Fink, in dem Schiele sein „Herr Ober, bringen Sie den Damen Stühle!“ vernehmen ließ.

Hausfront Latrán 39: der „Rosenberger Reiter“. Die Rosenberger verwendeten dieses Motiv sehr oft, z.B. bei Siegeln, Buchzeichen, als repräsentatives Zeichen an Fassaden, schließlich auch als das Hauptmotiv ihrer Grabstein-Epitaphe.

Cesky Krumlov. Krumau. Latrán 39: der "Rosenberger Reiter".

Der von Quentin Tarantino produzierte Splatterfilm „Hostel“ von 2005, in dem auch Takashi Miike einen Cameo-Auftritt hat, wurde zum Teil in Cesky Krumlov gedreht; das im Film gezeigte Foltermuseum existiert hier tatsächlich, das Museum Tortury.

Cesky Krumlov. Krumau. Foltermuseum. Museum Tortury.

In den Ecken sitzen sinistre Mönche, ein Barbara Steele-lookalike-Mannequin wird als Hexe verbrannt, Audioeffekte inbegriffen, Folterinstrumente und Totenschädel galore.

Cesky Krumlov. Krumau. Foltermuseum. Museum Tortury.
Cesky Krumlov. Krumau. Foltermuseum. Museum Tortury.

Wir besuchen das Egon Schiele Art Centrum, Široká 71, in den Renaissance-Räumen einer ehemaligen Brauerei, phantastische Gewölbe, Balkendecken. Dokumentation zu Leben und Werk Schieles. Die Traueranzeige für Edith. Schieles Totenmaske – lange Wimpern. Seine schöne Handschrift in den Briefen. Möbel aus Schieles Nachlaß, zum Teil von ihm selbst entworfen. Das lackschwarze Bett. Die berühmten Schiele-Photos von Anton Trcka, die magischen Posen. Überhaupt all die wunderbaren Photographien, Schiele als Kind, als Jüngling, seine schönen Schwestern, Elvira, Melanie, Gertrude. Elvira, die älteste, starb im Alter von 10 Jahren; Gerti, von Schiele mehrfach porträtiert, gehörte zu den ersten Wiener Mannequins.

Es gibt einen Film zu sehen von 1994, Presenter ist Serge Sabarsky, der Expressionismus-Sammler, der auch bedeutend zum Aufbau des Schiele Art Centrum in Cesky Krumlov beitrug. Sabarsky erzählt in diesem Film, wie Schiele als psychopath, sex maniac or at least a pornograph rezipiert wurde. Spricht von the clarity of his message, the sincerity of his language.

Schieles Vater war station master des Bahnhofs von Tulln, Egon liebte alles, was mit railway zu tun hatte.

„You have to study the Academy in order to forget it.“

Die Bilder, die Schiele während seiner Inhaftierung in der Gefängniszelle von Neulengbach schuf, erschütternde Dokumente einer gemarterten Seele.

NICHT GESTRAFT SONDERN GEPEINIGT FÜHL ICH MICH

DIE EINE ORANGE WAR DAS EINZIGE LICHT

KUNST KANN NICHT MODERN SEIN KUNST IST UREWIG

DIE TÜR IN DAS OFFENE!

DEN KÜNSTLER HEMMEN IST EIN VERBRECHEN,
ES HEISST KEIMENDES LEBEN MORDEN!

ICH WERDE FÜR DIE KUNST UND FÜR MEINE GELIEBTEN GERNE AUSHARREN!

… aber was -> hier an Verzweiflung, Angst, Schmerz, Müdigkeit und Halbwahnsinn in Schieles Gesicht eingegraben ist…

Ein anderes Selbstbildnis, das Schiele im Gefängnis von Neulengbach zeichnete, beschriftet mit:

ICH LIEBE GEGENSÄTZE.

Zwei Proletarierkinder und Zwei Gassenbuben von 1910:
„An Modellen für seine Zeichnungen und Bilder von Kindern und Jugendlichen scheint es keinen Mangel gegeben zu haben, wie die Vielzahl solcher Darstellungen aus diesen beiden Jahren beweist: Gassenjunge, Proletariermädchen, Arbeiterjunge, Bauernjunge sind Beispiele aus einer großen Zahl posierender Kinder.“

Schieles Bilder von Krumau, Traumvorstellungen einer von jeder Kommunikation abgeschlossenen Stadt, Schiele selbst nennt sie zuweilen Inselstadt.

John Willie, Leather Boots.

Einen Absatz höher: die Ausstellung „Heights of Fashion – A History of the Elevated Shoe“.

Wir lernen: „Throughout its history in Western fashion, the high heel has been used to enhance stature, status, and sex appeal.“

Indicator of wealth, status, privilege, Indikator auch für pursuit of private pleasures. Ende des 19. Jahrhunderts ist der hohe Absatz schließlich clear signifier of the female gender, und derart sexuell aufgeladen, daß junge Mädchen keine Absätze mehr tragen dürfen.

Madame tätigt ihren Großeinkauf bei Botanicus, dann Gulasch & Semmelknödel, the real gourmet shit of Bohemia, direkt gegenüber im Goldenen Engel, Zlaty Andel, also ebendort, wo Schiele für Peschka auf ein Blatt Papier schrieb: „Ich bestätige, daß ich auf Jahre hinaus, vielleicht immer in Krumau wohnen will – dort, wo ich mich Selbstsehen will.“ Allerdings, the weather is so fine, sitzen wir draußen, beobachtet von einer schlauen Maus, die sich im Mauerwerk bei den Tischen eingenistet hat. Sagte ich schon, daß auch Rilke von Krumau fasziniert war?

St. Veit. Die Nepomuk-Kapelle. Unter diesem roten Teppich befindet sich das Grab der „Vampirprinzessin“, Eleonore von Schwarzenberg.

Cesky Krumlov. Krumau. St. Veit. Nepomuk-Kapelle. Eleonore von Schwarzenberg, die "Vampirprinzessin".

In einem Antique Shop halte ich die ganze Zeit dieses kleine Blechdöschen mit alten Schreibfedern in der Hand, schließlich erläßt mir der Inhaber ein Siebtel, als ich erzähle, daß ich einen Roman mit diesen Dingern geschrieben habe.

Cesky Krumlov. Krumau. Antique Shop.

Madame erwirbt schwarze Knöpfe, in einem anderen Antikladen alte Keksformen, Zeit für einen Trdlnik, der Dorfdepp pfeift.

Renaissanceportal des Hauses Siroka Nr. 77. Von 1588 bis 1592 lebte hier der Magister Michael Anton von Ebersbach, der als Alchemist am Hofe des Krumauer Herrschers Wilhelm von Rosenberg tätig war. 1592 wurde Ebersbach wegen finanzieller Betrügereien in das Schloßgefängnis geworfen, 1593 starb er im Kerker.

Cesky Krumlov. Krumau. Renaissanceportal des Hauses Siroka Nr. 77.

Auf der ganzen Reise sind Reiseleiter not amused, wenn wir Freddie irgendwo postieren oder Birgit ihn am Faden hält, weil sich das Interesse der Reisegruppe jedes Mal um 90° wendet. Im 3. Schloßhof nun, als Madame Freddie gerade am ausgestreckten Arm hält und ich auf den Knien den richtigen Winkel suche, um den Arm nicht im frame zu haben, bemerke ich hinter mir einen ganzen Pulk Japaner, die alle fasziniert und angeregt ihre Kameras auf die sehr blonde, sehr blasse, sehr schlanke Frau richten, die gerade im Schloßhof steht und eine Stoff-Fledermaus am Band in die Höhe hält. Sie lächeln sehr japanisch und nicken eifrig, photographieren und filmen die Szene. Wir grinsen also alle, und ich verständige mich ein bißchen mit ihnen, einer Dame zeige ich schließlich das Bild von Freddie, das ich gerade gemacht habe. Sie schaut sich das an, deutet dann aber auf Birgit und sagt:

„She pretty, SHE pretty!“
Tja, damn.

Vom Gardeplatz im Krumauer Schloß gelangt man über zwei Innenhöfe und über die Mantelbrücke auf das Plateau vor dem Schloßtheater. Von dort aus geht es weiter zu einem schmiedeeisernen Tor und über einen steilen Weg zum Schloßgarten. Kurz hinter diesem Tor liegt der Standort, von dem aus Schiele einen bevorzugten Blick auf die Häuser und Dächer von Krumau fand. Im Schloßgarten, den Schiele so liebte, steht das 1755 – 1757 im Rokokostil erbaute Lustschloß Bellaria, von leicht bröckelndem Charme.

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßgarten. Bellaria.

Bellaria von der anderen Seite

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßgarten. Bellaria.

Im Schloßgarten

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßgarten.

Kaskadenfontäne mit Amphitrite

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßgarten. Kaskadenfontäne.

1910 schrieb Anton Peschka auf einer Karte an Gerti, die schöne Schwester Egon Schieles:

„Liebes Fräulein! Krumau bekommt jetzt ein Aeroplan! Sie werden bald in den Zeitungen lesen davon. Das Komitee besteht aus den Herren Tschunko, der alles konstruierte, Maler Tupy und meine Wenigkeit, welche alles zusammenschraubten, Egon, der die Flugversuche macht und Herren Hessina und Fink, welche sonstwie mithelfen. Samstag wird der erste Flugversuch stattfinden. Wir hoffen das Beste. Egon wird mit Luftpolstern an den Apparat angebunden. Es wird ihm gar nichts geschehen. Viele Grüße an Mama! Ihr Freund Ant. P.“

Das Flugprojekt scheiterte kläglich, der Apparat brach schon beim Transport auseinander.

Meist war es Schieles Freund Erwin Osen, der vor den allegorischen Statuen des Schloßparks pantomimisch posierte.

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßgarten.

The Last of Krumlov

Cesky Krumlov. Krumau.
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Salzburg / Cesky Krumlov / Prag – 2011 [3]

Zwar kann man mit einem weiteren Bio-Eis der Mönche von St. Peter wieder halbwegs zu sich kommen, so daß man ihnen auch noch Weihrauch abkaufen kann, aber wir verschwinden gleich wieder in Dunkelheit und einem weiteren What a place. Die Katakomben.

Salzburg. Die Katakomben.

Die in die Felswand des Mönchsberges gemeißelten Gänge, Treppen und Höhlen, vermutlich etwa 1700 Jahre alt, werden seit dem 19. Jahrhundert als „Katakomben“ bezeichnet. Es heißt, sie dienten als frühchristliche Versammlungsorte; später als Eremitorium. 48 Stufen zur Gertraudenkapelle, die 1178 dem 8 Jahre zuvor ermordeten Thomas Becket geweiht wurde, Freskenreste zeigen sein Martyrium. In der Mitte des Raumes ein romanisch-gotischer Pfeiler, der im 17. Jahrhundert hier aufgestellt wurde, sechs Rundbogennischen an der Bergseite.

Salzburg. Die Katakomben.

Erzbischof Konrad III., der die Gertraudenkapelle dem heiligen Thomas Becket geweiht hat, war mit dem Erzbischof von Canterbury persönlich befreundet.

Salzburg. Die Katakomben.
Salzburg. Die Katakomben.
Salzburg. Die Katakomben.

Man steigt weiter die abgenutzte, halsbrecherische Treppe hinauf zur Maximuskapelle, dem höchstgelegenen Raum der Katakomben, 1172 geweiht. Die Maximushöhle war früher nur über einen schmalen Felssteig zugänglich. Es gibt ein Bogengrab hier, das Einsiedlermönchen später als steinerne Liegestatt diente. Die Inschrifttafel aus dem 16. Jhdt. berichtet die Legende des Maximus, der hier im Jahre 477 mit seinen Gefährten den Märtyrertod erlitten haben soll, dessen Gestalt aber nicht historisch belegt ist. Wer diese „Katakomben“ wirklich schuf, wann, warum – who knows.

Salzburg. Die Katakomben. Maximuskapelle.
Salzburg. Die Katakomben. Maximuskapelle.
Salzburg. Die Katakomben. Maximuskapelle.

Michael Haydn, Josephs Bruder und Freund Mozarts, schrieb während seiner 43 Jahre in Salzburg 360 sakrale und weltliche Kompositionen. Er ist in der Commungruft beim Aufgang zu den Katakomben bestattet. Anläßlich einer der Gruftleerungen, die in regelmäßigen Abständen stattfanden, beschaffte sich Michael Haydns Witwe den Schädel ihres verstorbenen Gemahls und stellte ihn neben ihrem Bett auf.

Sehr nah bei der Commungruft befindet Freddie: „Wir können hier anhalten. Das ist Fledermausland.“

Salzburg. Commungruft.

Ein Restaurator, der auf einem Gerüst über dem Nannerl arbeitet, sieht zu, wie Freddie sich in Szene setzt, wir bemerken ihn erst, als er amüsiert schnaubt.

Salzburg. Commungruft.
Salzburg. Commungruft.

St. Peter ist eine ursprünglich romanische Kirche, deren Innenraum 1760 / 1766 komplett mit Stuck im Rokoko-Stil überzogen wurde. Mozarts 1782 / 1783 komponierte Große Messe in c-moll wurde hier, unter diesem Weiß und Hellgrün, zum ersten Mal aufgeführt.

Salzburg. Stiftskirche St. Peter.
Salzburg. Stiftskirche St. Peter.
Salzburg. Stiftskirche St. Peter.

Über die Holzmeister-Stiege den Mönchsberg hinauf, um die nächste Trakl-Tafel zu finden.

Salzburg. Mönchsberg. Georg Trakl-Gedichttafel.

Der Mönchsberg gehörte zu Trakls Lieblingswegen. Als Trakl begonnen hatte, sich mit Chloroform und Rauschgiften zu betäuben, fanden Freunde den in Schlaf Gefallenen einmal halberfroren auf dem Kapuzinerberg. 

Vom Mönchsberg aus sah er dies.

Salzburg. Mönchsberg.

Wir überqueren noch einmal die Salzach und begeben uns zum Sebastiansfriedhof. Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau hat hier Ende des 16. Jahrhunderts, als Ersatz für den aufgelassenen Domfriedhof, einen bereits etwa hundert Jahre alten Gottesacker zu der quadratischen Anlage in der Art eines italienischen Campo Santo umgestalten lassen, die wir noch heute sehen. 

Im Durchgang zwischen Sebastianskirche und Friedhof begegnet man zunächst Theophrastus Bombastus von Hohenheim, a.k.a. Paracelsus, a.k.a. möglicherweise die wahre Identität des Christian Rosenkreutz (ein anderer Kandidat ist Francis Bacon). Seine Gebeine sind hinter einem Bildnismedaillon beigesetzt, die alte Grabplatte – Paracelsus starb 1541, nicht nach einer Rauferei im Wirtshaus Zur rostigen Pechpfanne, sondern vermutlich schlicht an Quecksilbervergiftung – wurde 1752 in das Obelisk-Monument integriert. 

„Hier ruht Philippus Theophrastus Paracelsus, ausgezeichnet als Doktor der Medizin, der jene grässlichen Krankheiten Aussatz, Zipperlein, Wassersucht durch seine wunderbare Kunst heilte, seine Habe und Gut unter die Armen verteilen ließ und im Jahre 1541, am 24. September, sein Leben mit dem Tod vertauschte.“

Stanzerl ehelichte ihren zweiten Mann, Georg Nikolaus von Nissen, im Dom von Bratislava. Leopold Mozarts Grab befindet sich vermutlich nicht neben Constanze, sondern in der „Kommune-Gruft“. Das Mädchen, das, like me, an einem 22. März geboren ist und im Alter von 16 Jahren starb, Jeanette Berchtold zu Sonnenburg, war die Tochter von Mozarts Schwester Nannerl.

Salzburg. Sebastiansfriedhof. Das Grab von Constanze Mozart.

Einer der Arkadengänge mit den Gruftnischen

Salzburg. Sebastiansfriedhof, Arkadengang.

In der Mitte der Friedhofsanlage ließ Wolf Dietrich sich mit der Gabrielskapelle ein sehr edles Mausoleum errichten. Wir können leider nur hineinspähen. Wolf Dietrich von Raitenau starb 1617 nach fünf Jahren Festungshaft an den Folgen eines epileptischen Anfalls. 

Seit 1879 ist auch der Sebastiansfriedhof aufgelassen, ein Platz für ungestörten Geistertanz.

Salzburg. Sebastiansfriedhof.
Salzburg, Sebastiansfriedhof.
Salzburg, Sebastiansfriedhof
Salzburg. Sebastiansfriedhof.
Salzburg. Sebastiansfriedhof.
Salzburg. Sebastiansfriedhof.

Etwas leicht Verstörendes und Beunruhigendes liegt in der verwunschenen Atmosphäre des Sebastiansfriedhofes. Man kann es nicht recht greifen.

Salzburg. Sebastiansfriedhof.
Salzburg. Sebastiansfriedhof.
Salzburg. Sebastiansfriedhof.

In der Linzergasse traf sich um 1904 – 06 jeden Monat der erste literarische Zirkel, dem Trakl angehörte. Berger-Bräu, sieben Teilnehmer, Trakl, „… der fruchtbarste und sonderlichste“, erarbeitet sich den Ruf eines poète maudit. Aber Adolf Schmidt, ein Freund des Dichters aus der Gymnasial- und Praktikantenzeit, sagte über eine lyrische Skizze Trakls auch: „Er zeichnete darin die scheidenden Sonnenstrahlen, die sich durch ein Geranke von wildem Wein vor einer Glasveranda stehlen. Ich glaube heute noch das Spiel der Sonnenstrahlen zu sehen, die das gewürfelte Tischtuch und den Wein in den Gläsern vergoldeten.“

In der Linzergasse, nicht weit vom Sebastiansfriedhof, befand sich auch die Apotheke „Zum weißen Engel“. Hier trat Georg Trakl nach seinem Schulabgang im September 1905 als Praktikant ein. In dieser damals schon sehr alten und noch sehr stillen Apotheke versah Trakl, wie es heißt, seinen Dienst gewissenhaft. Aber der Keller der Apotheke bot ihm leichten Zugang zu Rauschgiften und Narkotika. Neben der heutigen Apotheke erinnert eine Gedichttafel mit „Im Dunkel“ an Trakls Zeit hier.

Salzburg. Linzergasse. Apotheke "Zum weißen Engel". Georg Trakl-Gedichttafel.

Nachdem seine Sympathie für die aufständischen Bauern Paracelsus 1525 in Teufels Küche gebracht hatte, floh er überstürzt aus Salzburg. Erst 1540 kehrte er zurück und verbrachte im Haus Platzl 3 sein letztes Lebensjahr.

Salzburg. Platzl 3.

Ein ganz schwacher Druck ihrer Hand. Ich sagte: Geh schlafen, Mama. Wenn du Papa siehst, dann geh. Das war das letzte, was ich ihr sagte im Leben. Ich ging in die Mitternachtsmesse. Seit 1000 Jahren nicht mehr in einer Messe. Was der Pastor sagte, ging an mir vorbei. Ich fragte mich, was redet der da. Ich starrte Jesus am Kreuz an und dachte: Jesus, nur du und ich. Du kennst dich aus mit Leiden. Ich bin da nur hingegangen, weil ich jemanden finden wollte, der meiner Mutter Frieden schenkt. Ich mußte weinen, als die Gemeinde „Stille Nacht, Heilige Nacht“ sang, weil ich so an meine Kindheit denken mußte. Meine Mutter Maria wurde in einem Ort namens Arnsdorf geboren. Einer der Komponisten von „Stille Nacht, Heilige Nacht“, Franz Xaver Gruber, unterrichtete in einem anderen Arnsdorf, in der Nähe von Salzburg. Gruber ehelichte ein Mädchen aus Arnsdorf mit Namen Maria. Das von Gruber vertonte Gedicht „Stille Nacht, Heilige Nacht“ stammte von Joseph Mohr. Er schrieb es 1816. An seinem Geburtshaus in der Salzburger Steingasse Nr. 9 ist eine Gedenktafel für Mohr zu sehen. Und hier sind wir, in der Steingasse, und ich sehe diese Tafel an und danke meiner Mutter dafür, daß ich am Leben bin. Again. Because life is such a fucking miracle. 

Es gab zu Trakls Zeit zwei „Etablissements“ in Salzburg, in der Judengasse (wohin Trakl die Krapfen brachte) und in der Steingasse. Trakl, ein Dostojewskij-Verehrer, sympathisierte, so Basil, schon deshalb mit den „Dirnen“, weil sie zu den Erniedrigten und Beleidigten gehörten. Schulkameraden bestätigen jedenfalls, daß Trakl, welcher Impuls ihn auch treiben mochte, häufig im „Freudenhaus“ war. In der Steingasse gibt es noch immer das „Maison de Plaisir“. Dies ist der Weg dorthin. 

Salzburg. Steingasse.

Altrosa, steingrau, marmorblaß, kaisergelb, kupfergrün – der letzte Weg durch die „Nachtschmetterlingsfarben“ (Basil), Prunkstadt leiser Schwermut, Sebastian im Traum, Stefan Zweigs Schlößchen am Kapuzinerberg, Sternstunden der Menschheit, Morgenlied und Totentag, Wolf Dietrich träumt in der Mitte des Sebastiansfriedhofes, der Tod trägt die Knochen im Rückenkorb zum Beinhaus, Zauberwelt der Marionetten, Helmut Berger macht das Licht aus.

Salzburg. Pension Katrin.

Sonnabend, 10.09.2011

Mit dem Zug „Die österreichischen Rechtsanwälte“ nach Linz, dann mit dem Zug nach Budejovice durch 30°, durch Orte mit „Gemischtwarenhandlung“, durch St. Gröpelsdorf an der Plups, durch den Böhmerwald, der Zug ist ein echter Zug, mit Fenstern, die sich öffnen lassen, Fahrtwind, die Berge winken, in seiner Eigenschaft als blonder Erzbischof auf Inschpecktion stellt der blonde Erzbischof fest: „Da hat der Herrgott uns ja wieder einen wunderschönen Tag zusammengeklebt!“ Am Grenzübergang Summerau wird der Erzbischof aufgehalten, weil er sich weigert, der hungernden Bevölkerung den letzten Müsliriegel zur Verfügung zu stellen. Es kommt zum Massenaufstand. Darüberhinaus provoziert Seine Eminenz die Bevölkerung mit Gaukelbildern und Phantasmagoreyen.

Auch bei einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h ist das Unverständlichste am Universum im Grunde, daß wir es verstehen können.

Die Summerauer Bahn verbindet die Städte Linz und Budweis und ist Teil der historischen Bahnverbindung von Prag nach Triest.

Abblätternder Putz am Bahnhof von Budejovice und den Rumpelzug nach Krumlov entdecken wir erst in letzter Minute am weltabgeschiedenen Ende eines Bahnsteigs. 

Krumlov selbst hat dann (sozusagen) gar keinen Bahnsteig mehr, wo die wilden Gräser wachsen, folgen wir erstmal den anderen Aussteigenden, bis die anderen Aussteigenden uns folgen. Auf dem (sozusagen) Bahnhofsvorplatz suchen die internationalen Gäste, keiner des Tschechischen auch nur annähernd mächtig, nach Weg und Sinn, beobachtet von Einheimischen, die im (sozusagen) Wirtshaus gegenüber vom (sozusagen) Bahnhof vermutlich Wetten darauf abschließen, wer als erster auf den Trick kommt. Die ersten nehmen das einzige Taxi. Weiter hinten steht ein schläfriger Bus, aber auf dem Bus steht nichts, was ein Licht aufgehen ließe. Eine Japanerin wagt sich hinein, hält dem Busfahrer einen Reiseführer hin, der nickt stumm. Das probiere ich dann auch, und es stellt sich heraus, daß der Busfahrer einfach stoisch alle reinnickt. Er fährt also irgendwohin und hofft für uns alle das Beste. 

Es stellt sich weiterhin heraus, daß wir in Serpentinen Richtung Zentrum hinabrollen, und da ich ungefähr weiß, welches die Straße namens Chvalšinská sein müßte, finden wir den rechtzeitigen Ausstieg, wandern noch eine hoffnungsvolle Meile, biegen dann wie vorgesehen links in den Wald ab, stehen schließlich vor der Pension Vodotrysk und werden, dem Himmel sei Dank, auch erwartet.

Die Pension Vodotrysk: ein fast 200 Jahre altes, von der Schwarzenberg-Dynastie errichtetes Haus, deep in the woods, wunderschön renoviert. Ein junges Paar kümmert sich um alles, very friendly and helpful people. Daß man hier beim Frühstück plötzlich neben allem anderen auch noch drei Krapfen gegessen hat, kommt vor. Es ist das Privileg der Erzbischöfe, anderen die Krapfen wegzuessen.

Cesky Krumlov. Krumau. Pension Vodotrysk.

Erster Gang hinauf zur Schloßanlage, first view & the first view down.

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßanlage.
Cesky Krumlov. Krumau. Egon Schiele.
Cesky Krumlov. Krumau. Schloßanlage.

„Das ist die krumme Au und da wäre eine Burg schöner, als auf dem Berge der Rosen, den Ihr so lange angeschaut habt. Die Moldau macht einen Ring, dann macht sie außerhalb desselben einen zweiten verkehrten und dann noch einen größeren, der wieder verkehrt ist und an ihm stehen gerade Felsen empor.“  (Adalbert Stifter,  -> Witiko

Stifter wurde in Horni Planá (Oberplan) geboren, nur einen Katzensprung von Cesky Krumlov entfernt. „Witiko“ spielt im Böhmen des 12. Jahrhunderts; die erste schriftliche Erwähnung der Burg von Krumlov, als Sitz des Witiko, stammt aus dem Jahr 1253. Die älteste Besiedlung des heutigen Stadtterritoriums ist für 6000-5000 v.Chr. bezeugt, frühmittelalterliche Besiedlung für das 8. Jahrhundert. Die Lage des Städtchens, sein altertümlicher Zauber sind einzigartig, und die „verkehrten“ Ringe der Moldau verlangsamen auch den Strom der Zeit. Überall in den verwinkelten Gassen spürt man die mächtigen Mauern der Burg, like townsfolk zur Zeit der Eleonore von Schwarzenberg, bis jeder Augenblick etwas findet, das wie eben gerade erbaut wirkt. 

Und wo „eben gerade“ Jahrhunderte zurückliegt, will Geldwechsel am Samstagnachmittag gekonnt sein. Cesky Krumlov ist UNESCO-Weltkulturerbe, ein Zeitsprung als Architektur, aber wir kommen auch für zwei Namen: die schon erwähnte Fürstin Eleonore von Schwarzenberg und Egon Schiele.

Cesky Krumlov. Krumau. Egon Schiele Art Centrum.

Und wer zum ersten Mal durch die Gassen wandert und die Struktur dieser Stadt von altem Ruhm begreift, droht wegen poetischer Atmosphäre zu verhungern. Wir retten uns im letzten Moment in das Cafe Le Jezz, am Flußufer gegenüber der atemberaubenden Mantelbrücke. Bestellen Strudl und Palacinka. Und sitzen in einem Bild von Egon Schiele. 

Und sehen den Kanufahrten durch die Wehrschleuse zu, kleine Mutproben, die mit Applaus vom Ufer aus bedacht werden, Mädchen an Bord mit entzückendem Gekreysch, boys keep swinging, eine Hochzeitsbarke aber bleibt an einem Felsen hängen, böses Omen. While we are here, ein kurzer geschichtlicher Überblick.

1302 stirbt der Krumauer Zweig der Witigonen aus (die Linie der Grünen Rose), ihren Besitz erhält das verwandte Geschlecht der Rosenberg (die Linie der Roten Rose), ein mächtiges Geschlecht, das sich in der Folge häufig mit den böhmischen Herrschern anlegte (Wenzel IV., König von Böhmen und römisch-deutscher König, wird zweimal auf der Krumauer Burg festgehalten, 1394 und 1402). Heinrich I. von Rosenberg verlegt seinen Sitz auf die Burg Krumau, unter seinem Sohn Peter I. entstehen im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts die Obere Burg sowie die Pfarre von St. Veit.

Wilhelm von Rosenberg, Herrscher von Krumau 1551-1592, von ausländischen Diplomaten als stellvertretender König in Böhmen bezeichnet, nimmt den Umbau der gotischen Burg zu einem repräsentativen Renaissance-Schloß vor. Auch die alten gotischen Stadthäuser bekommen neue Fassaden; zu dieser Zeit leben in Krumlov ca. 2000 Einwohner in 331 Häusern. 

Nach Wilhelms Tod 1592 regiert dessen jüngerer Bruder Peter Wok von Rosenberg auf Krumau. 1601/02 muß er die Krumauer Herrschaft wegen Überschuldung – vermutlich aufgrund Erschöpfung der Silberminen – an den Kaiser und böhmischen König Rudolf II. von Habsburg verkaufen. Mit Peter Wok, letzter männlicher Nachfahre des berühmten Adelgeschlechts, endet die jahrhundertelange Herrschaft der Rosenberger in Südböhmen. 

Zwischen 1601 und 1622 ist Krumlov Eigentum der böhmischen Herrscher. Rudolf II. überläßt Krumau seinem unehelichen Sohn Don Julius de Austria, der in den Jahren 1606-1609 auf der Krumauer Burg untergebracht ist. Den Aufenthalt des psychisch labilen Don Julius in der Burg begleiten stürmische Exzesse, die in dem brutalen Mord an Marketa Pichler, der Tochter eines Krumauer Baders, ihren schaurigen Höhepunkt finden. 

Nach der Schlacht am Weißen Berg verleiht Kaiser Ferdinand II. von Habsburg die Herrschaft Krumau 1622 an seinen Hofkammerpräsidenten Johann Ulrich von Eggenberg für dessen Verdienste in der Katholischen Liga. Krumlov ist Sitz der Eggenberger bis 1719. 

1664 wird Johann Christian von Eggenberg Herrscher des Krumauer Fürstentums, seine Gemahlin ist Marie Ernestine von Schwarzenberg (1649-1719). Unter Johann Christian und Marie Ernestine erlebt Krumlov eine kulturelle Blütezeit, wird Zentrum für Musik, Oper und Ballett, es entsteht das Theater im V. Schloßhof, und vor allem Marie Ernestine ist verantwortlich für die Erweiterung der Schloßbibliothek. 

Nach beider Tod geht die Herrschaft 1719 an Marie Ernestines Neffen, Adam Franz von Schwarzenberg; dessen Gemahlin ist Eleonore. Zwischen 1741 und 1782 regiert Joseph Adam von Schwarzenberg, er läßt u.a. das Lustschloß Bellaria sowie 1748 den Maskensaal mit den Wandmalereien von Josef Lederer errichten und 1767 das barocke Schloßtheater in die heutige Gestalt umbauen.

Wir sitzen bei der St. Veits-Kirche, deren Bau um 1340 begonnen wurde, Weihe 1439:

Cesky Krumlov. Krumau. Kirche St. Veit.

Genaugenommen sitzen wir auf einer steinernen Bank in unmittelbarer Nähe der Kapelle des hl. Johannes Nepomuk, die 1726 an das linke Seitenschiff von St. Veit angebaut wurde – auf Veranlassung von Adam Franz von Schwarzenberg und Eleonore. Im Inneren dieser Kapelle befindet sich das Grab der Eleonore von Schwarzenberg. Blondierte Erzbischöfe und andere unvernünftige Naturen könnten hier ein jenseitig verhauchtes „Eleonore! Hörst du uns!“ geäußert haben, befinden sie sich doch am Ziel einer Pilgerschaft: hier liegt sie, die „Vampirprinzessin“.

Cesky Krumlov. Krumau. Kirche St. Veit. Eleonore von Schwarzenberg.

Die rätselhafte Fürstin Eleonore von Schwarzenberg wird am 20. Juni 1682 geboren. Sie ist eine Tochter des Fürsten Ferdinand August von Lobkowitz und heiratet 1701 den Obersthofmarschall, Erbprinz und späteren Fürsten Adam Franz von Schwarzenberg. Mit ihrem Mann weiß sie ein reiches kulturelles Leben am Hof zu entfalten. Opulente Feste, Musik, Jagdgesellschaften. 1732, nach 31 Ehejahren, stirbt Eleonores Gemahl bei einer Hirschjagd durch einen Schuß. Die tödliche Kugel wurde von Kaiser Karl VI. persönlich abgefeuert. Ein Jagdunfall, so sagt man. Kein Jagdunfall, so munkelt man. 

Eleonore lebt noch fast neun Jahre; sie stirbt am 5. Mai 1741 in der Schwarzenbergischen Residenz in Wien. Aber sie wird nicht, wie die anderen Familienangehörigen, in der Wiener Augustinerkirche bestattet. Ihre sterblichen Überreste werden nach Krumlov zurückgebracht, in der Nepomuk-Kapelle der Kirche St. Veit findet Eleonore ihre letzte Ruhe. Gewissermaßen. 

Die Dokumentation über Eleonore, „Die Vampirprinzessin“, beginnt mit dem eigenartigen Fund, den man 2007 bei Straßenarbeiten in Krumau macht: drei Skelette, die nicht, wie bei christlichen Bestattungen üblich, in Ost-West-Achse ausgerichtet sind, sondern in Nord-Süd-Richtung liegen. Im Verlauf ihrer Grabung machen Prager Archäologen weitere merkwürdige Entdeckungen. Einer der hier begrabenen Personen hat man offenbar den Kopf abgetrennt, der Schädel liegt zwischen den Beinen, in der Mundhöhle ein Stein. Das Fehlen der ersten beiden Halswirbel deutet darauf hin, daß diese Person enthauptet wurde. Arme und Beine aller drei Personen hat man mit Steinen beschwert. Die drei Toten werden als männlich identifiziert, im 18. Jahrhundert ums Leben gekommen und an einer Moldaubiegung unter die Erde gebracht, die sich zur Zeit der Grablegung außerhalb des Stadtgebietes von Krumlov befand. Alles deutet darauf hin, daß diese drei Personen als „Vampire“ verdächtigt wurden und daran gehindert werden sollten, aus ihrem Grab zu steigen. 

Vampirglaube und -hysterie waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa weit verbreitet. Mehr dazu HIER:


-> Vampirglaube: Historisches zur Hysterie

Die drei Toten von Krumlov dürften also Opfer einer klassischen Vampirbannung geworden sein: die Leichen verdächtiger Personen wurden ausgegraben, gepfählt, geköpft. Den Kopf legte man zwischen die Beine, um zu verhindern, daß der „Untote“ ihn mit den Händen erreichen und ihn sich wieder aufsetzen kann. Der zwischen Ober- und Unterkiefer geschobene Stein sollte das „Schmatzen“ im Grab verhindern, das als frühes Anzeichen für Vampirismus galt, die schweren Steine sollten den Untoten bewegungsunfähig machen. 

Rainer Köppl, Medienwissenschaftler an der Universität Wien, vertritt in „Die Vampirprinzessin“ die Theorie, daß Eleonore von Schwarzenberg für eine Vampirin gehalten wurde. Köppl vermutet, daß Eleonore die Namensgeberin für Gottfried August Bürgers Ballade Lenore (auch: Leonore) gewesen sein könnte, und daß die Gestalt der Eleonore von Schwarzenberg damit indirekt auch eine Inspiration für Bram Stoker war, als er Dracula schrieb. 

Stoker zitiert aus Lenore den Satz: Die Todten reiten schnell. Im Ersten Kapitel von Stokers Roman flüstert einer der Mitreisenden Jonathan Harkers in der Kutsche diesen Satz, als Dracula auftaucht, um Harker abzuholen. In der Erzählung Dracula’s Guest, die zwei Jahre nach Stokers Tod publiziert wurde – nach Aussage von Stokers Witwe Florence eine „unpublished episode from Dracula„, wahrscheinlicher eine verworfene erste Fassung des Anfangs -, findet Jonathan Harker den Satz „THE DEAD TRAVEL FAST“ als Inschrift auf der Gruft einer Vampirin, Countess Dolingen of Gratz – einer Adeligen aus der Steiermark also. Es scheint, als wollte Stoker seinen Roman ursprünglich in Mitteleuropa spielen lassen.

Lenore gilt als eines der frühesten literarischen Zeugnisse zum Thema Untote. Leonore lästert Gott, als ihr Bräutigam, der in den Krieg gezogen ist, nicht zurückkehrt; das Schlachtfeld befindet sich in Böhmen. Als Lenore eines Nachts einen Reiter erblickt, meint sie, ihren Geliebten zu sehen. Doch es ist der Geist des Bräutigams, im Grunde der Tod selbst, der sie auf einem wilden, unheimlichen Ritt, vorbei an Geistern und Gesindel, ins Totenreich bringt, das Hochzeitsbett ein Sarg. 

Bei seiner Suche nach Indizien dafür, daß Eleonore von Schwarzenberg ein frühes role model für die Verbindung von Adel und Blutsaugertum gewesen sein könnte, stößt Köppl im gewaltigen Archiv von Schloß Krumau auf Details ihrer Lebensgeschichte, die eine Verbindung zu den Krumauer Skelettfunden nahelegen; offensichtlich gab die unheimliche Fürstin der Bevölkerung von Krumau Anlaß, der Vampirhysterie zu verfallen. 

Eleonore war eine passionierte Jägerin; bei den regelmäßig veranstalteten Treibjagden wurde auf alles geschossen, was sich bewegte, nur nicht auf Wölfe. Eleonore ließ Wölfinnen fangen und in Zwingern auf dem Schloß unterbringen. Das nächtliche Geheul, das auch wild lebende Wölfe angelockt haben dürfte, muß die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt haben. Im europäischen Volksglauben hatten Wölfe einen denkbar schlechten Ruf, galten als unheimlich, Komplizen des Bösen, Gesandte der Vampire. Eleonore ließ die Wölfinnen melken; auf Empfehlung von Ärzten in der Grauzone zwischen Wissenschaft, Aberglauben und Magie trank sie über Jahre hinweg Wolfsmilch, um sich den sehnlichen Wunsch nach einem Sohn und männlichen Erben zu erfüllen. Alchemisten, Okkultisten und Mediziner, Kapazitäten und Quacksalber gingen bei Eleonore besonders in ihrer letzten Lebensphase ein und aus; daß Eleonore zunächst, mit über 40 Jahren, tatsächlich noch einen Sohn zur Welt bringt, Joseph Adam, verstärkt 1722 nur das düstere Image: wenn kein medizinisches Wunder, dann Hexerei. 

Nach dem Unglück, bei dem 1732 Eleonores Mann während einer Jagd bei Prag von Karl VI. erschossen wird, zahlt der Kaiser einen Unterhalt von jährlich 5.000 Gulden an die Witwe, die nun, da ihr Sohn in die Obhut des Kaisers kommt, allein und zurückgezogen auf dem Schloß lebt. Mit dem Geld kommt sie kaum aus. Sie liebt Luxus, teure Weine, Schmuck; sie ist starke Raucherin, hofft auf medikamentöse Wirkung des Tabaks, und die größten Summen verschlingt der Posten Arzneimittel. Aufzeichnungen aus dem Schloßarchiv belegen, wie exzessiv Eleonore Medikamente aus Apotheken in Prag und Wien bestellt, während sich ihr körperlicher Zustand zusehends verschlechtert. Eleonore ordert auch andere, dubiose „Wunderheilmittel“ in Unmengen, und sie sucht Hilfe in Zauberritualen; auf Schloß Krumau gibt es noch eine „Zauberrolle“, ein Papierstreifen mit Zeichen und Sprüchen zur Abwehr von Geistern. 

Nicht nur ihr Hang zu ungewöhnlichen Methoden und Okkultismus läßt Eleonore auf ihre Umgebung zunehmend unheimlich wirken. Sie leidet unter Schlaflosigkeit und dadurch bedingt am Tage unter starker Müdigkeit – Symptome, die nun, unter der Hand, mit der „Vampirkrankheit“ in Zusammenhang gebracht werden. Es gibt spiritistische Sitzungen auf dem Schloß, mit denen die bösen Kräfte fortgejagt werden sollen. Eleonore sammelt Gemälde, die auf Zauberei und Vampirismus Bezug zu nehmen scheinen. 

Eleonore leidet an schlimmen Schmerzen. Hofbeamte versuchen, den Umfang ihrer kostspieligen Bestellungen einzuschränken, ihre Zurechnungsfähigkeit wird in Zweifel gezogen. Bereits vom Tode gezeichnet, reist Eleonore von Krumau nach Wien, aber auch dort kann ihr niemand mehr helfen. In den Archiven findet sich keine Diagnose ihrer Erkrankung; vielleicht ein Hinweis darauf, daß die Ärzte von etwas ausgingen, das sich wissenschaftlich nicht beschreiben ließ. 

Eleonore stirbt am 5. Mai 1741 um 6:00 Uhr früh. Bereits neun Stunden nach ihrem Tod treten Ärzte zusammen, um den Leichnam zu untersuchen. Die Kosten der Obduktion, im Kassabuch festgehalten, entsprechen einem Gegenwert von 90.000 Euro, ein extrem hoher Betrag. Man findet den Leib der Fürstin „völlig ausgezehrt“, und man entdeckt eine Geschwulst, „welche die Größe eines mittleren Kinderkopfs hatte“, aber eine Todesursache fehlt im Obduktionsbericht. 

„Adelige wurden damals nicht obduziert“, so der Gerichtsmediziner Christian Reiter. „Außerdem steht das Ärzte-Honorar für die Obduktion nicht in Relation zum Arbeitsaufwand. Entweder war das Honorar so hoch, weil hier eine große Gefahr für die Obduzierenden bestanden hat“, oder aber, „weil hier eine Art Schweigegeld geleistet wurde für diese Personen.“ 

Die Todesursache – Krebs – kann heute rekonstruiert werden. Im letzten Jahr ihrer Krankheit, als sie kaum noch Speisen zu sich nehmen konnte, kamen zahllose Experten aus dem ganzen Reich zu Eleonore, auch solche, die Erfahrung mit „Vampirismus“ hatten. In der Nacht brannte stets das Licht in Eleonores Schlafgemächern; Gerüchte von der Fürstin, die nur bei Nacht lebt, machten in Krumau die Runde. Eleonore verlangte häufig nach Dr. Franz von Gerstorff, Leibarzt von Kaiser Karl VI. und Leiter von Untersuchungskommissionen für Vampir-Erscheinungen. Von Gerstorff war von der Möglichkeit der Ansteckung durch Vampire überzeugt, und Eleonore bot genau das Erscheinungsbild, das man der Vampirkrankheit damals zuschrieb: ausgezehrt, blutleer, verwirrt. Man glaubte offenbar, und wahrscheinlich fürchtete dies auch Eleonore selbst, ein Vampirbiß sei ihr Schicksal gewesen. 

Daß an Eleonore eine Obduktion vorgenommen und den Ärzten hoch vergütet wird, läßt also darauf schließen, daß die „Diagnose“ tatsächlich lautete, Eleonore sei ein Vampir-Opfer. Die Obduktion läßt sich als eine Art Vampir-Hinrichtung deuten, da das Entfernen des Herzens einer Pfählung gleichkommt: ein wissenschaftlicher Weg, um einen „Vampir“ unschädlich zu machen. Nach Eleonores Tod wird das Schloß abgeriegelt, in der von Angst geprägten Stimmung kontrollieren Nachtwächter das Gebäude rund um die Uhr. Große Angst muß auch Eleonore selbst ausgestanden haben – Angst, nach ihrem Tod zu einem Vampir zu werden? In jener Zeit wurden die Schwarzenbergs in der Familiengruft in der Wiener Augustinerkirche beigesetzt. Eleonore war im Endstadium ihrer Krankheit nach Wien gereist, wird jedoch in Krumau bestattet. Warum? 

Eleonore wird, was ungewöhnlich ist, in den Totenbüchern der Augustinerkirchengruft erwähnt, obwohl sie nicht dort beigesetzt ist. Über eine halbe Seite widmet der damalige Archivar dem Tod Eleonores am 5. Mai und berichtet, daß sie auf eigenen Wunsch noch in der Nacht nach Böhmen zurückgebracht wurde. Diese Überführung des Leichnams von Wien nach Krumau ist in einem Testament verfügt, das wenige Tage vor Eleonores Tod verfaßt wurde. Darin heißt es: 

„ZWEYTENS: solle mein Leichnam, ich mag in Wien, oder andernorts das Zeitliche verlassen, nach Krumau geführet, dort von armen Leuten in die St. Nepomuc Kapelle getragen, und allda ohne einzigen Gepränge beerdiget werden, und auf den Grabstein folgende Wörter stehen: Hier liegt die arme Sünderin Eleonora, Bittet für Sie…“ 

Ob das Testament auf Eleonores eigenem, freien Willen beruht, oder ob man ihren Leichnam noch in der Nacht nach Krumau brachte, weil man einen Vampir mitten in Wien fürchtete: die Tote ritt schnell. 

Das Begräbnis war ein für den Hochadel sehr ungewöhnliches. Kein einziger Vertreter der Aristokratie oder Würdenträger des Klerus war anwesend, auch ihr Sohn blieb der Beisetzung fern, die am 10. Mai stattfand – seltsamerweise in der Nacht. Um acht Uhr abends setzte sich der Trauerzug der „armen Leute“ von Krumau vom Schloß zur St. Veits-Kirche in Bewegung. 

In der Nepomuk-Kapelle ist Eleonores Grab heute unter einem roten Teppich verborgen. Auf der Grabplatte ein Totenkopf, darunter Eleonores Sterbedatum – kein Familienname, kein Adelstitel, kein Wappen. 

Die Rückkehr der „Vampirprinzessin“ dürfte für die Bevölkerung ein Schock gewesen sein, der die Hysterie noch steigerte, vielleicht auch jene Maßnahmen gegen die drei als Vampire verdächtigten Personen auslöste, deren Skelette 2007 gefunden wurden. 

Und auch Eleonores Grab kündet von der Angst, sie könne als Vampir umgehen: bei einer Geo-Radar-Untersuchung zeigt sich eine auffällige Unregelmäßigkeit oberhalb der Stelle, an der sich der Sarg befinden muß, die sich als gemauertes Gewölbe entpuppt, das mit großem Aufwand eigens in die Gruft eingebaut wurde, um den Zugang zu versperren: Eleonores Sarg wurde buchstäblich eingemauert. Über das gemauerte Gewölbe wurde eine Schicht Friedhofserde gelegt. 

Und noch ein erstaunliches Indiz wird entdeckt. Auf einem lebensgroßen Gemälde ist Eleonore mit ihrem Sohn Joseph Adam zu sehen. Die Art der Darstellung ist für ein Frauenportrait jener Zeit durchaus ungewöhnlich; das Bild zeigt sie als bewaffnete Jägerin. Das größte Geheimnis des Bildes wird jedoch erst bei einer Röntgenuntersuchung des Bildes offenbar: das Stück Leinwand, auf das der Kopf der Fürstin gemalt wurde, besitzt eine völlig andere Struktur als die Leinwand des übrigen Gemäldes. Auf dem Röntgenbild sind die Nähte zu erkennen, mit denen das Stück Leinwand (wieder-)eingesetzt wurde. Es scheint, als wurde sogar Eleonores Bild aus rituellen Gründen „geköpft“. 

Es gibt auch die Vermutung, daß die ungewöhnliche Haltung ihres rechten Arms darin begründet ist, daß Eleonore -> auf dem Bild ursprünglich einen Wolf „umarmte“ – dessen Ohren als Schatten auf dem Ärmel noch zu sehen seien.


Auf dem Svornosti-Platz am Abend kann man sich den Trauerzug, der sich „um acht Uhr abends“ in Bewegung setzte, lebhaft vorstellen. Die Pestsäule auf dem Svornosti-Platz, mit der Statue der Jungfrau Maria Immaculata an der Spitze, wurde von Marie Ernestine von Schwarzenberg gestiftet als Dank für das Ende der Pestepidemie 1682.

Cesky Krumlov. Krumau. Pestsäule auf dem Svornosti-Platz.

Evening falls auf einer der größten Burganlagen Europas.

Cesky Krumlov. Krumau.
Cesky Krumlov. Krumau.
Cesky Krumlov. Krumau. Schloß.
Cesky Krumlov. Krumau. Schloß.

Sonntag, 11.09.2011

Der Komplex der alten Stadtmühle in der Breiten Gasse übte auf Egon Schiele ebenso wie die gesamte Häuserlandschaft des dortigen Moldaubogens einen besonderen Reiz aus. Als Standort wählte er den Blick von der Höhe des Schloßplateaus. Von hier aus entstanden 1910 und 1911 Bilder, die den Titel Tote Stadt erhielten. Diese Version (Tote Stadt III) entstand im Mai 1911.

Cesky Krumlov. Krumau. Egon Schiele, Tote Stadt III.

Der Blick auf diesen Moldaubogen heute, links also das Cafè, in dem wir Strudl und Palacinka in einem Schiele-Bild bestellten.

Cesky Krumlov. Krumau. Egon Schiele.

Japanese Whispers auf der Mantelbrücke

Cesky Krumlov. Krumau. Mantelbrücke. "Japanese Whispers", Foto Christian Erdmann.

Der ausgedehnte Komplex der im Laufe von sechs Jahrhunderten erbauten Krumauer Burg ist um fünf Schloßhöfe herum konzentriert. Unter der Brücke beim Durchgang zum II. Schloßhof gibt es einen Bärengraben. Bären erscheinen als Wappenträger für das Wappen der Rosenberg, die rote Rose auf silbernem Grund, seit die Herren von Rosenberg Verwandtschaft mit dem italienischen Adelsgeschlecht der Orsini reklamierten. Erste Aufzeichnungen über die Bärenhaltung in Zwingern auf dem Schloß stammen aus der Zeit des Wilhelm von Rosenberg, den Bärengraben gibt es seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Derzeitige Bewohner des Bärengrabens sind Katerina, Teresa und Wok.

Leider bestätigt sich am Morgen auf der Schloßanlage, daß wir das Barocktheater nicht sehen können, weil das tschechische Fernsehen noch zwei Tage mit Dreharbeiten beschäftigt ist. Dieses barocke Schloßtheater im fünften Schloßhof ist eine der zwei weltweit erhaltenen Barockbühnen, deren alte Bühnenmaschinerie noch voll funktionsfähig ist (die andere ist das schwedische Königliche Theater in Drottningholm), Kulissen, Dekorationen, Requisiten, Kostüme, sogar die Textbücher, alles im Originalzustand. Wir erwerben Tickets für die 1. Besichtigungstour in Englisch und verweilen noch kurz im III. Schloßhof. Die Malereien an den Fassaden sind das Werk des Malers Gabriel de Blonde, entstanden um 1575.

Cesky Krumlov. Krumau. III. Schloßhof.

Eine Maid ist unsere Tourhostess für eine Stunde, sie führt durch das ursprüngliche Schloßinterieur aus der Zeit der Renaissance und des Barock. Eintrittshalle, Treppe, St. Georgs-Kapelle, die Schloßkapelle mit den Reliquien eines Kalixtus. Zur Erhebung der Reliquien von Papst Kalixtus I., um 222 in Rom gestorben, kam es im 9. Jahrhundert, später erwarb Kaiser Karl IV., passionierter Reliquienjäger, einen Teil des Schädels, und schenkte ihn vermutlich den Rosenbergern. Die Reliquien dieses Kalixt befanden sich in der Kapelle bis zum Jahre 1614, dann verschwanden sie spurlos. Aber, wundersames Geschick: man produzierte einen anderen Kalixtus, einen Märtyrer aus Nordafrika, 1663 erwarb Johann Christian I. von Eggenberg Skelettüberreste und ein kleines Gefäß mit Kalixtusblut von Papst Alexander VII. 

Durch den Rosenberg-Saal in die vier Rosenberg-Renaissancezimmer, das erste ist als Schlafraum eingerichtet, die Maid fordert uns mit ein paar Fragen heraus: warum das Bett so kurz ist? Weil man im Sitzen schlief, superstitiously. Im IV. Renaissance-Zimmer das Porträt der Perchta von Rosenberg, Tochter des Ulrich II. von Rosenberg, 1449 gegen ihren Willen mit Johann von Liechtenstein verheiratet. Aus Perchtas Briefen an ihren Bruder weiß man, wie sehr sie unter ihrem üblen Gemahl zu leiden hatte. Die Ehe war für Perchta die Hölle; nach Johanns Tod stand sie ihrem Bruder auf der Burg zur Seite, schlank und ernst durch die Säle und Burghöfe gleitend, wohl darum später berühmt als Burggeist, als die „Weiße Frau“

.The maiden erzählt uns auch die schaurige Geschichte von Don Julius de Austria en détail. Don Julius prügelte Diener und schaffte böhmische Mädchen nach Belieben auf die Burg. Auf besagte Marketa, Tochter eines Baders, ging er in einem ersten Anfall mit dem Schwert los und warf die Schwerverwundete aus dem Fenster. Sie fiel in einen Burgteich, konnte sich nach Hause retten. Als Don Julius ihrem Vater mit Hinrichtung drohte, kehrte Marketa schweren Herzens auf die Burg zurück; nicht lang, bis der Wahnsinnige in rasender Wut Marketas Ende besiegelte: „He cut her to pieces for three hours.“
Vier Tage lief der Edelmann-Ripper blutverschmiert durch die Stadt, den Bürgern wurde bei seinem Anblick übel, selbst Hunde wichen ihm aus, erst nach einem Monat wurde er von einem kaiserlichen Kommando festgenommen, stieß aber noch in der Zelle Verwünschungen aus: „Ihr Sacramentsnarren, laßt mich zufrieden.“ 

Wir sehen die Goldene Kutsche im Eggenbergischen Saal, die Johann Anton I. von Eggenberg auf diplomatischer Mission für seinen (zweiten) Einzug zur Papstaudienz 1638 in Rom anfertigen ließ. Das Wunderwerk ist mit 2 Kilo Blattgold überzogen. 

Das Schwarzenberg-Wappen war ursprünglich nur blau und weiß; Albiceleste sozusagen. Das Wappen der Eleonore, wir finden es. Sehen dann ein Gemälde von Eleonore, das wir noch nicht kannten, auf dem sie wunderschön ist. 

Wir sind jetzt in Eleonores Gemächern; sehen das bekannte Porträt im dining room, der untere Rand ihres Soldatenhutes und der unnatürlich tiefschwarz übermalte Kragen lassen ahnen, daß dort der Schnitt verlief, durch den Eleonore auf diesem Gemälde „geköpft“ wurde. Wir hören noch einmal die Geschichte des „Jagdunfalls“; unsere Führerin formuliert es so: manche sagen, es war Absicht, manche sagen, Karl VI. hatte schlechte Augen. Der Untersuchungsbericht im Original, right here

Und dann Eleonores Bett, dieses Bett, an dem Legionen von Doktoren gestanden haben müssen. 

Unsere Runde endet im Maskensaal, der mit den Malereien von Josef Lederer ausgeschmückt ist. Lederer hat hier 1748 alle Möglichkeiten der Illusionskunst der Rokokozeit ausgeschöpft. Wir sind umgeben von einer aristokratischen Gesellschaft bei ihrem Karnevalstreiben, dazwischen Gestalten der Commedia dell’arte, an der Tür wachen gemalte Schloßgardisten. Ein echter Bediensteter, der eines Tages im Maskentrubel sah, wie einer schönen Dame die Perlenkette vom Hals glitt, wurde von den gemalten Grenadieren, die aus der Mauer heraustraten, daran gehindert, die Kette an sich zu bringen – Cesky Krumlov ist voll von Sagen und Geschichten, bezaubernd und spooky.

Blick vom II. Schloßhof

Cesky Krumlov. Krumau. Blick vom II. Schloßhof.

Die Malereien am Kastell, dem ursprünglich ältesten Teil der Burg, stammen aus der Zeit des Renaissance-Umbaus.

Cesky Krumlov. Krumau. Malereien am Kastell.

Der befestigte Palast der Kleinen Burg (Hrádek) mit dem Turm wurde zwischen 1291 und 1309 errichtet. Als wir das im Kastell untergebrachte Burgmuseum betreten, sagt der Kustod, der die Tickets abreißt, in feinstem Schwejk-speak: „Zwei Stockwerke ist orriginall, ich auch orriginall, bitterschön.“ 

Saal der Herren von der Rose

Cesky Krumlov. Krumau. Saal der Herren von der Rose.

Im Saal der Krumauer Herzöge ein Portrait der Marie Ernestine von Eggenberg, geborene von Schwarzenberg, eine leidenschaftliche Leserin und eine schöne Frau, die mit französischer und italienischer Literatur die Schloßbibliothek veredelte.

In der Schatzkammer der Sakralen Kunst das Reliquiar des Hl. Reparat(us).

Cesky Krumlov. Krumau. Schatzkammer der Sakralen Kunst, Reliquiar des Hl. Reparat.

Die dem Reparat zugeschriebenen Reliquien stammen, so eine erhaltene Bescheinigung aus dem Jahre 1769, aus den römischen St. Agnes-Katakomben. Die Gebeine werden auf das 2. – 5. Jhdt. datiert, 1772 wurde das Skelett mit großer Zeremonie nach Krumau überführt. Die Ausschmückung der Reliquien ist das fast schon befremdlich liebevolle Werk Krumauer Klarissinnen. 

In der Rüstkammer alte Flinten mit Luntenschlössern, Waffen aus dem Morgenland, und eine Verbindung aus Pistole und Jagdmesser mit der Aufschrift „Vivat Maria Terezia“. Zu sehen gibt es auch Artefakte einer Münzpräge; die Rosenberger und die Eggenberger hatten das Recht, eigene Münzen zu prägen. 

In einem schmalen Gewölbe sitzt man auf alten Kinostühlen, ein Kinematograph zeigt Filmaufnahmen aus den 1920er und 1930er Jahren, Blicke auf das Krumauer Schloß, die Schwarzenbergische Garde auf dem II. Schloßhof bei der Ablösung, Privataufnahmen der Schwarzenbergs, eine Ballettszene im Barocktheater, an der Wand alte Filmplakate, Pola Negri als Carmen sexy as usual und der Golem on the loose

Wir erklimmen den Schloßturm, schauen hinab in den Hungerturm, skull and bones da unten, ein Japaner entdeckt Freddie im Gemäuer und photographiert ihn („Oh, so cute!“),

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßturm.

Fledermäusen steigt indes wenig zu Kopf, Starruhm schon gar nicht,

Cesky Krumlov, Krumau, Schloßturm.

bei den Glocken wird der Aufstieg eng und kompliziert, endlich all the way up, two views from the tower – den Schiele oft bestieg, um die Stadtseele, wie er es nannte, zu ergründen.

Cesky Krumlov. Krumau. Schloßturm.
Cesky Krumlov. Krumau. Schloß.

Wieder unten: herzlicher Plausch mit dem Kustod, fast mit Umarmung voneinander geschieden, Gulaschsuppe und Erdbeertorte in einer Burgtaverne genossen, beim Heavy-Metal-Schmied vor der Mantelbrücke erwerbe ich einen Anhänger in Form einer schwarzen Schlange, die wiederum die Form der Moldaubögen von Cesky Krumlov zu imitieren scheint. 

Die Mantelbrücke.

Cesky Krumlov. Krumau. Mantelbrücke.

Die ehemalige Prälatur in Cesky Krumlov hat ein bewegtes Schicksal. Ursprünglich im gotischen Stil erbaut, 1611 von den Protestanten verwüstet, später von mehreren Bränden beschädigt, die zuweilen auch in der Brauerei ausbrachen, die zu der Prälatur gehörte. Nach einem der Brände entstanden Treppenloggia und Arkadenübergang im Rokokostil.

Cesky Krumlov. Krumau. Prälatur.