Killing Joke. Alles begann damit, daß Birgit und ich mentalistisch die Glasscheibe des Bushäuschens zerlegten, wir hatten sie, dort sitzend, derart mit Spannung aufgeladen, daß sie bei Abfahrt des Busses zerschellte. Den Interzonenzug erreichten wir hernach nurmehr knapp, ich schleudere immer noch gern Flüche ins traumatische Schwanheide. Berlin begann mit Friedrichstraße, Antiquitäten bewundert, Props-Sale der Komischen Oper. Dann verbrüderten/verschwesterten wir uns mit einem Paar aus der Elfenbeinküste, die waren so begeistert von unserem Wissen über Fußballer aus Cote d’Ivoire, daß wir alle Geschichten nochmal vor der Digikamera wiederholen mußten. Fast wären sie mitgekommen zum Columbia Club. Wir parfumierten uns gebührend, entdeckten den Friedhof mit E.T.A. Hoffmann, und dann: wie höflich Postpunks auch geworden sind! Artiges Dankeschön empfangen, wenn man eine Tür aufhält, so etwas hätte es früher nicht gegeben! Treponem Pal aus Paris waren überraschend gut, manisch-kontrollierter Sänger, und einer der beiden Gitarristen mußte sich entschuldigend lächelnd mehrmals die Hose adjustieren. Wir okkupierten die erste Reihe, jeden Detz an der Schlaggitarre im Auge. Lights went out again for The Hum.
Originalbesetzung: Jaz Coleman, Geordie, Youth, Paul Ferguson. Dazu Reza mit Keyboards. Mehr als 800 gehen nicht in den Columbia Club, aber wir machten die Hölle schön warm. Coleman sah nicht nur magisch verjüngt aus, er ist auch schlanker geworden seit den letzten Bildern, die ich von ihm sah, die ein wenig Don Vito Corleone-Charme versprühten. Auf Wardance-Bemalung hatte er verzichtet, dafür war „Love Like Blood“ auch zu schön. „Pandemonium“ und frühe Singles waren Thema des Abends, aber man nahm es nicht so genau, so kam es z.B. zu einem mindblowing Mittelteil mit „Money Is Not Our God“ und „Asteroid“. Eine wahre Communion, alles in allem. Geordie und Youth können sich beim Spielen minutenlang in die Augen starren, und wer weiß, was da in ihnen vorgeht. Und Coleman war, ich kann es nicht anders sagen, gerührt, wischte sich einmal vielleicht sogar ein Tränchen weg, übermannt vielleicht von Erinnerung, er zählte auch nach, wie lange es her sei, daß man diesen Song in Berlin gespielt habe. Aber dann war wieder Exorcism. Ich sehe diesen Zeremonienmeister des Rituals mittlerweile als echten Renaissancemenschen, der fehlende Sforza, der Athanasius Kircher des Schwarzmondes.
Wir tanzten, tumbelten und taumelten im Auge des Sturms, in some moments of mental abstraction I took some photos. Was ein Spuk. In die Vorhalle geworfen, trafen wir auf die beiden Gitarristen von Treponem Pal, und sie scribbelten Autogramme nebst Dankeschön auf die Eintrittskarte der artig fragenden Birgit. Die winkten uns nochmal zu, während wir die nächtliche Odyssee begannen, die dann auf den himmelschreiend orangefarbenen Schalensitzen des ZOB endete und insgesamt brüllend komisch war. Was ich noch erinnere, ist die Unterhaltung von Ticketcheckerman und Busfahrer über „Der Untertan“, bevor es losging. Ist halt Berlin. Der Nebel war dicht, ich hoffte, den Mann am Steuer würden keine Visionen ereilen, und dann schlief ich ein, in meiner Fumerie Turque-Wolke.
Killing Joke, Columbia Club Berlin, 25.09.2008, Pic CE
9 Antworten auf „Killing Joke, Columbia Club Berlin, 25.09.2008“
Schon alleine des ersten Absatzes wegen, wäre ich da liebend gerne dabei gewesen damals, auch wenn es nicht wirklich meine Musik ist. Also, mit so ein- zwei Songs intus … weiß nicht, was DAS mit mir machen würde ….geschweige denn ein ganzes Konzert! ;-oh
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Genau das, believe me. 😊 Kenne wirklich keine andere Musik, die derart dionysisch ist, voller Gewalt und mysteriöser Schönheit. Plötzlich Mänaden neben dir und über dir drehen sich vier Monde aus Kristall. Bis sie dich zerreißt und dir den Rest gibt. (Die Musik oder die Mänade.) Was für Energien diese Musik zu beschwören vermag, ist legendär. Killing Joke haben ja tatsächlich mal im King’s Chamber der Cheops-Pyramide aufgenommen, und was sie da beschworen, mit Ritual und Musik, hat einen armen Ägypter, der als recording engineer dabei war, so erschreckt, daß er schreiend davonlief und die Pyramide nie wieder betreten hat. Er schwor, das Auge des Horus gesehen zu haben. So oder so, Killing Joke konnte eine mächtige, mächtige Erfahrung sein.
Was für Portale die Musik zu öffnen vermochte, war auch für die Band nicht immer leicht zu beschreiben. Wenn Du geneigt bist, in dieser Doku wird so ab Minute 19:00 davon gesprochen, was im Reading Hexagon geschah, 1981, five songs in.
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Deine Beschreibungen sind immer dermaßen ergreifend, dass, auch wenn ich oft die Bands, die Musiker gar nicht kenne oder mit deren Musik nicht immer gleich etwas anzufangen weiß, ich mich mittendrin im Geschehen fühle, ich ganz begierig bin, das alles hautnah mitzuerleben … oder so … (von den mich zerreißen wollenden Mänaden mal abgesehen) *lach*
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Danke Dir! 😊❤️ [Hope you’re much much better. Mich hatte es auch erwischt Ende Oktober.]
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Danke, ja, geht mir schon viel besser jetzt, wobei, ganz ausgestanden ist es noch nicht, muss mich noch ein wenig schonen.
Oje, DU auch! … scheinst mir aber schon wieder auf dem Damm zu sein. Gut so! *smile*
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Ah, schön zu hören, daß es Dir besser geht! Hoffe, Du hast es bald ganz hinter Dir. Moi, well, ich fühle mich nicht mehr wie ein nasser Teubeutel, aber ich habe noch mit Nachwirkungen zu tun. War mein erstes Mal, und von wegen „milder Verlauf“… in der ersten Woche bin ich heftig gegen den Bus gelaufen. Nach drei Jahren, in denen ich unbeschadet durch alle Wirbelstürme kam, fand ich diese T-Linie seltsam unwirklich. Ich dachte, wir Vampire wären immun! 🦇 Man hat mich falsch informiert.
Overcast, the branches bare
The autumn leaves have fallen
I can hear the magpies laugh
I can’t shake this melancholy
And then the clouds break
A ray of sunlight, gloria!
As if a promise
Some strange kind of euphoria
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Starker song, toller Text, JA!
Tja, selbst gebe ich auf Informationen nicht viel …. ;-)
Vielleicht hat es ja auch was Positives, den Virus intus zu haben …
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Unglaublich aber wahr ;-) dies von Killing Joke ließ meine einstige Welt zusammenbrechen
und schickte mich auf eine obdachlos unbeschreibliche Reise
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Unermeßlich, was Kunst vermag – wenn man sie läßt.
Bin sicher, daß der Song auch für Jaz Coleman besondere Bedeutung hat.
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