
Mein erstes Semester als Student der Philosophie, ein Logik-Tutorium, bei dem die Tutorin uns „The Annotated Alice“ (In Wonderland / Through The Looking-Glass) empfahl, der Nachmittag, an dem ich „War“ von U2, „Burning From The Inside“ von Bauhaus und Alice nach Hause brachte. Zu „Burning From The Inside“ war ich einem elegant begeisterten Review der VOGUE gefolgt, „War“ wurde lebenswichtig, als ich „New Year’s Day“ im Radio hörte. Mit diesem Song stahlen sie mein Herz.
Dramatik von der ersten Sekunde an, und von der ersten Sekunde an hört man auch, was Brian Eno als my first of impression of U2, and my lasting impression of U2 bezeichnet: a band in the way that very few people are bands.
Vier Menschen, die zusammen etwas erschaffen, das größer ist als alles, was jeder von ihnen mit anderen Musikern oder Sängern erschaffen könnte. Vier Menschen mit einer Art von commitment, von Hingabe, die ihrer musikalischen Mission ihre Einzigartigkeit verleiht. Es ist der Glaube an einen spirit, der keine Unverbindlichkeit kennt und der ihren besten Songs eine Intensität beyond comparison verleiht. The Edge sagt während der Aufnahmen zu „The Unforgettable Fire“: „There’s something that works through us to create in this way.“ U2 machen es sich mit jedem Album aus vielen Gründen schwer, aber es scheint, als hätten sie immer alles verworfen, was die Präsenz des fünften Bandmitglieds vermissen ließ, jenes something that works through us.
Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit, Leidenschaft, Sehnsucht, Eindringlichkeit, Wehmut, Euphorie, schiere Energie. Darum geht es bei U2, um Erneuerung von Energie. Um House of Sinn versus mauvaise foi. Um den Energieschub in etwas Wahrhaftiges hinein.
Das Piano, drei Töne und es ist kalt, und vor uns liegt unendliche Weite. Was immer da wartet, „New Year’s Day“ begegnet ihm furchtlos. Der Song ist inspiriert von den Ereignissen in Polen zu Beginn der 80er, ohne spezifische Referenz indes (was ihn zeitlos macht), und er ist zugleich ein Liebeslied, einer von so vielen Songs im U2-Oeuvre, die verschiedene Bedeutungslinien ineinander verweben. Die Stille am Neujahrsmorgen, eine Welt in Weiß und ein Himmel in Blutrot, NOTHING CHANGES ON NEW YEAR’S DAY vs. I WILL BEGIN AGAIN. I WILL BE WITH YOU AGAIN.
„Eine unerhörte Anstrengung steht bevor: Auflehnung gegen die Macht der Bedingung. Gegen die Macht der Ohnmacht. Gegen die Hölle der Situation. Das nicht länger verleugnete Gefühl wartet auf die Tat. Mit Aufruhr das Meer geteilt, Bug der Schmerzen! Mit Liebe durchbrennen, was Haß auslöst. Aufstand gegen das Festsitzen. Von unter der Haut springen die Funken über.“ („Aljoscha der Idiot“, S. 217).
Bono: „It is about having the faith to break through and survive against all odds. Love is a very powerful thing. There’s nothing more radical than two people loving each other.“
„‚New Year’s Day‘ keeps building to impossible musical peaks, with Bono soaring right along with his heart fully exposed at every note.“ (Jim Beviglia, americansongwriter.com).
Building to impossible musical peaks: Edges Gitarre ist unreal, kommt von einem anderen Planeten. Adam Claytons ominös treibende Basslinie basiert auf seinem vergeblichen Versuch, „Fade To Grey“ von Visage zu spielen. Bonos Gesang: Hoffnung, die sich nicht unterdrücken läßt, der Wille zum Widerstand. Bei den Dreharbeiten zum Video sind die vier dann allerdings von den Szenen, bei denen sie knöcheltief im Schnee stehen, derart durchgefroren, daß die vermummten Gestalten, die Pferde durch die Schneelandschaft reiten, tatsächlich von vier schwedischen Mädchen dargestellt werden.
Schnee am Neujahrstag ist selten geworden, aber wenn ich diesen Song höre, ist da Schnee.
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