„Am Abend fuhr er dann ein drittes Mal durch Dobropol, unterwegs zu einem Auftritt des Musikers und Sängers Peter Hammill.
Hammill war ein Künstler, der auch seine Zuhörer zu Künstlern machte: zu Virtuosen in der Kunst des Zuhörens. Seine Texte setzten wundersame Wandlungen in Gang: der Einzelgänger war willkommen wie ein charmanter Plauderer beim Nachmittagstee, äußerste Individualität war äußerste Vertrautheit, der Tiefschürfende war Busenfreund, das Spinnerte war sonnenklar, alle Menschen konnten alles verstehen, Spinoza war gar keine Nudelspeise. Aber in der andächtigen, fast sakralen Stimmung, in die ein Auftritt Hammills getaucht war – als ob Merkur seinen Stab hebt, um ein Loch in die Wolken zu stochern –, detonierten die Worte eines derart Wortgewandten zugleich auf paradoxe Weise die Macht der Worte. Während Aljoscha Hammill zusah, wurde ihm klar, wie die Worte als Söldner der positivistischen Ordnung völlig nutzlose Schlachten schlagen – während sich unterhalb gewisser Schichten das Wesentliche vorbereitet. Hammills Stimme kannte eine Pein, deren Gefahr darin liegt, zur melancholischen Konstante zu werden – die Pein der Erfahrung, daß Worte Versager sind. Nicht nur, daß sie sich an alles, was sie beschreiben wollen, nur annähern; oft sind sie nur Handlanger der Irrtümer und der Illusionen, die wir so gut über andere hegen wie andere über uns, die kleinen und gemeinen Krieger der falschen Vorstellungen, gegen die man bis zur Besinnungslosigkeit kämpfen muß. Man wird errichtet aus Worten, man wird ein Angeblicher, und diesen Angeblichen treffen Affekte und Aufgeregtheiten und mehr Worte, die sich jetzt nicht einmal mehr annähern, oder nur noch an eine Fiktion, bis man dem Schöpfer dieser Fiktion zurufen möchte: du redest und kämpfst die ganze Zeit mit dir selbst. Das Große an Hammills Kunst war, daß er all das wußte und zum Ausdruck brachte und trotzdem ein Loch in die Wolken stocherte; daß er den Existenzkampf der Worte vorführte, oder besser: den Kampf der Worte um etwas Existentes. Seine Texte waren Begleittexte: der Versuch, nicht zu verstummen, während sich unterhalb gewisser Schichten das Wesentliche vorbereitet.“
(Christian Erdmann, Aljoscha der Idiot, Kapitel 15)
„The Aerosol Grey Machine“, die erste LP von Peter Hammills Band Van der Graaf Generator, entstand in zwei Tagen. Als ich 16 war, kursierte die Platte in meiner Schule, ich bekam sie zusammen mit „The Velvet Underground & Nico“ auf ein Tape. Schon der erste Song, „Afterwards“, erinnerte mich an die Zukunft. „Venus In Furs“ verriet, daß Schönheit immer gefährlich ist, und wie „All Tomorrow’s Parties“ verriet „Afterwards“, daß Schönheit immer traurig ist.
You stare out in yellow eyes larger than my mind
In viscous pools of joy, relaxing, we glide
It’s all too beautiful for my mind to bear
And, as we shimmer into sleep, something’s unshared
But seeing the flower that was there yesterday
A tear forms just behind the soft peace of your shades
The world’s too lonely for a message to slip
But between the dying rails of peace you trip
The petals that were blooming are just paper in your hand
Your eyes which were clear in the night are opaque as you stand
It was too beautiful for it to last
These visions shimmer and fade out of the glass
The petals that were blooming are just paper in your hand.
Das wie ein Cembalo gespielte Piano übertrug vornehm-zarte Bilder aus einer anderen Zeit in mein diffuses Gefühl, zu spät geboren zu sein. Am Ende dieser seltsamen Platte, auf „-> Octopus„, singt Hammill „I want to paint you long poems full of fire“, und „I want you to cascade through ten thousand rainbows with me“, die Arme der Frau mit dem kupferroten Haar, die ihn umschlingen und umwinden und in tiefste Tiefen hinabziehen, verwandeln sich aber in die eines, nun, Oktopus. Danach mußte man das Licht wieder anmachen, Poe lesen und am nächsten Tag zu spät zur Schule kommen.
Wirklich entdeckt habe ich Peter Hammill aber erst in jener Nacht, als eine von Eberhard Schoener initiierte „Classic-Rock-Nacht“ im deutschen TV lief. Ich war auf einer ganz anderen Linie unterwegs zur Kollision mit dem Eisberg – John Cale, die ersten beiden Platten der Psychedelic Furs -, das im TV Präsentierte schien mir kalter Kaffee, es lief nebenher, ich war mit irgendwas beschäftigt, dann kündigte Schoener als Ersatz für irgendwen Peter Hammill an, und er sang „This Side Of The Looking Glass“. Es war überwältigend. Unwirklich. Intensiv. Brillant. Daß es wirklich passiert ist, bestätigte mir ein gewisser Sascha im SPIEGEL-Forum:
20.09.2006
Es gab Zeiten, in denen man erst 8 Minuten Cocteau Twins im Radio hörte und direkt danach walisischen Punk. Hey Vivian, kennst Du „Crafwr“ von Anhrefn? Ich muß jetzt weinen.
Paul Baskerville war unerreicht, aber es gab beim NDR einige Moderatoren, die wunderbar individuelle, aufregende Programme zusammenstellten. Einer hieß Stefan Kühne. Peter Urban, der sich heute durch den Eurovision Song Contest grummelt, hatte mal Peter Hammill im Studio – und nannte ihn permanent „Pete Hammill“.
Peter Hammill ist mal zur Prime Time im deutschen Fernsehen aufgetreten, hat da „This Side Of The Looking Glass“ gesungen, kann sich das jemand vorstellen? Wenn jemand das Stück kennt, kann er sich das erst recht nicht vorstellen.
Letztlich war man schon immer gezwungen, die Perlen in einem Sack voll Linsen zu suchen. Und die Suche ist heute nicht weniger aufregend. Aber die Masse schalen Epigonentums, die sich gegenwärtig auftürmt, ist höher als André Bretons Wäscheberg (irgendwie der höchste Berg, den es aus dem Weg zu räumen gilt, um zur Geliebten zu gelangen, weiß auch nicht, Breton lesen).
*Adorno-Modus an* Die Musikindustrie hat offensiv vergessen, daß rigoroser Individualismus kraft der entflammenden Selbstbesinnung des Genius höchste Allgemeingültigkeit reklamieren kann, erschwindelt Allgemeingültigkeit durch mimetische Individualismus-Posen, perpetuiert Schemata auferlegter Identifikation und beschränkt sich mit der Torheit des formfremd Undurchdrungenen. Authentische Kunst, welche die Krise des Sinns auf sich nimmt, weicht im kontaminierenden Ohrenschmaus bloßer Velleität und quasi epischer Reihung des Albernen. Banausie. *Adorno-Modus aus*
SaschaHH:
Schön, daß hier jemand Peter Hammill kennt und erwähnt. Da ich diesen grundehrlichen und im positivsten Sinne ernsthaften Musiker nun schon seit ca. 14 Jahren kenne und schätze, macht mir die schon seit langem zu erkennende kreative Ermüdung des populären Mainstreams keine Sorge. Ich weiß, daß es genug Perlen gibt. Man muss sie nur suchen oder das Glück haben sie zu finden.
„This Side Of The Looking Glass“ im deutschen Fernsehen. Heute schwer vorstellbar. Aber ich habe das Video, es ist wirklich passiert :-)
Dies ist der Song. Von „Over“, 1976.
Zeitgleich fiel mir ein Sounds-Artikel von Michael Ruff in die Hände, der Hammill vier Seiten widmete, betitelt: „Verfechter der Zweideutigkeit“. Schon mit dieser Headline war ich gewonnen. Ich ging los und suchte „Nadir’s Big Chance“. Aber die Platte hatte noch nicht ihre Zeit. Im nächsten Sommer traf mich dann ihr Schlag, und so setzten sich meine Roaring Twenties damit fort, fürderhin von allem umgeben zu sein, was sich in den Plattenläden auftreiben ließ von Peter Hammill und Van der Graaf Generator.
„Er hätte einmal berühmt werden können“, leitet Ruff den Sounds-Artikel ein. „Sein Album PAWN HEARTS war Nummer Eins in Frankreich und Italien, seine Band Van der Graaf Generator schwamm […] über positivste Kritiken und kommerzielle Achtungserfolge endlich einer relativ gesicherten Existenz entgegen. Hammill jedoch verzichtete und entschied sich für einen Werdegang, der ihn in den Augen John Lydons, damals noch Sänger der Sex Pistols, zu einem der wenigen Musiker werden ließ, die man noch ernst nehmen könne.“
Tatsächlich sagte Lydon, damals noch Johnny Rotten, im Juli 1977 in der Tommy Vance Show auf Capital Radio:
„Oh, Peter Hammill’s great. A true original. I’ve just liked him for years. If you listen to him, his solo albums, I’m damn sure Bowie copied a lot out of that geezer. The credit he deserves just has not been given to him. I love all his stuff.“
Lydon spielte zwei Songs von „Nadir’s Big Chance“, einer davon war „The Institute Of Mental Health, Burning“.
„The Institute of Mental Health, Burning“, schreibt The Seth Man auf Julian Cope presents Head Heritage, „is the singularity of a very singular album. It doesn’t fit in, but… it does. As a collaborative song of ‚outsanity‘ by Hammill and earliest VdGG cohort Chris Judge Smith, it’s lighthearted, absurd and plain sinister but somehow maintains its mysterious unresolved qualities by being all those at once […] The coda of incessant ‚Burning, burning, burning, burning, burning, burning, burning…“ goes on way too long for comfort like the sped-up laughter on ‚Bike‘ does.“
Über die glühende Bewunderung des John Lydon für Hammill sinniert Michael Ruff:
„Was Lydon damals im Auge hatte, als er mit seiner Sympathie für Hammill überraschte und damit seine wache Auffassungsgabe bewies, war wohl Hammills minutiöses Orakel der musikalischen Umwälzung, deren Star John Lydon selbst war […] Hammills Bildersprache als Nadir sah neben der Bedeutung sinnreicher Phantasienamen auch den anfänglichen 3-Akkord-Gitarren-Fetischismus des Punk voraus.“
Hammill ging für „Nadir’s Big Chance“ im Dezember 1974 ins Studio; in den Sleeve Notes schreibt er:
„The way of it is this: I was sitting in the waiting-room when I gradually became aware that I was not alone – or at least, not singular. This lasted only a moment, however, and then my alter ego, Nadir, took me over, so that I was both him in body and myself in observation.
Light; a curious desultory silence; several moments of disorienting neo-dematerialisation. An ice-blue Stratocaster spinning through space; Nadir crashing his way through distorted three-chord wonders. The anarchic presence of Nadir – this loud, aggressive, perpetual sixteen-year-old (…) I can only submit, gladly, and play his music (…) This album is, more or less, what he plays and who he is (…) After all, with the state the world’s in there’s always room for another Nadir.“
Und er beschreibt einen Teil der Songs als punk songs. Hammill nimmt den Anbruch der Punkbewegung vorweg, sieht ihn prophetisch voraus, behauptet Anfang 1975, vom Geist eines jungen, anarchischen Rotzlöffels namens Rikki Nadir besessen zu sein, oder spielt zumindest mit diesem Identitätswechsel, Nadir ist kathartisch wirkender Katalysator u.a. für eine heftige Tirade gegen das Musikbusiness („Two Or Three Spectres“), für Songs, die Hammills Kompromißlosigkeit „konsequent bis zum Brachialen“ (Ruff) umsetzen: „Hammill’s usual sense of incisive clarity, now refracted through Nadir’s blowtorch, burned white hot.“ (The Seth Man). Und er ruft im Titelsong „Nadir’s Big Chance“ dazu auf: smash the system with a song. Mein liebster Nadir-Song ist allerdings der in den Lyrics am wenigsten rebellierende, „Birthday Special“.
The Seth Man: „Here, Jackson’s having a wild weekend on honkin‘ sax, Evans triples up with resoundingly thudding tom-tom fills, Hugh Banton fills in on rumbling bass clusters while Hammill’s introductory guitar razoring gets the blood flowing in exactly the same amassed, flurry-out-of-nowhereness as Keith Levene’s opening split silver headstock’d guitar buzzsaw on ‚Public Image‘. Hammill’s vocals are at their fiercest as they draw out single syllables forever describing a party where half the guests got loaded, threw up in the bathroom and fell over in the sitting room. The ones that didn’t left hours ago, which leaves only Rikki Nadir (who at most only downed a pair of brandies but his vision is clear and his inner game has been peaking with each passing moment) alone with guest of honour: the birthday girl herself. Only she’s no girl (she’s a lady) and she’s currently gazing directly back at him through the hazy blur of the late night kitchen with its table and countertops littered with dishes, glasses, drained bottles and torn gift wraps. (…) He’s not even all over her and she’s already smiling herself into a dreamy surrender cos after all: he’s the only motherfucker of the party with enough class to remain standing on his own two feet.“
Fand jedenfalls immer, daß der Gitarren-Riff-Teil 2:08 – 2:22 den zweiten Gitarren-Riff-Teil von „Anarchy In The U.K.“ (so nach 2 Minuten) vorwegnimmt.
Nicht der übliche rührselige Quark, den du jeden Tag hörst: Here comes a special that Hansel and Gretel never had.
„Pompeii“. Der goldene Traum, Satellit und Ebenbild dem Glanze Roms, Hammill schwebt traumartig über der antiken Stadt, beobachtet die silberhellen Kinder im Forum, im Badehaus, in den Bordellen, etwas Fremdartiges weht vom Tyrrhenischen Meer heran, doch niemand im fortwährenden Fest und Maskenspiel vernimmt es, da sind die blonden Herrinnen der Rituale des Dionysos, Wein und Liebe und Lachen die ganze Nacht hindurch. Schließlich: zwei Liebende schauen aus ihrem schattigen Versteck. Was sehen sie? Wie die Sonne sich verdunkelt? Plötzlich auf den Straßen der Stadt, deren Türme ins Azur des Himmels ragen, nur noch der Klang von Touristenschuhen – während Geräusche der Gegenwart in die Vision einbrechen, gerade noch zurückgerissen aus Asche, graublau blendendem Tod, dem jähen Leichentuch. Guy Evans‘ Trommeln „in hypnotically measured syncopation“ (The Seth Man), hypnotische Abgemessenheit als Sound besiegelten Schicksals.
She’s gone-Verzweiflung unter einem leeren Himmel, allein am schäumenden Meer: Hammill war immer auch ein Mann für die ganz düsteren Stunden. Shingle Song.
Mit Hugh Banton (keyboards, bass pedals, bass), Guy Evans (drums) und David Jackson (saxophone, flute) war auf „Nadir’s Big Chance“ die „klassische“ Van der Graaf Generator-Besetzung präsent, die auch „Pawn Hearts“ eingespielt hatte und 1975/1976 drei weitere Alben aufnimmt. Im Januar 1978, als Banton Van der Graaf Generator wieder verlassen und Nic Potter dafür seinen alten Platz am Bass wieder eingenommen hat, schreibt Manfred Gillig in Sounds den Artikel „Van der Graaf – Mit Hochspannung in den Dom der Freude“:
„Es gibt nicht viele Bands, die ein in sich so geschlossenes und gleichzeitig so vielseitiges Werk vorweisen können wie Van der Graaf Generator. Und es gibt nicht viele Gruppen, die wie sie trotz einer recht abwechslungsreichen Geschichte so konstant gute und interessante Musik gemacht haben und dabei doch immer eine Kultband geblieben sind.
Was mich von jeher bei der Musik dieser Gruppe beeindruckte, das war das Nebeneinander von verspielter Leichtigkeit und dramatischem Pathos, von lyrischem Schweben und Ausbrüchen in die Sphären konkreter Musik, von präziser Unbestimmtheit und komplizierter Präzision, von Jazz-, Klassik- und Folkelementen vor einem sicheren Rockhintergrund – kurz: eine Musik, die ziemlich einmalig ist und sich Vergleichen und Kategorisierungsversuchen entzieht.
[…] Peter macht den Eindruck eines regen, vielseitig interessierten Gesprächspartners. Er äußert pointierte Meinungen, bleibt aber immer der höfliche englische Gentleman und ist bemüht, keine Fragen offen zu lassen, möglichst viele Aspekte eines Themas abzudecken – und er redet sehr ausdrucksvoll, sehr schnell und sehr viel. Wenn er nicht Speed- oder Coke-Fan ist, dann hat er zumindest eine sehr, sehr schnelle Zunge, einen hellen Kopf und eine verhalten nervöse Motorik.
[…] Doch sollte man vielleicht zuallererst einmal abklären, was das eigentlich für ein seltsamer Generator ist, nach dem sich Van der Graaf benannt haben. Erfunden wurde das Ding [1929] von einem Physiker, der sich in etwas abweichender Schreibweise Van de Graaff nannte. Seine Konstruktion, auch Bandgenerator genannt, besteht aus einer sorgfältig isolierten Metallkugel, der über ein Endlosband aus Isolationsmaterial ständig elektrische Ladung zugeführt wird. Die Kugel wird so aufgeladen – bis zu 1,5 Millionen Elektronenvolt Spannung lassen sich damit erzeugen. Diese riesige Spannung drängt zur Entladung und wird z.B. dazu benutzt, in Atomforschungsanlagen Atomteilchen zu beschleunigen. Der aufmerksame Leser sieht: ‚Spannung‘ ist ein Schlüsselwort, das für Band und Generator gilt, ‚Entladung‘ ist das andere.“
VdGG, „The Least We Can Do Is Wave To Each Other“, 1970: auf „White Hammer“ geht es um den Hexenhammer (Malleus Maleficarum): das Stück endet „with one of the most evil musical passages ever laid down outside of a hard rock or metal record. That organ tone is simply HORRIFYING.“ (madnest.com).
Während der Aufnahmen zu „H To He, Who Am The Only One“, auch 1970, taucht David Bowie im Studio auf, um bei den Sessions zuzusehen. Neben John Lydon haben sich auch Nick Cave, Marc Almond, Julian Cope, Mark E. Smith, Robert Fripp („Peter Hammill hat für den Gesang getan, was Hendrix für die Gitarre tat“), und eben David Bowie zu Bewunderern Hammills erklärt. Angeblich soll Bowie sich einmal als „the poor man’s Peter Hammill“ bezeichnet haben. In „The Man Who Sold The World: David Bowie and the 1970s“ zieht Peter Doggett einen Vergleich zwischen Bowies Song „Station To Station“ und dem 1970 entstandenen „Darkness (11/11)“ von Van der Graaf Generator. Laut Doggett hat Bowie sich um 1974 tief in Hammills Werk versenkt, kurz bevor er sich auf seiner spirituellen Suche zwischen Kether und Malkuth ein wenig verirrte und nur noch Milch, Kokain, Bücher und Krautrock zu sich nahm. Hammills Song „(In The) Black Room“ von „Chameleon In The Shadow Of The Night“ soll besonderen Eindruck auf Bowie gemacht haben. Vergleiche zwischen Hammill und Bowie, was Themen, Songwriting, Sinn für Drama und vocal performance angeht, sind gar nicht selten.
„Pawn Hearts“ von 1971, „a work of near-cataclysmic power and strength“ (Zig Zag Magazine), stand, so rätselhaft das heute klingt, in Italien 12 Wochen auf Platz 1 der Albumcharts.
„This is more like an art rock album wrenched out from the inside of a madman’s brain. It’s a horror movie for the ears. It’s unafraid to go to places absolutely atrocious and dissonant, and then swing right back to passages unrivaled in their beauty and clarity. It’s a schizophrenic motherfucker, this record is.“ (madnest.com).
The Mojo Collection, 4th edition: „‚The times were intense, and we were an intense, even scary band‘, remembers frontman/songwriter Peter Hammill. Back in 1971, things rarely got scarier than Pawn Hearts, VDGG’s most traumatic album […] Pawn Hearts‘ compelling, claustrophobic, carefully-hewn chaos is practically unique in pop.“
Mojo schrieb auch etwas wie: die Musik von Van der Graaf Generator kann sich anfühlen, als ob man mit stechenden Schmerzen in den Armen aufwacht und in der offenen Schrankschublade befindet sich eine Klapperschlange.
„A Plague of Lighthouse Keepers“ von „Pawn Hearts“ ist ein 23-Minuten-Stück über das langsame Verstandverlieren im Zustand extremer Isolation. „When you see the skeletons of sailing-ship spars sinking low you’ll begin to wonder if the points of all the ancient myths are solemnly directed straight at you“: da ich über jedes Wort Gewißheit wollte, besitze ich die beiden Bücher, in denen Hammill all seine Texte und einige Kurzgeschichten versammelte, „Killers, Angels, Refugees“ und „Mirrors, Dreams and Miracles“, unfaßbare Schätze, diese kleinen Päckchen, die aus England ankamen, noch handschriftlich bestellt bei Sofa Sound, lang bevor das Internet aufmachte.
„How I adored this record. However, thirty-one years and a coupla hundred spins later, I’m still genuinely disorientated by this extremely everything LP, and even more in Shock’n’awe of Peter Hammill than I was all those ye-hars ago […] Also remember when you hear this stuff that Peter Hammill is, on this recording, only about 24 years old though getting decades older by the hour.“ (Julian Cope, 2003).
Einige der Möglichkeiten, „A Plague Of Lighthouse Keepers“ zu hören:
1) Diese Musik „vermag es, Ehepartner aus dem Zimmer zu treiben.“ (Fred G. Schütz, 1992)
2) Man verfolgt die Lyrics.
Wenn „Killers, Angels, Refugees“ nicht zur Hand ist:
(Eyewitness)
Still waiting for my saviour, storms tear me limb from limb;
my fingers feel like seaweed, I’m so far out I’m too far in.
I am a lonely man, my solitude is true,
my eyes have borne stark witness
and now my nights are numbered, too.
I’ve seen the smiles on dead hands,
the stars shine, but they’re not for me.
I prophesy disaster and then I count the cost
I shine but, shining, dying, I know that I am almost lost.
On the table lies blank paper and my tower is built on stone
I only have blunt scissors, I only have the bluntest home.
I’ve been the witness and the seal of death
lingers in the molten wax that is my head.
When you see the skeletons
of sailing-ship spars sinking low
You’ll begin to wonder if the points of all the ancients myths
are solemnly directed straight at you…
No time now for contrition, the time for that’s long past,
the walls are thin as tissue and if I talk I’ll crack the glass
So I only think on how it might have been,
locked in silent monologue, in silent scream.
I am much too tired to speak
and as the waves crash on the bleak
stones of the tower I start to freak
and find that I am overcome….
(S.H.M.)
„Unreal, unreal“ ghost helmsmen scream and fall in through the sky,
not breaking through my seagull shrieks – no breaks until I die.
The spectres scratch on window-slits,
the hollowed faces and the mindless grins
are only intent on destroying what they’ve lost.
I crawl the wall till steepness ends in the vertical fall;
my pail has sailed into the sea – no joking hopes at dawn.
White bone shine in the iron-jaw mask,
lost mastheads pierce the freezing dark
and parallel my isolated tower…
no paraffin for the flame,
no harbour left to gain.
(Presence of the Night / Kosmos Tours)
‚Alone, alone‘ the ghosts all call,
pinpoint me in the light.
The only life I feel at all
is the presence of the night.
Would you cry if I died?
Would you catch the final words of mine?
Would you catch my words?
I know that there’s no time,
I know that there’s no rhyme,
false signs find me.
I don’t want to hate, I just want to grow;
why can’t I let me live and be free?
But I die very slowly alone.
I know no more ways, I am so afraid,
myself won’t let me just be myself
and so I am completely alone.
The maelstrom of my memory
is a vampire and it feeds on me;
now, staggering madly, over the brink I fall.
((Custard’s) Last Stand)
Lighthouses might house the key but can I reach the door?
I want to walk on the sea so that I may better find a shore;
but how can I ever keep my feet dry?
I scan the horizon,
I must keep my eyes on all parts of me.
Looking back on the years it seems that I have lost my way:
like a dog in the night I have run to a manger,
now I am the stranger I stay in.
Ah, well.
All of the grief I have seen leaves me chasing solitary peace;
But I hold experience in my head.
I’m too close to the light
I don’t think I see right, for I blind me.
(The Clot Thickens)
Where is the God that guides my hand?
How can the hands of others reach me?
When will I find what I grope for?
Who is going to teach me?
I am me / me are we / we can’t see
any way out of here.
Crashing sea, a trophied history:
chance has lost my Guinevere…
I don’t want to be one wave in the water
but sea will drag me deep:
one more haggard drowned man.
I can see the lemmings coming, but I know I’m just a man.
Do I join or do I founder? Which can is the best I may?
(Land’s End (Sineline) / We go now)
Oceans drifting sideways, I am pulled into the spell,
I feel you around me, I know you well.
Stars slice horizons where the lines stand much too stark;
I feel I am drowning – hands stretch in the dark.
Camps of panoply and majesty, what is Freedom of Choice?
Where do I stand in the pageantry, whose is my voice?
It doesn’t feel so very bad now, I think the end is the start,
begin to feel very glad now:
All things are a part
All things are apart
All things are a part.
3) Die Seele trennt sich vom Körper nach etwa sechzehneinhalb Minuten.
Die VdGG-Besetzung mit Hammill, Hugh Banton, Guy Evans und dem Van Gogh des Saxofons, David Jackson, hatte sich also bei „Nadir’s Big Chance“ wiedergefunden, noch im selben Jahr erscheint „Godbluff“. Michael Ruff:
„GODBLUFF geriet zu einem Hammer. Ein Album, das man laut spielen, dabei aber ins Nebenzimmer wechseln sollte. (…) Ein Wechselbad aus Poesie und dumpfer Gewalt.“
Julian Cope über „Godbluff“: „It was the best re-formation ever. Godbluff was every inch a classic. It conjured up vast tracts of heathland, the burning huts of herdsmen, hordes of chariot maniacs trashing farmsteads, heads on javelins stuck in the earth. And Hammill standing amidst all this, Zoroaster-like and mystified, searching desperately and eloquently for some semblance of moral where there was none.“ (MOJO, May 2002).
Wenn nicht überhaupt die auf „Godbluff“ beschworene Atmosphäre, so ist es vor allem die Bildersprache von „Arrow“ und „Scorched Earth“, die Cope hier inspiriert. My own Godbluff aber beginnt damit, daß sich bei Nacht eine bewußtlose Armee in Gang setzt… „The Sleepwalkers“. And I, like you, must dance to that moonlight song. Einige der Möglichkeiten, Van der Graaf Generator zu hören:
4) Nic Potter: „I had a girlfriend who threw up at the sound of Van der Graaf. She literally opened the window and threw up.“
1971 erschien auf dem Charisma-Label „Fool’s Mate“. Die Platte gilt offiziell als Hammills erstes Soloalbum, Van der Graaf Generator-Mitglieder gleichwohl anwesend. Robert Fripp ebenfalls. Songs von einfacher Schönheit, täuschend einfach, mittelalterlich einfach, weil tief, zeitlos, sublim, sinnlich, pure, vollkommen. Songs, die Hammill als 17jähriger schrieb. Now I wander with the clouds through eternal space: Solitude.
Lange, sehr lange war meine Antwort auf die Frage, welches mir der ergreifendste und schönste love song sei auf diesem Planeten: Peter Hammill, „Vision“.
8 Antworten auf „Peter Hammill [1]: Und so brennt sie nun, die Anstalt“
Hach, den Peter mag ich ja seeeeehr, SEHR, und ja, ich gehe da ganz mit „Aljoscha“, *smile*, wenn er verlautet: „Hammills Stimme kannte eine Pein, deren Gefahr darin liegt, zur melancholischen Konstante zu werden –…“.
LikeGefällt 2 Personen
Eine Hammill-Liebhaberin, das ist phantastisch! Gibt es Alben oder Songs, für die Du das SEHR besonders groß schreibst? Hast Du ihn mal live gesehen? Würde sehr gern mehr erfahren, if you’re so inclined und wenn die Neugier erlaubt ist. ❤️🙂
LikeGefällt 2 Personen
Oh, da gibt es derer viele, doch am liebsten sind mir die „stillen“ Songs, wie „In The End“ oder „House With No Door“ u.v.m. . Weißt du, wenn er da so sitzt an seinem Piano, so ganz unscheinbar, zartgliedrig, so ohne Pomp und Allüren und dann zum Singen anhebt … verschlägt es mir die Sprache, werde ich innerlich ganz still … da fließen dann auch schon mal ganz spontan Tränen, wo ich gar nicht weiß, was mich da jetzt gerade so innerlich bewegt, ja aufrührt. Wie hier auch z.B.
Gesehen live habe ich ihn noch nie, leider. :-}
;-)
LikeGefällt 2 Personen
❤️ Oh ja, so ist es. Ich habe erlebt, wie er bei seinen Konzerten auch Männer zu Tränen rührt. Wenn du einmal sein einzigartiges Universum betreten hast, bleibt er ein Compagnon deiner Seele für immer. Und ja, er berührt auf unvergleichliche Weise. Es ist eine so tiefe Wahrhaftigkeit in seiner Kunst, aber auch so viel anderes, Empathie, Phantasie, Wagemut, bisweilen halsbrecherisch, sehr britische Exzentrik – in einem seiner Songs stellt er sich und uns zu Shakespeare die Frage „How could he know so much?“, dabei ist es, als hätte er selbst, Hammill, jeden Winkel der menschlichen Psyche erkundet.
„My Room“ liebe ich auch sehr!
Du warst ja in diesem Jahr in Italien (ich übrigens auch, Padua, Verona, Vicenza), Peter Hammill war immer geradezu rätselhaft populär in Italien, er spricht auch fließend Italienisch, hat sogar mal ein Duett mit Alice gemacht, und wenn Du auf YT „Peter Hammill TV 1984“ suchst, findest Du einen wunderschönen/bizarren Auftritt von ihm in einer italienischen Chartshow („Just Good Friends“). Letztes Jahr haben ihm Ärzte in Fürth das Leben gerettet, er ist schon zum zweiten Male dem Tod noch ganz knapp von der Schippe gesprungen. Vor ein paar Wochen, im Juni, stand er zum ersten Mal wieder auf einer Bühne – in Italien. Piacenza. So wunderbar zu sehen. Ich liebe den Mann mehr, als ich sagen kann.
Stay tuned, es wird ein Dreiteiler. 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Du bringst es auf den Punkt, ja, es ist tiefe Wahrhaftigkeit in seiner Kunst spürbar …❤️. He is hiding nothing up his sleeve … ;-)
LikeGefällt 2 Personen
*Adorno-Modus an* … beschränkt sich mit der Torheit des formfremd Undurchdrungenen… *Adorno-Modus aus* Musik und Industrie für die Undurchdringbaren ist das, was mir dazu zu- dann einfällt. Musik ist mir unendlich viel mehr als Einfall und so ich dich hier im Blog und dein phänomenales Buch auch in Buchform immer wieder mehr als passagenweise lese, öffnen sich mir nur scheinbar abgeschlossene Tore aus meiner Vergangenheit. Ja *freu* ich vermag nein kann irgendwie so gar nicht präzise genug zum Ausdruck bringen, wie Du das machst. Unumwunden befällt mich justamente eine Lebenssituation als ich mir dreizehnjährig etwas baute, was meine Eltern nicht wissen durften. Meine erste selbsterstandene Vinylscheibe Dark Side Of The Moon zur Hand legte ich die Diamantnadel behutsam in die sich einwindende erste Rille. Es knisterte, damals noch nicht zeremoni- g’schweige denn rituell doch ES knisterte in mir wie Du dir nachvollziehbar höchstwahrscheinlich mehr als vorstellen vermagst. Mich auf den frühmorgendlich sommerlich auroradurchfluteten Balkon begebend lächelte mich auch Mama Killa einseitig licht!durchflutet! (Quechua Voc.) einseitig licht!durchflutet! an *Unsagbar* denn wie? das Unbeschreibliche lässt sich wahrlich nicht in Worte fassen. Totalität ist mehr als Philosopie. Kurzum um meines hier jetzt Schwurbelns………….. Ich nahm also die gesamte LP in einem mich darin auflösendem Strom auf, wobei ich auch heute noch nicht sagen kann wann sich meine Augen öffneten oder meine Iris meine Innerlichkeit mehr als nur sah. Alles was ich in Worte zu fassen imstande bin ist, dass mich die schönste aller Musen geküsst hat und so bis dato. Die Nadel hob ab und ich hab k. A. wie lange ich brauchte, um mich für den wundervollen Tag in Kleidung zu begeben. Ich stand nicht nur nackt vor mir selbst sondern fühlte mich wohl, aufgund damaliger noch Scham in mir vollkommen angebracht entblößt, allein doch alles andere als einsam denn glücksselig.
Notabene ;-) am Früstückstisch tönte dann Music von John Miles aus’m Radio. Das hat das Duisburger Philarmonieorchester auch schon einmal auf die Bühne des Lebens gebracht.
To live without my music
Would be impossible to do
Cause in this world of troubles
My music pulls me through
Sehr liebe Grüße Dir und einen feinen GoodVibesTag gewünscht
LikeGefällt 2 Personen
Wir hatten einen in der Klasse, der im Haus seiner Eltern auf dem Dachboden eine HiFi-Anlage nutzen durfte, die ein Vermögen gekostet haben muß. Man betrat diesen Dachboden nur sehr ehrfürchtig. Wenn wir uns da oben versammelten, um Schallplatten zu hören, hatte es den Charakter eines Rituals. Es schien da kein Licht zu geben außer dem Leuchten von Displays. „Dark Side Of The Moon“ habe ich auf diesem Dachboden zum ersten Mal gehört. Vor einer 21 Minuten langen Version von „Transmission“ der Smashing Pumpkins (Aula Magna, Lissabon, 1998) sagt James Iha auf der Bühne: „Prepare for the spaceship.“ Exakt so bestieg man diesen Dachboden: Prepare for the spaceship. „Dark Side Of The Moon“ läuft hier im Planetarium als Soundtrack zur kosmischen Reise, und das ist natürlich schon sehr beeindruckend, aber ich sah es mit einem Anflug von Been there, done that. *g*
LikeGefällt 2 Personen
Das waren analoge Zeiten vom Feinsten auch in meinem Leben
Erde heißt unser spaceship und dann und wann, je nach überirdisch EntitätStatusQuoKonstellation sind wir auch kosmisch Sternenstaub und auch mehr so wir sehen dass auch die dunkle Seite des Mondes Licht reflektiert
LikeGefällt 1 Person