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The Damned, Hamburg, 25.05.2018

The Damned, Hamburg, Captain Sensible Signature, Captain Sensible Guitar Pick.

„I’d heard the last Bowie album, Blackstar, and I really liked the sound of things on that and thought ‚I wonder if he would produce us?‘ I found out when I talked to him, he said ‚Why didn’t you ask me years ago?'“

Die Nachricht, daß der legendäre Tony Visconti ein neues Album von The Damned produzieren würde, war ein Stück Poesie im Schlamassel called 2017. Viscontis Antwort an Dave Vanian sagt ja: wißt ihr denn nicht, o Verdammte, wie sehr wir euch verehren? Und das gilt für die Allerbesten: auf „Blues Funeral“ von Mark Lanegan gibt es den Song „Phantasmagoria Blues“, und Lanegan erzählt im Februar 2012:

„I called it that because around that time I started listening again to Phantasmagoria by The Damned. That’s a favourite record of mine.“

„Phantasmagoria“ sollte a favourite record von jedem sein, aber, ach, Herr Graf. Auch impliziert Viscontis Antwort, daß der Griff nach den Sternen für The Damned eigentlich eine ganz selbstverständliche Sache gewesen wäre – was vielleicht nicht ganz so leicht zu glauben ist, wenn eine Band über einen so langen Zeitraum hinweg erlebt hat, wie die Presse eine Art Vendetta gegen sie aufrechterhielt: The Damned wurden angefeindet oder offensiv totgeschwiegen, im Grunde nur, weil sie nirgends hineinpaßten. Sie verkörperten die furiose Dringlichkeit des Punk, nahmen diese jedoch nur als Ausgangspunkt. Sie waren noch unter den Außenseitern immer Außenseiter, folgten immer nur dem eigenen Stern, verschreckten mit ihrem künstlerischen Expansionsdrang immer wieder eine gerade gewonnene Gefolgschaft. Damit einher gingen Phasen, in denen man ohne Plattenvertrag dastand oder Plattenfirmen schlicht keine Promotion für ein Album machten (wie bei „Grave Disorder“). Dave Vanian:

„We had this thing in our minds where you put everything into making a record then through no fault of your own it just slips away through your fingers. After a while that’s quite hard to get used to.“

Und nun, nach vier Dekaden Bandgeschichte, schießt „Evil Spirits“ im April 2018 von Null auf Platz 7 der englischen Album-Charts: es ist tatsächlich das erste Top Ten-Album der Band („Phantasmagoria“ schaffte es 1985 auf Platz 11), das ist nicht einfach wohlverdient, das ist die platonische Idee von Wohlverdientheit.

Nachdem Stabilität im Bandgefüge lange Anathema war und es bei allen von außen kommenden Widrigkeiten immer auch die Neigung gab, sich selbst ins Knie zu schießen, sind Dave Vanian und Captain Sensible seit 1996 wiedervereinte Komplizen: zwei der liebenswertesten Charaktere überhaupt, dabei grundverschieden, als partners in crime sich jedoch auf das Schönste ergänzend. Dave Vanian, der sich stets so bewegt, als würde er im Vampir-Umhang leben, verantwortlich für das sinistre, theatralische Gothic-Element, das dunkelerotische Drama, Horrorfilm-Ästhetik zwischen Dracula, Vampira und Dr. Phibes seine natürliche Sphäre, mit Passion für alte Motorräder und Autos. Der Captain hingegen ein passionierter Trainspotter, im Herzen immer noch Punk, aber mit intensiver Neigung zu Pop & Psychedelia.

„Phantasmagoria“ mit seiner Opulenz, der dunklen Poesie, der Vampirgraf-Grandeur, dem majestätischen Bombast und dem Über-Melodrama ist natürlich Daves Album. Wie auch bei der epischen Single „Eloise“ und dem Nachfolge-Album „Anything“ (1987) war der Captain nicht anwesend; ich weiß nicht, warum „Anything“ immer ein bißchen stiefmütterlich behandelt wird, aber eigentlich betrachte ich „Phantasmagoria“ und „Anything“ ohnehin als eine einzige Platte: „Anything“ befand sich in den Räumen der Frau, die Aljoschas nächtlichen Visionen den Fluchtweg zur Milchstraße abschnitt, und handelt natürlich von ihr.

Dave Vanian und Captain Sensible sind auch ewig Unterschätzte: beim Captain, der erst für „Machine Gun Etiquette“ von 4 auf 6 Saiten umstieg, verhindert wohl sein Image als schrulliger Possenreißer seine Entdeckung als superber Gitarrist; welch großartiger Sänger Dave Vanian ist, propagierte ich schon: -> hier 

„Visconti took a lot of time to concentrate on the lead vocals. He really liked Dave’s voice, which was nice as he’s worked with the best and he just kept saying ‚phenomenal, phenomenal‘ as Dave sang. But I have to say, as a singer myself, Dave is annoyingly good. I’m there watching him and I say to myself, ‚how does he fucking do it?'“ – Captain Sensible 

Annoyingly good auch mit den Phantom Chords:

„The Doomsday Clock stands at two and a half minutes to midnight now I think; that’s something to really demonstrate against, not that sexist pillock in the White House, arsehole that he is. Sexist tweets are not going to destroy the planet but nuclear missiles and climate change bloody will.“ – Captain Sensible

Zu „Mars“ aus „The Planets“ von Gustav Holst betreten The Damned die Bühne, „Wait For The Blackout“ der perfekte blast off. Dave Vanian mit seinen schwarzen Handschuhen am Retro-Birdcage-Mikrofon, chic von unten in Absinthgrün angestrahlt, trinkt zwischen den Songs gern ein Schlückchen Rotwein trotz „I never drink… wine.“ Nach „Plan 9 Channel 7“ mit „Standing On The Edge Of Tomorrow“ („written by my esteemed friend“, Mister Vanian)

der erste von zwei neuen Songs, vor „Anti-Pope“ feixt der Captain, sie seien damit auch in Milano durchgekommen, aber falls Katholiken anwesend sind, mögen die jetzt bitte für einen Drink an die Bar gehen, damit schießt ein MACHINE GUN ETIQUETTE-Bombardement durch die Stratosphäre, ab jetzt bleibt kein Auge mehr trocken, ich wußte nicht, zu welchem SECOND TIME AROUND!-Gegröl ich fähig bin & zu welchem Song keyboard demon Monty Oxymoron seinen Veitstanz aufführt, weiß ich gar nicht mehr.

Vor „Eloise“ wird der Zwillingsbrüder Paul und Barry Ryan gedacht, Mister Vanian erzählt, daß Paul Ryan unsterblich in eine Stripperin aus Soho verliebt war und diesen Killersong für sie schrieb. Das veredelt „Eloise“ natürlich nur noch mehr, und wenn Dave Vanian das so erzählt, will ich es glauben. (Edit: laut Rat Scabies wußten The Damned das von Barry Ryan persönlich.) Auf unnachahmliche Art prüft Vanian die Steampunk-Elemente der Fabrik, „Dr Jekyll & Mr Hyde“ widmet er einem „brilliant German actor“, nämlich Udo Kier. Den „Ignite“-Chorus des Hamburger Publikums bedenkt der Captain mit einem „fucking brilliant!“, und er rühmt das Catering und überhaupt die Versorgung, die der Band durch die Fabrik-Crew zuteil wurde. In England bietet man einer hart arbeitenden Band backstage offenbar nicht mal einen Keks an. Überhaupt: „This is a nice club to play. Not like that shithole in Berlin.“ Ho, ho. Ho.

„History Of The World (Part 1)“, seinerzeit tatsächlich von Hans Zimmer mitproduziert, der beschrieben wird, als… quite a character. Ist wohl aufgetreten wie einer dieser Hollywood-Regisseure, die noch mit Peitschen an ihre Reitstiefel schlugen. „Street Of Dreams“, erste Zugabe, scheint so unendlich erhaben, mit „Under The Floor Again“ beschert die zweite Zugabe noch einen meiner allerliebsten Damned-Songs, „Smash It Up“ hat aus nur halb nachvollziehbaren Gründen eine spontane Scat-Gesangs-Einlage durch Captain & Dave.

Nah beim Mikroständer liegt das Plektron, das der Captain benutzt hat an diesem Abend, und ein zuvorkommender Stage Man, den ich darauf anspreche, hebt es für mich auf. Später am Abend, ich habe das Tourplakat von der Fabrikwand gezogen, erscheint der Captain am Tourbus, wo noch ein Häuflein Geduldiger herumlungert, er signiert freihändig mein „Evil Spirits“-Booklet und das Ticket der Missus, ich behaupte, praktisch mein Leben lang auf diesen Moment gewartet zu haben, und er, very British: „Have you.“

Am Ende fühlt man einfach: f***, die beste aller Bands, I Don’t Care.

Wait For The Blackout
Plan 9 Channel 7
Standing On The Edge Of Tomorrow
Anti-Pope
Love Song
Machine Gun Etiquette
I Just Can’t Be Happy Today
Devil In Disguise
New Rose
Eloise
Dr Jekyll & Mr Hyde
Ignite
History Of The World (Part 1)
Neat Neat Neat

Street Of Dreams
So Messed Up

Under The Floor Again
Smash It Up

5 Antworten auf „The Damned, Hamburg, 25.05.2018“

Wollte gerade schreiben, dass ich noch nie von „The Damned“ gehört hätte, doch dann stolperte ich über ihr „Eloise“ … und, ja, doch, DAS kenne ich. Doch wirklich, so richtig touchen … beim Durchzappen jetzt, also, so auf die Schnelle, tun mich „The Portrait“ und vor allem ihr „I Don’t Care“, die zwei haben mich sofort. Und wie!

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„The Portrait“! Ist das nicht von unvergleichlicher Schönheit? Sehnsuchtsvoll, schwermütig, das Stück scheint so simpel, aber das scheint Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“ auch, tatsächlich ist es tausend Nächte tief. Und „I Don’t Care“ – am Ende liegt man da und bettelt nach mehr, oder? :) Scheint, als würde Dich die dunkeldramatische Seite von The Damned am meisten anspechen. :) „Eloise“ ist natürlich einfach nur zum Niederknien. Das Original von Barry Ryan freilich auch!

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Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“ … ist zum Sterben schön, und ja, es gibt Musik, die scheint so simpel, und doch berührt sie mich dort, so ganz tief, sie öffnet mich auf ganz bestimmte Weise, dass ich zum Atmen vergesse und augenblicklich die Tränen fließen ~

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„Spiegel im Spiegel“ richtet genau das an, was Du beschreibst. Verstärkt wird das für mich noch dadurch, daß John Neumeier hier in Hamburg das Stück für sein „Othello“-Ballett verwendet hat. Atemberaubend, herzzerfetzend, ich hab’s nicht nur einmal gesehen und nicht nur einmal mich gefühlt wie ein nasser Teebeutel danach.

Ein kleiner Ausschnitt aus dem Pas de deux Othello / Desdemona

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