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Poèmes

Isispassion


Auf weissen Laken aus Eis
bin ich erlöst von meinen Irrwegen
befreit von meinem Trotz
geheilt von allem Übel
Beschworen die Silben meines Namens
wie im Schlummer einer Liebenden
Vor reine Gegenwart versammelt
die Zerstreutheit meiner Sinne
In eins gefügt die zerrissenen Zustände des Herzens
In eins verbunden die versprengten Kräfte
Nichts mehr trübt die Reinheit
meiner Anbetung
Possen, die ich spielte
Verrat, den ich beging
Anfang der Welt und Endzeit
und jede Wunde, die ich riss
Alle Stationen der Isispassion
Ri, dschi, Eisenkönig, stirb
Endlich das Unsuchbare suchen
Todgeweihtes Leiden
Hochzeit im Kristallpalast
Die wahre und die falsche Zeit
Eine Nacht, die sieben Nächte dauert
Schwester der Träume und schlafender Gott
Bring dich mir zum Opfer
Bis goldene Flammenreihen sich
In deinem Schädel spalten
So werde ich die Tore für dich öffnen

Du willst die Wahrheit und du starrst
direkt durch sie hindurch
Totengräber klagen über Grabesstimmung
Köpfe werden rollen in der Commedia

I alone will fix it

"Isispassion". Gedicht von Christian Erdmann.

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Poèmes

In der falschen Welt


Und meine Augen sind weit aufgerissen in der falschen Welt
Dunkeltage, langsames Verglühen, zwei Götter, einer fällt
Die meisten Menschen hier verstehen nicht, was man für sie fühlt
Ich auch nicht und wer weiß, wann die Erinnerung abkühlt

Meine Straße weiß nicht weiter und endet hier im Dort
Durch die Risse in den Schatten höre ich den Schlußakkord
Ich nehme nichts zurück, das Nichts nimmt mich zurück
Alles, was noch vor mir liegt, ist Feuerreiterglück

Wenn es keine Übung ist, dann ist der Ernstfall Wirklichkeit
Die lebendigsten der Toten stehlen uns die Zeit
Ist für alle schlecht, was für nichts gut ist? Ich frag den Polizisten
Er zieht den Colt und sagt, er setzt mich auf die Liste der Vermissten

Doktor, können Sie mir sagen, wo ich unterwegs bin jede Nacht
Meine Träume sind aus Tränen der Verlorenen gemacht
Die Braut trug Schwarz und gab ihr Jawort im verhexten Licht
Die Frau in meiner Hochzeitsnacht erkennt mich nicht

Das Go-Go-Girl im Lazarett behauptet, dass ich an der Front bin
Sie kennt den Rand am Abgrund und sie fällt gekonnt hin
Der Schatten einer Krähe, die den Himmel zu vernichten droht
Fällt auf die Schwester der Barmherzigkeit, sie schreit zerrissenrot

Die Pforten des Entsetzens mit singenden Segeln berührt
Im Boudoir der Opfergänge zu teuflischen Lüsten verführt
Ich schritt um die Königsgräber, der Tod hat sich vertan
Nächtliches Gelächter ohne Ort ist Hymne dir, mein Wahn

Der Wundertäter hebt den Stab, ein Engel liegt in Ketten
Die Engel sprechen rückwärts, um sich vor dem Ritual zu retten
Ein Abschied, der Äonen dauert, ein guter Grund zur falschen Zeit
Das Leid, das ich aus Zuneigung verteile, macht die Hölle himmelweit

Ihr Seidenschoß, ihr weißer Hals für einen Graf aus den Karpaten
Ich schwor ihr auf der Zeitenflucht, ihre Schönheit niemals zu verraten
Für eine Ewigkeit war nichts vor Alles-möglich-sein
Meine Liebe, sagte sie, ist Sternmesskunst für dich allein

Es weht ein Wind, der unser Fieber fieberhaft besingt
Es weht ein Wind, der alle Warnglocken zum Klingen bringt
Kalter Wind weht durch die Stadt, in der das Lachen starb
Wind heulte durch ihr Zimmer, als ich um sie warb

In der falschen Welt. Gedicht von Christian Erdmann.
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Poèmes

Passage


Grabmal ohne Inschrift
Eingang ohne Tür
Licht ohne Quelle
Weg ohne Wiederkehr
Kompass ohne Norden
Zeit ohne Stunden
Echo ohne Ruf
Weiter ohne Grund
Gegangen ohne Abschied
Drei Nächte ohne Mond
Steine ohne Alter
Klang ohne Schall
Elemente ohne Namen
Wissen ohne Nutzen
Kreaturen ohne Augen
Knochen ohne Haut
Sprache ohne Worte
Intelligenz ohne Gehirn
Sinne ohne Sinn
Chor ohne Stimmen
Universum ohne Anfang
Raum ohne Krümmung
Särge ohne Mumien
Monstren ohne Mutationen
Träume ohne Träumer
Energie ohne Masse
Buddha ohne Lächeln
Formel ohne Einstein
Engel ohne Gott
Teufel ohne Zweifel
Schlangen ohne Grube
Halle ohne Hall
Statue ohne Schöpfer
Augen ohne Blick
Bewegung ohne Warnung
Alle ohne einen
Verloren ohne Verlust
Kuss ohne Lippen
Entzücken ohne Ende
Grabmal ohne Inschrift

Christian Erdmann, "Passage", Gedicht.
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Poèmes

Im Walsertal


Im Walsertal, im Walsertal,
hyperionaktiv vertraklt,
hat Schiller sich, der Geisterseher,
mal ganz verzweigt verkakelt.

In seelischer Verzuckmay’rung,
befeuchtwangt bis zur Stirn,
tat er Büchner schlegeln,
bis ein Lichtenberg im Hirn

ihm die pöbelscheue Grille parzte.
„Musil denn, Musil denn zum Schädele hinaus!“
verhebbelt‘ er im Werfeldaus –
das Eichendorff, es brentanarzte.





[Liebesdienst fürs SPIEGEL ONLINE Lyrik-Forum, 2007]

Christian Erdmann, Im Walsertal. Gedicht.
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Poèmes

Poem For A Mediaeval Baebe


Auch wir sind in Räumen freigelegter Zeit
Wie weiße Spinnen, die in Einsamkeit sich weben
Träumend, wie im Garten vor lang verschwundenen Monden
Ein Wispern war im Rauschen dieser Blätter
Wartend, daß noch einmal unser Weben so erzittert

Rubinrot auf den Lippen und sie sagte: komm
Und der Wind, der ihre Haare wehen ließ
War kalt und nicht von dieser Welt
Und sie verging, als wäre sie ein Stich ins Licht
Und seither all die Tode, die uns trennen

Christian Erdmann, "Poem For A Mediaeval Baebe". Emily Ovenden, Mediaeval Baebes.
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Poèmes

Road Dust On Her Ankle Boots


Der Zug rast in den Sandsturm
Im Schatten einer Klapperschlange
Spielt sich nicht viel ab
Schwarzes Kleid auf heller Haut
Woher kommt das Mädchen?
Woher kommt das Mädchen?

Der Horizont verbiegt sich in der Hitze
Skelette klopfen an die Hintertür
Pferdeschrecken frißt den Klang
Von Bottleneck auf E
Wohin geht das Mädchen?
Wohin geht das Mädchen?

Reptilien kriechen durch den Korridor
Wolken brennen an den Rändern
Jemand sein im Niemandsland
Gefährte dieser Steppenhexen
Das Mädchen kommt zu mir
Das Mädchen kommt zu mir

Chiffon zitterte vom Herzschlag
In einem nie gedrehten Louise Brooks-Film
Der Mond hat einen Doppelgänger
Kein Organ ist kälter als Gehirn
Wohin führt das Mädchen?
Wohin führt das Mädchen?

Was ist es, das sie tun in Zimmer 16
Todesvogel landet hier auf ihrem Arm
Und flattert wieder fort
Das ist es, was sie tun in Zimmer 16
Das Mädchen macht
Das Mädchen macht
ihn ab, den Himmellack

Christian Erdmann: "Road Dust On Her Ankle Boots". Ein Gedicht. Bild CE.
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Poèmes

Untrunkener Seemann


Sehr weit unten warten wohl die Kraken
Auf die Proportionen eines Abgerutschten
Wo sind sie hin, die blinden weißen Fische
Die an meiner letzten Planke lutschten?

Sternvertäut, wie auf dem Deckel meines Sargs
Und nicht geneigt, in diesen Schlund zu sinken
Auf dessen Grund noch nie ein Auge sah
Wo die matten Arme der Ertrunkenen winken

Der bleiche Mond, erbarmt er sich?
Er malt mir eine Silberstraße auf die Wogen
War nicht schon einer, der auf Wasser ging?
War nicht einer, schlimmer noch als ich betrogen?

Als wär’s der süße Leib Kalypsos
Umschling‘ ich dieses Holz auf sieben Meeren
Und wenn kein Strand mehr mich als Treibgut will
Werd‘ ich noch lang den Nymphenleib beschweren

Ach! Zu kalt das Herz für alle Träume
Zu hart das Holz für einen Nymphenschoß
Zu mitleidlos der Plan der Fluten
Zu nah das Grab für einen Leichtmatros‘.

Christian Erdmann: "Untrunkener Seemann". Ein Gedicht.
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Poèmes

Die Zitadelle


100 Menschen in der Zitadelle, als der Spuk begann
Wie ein Mysterienspiel, ein Traum in Acht und Bann

90 Menschen in der Zitadelle, „Wir sind alle nur Statisten“
Sagt ein Abbild der Maria, keiner weiß um den Protagonisten

80 Menschen in der Zitadelle, wie doch die Zeit schlafwandelt
Und die erste Schöne findet ihr Portrait verschandelt

70 Menschen in der Zitadelle, zu viele Zeitgenossen in der Menge
Schwanken wie gebrochene Versprechen durch die Gänge

60 Menschen in der Zitadelle, Schaufensterpuppen nähren Parasiten
Ein Zimmer wird verdunkelt für sonderbare Riten

50 Menschen in der Zitadelle, Worte aufs Geratewohl, Schüsse in den Mond
Masken fallen unerwartet, Augen plötzlich unbewohnt

40 Menschen in der Zitadelle, gezinkte Karten und ein Trick
Am Tisch von Tod und Teufel, aus dem Halbdunkel ein Blick

30 Menschen in der Zitadelle, Wahrheiten sind frei zum Umtausch
Die Göttin mit dem Phlegma schaukelt hin und her im Rumrausch

20 Menschen in der Zitadelle, für die Gesetze dieser Stätte blind
Die Angst, sie weht in mir wie eisig kalter Wind

15 Menschen in der Zitadelle, Augenlider schwarzgemalt geschlossen
Stirbt die Unschuld, Giftkuß unter ihre Haut geschossen

14 Menschen in der Zitadelle, Wirklichkeitsdarsteller suchen Sinn
Und jeder mit „Ich weiß es!“ auf den Lippen fährt dahin

13 Menschen in der Zitadelle, unter den sinistren Zinnen kein Warum
Die Gelassenen und die Ausgelassenen stehen still, für immer stumm

12 Menschen in der Zitadelle, ein dunkler Keller, wo es dumpf rumort
Während die Spirale der Gefühle unaufhaltsam abwärts bohrt

11 Menschen in der Zitadelle, dem Geisterseher wird der Kopf verdreht
Er schreit um Hilfe in der Sprache, die nur er versteht

10 Menschen in der Zitadelle, der Mann mit den distanzgewohnten Augen
Zu schwach, um Liebe aus Verheißungen zu saugen

9 Menschen in der Zitadelle, all die süßen Stimmen täuschen hier
Ihr Blick folgt mir seit Babylon, und schweigend folgt sie mir

8 Menschen in der Zitadelle, vergessener Nomade, Schuld im Herzen
Niemand wacht mit dir im Ring aus hundert Kerzen

7 Menschen in der Zitadelle, der Hieroglyphenleser sucht den Säulengang
Dunkle Kolonnaden, dreizehntausend Nächte lang

6 Menschen in der Zitadelle, der Schwadroneur, der nur sich selbst erregt
Eine trockene Knochenhand auf seine Brust gelegt

5 Menschen in der Zitadelle, der Mond ist blutig heute nacht
Stundenloses Zimmer, ihre Beine zittern, was hat uns hierher gebracht

4 Menschen in der Zitadelle, der letzte Zweifler steht auf einer Brücke
Sein gläsernes Gewissen zerspringt in tausend Stücke

3 Menschen in der Zitadelle, am Rand der Zukunft jagen Schattenwächter
Heimwehkranker Blick, zuletzt verglüht der Spiegelfechter

2 Menschen in der Zitadelle, Geisterritt auf brennendem Begehr
Im Morgengrauen steht die Zitadelle nicht mehr leer

"Die Zitadelle", Gedicht von Christian Erdmann.
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Poèmes

Jacqueline vielleicht


Durch Flavy-le-Martel
donnert der Fünfuhrzug
Vom Bäcker kommt
Jacqueline vielleicht

Jacqueline ist 11 und kann den Regen sehen, bevor er fällt
Du weißt jetzt, daß dir niemand glaubt, wenn du die Wahrheit sagst
Dein Vater unterm Citroën, seine Werkstatt, seine Welt
Deine Mutter blättert in Journalen aus Paris, wenn du sie fragst

Und der Nagellack läuft aus
Geh schön spielen, Kind
Mama, weißt du was?
Tu, was man dir sagt, Jacqueline

Jacqueline ist 11 und Gott hat sich die Augen ausgerissen
Madame Laclos die Lehrerin nennt es eine Phase, die vergeht
Am Kirschbaum hängt ein Seil, die Krähen wissen
Es ist Onkel Paul, der sanft im Wind der Picardie sich dreht

Jacqueline steht auf dem Feld
Sie hat aufgehört zu spielen
Bunte Reihen von Quadraten
tropfen aus den Linien

Septembervögel sind der Menschen müde, alles ist ein anderes jetzt
Die Geister kommen aus dem Abgrund bei der Mauer
Ein Eichhörnchen verblutet, eine Puppe ist zerfetzt
Scharlachrote Schatten liegen auf der Lauer

Jacqueline ist 11 und glaubt
sie ist den Streit nicht wert
Der Bruder, der nie kommen wollte
hält stumm den schwarzen Luftballon

Jacqueline mit Blumen aus dem Garten einer Anstalt
steht auf dem Feld, vergißt den Weg zurück
Paul ist tot seit dreißig Jahren, grau und kalt
erwidert er des Mädchens blauen Blick

Jacqueline verblaßt
im Wind der Picardie
Ich sah ihr weißes Kleid
vom Zug aus um fünf Uhr.

Christian Erdmann, Gedicht "Jacqueline vielleicht".