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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: David Bowie – Heroes

Today's Best Song Ever: David Bowie - Heroes. Text: Christian Erdmann. Bild: Otto Mueller, Liebespaar zwischen Gartenmauern.

„And we kissed as though nothing could fall“ ist eine der schönsten Zeilen, die man schreiben kann. Und wenn jemand behauptet, „Heroes“ sei „the greatest song ever written and recorded“, widerspreche ich sowieso nicht.

Im Berliner Brücke-Museum hatte Bowie das Gemälde Liebespaar zwischen Gartenmauern von Otto Mueller bewundert. Die Liebenden im leidenschaftlichen Kuss zwischen hohen Mauern, von Mueller 1916 gemalt, versetzt Bowie an die Berliner Mauer, die er im Juli und August 1977 im Hansa Tonstudio 2 durchs Fenster sieht. Von dem Platz, auf dem Produzent Tony Visconti sitzt, blickt man direkt auf einen Wachturm der DDR-Grenztruppen, die, so erzählt Iggy Pop (der hier mit Bowie „Lust For Life“ aufgenommen hatte), gelegentlich ins Studio herunterwinken. Die Legende besagt, daß Bowie durch dieses Fenster ein anderes Liebespaar sieht: Visconti und Antonia Maass, Backgroundsängerin für „Beauty And The Beast“, die sich in der Nähe der Mauer treffen. Visconti und Bowie haben das später bestätigt, Antonia Maass (oder Maaß), von der auch die Lyrics der deutschen Version („Helden“) stammen, meint indes, ihre Affäre mit Visconti hätte noch gar nicht begonnen, als „Heroes“ entstand.

Wie dem auch sei, die Lyrics zu „Heroes“ schreibt Bowie erst, als die Musik schon fertig ist.

Bei den Rehearsals mit Brian Eno überarbeitet Bowie einen Song aus den „Lust For Life“-Sessions, und da das Stück schon in der Rohform eine mitreißende, hymnische Kraft hat, steht „Heroes“ als Titel  früh im Raum. Carlos Alomar, Drummer Dennis Davis, Bassist George Murray sowie Bowie am Motorik-Piano spielen den backing track dann in nur wenigen Stunden ein. Alomars Gitarre verewigt sich in der wiederkehrenden three-part-figure, zum ersten Mal bei „Though nothing will drive them away“. Brian Eno spielt am Synthesizer dunkle Fanfaren, Bowie am ARP verwehte Strings, am Chamberlin fügt er mittels „Brass“-Knopf dem Song noch eine Art Stax-Riff im Mix-Untergrund hinzu. Was durch den Track zieht wie zischelnde Signale aus dem Äther, ist ebenfalls Enos Synthesizer, „its oscillators reduced to a low frequency rate (Visconti estimated five cycles per second) and using a noise filter: the result, Visconti said, was the ’shuddering, chattering effect'“ (1).

Eno: „We did second takes, but they weren’t nearly as good.“

Alles an „Heroes“ ist außergewöhnlich, nicht zuletzt Robert Fripps iconic performance, seine celestial sounds den ganzen Song hindurch. Fripp findet in New York ein Lufthansa-Ticket Erster Klasse nach Berlin im Briefkasten und trifft kurz darauf in den Hansa Studios ein. Auf Coverversionen wird Fripps Part in der Regel mittels E-Bow reproduziert. Fripp selbst erzielt dieses Ostinato dagegen mit sorgfältig kontrolliertem Feedback.

Mit Klebeband markiert er auf dem Studiofußboden die Stellen, von denen aus er in verschiedenen Entfernungen zum Verstärker ein feedback für bestimmte Noten bekommt; während er spielt, bewegt er sich zwischen diesen Markierungen hin und her, sein Gitarrensignal wird zusätzlich durch Enos EMS-Synthesizer geleitet. Auf diese Weise spielt Fripp drei Takes und erzeugt einen Klang, den man mit keinem Pedal der Welt erreicht. Visconti legt diese drei Spuren dann noch übereinander, jeweils die Spur nach vorne mischend, die den heavenly drone perfektioniert.

Den Percussion-Sound, den man ab 2:55 hört, erreicht Visconti, indem er mit einem Drumstick auf eine leere Tape-Dose schlägt. Und als letzter dramaturgischer Geniestreich setzt bei 3:55 noch ein Tamburin ein und verkündet, ab jetzt gibt es kein Halten mehr.

Für Bowies Vocal-Take installiert Visconti drei Mikrofone im Raum: das erste 20 Zentimeter von Bowie entfernt, das zweite in 6 Metern Entfernung und das dritte am anderen Ende des Raumes in 15 Metern Entfernung.

Mikrofone 2 und 3 haben electronic gates. Als Bowie die ersten Strophen des Songs noch verhalten singt, aktivieren sich diese Mikrofone nicht, wir hören nur, wie Bowie in das Mikrofon direkt vor ihm singt. Wenn er lauter zu singen beginnt, öffnet sich Mikrofon 2, und wir hören mehr vom Sound des Raums. Als Bowie immer entfesselter singt, aktiviert sich Mikrofon 3, und wir hören Bowies Stimme mit dem Hall des ganzen Raums. Das bedeutet, Bowie mußte sich am Ende die Seele aus dem Leib singen, damit die Mikrofone 2 und 3 anbleiben.

Reverb kommt also direkt bei der Aufnahme aufs Band: ein organischer Ambient-Effekt, der die Emotion der Performance einfängt. Das, was Visconti die „sonic personality“ nennt, entsteht nicht in endlosen Mix-Sessions, sondern kommt im Aufnahmestudio direkt aufs Band. Mit Pro Tools kann man ganz wunderbare Sachen anstellen, wenn vier Genies wie Bowie, Eno, Visconti und Fripp gerade nicht anwesend sind.

Und die Leidenschaft, mit der Bowie singt, erreicht schließlich eine solche Intensität, daß man am Ende weinen möchte vor Euphorie.

Die Begegnung eines Paares zwischen Mauern, der Kuss im Schatten dieser Mauern als Bild für eine Liebe, deren Bedingungslosigkeit alles übersteht, sogar die eigene Schwäche und Nachlässigkeit („And you, you can be mean / And I, I’ll drink all the time“). Überall sind Mauern, überall sind Feinde, überall sind Bedrohungen, überall ist Mißverstehen und Hass, aber Liebende werden die Überlegenen sein, „Heroes“ist ein Wunschgesang gegen den Wahnsinn, der alles zubetoniert, gegen das Realitätsprinzip, die verzweifelt-phantastische Hysterie, mit der Bowie die letzten Strophen singt, entspricht dem Lachen und Zittern der Frau in Rimbauds Gedicht „Royauté“:

Königtum

An einem schönen Morgen, bei einem äußerst sanften Volk, riefen ein Mann und eine Frau, herrlich anzusehen, auf dem Marktplatz: „Meine Freunde, ich will, daß sie Königin wird!“ „Ich will Königin sein!“ Sie lachte und zitterte. Er sprach zu den Freunden von Offenbarung, überstandener Prüfung. Sie fielen einander wie ohnmächtig in die Arme.

Und wirklich, sie waren König und Königin für einen ganzen Vormittag, da purpurne Behänge die Häuser überzogen, und für einen ganzen Nachmittag, da sie ihre Schritte lenkten in Richtung der Palmengärten. (2)

We can be us. Wir können sie schlagen, alle, die im Weg stehen, müssen verschwinden.

Because we’re lovers, and that is that.

(1) Pushing Ahead Of The Dame Blog

(2) Übersetzung CE, Original:

Royauté

Un beau matin, chez un peuple fort doux, un homme et une femme superbes criaient sur la place publique : „Mes amis, je veux qu’elle soit reine!“ „Je veux être reine!“ Elle riait et tremblait. Il parlait aux amis de révélation, d’épreuve terminée. Ils se pâmaient l’un contre l’autre.

En effet, ils furent rois toute une matinée, où les tentures carminées se relevèrent sur les maisons, et tout l’après-midi, où ils s’avancèrent du côté des jardins de palmes.

Arthur Rimbaud, Sämtliche Dichtungen, Heidelberg 1982, 200.

014

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Today’s Best Song Ever: U2 – New Year’s Day

Today's Best Song Ever: U2 - New Year's Day. Bild: Winternacht von Christian Erdmann.

Mein erstes Semester als Student der Philosophie, ein Logik-Tutorium, bei dem die Tutorin uns „The Annotated Alice“ (In Wonderland / Through The Looking-Glass) empfahl, der Nachmittag, an dem ich „War“ von U2, „Burning From The Inside“ von Bauhaus und Alice nach Hause brachte. Zu „Burning From The Inside“ war ich einem elegant begeisterten Review der VOGUE gefolgt, „War“ wurde lebenswichtig, als ich „New Year’s Day“ im Radio hörte. Mit diesem Song stahlen sie mein Herz.

Dramatik von der ersten Sekunde an, und von der ersten Sekunde an hört man auch, was Brian Eno als my first of impression of U2, and my lasting impression of U2 bezeichnet: a band in the way that very few people are bands.

Vier Menschen, die zusammen etwas erschaffen, das größer ist als alles, was jeder von ihnen mit anderen Musikern oder Sängern erschaffen könnte. Vier Menschen mit einer Art von commitment, von Hingabe, die ihrer musikalischen Mission ihre Einzigartigkeit verleiht. Es ist der Glaube an einen spirit, der keine Unverbindlichkeit kennt und der ihren besten Songs eine Intensität beyond comparison verleiht. The Edge sagt während der Aufnahmen zu „The Unforgettable Fire“: „There’s something that works through us to create in this way.“ U2 machen es sich mit jedem Album aus vielen Gründen schwer, aber es scheint, als hätten sie immer alles verworfen, was die Präsenz des fünften Bandmitglieds vermissen ließ, jenes something that works through us.

Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit, Leidenschaft, Sehnsucht, Eindringlichkeit, Wehmut, Euphorie, schiere Energie. Darum geht es bei U2, um Erneuerung von Energie. Um House of Sinn versus mauvaise foi. Um den Energieschub in etwas Wahrhaftiges hinein.

Das Piano, drei Töne und es ist kalt, und vor uns liegt unendliche Weite. Was immer da wartet, „New Year’s Day“ begegnet ihm furchtlos. Der Song ist inspiriert von den Ereignissen in Polen zu Beginn der 80er, ohne spezifische Referenz indes (was ihn zeitlos macht), und er ist zugleich ein Liebeslied, einer von so vielen Songs im U2-Oeuvre, die verschiedene Bedeutungslinien ineinander verweben. Die Stille am Neujahrsmorgen, eine Welt in Weiß und ein Himmel in Blutrot, NOTHING CHANGES ON NEW YEAR’S DAY vs. I WILL BEGIN AGAIN. I WILL BE WITH YOU AGAIN.

„Eine unerhörte Anstrengung steht bevor: Auflehnung gegen die Macht der Bedingung. Gegen die Macht der Ohnmacht. Gegen die Hölle der Situation. Das nicht länger verleugnete Gefühl wartet auf die Tat. Mit Aufruhr das Meer geteilt, Bug der Schmerzen! Mit Liebe durchbrennen, was Haß auslöst. Aufstand gegen das Festsitzen. Von unter der Haut springen die Funken über.“ („Aljoscha der Idiot“, S. 217).

Bono: „It is about having the faith to break through and survive against all odds. Love is a very powerful thing. There’s nothing more radical than two people loving each other.“

„‚New Year’s Day‘ keeps building to impossible musical peaks, with Bono soaring right along with his heart fully exposed at every note.“ (Jim Beviglia, americansongwriter.com).

Building to impossible musical peaks: Edges Gitarre ist unreal, kommt von einem anderen Planeten. Adam Claytons ominös treibende Basslinie basiert auf seinem vergeblichen Versuch, „Fade To Grey“ von Visage zu spielen. Bonos Gesang: Hoffnung, die sich nicht unterdrücken läßt, der Wille zum Widerstand. Bei den Dreharbeiten zum Video sind die vier dann allerdings von den Szenen, bei denen sie knöcheltief im Schnee stehen, derart durchgefroren, daß die vermummten Gestalten, die Pferde durch die Schneelandschaft reiten, tatsächlich von vier schwedischen Mädchen dargestellt werden.

Schnee am Neujahrstag ist selten geworden, aber wenn ich diesen Song höre, ist da Schnee.

013

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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: Trent Reznor – Driver Down

5 Minuten 20 Sekunden Höllenbrand, Rütteln am Grabstein der geistigen Gesundheit, die psychogene Fuge von „Lost Highway“ in nuce, ein so perfektes Stück, daß man wie Baudelaire „Oft trägt mich die Musik zu meinem bleichen Stern“ etc etc. Im Film bleibt davon naturgemäß nur ein Auszug, aber den Schnitt auf den Wüstenhighway in dem Moment, als Reznors Stück nicht mehr zu halten ist, finde ich ähnlich genial wie Kubricks berühmten Schnitt in „2001: A Space Odyssey“ oder David Leans berühmten Schnitt in „Lawrence of Arabia“.

Patricia Arquette in "Lost Highway", Regie David Lynch.

012

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Today’s Best Song Ever: Mediaeval Baebes – Blow Northern Wind

Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: Mediaeval Baebes - Blow Northern Wind.

Will ich hören, wenn meine Asche verstreut wird.

011

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Today’s Best Song Ever: Iggy Pop – Lust For Life

Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: Iggy Pop - Lust For Life.

Am Abend des folgenden Tages kam Hilfssheriff James Osterberg über die Eselsbrücke in die Stadt geritten. Der Mann, den sie Iggy Pop nannten, dutzendmal geteert und gefedert, der Mann, der wußte, daß man alle Ausgänge kennen muß, bevor man durch den Eingang geht. Lang hatte er Blaßgesichtern das Feld überlassen; jetzt war er zurückgekehrt, um erneut seinen existentialistischen Halsbrecher-Report über die Bretter gehen zu lassen und die Anatomie zu schinden wie kein zweiter, den sehnigen glänzenden Gauklerkörper – man konnte sagen, dieser Körper hatte Charakterstärke – versehen mit einer rituellen Zeichnung: Narben all der Wunden, die der Mann sich zugefügt hatte in Zeiten, als die Frage „Was ist das Problem, James?“ einen konvulsivischen Anfall zur Antwort bekam, begleitet vom Metallgewitter der drei bösen Stooges, weil das Problem war, daß man für das Leben ein zweites Leben als ständigen Kurort gebraucht hätte. Well, Leute. Intensität fängt irgendwann zu brennen an. Allen, die es wissen wollten, erklärte der Mann den Grund für seinen langen Rückzug: er hatte seinen Selbstrespekt verloren. Er hatte eine völlige Neuordnung seines Lebens vorgenommen. Er hatte die Selbstauflösung angehalten und im eigenen mentalen Irrenhaus die Rolle des Platzanweisers übernommen. Eine kopernikanische Wende. Wenn man sich selber ständig in die Quere kommt, hilft ein innerer Amoklauf. Sich nichts mehr vormachen und nichts mehr mitmachen, was man nur durchmacht. Siedende Wahrhaftigkeit aushalten, einem einfachen und starken Sinn zuliebe. „Ich wollte herausfinden“, sagte der Mann, der schon alles gesehen und in der Hölle die Asche zusammengefegt hatte, „ich wollte herausfinden, was ein Liter Milch kostet.“

Das hatte es in sich. Die Würde in diesem Satz! Das ließ den Spiegel der Vorspiegelung falscher Tatsachen zu Bruch gehen. Das gab Sachschaden. Das warf Scheinwelt und Fassaden in den Orkus. Ein Mantra gegen faulen Zauber und Staffage. Vordringen zum wahren Jakob. Herausfinden, was ein Liter Milch kostet. Ein Kôan war das.

Und dann sagte der Mann noch etwas. Er sagte: „Es mußte getan werden, also tat ich es.“ Gott selbst hätte es nicht besser ausdrücken können.

An einem Abend im Dezember konnten Leda und Aljoscha miterleben, was geschieht, wenn Iggy Pop ein paar Bühnenbretter vorfindet, und die Meute, der sie angehörten, wußte, was sie dem Mann schuldig war. Vier Helfershelfer schufen einen Klangwall, auf dem Pop wilde Zeichen machte wie Pierrot auf Glatteis. Er holte das letzte aus sich heraus, und so herausgeholt sah das letzte noch viel besser aus. Der Genosse Osterberg, er lebe hoch, hoch, hoch! Von diesem Schauspiel würde man noch Jahre zehren, und Aljoscha fühlte sich nach dem Konzert so erquickt wie ein Spatz nach einem Sandbad.


Christian Erdmann, „Aljoscha der Idiot“


Ich war 20, als ich zwei große Lautsprecherboxen im Abstand von etwa 70 Zentimetern auf den Teppich stellte und meinen Kopf, der dazwischen lag, mit „Lust For Life“ in die Luft sprengte. Dieser donnernde Drumbeat, 72 Sekunden bis HERE COMES JOHNNY YEN AGAIN, die umwerfendsten Einstiegssekunden eines Songs ever.

UNCUT: Iggy claims ‚Lust For Life‘ was written in front of the TV in Berlin, with a rhythm copied from the tapping Morse Code beat of the Forces Network theme. Is this the case?

BOWIE: Absolutely.

010

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Today’s Best Song Ever: The Velvet Underground – Venus In Furs

Shiny Boots, Foto von Christian Erdmann. Today's Best Song Ever: The Velvet Underground - Venus In Furs.

„… geben Sie acht, wenn Sie Ihr Ideal finden, kann es leicht geschehen, daß es Sie grausamer behandelt als Ihnen lieb ist.“ – Wanda von Dunajew (1)

Als die Band für ihr Repertoire einen Plattenvertrag sucht, fordert ein Label (Atlantic), daß „Venus In Furs“ komplett gestrichen wird, ein anderes (Elektra) verlangt, John Cale und seine verstörende electric viola abzustellen.

„Venus im Pelz“ in ein modernes urbanes Milieu transponiert, die bedrohliche Erhabenheit der dunkelmajestätischen Musik ist wie die Unausweichlichkeit des erotischen Rituals selbst, die Lyrics offenbaren die ungeheure geistige Dimension der sadomasochistischen Beziehung.

Shiny, shiny, shiny boots of leather
Whiplash girl child in the dark
Comes in bells, your servant, don’t forsake him
Strike, dear mistress, and cure his heart

Downy sins of streetlight fancies
Chase the costumes she shall wear
Ermine furs adorn the imperious
Severin, Severin awaits you there

I am tired, I am weary
I could sleep for a thousand years
A thousand dreams that would awake me
Different colors made of tears

Kiss the boot of shiny, shiny leather
Shiny leather in the dark
Tongue of thongs, the belt that does await you
Strike, dear mistress, and cure his heart

Severin, Severin, speak so slightly
Severin, down on your bended knee
Taste the whip, in love not given lightly
Taste the whip, now bleed for me

I am tired, I am weary
I could sleep for a thousand years
A thousand dreams that would awake me
Different colors made of tears

Shiny, shiny, shiny boots of leather
Whiplash girl child in the dark
Severin, your servant comes in bells, please don’t forsake him
Strike, dear mistress, and cure his heart

„‚Venus In Furs‘ is just a different kind of love song.“ – Sterling Morrison

(1) Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz, Frankfurt am Main 1968, 45

Photo CE

009

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Today’s Best Song Ever: David Bowie – Aladdin Sane

Was Mike Garson in diesem Stück macht, ist das Beunruhigendste, Faszinierendste, Beeindruckendste und Heftigste, das man je von einem Piano im Rock-Kontext gehört hat, Punkt. Eine der großartigsten Improvisationen, die es überhaupt je gegeben hat, genau das, was im Englischen „haunting“ heißt – es verfolgt dich für immer mit seiner bizarren Schönheit. Bowie beschwört diese schwüle Vorkriegs-Dekadenz, diese seltsame Wehmut, das Jahr 1913 erscheint in Klammern im Titel des Songs, auch das Jahr 1938, aber 1913 war auch das Jahr von „Le Sacre du Printemps“, wie schon gesagt. Es ist, als ob der „lad insane“ Strawinskys Paroxysmus im Kopf hat.

Bowie beschwört in dem Song zunächst diese traumgleiche, ominöse, extravagante Atmosphäre, etwas, das dem Untergang entgegengeht, während noch der Champagner perlt, und einen Charakter am Abgrund, crying for escape. Und dann bricht dieses komplett wahnsinnige Solo los. Anarchisch, dissonant, absolut brillant, absolut virtuos, zersplittert, zerklüftet, wie der Geist dieses Charakters selbst. Als ob alle Neuronen, alle Synapsen in die Schizophrenie britzeln. Unglaublich, einzigartig. Wirklich, ich weiß nicht, ob es etwas vergleichbar Waghalsiges gibt. Dieses Pianosolo ist todesmutig.

Man kann Bowie nicht genug rühmen für seine Furchtlosigkeit. Er gibt zwei Akkorde vor für den Mittelteil und sagt zu Garson, von dem er einiges über Avantgardemusik gehört hat: mach mal. Und der macht das in einem einzigen Take. Vor einer Weile sagte Garson, er bekommt noch immer jeden Tag Briefe und Emails wegen dieses Solos von 1973. Ich muß dem auch noch schreiben.

13 Fragen an Christian Erdmann auf netSkater.net

Today's Best Song Ever: David Bowie - Aladdin Sane. David Bowie by Kevin Kerslake.

David Bowie by Kevin Kerslake

008

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Today’s Best Song Ever: Nick Cave & The Bad Seeds – Something’s Gotten Hold Of My Heart

Nick Cave & The Bad Seeds, Kicking Against The Pricks. Today's Best Song Ever, Christian Erdmann: Something's Gotten Hold Of My Heart.

Was immer es war, es ging auf Mitternacht zu. Aljoscha saß am Bahnsteig 14 auf einem Gepäckwagen und sah in die Richtung, aus der die Lokomotive kommen mußte. Er sah, wie sich die beiden Silberlinien verloren in einem Korridor aus Nacht. Der irgendwo überging in den Fluß der Milchstraße. Wohin die entfesselten Dienerinnen des Dionysos den Kopf des Orpheus schleuderten.

SOMETHING’S GOTTEN HOLD OF MY HEART

Weil er von ihnen nichts wissen wollte, hatten die Mänaden Orpheus zerrissen.

KEEPING MY SOUL AND MY SENSES APART

In Aljoschas Walkman hatte dieses Stück begonnen, dieser Song, dieses 3-Minuten-45-Opus in epischer Breite, das seit Wochen alle Gründe in Abgründe stürzte, alles Sinnen und Sehnen begleitete, sein Treiben im Äther der süßen Melancholie,

SOMETHING’S GOTTEN HOLD OF MY HAND

sein langsames Entschwinden, seinen Tod im Leben.

DRAGGING MY SOUL TO A BEAUTIFUL LAND

Es war ein Lied voll hoffnungsloser Hoffnung, wie der Gesang von Matrosen nach der Seelenmesse,

TURNING ME UP AND TURNING ME DOWN

es ließ ein Licht aufgehen an dunklen Gestaden und verband alles mit allem,

MAKING ME SMILE AND MAKING ME FROWN

alles, wofür die Sonne scheinen mußte, alles, was der Mond viel besser wußte.

I’VE GOT TO KNOW IF THIS IS THE REAL THING

Und plötzlich war es die Hymne der Meuterei.

I’VE GOT TO KNOW WHAT’S MAKING MY HEART SING

Rebellionsgesang! Aufruhr vor der Admiralskajüte!

Die ganze Platte, Kicking Against The Pricks, war Leda eigentlich ein Greuel. Nick Cave & The Bad Seeds erschienen als Experten im Zerlegen gewohnter Strukturen, als Schinder des schmeichelnden Wohllauts, als Lästerer des Lieblichen, die mit fachmännisch gesenkten Köpfen einen Rhythmus zur Strafaktion erklärten und alle Melodien mit Stahlbürsten streichelten. Ausgerechnet dieses Stück nun gab sich betörend schön mit täuschend echter Harmonie und erhob sich strahlend, um auch Leda zu gefallen. Der Tod im Leben ist ein Meister der Ironie. Denn aus dem Wohlklang sprangen Würgeengel. Dieses Stück war die Verschwörung gegen das, was es zu sein schien. Dieses Lied wollte nicht nur herausfinden, was ein Liter Milch kostet. Es kippte Tod und Auferstehung in die Milchtüte.

Christian Erdmann: Aljoscha der Idiot

007

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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: The Rolling Stones – Moonlight Mile

The Rolling Stones, Sticky Fingers. Today's Best Song Ever: Moonlight Mile.

Der Song aber, der in mir alle Lichter entzündete, war „Moonlight Mile“.

Jon Landau im Rolling Stone nannte „Moonlight Mile“ 

… a masterpiece. The semi-oriental touch seems to heighten the song’s intense expression of desire, which is the purest and most engaging emotion present on the record. The sense of personal commitment and emotional spontaneity immediately liberate Jagger’s (double-tracked) singing […] There is something soulful here, something deeply felt […] Paul Buckmaster […] does the best job with strings I can remember in a long, long time, while Charlie Watts only goes through the motions of loosening up his style, as he comes down hard on the nearly magical line, „Just about a moonlight mile.“ 

When Jagger finally says „Here we go, now“ as Mick Taylor’s guitar (Richard is inexplicably absent) falls perfectly into place with a hypnotic chord pattern, it’s as if he is taking our hand and is literally going to walk us down his dream road. As the strings push the intensity level constantly upwards and Charlie emphasizes the development with fabulous cymbal crashes, the energy becomes unmistakably erotic — erotic as opposed to merely sexual […] The expression of need that dominates so much of the record is transformed from a hostile statement into a plea and a statement of warmth and receptiveness.

This cut really does sway and when Jagger’s voice re-enters, it is […] with the kind of abandon that he seems uniquely capable of. And unique is the best word to describe the cut as a whole […].


Dieses halb fernöstliche, halb orientalische Arrangement brachte etwas so fremdartig Schönes und Mysteriöses in die Musik, und vermutlich habe ich sie nie wieder verlassen, diese dream road und die Stimmung dieses Songs. Lyrics, von denen ein Kritiker schrieb: re-created all the paradoxical distances inherent in erotic love with a power worthy of Yeats. Die Anspielung auf snow, Kokain, ist nicht das weiße Geheimnis von „Moonlight Mile“.

When the wind blows and the rain feels cold
With a head full of snow
With a head full of snow
In the window there’s a face you know
Don’t the nights pass slow
Don’t the nights pass slow 
The sound of strangers sending nothing to my mind
Just another mad mad day on the road
I am just living to be lying by your side
But I’m just about a moonlight mile on down the road
Made a rag pile of my shiny clothes
Gonna warm my bones
Gonna warm my bones
I got silence on my radio
Let the air waves flow
Let the air waves flow
Oh I am sleeping under strange strange skies
Just another mad mad day on the road
My dreams is fading down the railway line
I’m just about a moonlight mile down the road
I’m hiding sister and I’m dreaming
I’m riding down your moonlight mile
I’m hiding baby and I’m dreaming
I’m riding down your moonlight mile

Antirationalistischer Block: Sticky Fingers

006

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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: Echo & The Bunnymen – The Killing Moon

Ian McCulloch, Echo & The Bunnymen. Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: The Killing Moon.

Echo & The Bunnymen klingen wie die Liebesnacht mit einem Geist. Was will Ian McCulloch sagen? Er sagt es so gut. Seine kryptische Poesie verweigert sich linearer Zeichnung, manchmal sagt er eigentlich nur Klang, so ist es wohl während der Liebesnacht mit einem Geist. Manchmal sind seine Texte einfach Schimmer von Eis und Jade. Alles ist verwandelt, Tage sind kristallin oder türkis, Teufel sind weiß, der Mond tödlich, Pferde tanzen, Köpfe rollen, nur Götter werden immer Götter sein. Als Bunnyman bewegt man sich buchstäblich zwischen Engeln und Teufeln, jede Nacht hat andere Schriftzeichen am Himmel, und auf dem Thron im Paradies wird man Stück für Stück verrückt.

Die 4 Alben, die Echo & The Bunnymen zwischen 1981 und 1987 veröffentlichten, entsprechen den 4 Jahreszeiten. HEAVEN UP HERE (1981) ist Herbst. PORCUPINE (1983) ist Winter. OCEAN RAIN (1984) ist Frühling. ECHO & THE BUNNYMEN (1987) ist Sommer.

For me, it was a trip to Russia that fed into The Killing Moon. Me and Les Pattinson, our bassist, knew some people at the polytechnic in Liverpool who were going, and they said we could come. It was £200 for 10 days, including flights. We went to Leningrad, then this place called Kazam, where nobody from outside Russia had been since 1943 or something. We went to a museum full of tractor parts and this very strange party organised by the young communists where everyone wore pressed Bri-nylon flares. But there was a lot of music and we came back full of ideas of Russian balalaika bands, which Les used for the middle of the song – this rumbling, mandolin-style bass thing. – Will Sergeant, The Guardian, 2015

„The Killing Moon“ ist, wer wollte da Ian McCulloch widersprechen, „the greatest song ever written“. Die Musik beschwört die Macht des Unausweichlichen.

Under blue moon I saw you
So soon you’ll take me
Up in your arms
Too late to beg you or cancel it
Though I know it must be the killing time
Unwillingly mine

Fate
Up against your will
Through the thick and thin
He will wait until
You give yourself to him

In starlit nights I saw you
So cruelly you kissed me
Your lips a magic world
Your sky all hung with jewels
The killing moon
Will come too soon

Fate
Up against your will
Through the thick and thin
He will wait until
You give yourself to him

005

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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: Iggy Pop – Shades

Iggy Pop by Masayoshi Sukita. Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: Shades.

Doch 10mal wunderlich! SIE trug noch mehr! 9 Tage war es her, daß sich in der Metro ein 8-loses Individuum zwischen ihn und SIE geschoben hatte, dadurch 7 Flüche auf sich zog und erst zurückwich, als Aljoscha seinen Walkman von Lautstärke 6 auf militant laut stellte, wodurch im Umkreis von 5 Metern „Shades“ von Iggy Pop Mitreisende mitreißen mußte. Seitdem hatte dieses Stück Musik den 4fachen Schriftsinn:

3) Es handelte von einem Geschenk, das ein Mann von einer Frau erhält, was diesen Mann so rührt, daß er der Frau darüber Treue schwört für ewig und einen Tag (anagogischer Sinn).

2) Es enthielt die Zeile: Die anderen Kerle sind schlecht dran, sie wollten einem Mädchen wie dir nie zuhören (Moralsinn).

1) Es war die Hymne auf den Zauber, in den die Katzenmenschenfrau Aljoschas Leben hüllte. Allegorischer Sinn.

0) Es war so gut, daß man in die Knie ging. Buchstäblicher Sinn.

Und weil „Shades“ das Hohelied auf eine Sonnenbrille war, jenes so bedeutsame Geschenk zur richtigen Zeit am richtigen Ort, trug SIE an diesem kalten Tag, den kein Sonnenstrahl erhellte, eine Sonnenbrille. Klarer Fall! – auch wenn dies alles Aljoscha im Augenblick mehr schwante, als daß er es sich rational und en bloc zusammenspekulierte.

Christian Erdmann, „Aljoscha der Idiot“

004

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Today’s Best Song Ever: Mark Lanegan – Waltzing In Blue

Mark Lanegan, Phantom Radio. Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: Waltzing In Blue.

Lanegan hat schon bei „Blues Funeral“ erklärt: „I was listening to a lot of Kraftwerk, Cluster, Harmonia, a lot of the Krautrock stuff.“ Auf „Phantom Radio“ / „No Bells On Sunday“ hat er diese Liebe noch dezidierter ausgelebt. „Waltzing In Blue“ haunted me. Something else, something strange, ätherisch, Lanegans Chor mit sich selbst erinnerte mich an irgend etwas Fernes, weit Entferntes. Then I got it. Dieses Eindringliche, Gebethafte der Musik, die Florian Fricke mit Popol Vuh für Werner Herzog-Filme schuf. „Waltzing In Blue“ erinnert mich an Popol Vuh.

Adventskalender 2014

Oh what can I say
I’m bleeding for you
Only a scratch
Waltzing in Blue
Oh I can’t see the day
Blinded by you
Faded away
Waltzing in Blue
No, nobody home
They’ve gone out to play
Gone to the ball
Psychoses and all
And love
Love’s fevered stain
Hour by hour
Is down to decay
Oh what can I say
Still haunted by you
Quiet as a ghost
Waltzing in Blue

003

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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: Scott Walker – Boy Child

Scott Walker. Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: Boy Child.

Was ich aber weiß, ist, daß „Scott 4“ ein echtes Wunderwerk und „Boy Child“ einer der Songs ist, für die das Wort „haunting“ mal erfunden wurde. Reine unverständliche Schönheit, dunkel, süß, mysteriös, reine Poesie.

(12.03.2009 – SPON)

… ein Mann auf der Suche nach der verlorenen Zeit, die zwischen europäischen Filmen abläuft, eine unerklärliche, traurige, einsame Forgotten Courtyards-Schönheit vor Augen.

Vorweihnacht mit Cured Catherine [32]

Beyond any rational explanation, was Walker in diesem Song macht, wie er in ihm das Mondlicht einfängt. Ally Davids: „Boy Child is, in my opinion, the peak of music itself, the best song ever written, across any musical medium in any time, period. Beautiful lyrics, and a tune that I would be quite happy to listen to for the rest of my life.“

Oft genug aus diesem Song erwacht, um in die Welt eines Romans zurückzukehren. Wenn du in den Nachtwinden hinter mirrors dark and blessed with cracks gestanden hast, fügen sich alle Fragmente zusammen. Für immer.

Scott Walker / Scott 4

„Und manchmal hat mich die Atmosphäre eines Stücks wie ‚Boy Child‘ von Scott Walker oder ‚Frozen Warnings‘ von Nico genau dahin geführt, wo das Wort oder das Bild war.“

Interview Literatur-Feder Magazin

002

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Today's Best Song Ever

Today’s Best Song Ever: Nico – Frozen Warnings

Christian Erdmann, Today's Best Song Ever: Nico - Frozen Warnings.

„Ich sagte ‚Punkt zwei Uhr‘ und sie kam um fünf. Oder sie erschien um drei und verbrachte die nächsten beiden Stunden im Badezimmer, um ihr Make-up zu richten. Für eine Platten-Session! Da waren nur wir beide im Studio! Einmal sagte ich ihr: ‚Ich möchte morgen um zwei Uhr anfangen. Muß ich um zehn bei dir erscheinen, um sicherzugehen? Wo liegt das Problem? Hast du keine Uhr?‘ Sie antwortete: ‚Nein. Als ich beim Schauspieler-Unterricht war, brachte mir Elia Kazan bei, die Dinge in meiner eigenen Zeit zu erledigen. Ich nahm ihn beim Wort.‘ Sie hantierte mit dieser vielschichtigen Logik und man kam damit nicht zu Rande – es war aufreibend. […]

Sie hatte alle Wörter aufgeschrieben. Sie lagen deutlich vor ihr auf dem Papier, in dieser ihrer spinnwebenartigen gotischen Schrift… Viele Gedanken, verdammt viele Gedanken müssen schon darauf verwendet worden sein, bevor es zu Papier gebracht wurde. Das ist schon bemerkenswert, bedenkt man, daß sie in einer fremden Sprache arbeitete. Und stand es einmal da, wurde es nicht mehr geändert. Sie war in ihrem Stil sehr sicher.“

John Cale über die Aufnahmen zu „The Marble Index“, in: Axel von Cossart, Kult um Nico


Im Film von James Marsh (1998) sagt Cale: manchmal kam das kleine Mädchen in ihr zum Vorschein, das sei sehr charming gewesen. Bei den recording sessions brach sie am Ende eines Tages in Tränen aus, Cale fragte sich, was um alles in der Welt er ihr angetan habe, aber sie sagte „Nein, nein, es war einfach so schön.“

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